Zukunft
(erstellt: Juli 2018)
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Im biblischen Hebräisch gibt es kein eigenes Wort für „Zukunft“, doch ist der Begriff in der theologischen Reflexion des Alten Testaments zentral, da viele Texte des Alten Testaments sich mit damit befassen, was kommen wird. Verheißungen (→ Verheißung / Erfüllung
1. Zukunft im Rahmen alttestamentlicher Zeitvorstellungen
1.1. Zukünftige Zeiten statt einer abstrakten Zukunft
Zukunft ist ein Sonderfall von Zeit (→ Zeit / Zeitvorstellungen
→ Gerhard von Rad
Die Qualität der jeweiligen zukünftigen Zeiten hängt von angekündigten, angedrohten oder verheißenen Handlungen und Ereignissen ab (s. z.B. Ankündigungen künftigen Unheils oder Heils, das Jhwh anbrechen lässt, wie Mi 3,4
1.2. Zukunft im Kontext der These von „zyklischer“ und „linearer“ Zeit
Die Unterscheidung von zyklischer und linearer Zeit, die in der alttestamentlichen Wissenschaft eine wichtige Rolle gespielt hat, dient bis heute der Beschreibung unterschiedlicher Typen von Zeitstrukturierung (→ Zeit
2. Zukunft im biblischen Hebräisch
2.1. Verben
Für das Verständnis alttestamentlicher Zukunftsaussagen sind einige Unterschiede zwischen hebräischer und deutscher Sprache wichtig, die dazu führen, dass die gleichen hebräischen Verbformen präsentisch und futurisch ins Deutsche übersetzt werden können. Während im Deutschen mit jeder finiten Verbform eine zeitliche Einordnung verbunden ist, ist für das Hebräische umstritten, inwiefern Verbformen überhaupt temporal festgelegt sind. Denn für das Althebräische ist die Kategorie des „Aspekts“ relevant.
Im Aspektsystem wird die Bezeichnung einer Handlung dahingehend unterschieden, ob sie insgesamt und abgeschlossen dargestellt und damit von außen wahrgenommen wird, – dies bezeichnet man als ‚perfektiv‘ – oder unabgeschlossen und aus der Innensicht, folglich im Hinblick auf Anfang und / oder Schluss nicht überschaubar – dann spricht man von ‚imperfektiv‘. Diese Unterscheidung kann sich zwar mit Tempuskategorien überschneiden, ist aber grundsätzlich nicht temporal festgelegt (perfektiv, d.h. abgeschlossen, kann eine Handlung in der Vergangenheit sein, vgl. dt. Perfekt, aber auch in der Zukunft, vgl. Futur II). Auch zukünftige Sachverhalte können, wenn es sich um solche handelt, die noch ausstehen, als perfektiv eingeordnet werden, oder, wenn sie bisher noch unabgeschlossen sind, als imperfektiv. Die Einschätzungen, in welchem Maße die hebräischen Verbformen allein über den Aspekt Auskunft geben oder im Zusammenhang damit auch etwas über das Tempus aussagen, sind sehr unterschiedlich. Exemplarisch seien hier Diethelm Michel genannt, der davon ausgeht, dass die Verbformen vor allem über den Aspekt Auskunft geben, und Rüdiger Bartelmus, der für das Hebräische ein Tempussystem annimmt, dem die Aspektkategorie untergeordnet ist. Er verbindet darin in der Regel Perfekt / qatal, Partizip / qotel, Imperfekt / jiqtol mit den Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bzw. Vor-, Gleich- und Nachzeitigkeit.
Nur wenn man davon ausgeht, dass die Verbformen vor allem oder auch temporal bestimmt sind, kann man mit diesen begründen, ob ein Text über Zukunft spricht oder nicht. Wenn man die Verbformen vor allem aspektual versteht, geben nur Tempusmarker im Text (s.u.) eindeutige Hinweise über die temporale Einordnung einer Aussage. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass in der Regel Vergangenheit von Nicht-Vergangenheit gut unterschieden werden kann, während der Unterschied zwischen Gegenwart und Zukunft sprachlich oft nicht markiert ist (Tropper, 160f). (Vgl. z.B. Ps 55,17
Ebenso sind oft unterschiedliche Übersetzungen der gleichen hebräischen Verbform in modale bzw. volitive und indikativisch-futurische Formen im Deutschen möglich („sie soll / will / möge“ vs. „sie wird“). Damit ist eine Abstufung in Zuverlässigkeit, Bestimmtheit und Modus von Zukunftsaussagen verbunden, wo im Hebräischen nicht differenziert wird (vgl. Gen 3,16
2.2. Tempusmarker
Eindeutiger ist die Einordnung von Zukunftsaussagen, wenn dies im Hebräischen durch Tempusmarker angezeigt wird („temporale Deixis“, Hardmeier, 94-96). Durch die Wendungen mit dem Begriff „Generation“ (דּוֹר dôr; z.B. דּוֹר דּוֹרִים dôr dôrȋm Generation um Generation, s. Ps 72,5
Ausdrücklich auf die Zukunft verweist אַחֲרִית ’aḥărȋt mit der Grundbedeutung „was nachher kommt“ (Jenni 2004, 115), wodurch unterschiedliche Entfernung zur Gegenwart ausgedrückt werden kann: eine spätere, folgende Zeit im Sinne von Zukunft oder die letzte Zeit, das Ende (z.B. Jer 29,11
Die formelhafte Wendung בַּיּוֹם הַהוּא bajjôm hahûʼ „an jenem Tag“, kann auf eine vergangene Zeit (v.a. in erzählenden Texten; z.B. Gen 15,18
Die Deutung alttestamentlicher Aussagen als futurisch und umso mehr als eschatologisch hängt häufig von der theologischen Deutung der Stelle und ggf. der jeweiligen Definition von Eschatologie ab.
3. Formen der Rede von Zukunft
Zukunft wird in den Texten des Alten Testaments selbstverständlich an vielen Stellen und in unterschiedlichster Form thematisiert. Durch verschiedene literarische Gattungen und Strategien wird erfassbar, was noch nicht ist. Dazu gehören die Festlegung zukünftigen Geschehens in Erzählungen, die Markierung einer unumkehrbaren Wende, die Bestimmung zukünftigen Verhaltens durch Ordnungen, Gebote und Gesetze, die Entfaltung des noch Unbekannten in verschiedensten Bildern, die Verbindung von gegenwärtiger oder vergangener Tat mit ihren Folgen oder die Berechnung aller kommenden Zeiten in Perioden und Abschnitten. Im Folgenden werden nur ausgewählte, für die jeweiligen Textbereiche typische Formen der Rede von Zukunft aufgeführt.
3.1. Pentateuch
In der → Urgeschichte
Im weiteren Pentateuch werden, immer wieder mit der Formulierung „nicht / nie mehr“ (לֹא עוֹד lo’ ‘ôd), Weichenstellungen für die gesamte weitere Zukunft Israels formuliert. In Gen 32,29
Zentrale Zukunftsbedeutung haben die Verheißungen der Erzelternerzählungen (→ Verheißung / Erfüllung
Anders ist dies bei Gesetzestexten (→ Recht
Auch im Kontext von Ordnungen, Bestimmungen und Gesetzen wird häufig ein Wendepunkt markiert, von dem ab Zukunft beeinflusst werden soll, z.B. über die Reglementierung von zukünftigem Verhalten (vgl. Lev 17,7
Alle hier vorgestellten Formen der Zukunftsdarstellung in den Texten dienen der Kontingenzbewältigung, indem sie dem, was bisher nicht erfahrbar und damit ungewiss ist, einen Rahmen geben, der immer von Gott her bestimmt ist.
3.2. Prophetie
→ Prophetie
In anderen Zusammenhängen äußert sich in der Prophetie die Gewissheit und damit verbunden die Hoffnung, dass vergangenes und gegenwärtiges Handeln und zukünftiges Geschehen einander entsprechen (vgl. den sogenannten → „Tun-Ergehen-Zusammenhang
3.3. Weisheitsschriften
In den „Schriften“ des Alten Testaments sind sehr unterschiedliche Arten der Bezugnahme auf zukünftige Zeiten zu finden (→ Weisheit
Typisch für die → Psalmen
Im Buch des → Predigers
Nur im → Danielbuch
Literaturverzeichnis
Lexikonartikel
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage, Tübingen 1998-2007
Weitere Literatur
- Bartelmus, Rüdiger, HYH. Bedeutung und Funktion eines hebräischen „Allerweltswortes“ – zugleich ein Beitrag zur Frage des hebräischen Tempussystems (ATSAT 7), St. Ottilien 1982
- Biberger, Bernd, Endgültiges Heil innerhalb von Geschichte und Gegenwart. Zukunftskonzeptionen in Ez 38-39, Joel 1-4 und Sach 12-14 (BBB 161), Göttingen 2010
- Dux, Günter, Die Zeit in der Geschichte. Ihre Entwicklungslogik vom Mythos zur Weltzeit, mit kulturvergleichenden Untersuchungen in Brasilien, Indien und Deutschland (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1025), Frankfurt / M. 1992
- Gerlemann, Gillis, Art. דּוֹר Generation, in: THAT 1, Gütersloh, 6. Aufl. 2004, 443-445
- Gloy, Karen, Zeit. Eine Morphologie, München 2006
- Gretler, Trix, Zeit und Stunde. Theologische Zeitkonzepte zwischen Erfahrung und Ideologie in den Büchern Kohelet und Daniel (TVZ Dissertationen), Zürich 2004
- Grund, Alexandra, Die Entstehung des Sabbats. Seine Bedeutung für Israels Zeitkonzept und Erinnerungskultur (FAT 75), Tübingen 2011
- Hardmeier, Christof, Textwelten der Bibel entdecken. Grundlagen und Verfahren einer textpragmatischen Literaturwissenschaft, Bd.1/1 (Textpragmatische Studien zur Hebräischen Bibel 1), Gütersloh 2003
- Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Zeit wahrnehmen. Feministisch-Theologische Perspektiven auf das Erste Testament (SBS 222), Stuttgart 2010
- Hölscher, Lucian, Die Entdeckung der Zukunft (Fischer Europäische Geschichte 60137), Frankfurt / M. 1999
- Jenni, Ernst, Das Wort ʻōlām im Alten Testament, ZAW 64 (1952), 197-248; 65 (1953), 1-35
- Jenni, Ernst, Art. אחר „danach“, in: THAT 1, Gütersloh, 6. Aufl. 2004, 110-118
- Koch, Klaus, Qädäm. Heilsgeschichte als mythische Urzeit im Alten (und Neuen) Testament, in: Ders. (Hg.), Spuren des hebräischen Denkens. Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. Gesammelte Aufsätze Bd. 1, Neukirchen-Vluyn 1991, 248-280
- Koselleck, Reinhart, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt / M. 1979
- Levine, Robert, Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit der Zeit umgehen, München 1998
- Maurer, Michael, Kulturgeschichte, UTB 3060, Köln u.a. 2008
- Michel, Diethelm, Tempora und Satzstellung in den Psalmen, Mülheim (Ruhr) 1960
- Müllner, Ilse, Die Wiederkehr des Einmaligen. Biblisch-theologische Gedanken zum Thema Zeit, Diakonia 30 (1999), 393-399
- Rad, Gerhard von, Theologie des Alten Testaments. Band II: Die Theologie der prophetischen Überlieferungen, München 1961
- Schmidt, Uta, Zukunftsvorstellungen in Jesaja 49-55. Eine textpragmatische Untersuchung von Kommunikation und Bildwelt (WMANT 138), Neukirchen-Vluyn 2013
- Schwienhorst-Schönberger, Ludger, „Für alles gibt es eine Stunde“ (Koh 3,1). Das Verständnis der Zeit im Alten Testament, ThPQ 154 (2006), 356-364
- Tropper, Josef, Althebräisches und semitisches Aspektsystem, ZAH 11 (1998), 153-190
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