Zurechtweisen / Zurechtweisung
(erstellt: August 2012)
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1. Allgemeines
Im Hebräischen wird das Wortfeld „Zurechtweisung“ durch die Wurzel יכח jkḥ zum Ausdruck gebracht, die als Verb in der Hebräischen Bibel mit 59 Belegen relativ oft vorkommt (54 Hif.; 3 Nif.; je 1 Hof. / Hitp.). Die von ihr abzuleitenden Substantive תּוֹכַחַת tôkaḥat und תּוֹכֵחָה tôkeḥāh weisen nochmals 24 bzw. 4 Belege auf. Die Beleg verteilen sich innerhalb der Hebräischen Bibel nicht gleichmäßig, vielmehr begegnet die Wurzel gehäuft in der → Weisheitsliteratur
Als Grundbedeutung des Verbes lässt sich „richtigstellen“ bzw. „zeigen, was recht ist“ (Mayer, 621) annehmen. Das Bedeutungsspektrum reicht dabei von einem eher forensischen Gebrauch im Sinne von „Recht sprechen“ bis zu einem pädagogischen Gebrauch im Sinne von „den rechten Weg weisen“. Auch die → Septuaginta
In den Qumranschriften ist das Verbum 18-mal und das Substantiv תוכחת twkḥt 9-mal belegt und zeigt dieselbe Verwendungsweise.
2. Der forensische Gebrauch
Wiewohl jede chronologische Darstellung des Begriffes Zurechtweisung von der Datierung der Belegstellen abhängt, tritt mit einiger Sicherheit der Gebrauch der Wurzel als Terminus eines formalen Gerichtsverfahrens von staatlicher Zeit bis in exilisch-nachexilische und hellenistische Zeit auf. Aus den alttestamentlichen Hinweisen auf die Ausgestaltung eines Gerichtsverfahrens lassen sich die Koordinaten für dieses Instrument des menschlichen Zusammenlebens ableiten.
2.1. Die Instanzen der Zurechtweisung
An acht Stellen wird das Partizip Hi’fil der Wurzel יכח jkḥ benutzt, um eine Art Instanz in einem Verfahren zu beschreiben, bei dem Fehlverhalten aufgedeckt und abgestellt werden soll. Diesem מוֹכִיחַ môkîaḥ bzw. אִישׁ מוֹכִיחַ ᾿îš môkîaḥ (nur Ez 3,26
Wie beide Stellen zeigen, kann das Partizip sowohl den Schlichter als auch den Kläger, unter Umständen sogar den Beklagten bezeichnen. Diese Unschärfe bei der genauen Bestimmung lässt vermuten, dass יכח jkḥ eine Rechtsprechung ohne Amtspersonen voraussetzt. Hierzu passen auch die Stellen in der Genesis, bei denen der Vorgang des יכח jkḥ im Familien- und Sippenrecht angesiedelt wird. Durch יכח jkḥ wird ein Vergleich erzielt (Gen 20,16
2.2. Der Ablauf von Zurechtweisung
Als Parallelbegriffe zum Verbum יכח jkḥ im Sinne eines prozessualen Vorganges finden sich vor allem die Wurzeln שׁפט špṭ „richten“ und ריב rjb „einen Rechtsstreit führen“. Vielleicht bietet Text vom Salomonischen Urteil (1Kön 3,16-28
Die klassische Studie von Boecker (vgl. Mayer, 622) nennt im Wesentlichen zwei unterschiedliche Möglichkeiten eines solchen Verfahrens. Bei dem Appelationsverfahren ruft der Beschuldigte die Instanz auf, ihm zu seinem Recht zu verhelfen. Er selbst beteuert seine Unschuld. Eine andere Art des Rechtens wäre die Feststellungsklage: Mehrere betroffene Parteien müssen sich verantworten, um den tatsächlich Schuldigen festzustellen. Vornehmlich das Nif’al des Verbes (Gen 20,16
2.3. Was wird „zurechtgewiesen“?
Die innerhalb eines יכח-Verfahrens zur Sprache kommenden Vergehen können unterschiedlichen Sphären entstammen. Übergeordneter Leitbegriff dürfte die Tora sein, die im → Dekalog
In der Anklage des → Elifas
2.4. Gott im Rechtsverfahren
Ein Spezialfall dieser Vorstellung ist, dass auch Gott in einem יכח-Verfahren angeklagt werden kann. Hi 13
3. Der pädagogische Gebrauch
Da offensichtlich der Vorgang des Zurechtweisens nicht notwendigerweise an eine Institution mit Amtspersonen geknüpft war, gleichzeitig aber dem toragemäßen Leben dienen sollte, ist leicht verständlich, dass in einem weiteren Gebrauch auch der private Erziehungsbereich einbezogen wurde. Anlass für ein יכח jkḥ in diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach dem richtigen Verhalten in bestimmten Situationen. Daher liegt auf der Hand, dass hauptsächlich die alttestamentliche Weisheitsliteratur Belege liefert. Neben die Ältesten und Priester treten hier vor allem die Eltern und die Weisheitslehrer.
3.1. Die erziehende Zurechtweisung der Eltern
Die → Eltern
Die Zurechtweisung ist dabei zurückgebunden an die dem Erfahrungswissen entnommenen Ratschläge zum gelingenden Leben und ist somit ein notwendiges Korrektiv bei falschen Entscheidungen. Diese nach dem Verständnis der Sprüche zum Untergang führenden Handlungen der Kinder müssen durch die Eltern korrigiert werden; diese Zurechtweisung abzulehnen, kann nur zu einer Abkehr vom rechten Pfad und damit zum Tode führen.
3.2. Die erziehende Zurechtweisung durch den Gerechten
Die pädagogisch motivierte Zurechtweisung kann auch von dem Gerechten (צַדִּיק ṣaddîq) als anklagender Instanz durchgeführt werden. So bittet der Beter in Ps 141,5
4. Der theologische Gebrauch
Die Mehrzahl der alttestamentlichen Belege weist Gott als Subjekt der Zurechtweisung auf. Insofern JHWH der Garant des Rechtes ist und auch als derjenige gilt, der das Recht in Kraft gesetzt hat, ist Gott in beiden Sphären der Zurechtweisung vertreten: Er kann als Subjekt von יכח jkḥ im Sinne eines Richters als auch eines Erziehers auftreten, als auch oberste Appelationsinstanz sein (Hi 16,21
4.1. Das strafende Handeln JHWHs
Die Vorstellung, dass der Urheber des Rechtes auch der Garant für seine Einhaltung ist, steht hinter der Vorstellung von JHWHs Strafhandeln. Besondere Zuspitzung erhält daher die Zurechtweisung, wenn es um die Bestrafung von Fehlverhalten des Königs geht. Maßstab für das rechte Verhalten ist wiederum die Tora. Dabei hat JHWH die Kläger- und Richterfunktion inne, und zwar nicht nur für sein eigenes Volk (Jes 1,18
Vornehmlich ist dieses strafende Zurechtweisen innerweltlich gemeint und zeigt sich in der Geschichte. Dabei scheint neben dem Verb das Substantiv תּוֹכַחַת tôkaḥat für dieses strafende und restituierende Handeln JHWHs reserviert zu sein. Ähnlich wie beim in prophetischer Rede für die Endzeit erwarteten → „Tag Jahwes
4.2. Das erziehende Handeln JHWHs
Das Alte Testament in seiner Endgestalt deutet die Katastrophen, die über das Volk Israel im Laufe seiner Geschichte hereingebrochen sind, nicht nur als endgültige und vernichtende Strafe, sondern versteht sie (im Rückblick) auch als nötiges Mittel zur Besserung. Das Motiv dieses von Gott evozierten „Erziehungsleidens“ (→ Leid
Neben diese konkreten politischen Verfehlungen, die von Gott durch den Verlust der Eigenstaatlichkeit gezüchtigt werden, gibt es aber auch zum anderen das individuelle Verständnis in den Klageliedern des Einzelnen. In Ps 6,2
Innerhalb der → Weisheitsliteratur
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
2.Weitere Literatur
- Boecker, H.J., 1970, Redeformen des Rechtslebens im Alten Testament (WMANT 14), 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn
- Crüsemann, F., 1992, Das Gericht im Tor, in: J. Hausmann / H.J. Zobel (Hgg.), Alttestamentlicher Glaube und biblische Theologie (FS H.D. Preuß), Stuttgart, 69-79
- Häusl, M., 2005, Zuraten, zurechtweisen und sich zurückhalten: Sprüche zur Sprache aus der älteren Weisheit (Spr 10-22 und 25-29), BZ 49, 26-45
- Mayer, H., 1982, Art. יכח jkḥ, in: ThWAT III, Stuttgart u.a. 620-628
- Niehr, H., 1997, The constitutive principles for establishing justice and order in Northwest Semitic societies with special reference to ancient Israel and Judah, ZABR 3, 112-130
- Niehr, H., 1999, Die Rechtsprechung im Tor, BiKi 54, 128-130
- Otto, E., 1991, Techniken der Rechtssatzredaktion israelitischer Rechtsbücher in der Redaktion des Prophetenbuches Micha, SJOT, 119-150
- Seeligmann, I., 1967, Zur Terminologie für das Gerichtsverfahren im Wortschatz des biblischen Hebräisch, in: B. Hartmann (Hg.), Hebräische Wortforschung (FS W. Baumgartner; VT.S 16), Leiden, 251-278
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