Abendmahl
Andere Schreibweise: Eucharistie / Herrenmahl
(erstellt: Mai 2017)
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1. Definition und bibelkundlicher Überblick
Wenn vom Abendmahl die Rede ist, muss begrifflich unterschieden werden zwischen dem einen letzten Mahl Jesu und der Entstehung der regelmäßigen Feier eines besonderen, sakralen Mahls in den frühen Gemeinden. Einige der neutestamentlichen Textbelege beziehen beides aufeinander (1Kor 11,17-34
2. Das letzte Mahl Jesu
2.1. Die Mahl-Traditionen vom letzten Mahl Jesu
Die Erinnerung an ein letztes Mahl Jesu, in dessen Rahmen Jesus den → Jüngern
2.2. Letztes Mahl und „Einsetzungsworte“
Alle Versionen der Traditionen vom letzten Mahl Jesu mischen Erzähl- und Redeanteile. Paulus und die Synoptiker integrieren in den Passionsablauf, der von den Ereignissen „in der Nacht, da er verraten wurde“ (1Kor 11,23
2.3. Annäherung an das historische letzte Mahl Jesu?
Alle → Synoptiker
Weder eine Variante noch ein Kernbestand der Deuteworte können sicher auf Jesus zurückgeführt werden, sondern sind als nachösterliche Gemeindebildung und Interpretation des Lebens und Sterbens Jesu einzuordnen. Das letzte Mahl Jesu steht in der Kontinuität zu den Mahlgemeinschaften Jesu (Mk 2,15
3. Regelmäßige sakrale Mähler in den frühen Gemeinden
3.1. Antike Mahlgemeinschaften und die Entstehung urchristlicher Gemeindemähler
Typisch für die antike Welt insgesamt ist die gemeinschaftliche Einnahme der Hauptmahlzeit am Abend (gr. deipnon), welche mit einer Vorspeise beginnt, zu der ein mit Honig vermischter Wein gereicht wird. Es folgt die Hauptspeise, die mit dem Heraustragen der Tische endet. Die Libationshandlung (das Vergießen von etwas Wein für die Götter), begleitet von einem gesungenen → Hymnus
3.1.1. Formen jüdischer Mähler
Das Pessach-Mahl wird als Hintergrund für die Entstehung des Abendmahls herangezogen, zumal die synoptischen Evangelien das letzte Mahl Jesu ausdrücklich als Pessach-Mahl kennzeichnen. Methodisch besteht die Schwierigkeit darin, die Liturgie für die Feier des Pessach-Mahls (sog. Pessach-Haggada) aus den verfügbaren Quellen für die erste Hälfte des 1. Jh.s zu rekonstruieren, da die in Frage kommenden Texte nicht in diese Zeit datierbar sind (Stemberger). → Matthäus
Als Hintergrund der Entstehung des urchristlichen Abendmahls werden daneben die Gemeinschaftsmähler der Therapeutinnen und Therapeuten herangezogen, einer in → Ägypten
3.1.2. Formen paganer Mähler
Das im privaten Rahmen stattfindende Gastmahl ist vor allem durch eine klar geregelte soziale Stufung der Teilnehmer und ihrer Plätze gekennzeichnet. In der Regel sind nur Männer geladene Gäste. Der Gastgeber sorgt für die Speisen, bezeugt sind aber auch Mahlzeiten (sog. eranoi), zu welchen alle Teilnehmer etwas beitragen (Schmitt-Pantel). Die antike Literatur bezeugt breit die Ungleichbehandlung höher gestellter und niedrig gestellter Männer beim Mahl (Klauck, 294).
In fließendem Übergang vom privaten Mahl gab es Mähler im Rahmen antiker → Vereine, für welche das sakral-kultische Element unabhängig vom Vereinszweck konstitutiv war. Bei allen Gemeinschaften steht das Mahl der Mitglieder im Zentrum. Je nach gesellschaftlichem Status gestalten sich auch die Mähler und Portionen mehr oder weniger üppig. Im Rahmen von Privat- und Vereinsmählern ist die Begehung von Geburtstagen und Erinnerungstagen sowohl für Gottheiten als auch für Patrone und Stifterpersönlichkeiten bezeugt (Ebel, Lehmeier).
Von besonderem Interesse für die theologischen Deutungen des Abendmahls im NT sind die paganen → Mysterienreligionen
3.2. Zeugnisse regelmäßiger Mahlfeiern in neutestamentlicher Zeit
3.2.1. 1. Korintherbrief: Das Herrenmahl (kuriakon deipnon)
Paulus erwähnt das gemeinsame Mahl der Gemeinde im → 1. Korintherbrief
1) 1Kor 10,14-22
2) 1Kor 11,17-34
In der Argumentation bezieht Paulus sich auf eine Variante der Tradition vom letzten Mahl Jesu und der Deuteworte, die er der Gemeinde bereits weitergegeben hat (sog. Herrenmahlsparadosis, 1Kor 11, 23-26
Deutlich wird, dass es um 55 in Korinth regelmäßige Zusammenkünfte der Gemeinde gab und damit verbunden regelmäßige gemeinsame Mähler. Darüber hinaus war eine geprägte Tradition des letzten Mahles Jesu und dessen Deutung bekannt. Über Häufigkeit und Liturgie wird nichts ausgesagt.
3.2.2. Apostelgeschichte: „Brotbrechen“
Lukas verwendet in Apg 2,42
3.2.3. Ursprünge urchristlicher Mahlfeiern
Insgesamt lässt sich über den Ablauf urchristlicher Mahlfeiern zu wenig Gesichertes sagen, als dass man bestimmte „Typen“ von Mahlzeiten erkennen könnte (dies vertrat z.B. Kollmann, 255ff). Brotbrechen ist sowohl ein Begriff in den Mahlzeiten des vorösterlichen Jesus (Mk 6,41
3.2.4. Sakrament und Abendmahl
Unklar ist, ob und ab wann regelmäßige Gemeinschaftsmähler sakramentalen Charakter tragen. Wenn der sakramentale Charakter darin besteht, dass „irdischer und himmlischer Bereich miteinander in Beziehung treten“ (Schröter, 2010, 159), dann trifft dies auf alle antiken Mähler zu (s.o. 3.1.). Der neutestamentliche Begriff des mysterion kann nicht mit dem sacramentum der Alten Kirche gleichgesetzt werden und kommt im Kontext der neutestamentlichen Mahl-Texte nicht vor. Nach einer enger gefassten Definition kann von einem Sakrament erst gesprochen werden, wenn natürliche Mittel mit einem bestimmten Ritus eine übernatürliche Potenz erhalten (Theißen / Merz 360). Dieser Aspekt klingt sowohl in 1Kor 10,16
4. Theologische Deutungshorizonte
4.1. Deuteworte beim letzten Mahl
Eine Zusammenstellung und Synopse der Mahlüberlieferungen in den Evangelien und im 1. Korintherbrief bietet z.B. Schröter (2006) in griechischer und deutscher Sprache.
4.1.1. Die Deutung der Brothandlung
In allen vier Versionen der Deuteworte nach der Brothandlung besteht die Problematik, dass sich das Pronomen τοῦτο / touto (neutrum: dieses) grammatisch nicht auf das Brot (ἃρτος / artos maskulinum) beziehen kann. Es ist also nicht das Brot als Element gemeint, sondern die vorausgehenden Handlungen. Nehmen, Danken / Segnen, Brechen und Geben bilden zusammen eine Symbolhandlung mit dem Nahrungsmittel Brot. Vorgeschlagen wird eine Übersetzung für sōma (Leib) im Sinne der Identität: „So ist mein Leib“ (Schottroff, 226; anders Wolter, 704), d.h. alle Handlungen mit dem Brot deuten Jesu Person und Leben zeichenhaft.
4.1.2. Stellvertretung und Vergebung
In der Paulus und Lukas zugrundeliegenden Überlieferung wird die Symbolhandlung im Licht des Todes Jesu interpretiert (sōma to hyper umōn). Der Gedanke der stellvertretenden Hingabe des Lebens für andere ist in der paganen Antike belegt (Wolter, 705). Besonders naheliegend ist die Verankerung dieser Deutung auf Jesu Tod hin in der Vorstellung des leidenden Gerechten (Jes 53,10-12
4.1.3. Erinnerung und Vergegenwärtigung
Das theologische Deutungspotential des sogenannten Anamnesisbefehls („tut dies zur Erinnerung an mich“) in der Lukas und Paulus vorliegenden Tradition liegt in der Erinnerungskultur, die mit bestimmten jüdischen und paganen Mahlfeiern verbunden wird (s.o. 3.1.). Der Sinn der Erinnerung liegt in der Vergegenwärtigung eines Vergangenen, das die Gegenwart und die Zukunft deutet und die zum Mahl versammelte Gemeinschaft begründet. Für Lukas vergegenwärtigt sich der Auferstandene nur im Brechen des Brotes (Lk 24,30-31
4.1.4. Die Deutung der Kelchhandlung bei Markus / Matthäus
Parallel zur Brotdeutung ist bei Markus und Matthäus die Deutung des Kelches / Bechers strukturiert. Auch hier bezieht sich das Pronomen touto auf die zuvor erzählten Becherhandlungen (er nahm den Becher, dankte und gab ihn ihnen und sie tranken). Diese Handlungen werden gedeutet als „mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (Mk 14,24
4.1.5. Die Deutung des Kelchs bei Lukas und Paulus
Anders als Markus / Matthäus beziehen Lukas und Paulus touto eindeutig auf den Kelch (touto to potērion), der als „neuer Bund in meinem Blut“ gedeutet wird. Die im Hintergrund dieser Terminologie stehende Tradition des neuen Bundes stammt aus Jer 31,31
4.1.6. Das Mahl in eschatologischer Perspektive
Zielpunkt der Erzählung vom letzten Mahl bei Markus / Matthäus bildet das sogenannte Verzichtswort Jesu in der Hoffnung auf das Mahl im Reich Gottes (s.o. 2.3). Die Vorstellung eines endzeitlichen Mahles ist innerhalb und außerhalb des Neuen Testaments belegt (Lk 13,29
4.1.7. Die Deutung als Pessachmahl
Wenn es unwahrscheinlich ist, dass Jesu letztes Mahl historisch ein Pessach-Mahl war, dann ist zu fragen, welche theologische Bedeutung der Einordnung als solches zugemessen wird. Der Erzählrahmen in Markus, Mathäus und Lukas stellt das letzte Mahl Jesu als Pessach-Mahl dar. Das letzte Mahl Jesu wird vor dem Hintergrund des Todes und der Auferstehung im Horizont des wichtigsten Erinnerungsmahls im Judentum gedeutet. Theologisch bedeutsam ist hier die Erinnerung an Befreiung aus der Bedrängnis durch Gott als grundlegendes Ereignis für die Gemeinschaft (Schröter, 2010, 44).
Besonders Lukas betont das letzte Mahl Jesu als Pessachmahl (Lk 22,15
4.2. Lebendiges Brot vom Himmel (Joh 6,51-58)
Unabhängig von der literarkritischen Zuordnung dieser Verse des Johannesevangeliums gehört der „eucharistische Abschnitt“ (Joh 6,51-58
5. Wirkungsgeschichtlicher Ausblick
Die Wirkungsgeschichte der neutestamentlichen Abendmahlsüberlieferung ist vielfältig und dauert bis heute in der Vielfalt der Konfessionen an. In der Antike entsteht der Begriff der Eucharistie (gr. Danksagung) aus dem Dankgebet im liturgischen Rahmen des Mahls (Didache 9,1). Das Mahl kann den Charakter eines Opfers erhalten (Didache 14,1-3) und entwickelt sich zum → Sakrament
Im Mittelalter entwickelt sich die Vorstellung der realen Präsenz Christi in den Elementen und deren Veränderung (Transsubstantiation), damit geht die Hostienfrömmigkeit einher. Die sündenvergebende Wirkung des Messopfers rückt in den Mittelpunkt. Die Kirchen der Reformation kritisieren Realpräsenz und Transsubstantiation. Sie interpretieren die Präsenz Christi im Abendmahl als Personalpräsenz (→ Luther
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Angenendt, A., 4/I1998, Art. Abendmahl II. Kirchengeschichtlich 2. Mittelalter, Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen, 21-24
- Hahn, F., 4/I1998, Art. Abendmahl I. Neues Testament, Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen, 10-15
- Kaufmann, T., 4/I1998, Art. Abendmahl II. Kirchengeschichtlich 3. Reformation, Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen, 24-28
- Markschies, C., 4/I1998, Art. Abendmahl II. Kirchengeschichtlich 1. Alte Kirche, Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen, 15-21
- Schmitt-Pantel, P., 1998, Art. Gastmahl II. Griechenland, Der neue Pauly IV, Stuttgart / Weimar,798-803
- Waldner, K., 1999, Art. Mahlzeiten, Der neue Pauly VII, Stuttgart / Weimar, 705-708
2. Kommentare
- Schottroff, L., 2013, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth (ThK NT 7), Stuttgart.
- Wolter, M., 2008, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen
3. Weitere Literatur
- Ebel, E., 2008, „…damit wir ungestört und heiter an den Festtagen speisen können.“: Die gemeinsamen Mähler in griechisch-römischen Vereinen, in: J. Hartenstein / S. Petersen / A. Standhartinger (Hgg.), „Eine gewöhnliche und harmlose Speise“?: Von den Entwicklungen frühchristlicher Abendmahlstraditionen, Gütersloh, 34-56
- Fischer, J.A. (Hg.), 1993, Die Apostolischen Väter (SUC 1) 10. Auflage, Darmstadt
- Jeremias, J., 41967, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen
- Klauck, H.-J., 1981, Herrenmahl und hellenistischer Kult: Eine religionsgeschichtliche Abhandlung zum ersten Korintherbrief (NTA.NF 15), Münster
- Klinghardt, M., 1996, Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft: Soziologie und Liturgie frühchristlicher Mahlfeiern (TANZ 13),Tübingen / Basel
- Kollmann, B., 1990, Ursprung und Gestalten der frühchristlichen Mahlfeier (GTA 43), Göttingen
- Lehmeier, K., 2008, Verächtliche Mähler: Epikureische Gemeinschaftsmähler und Formen des Abendmahls im Vergleich, in: J. Hartenstein / S. Petersen / A. Standhartinger (Hgg.), „Eine gewöhnliche und harmlose Speise“?: Von den Entwicklungen frühchristlicher Abendmahlstraditionen, Gütersloh, 57-73
- Petersen, S., 2008, Jesus zum „Kauen“: Das Johannesevangelium, das Abendmahl und die Mysterienkulte, in: J. Hartenstein / S. Petersen / A. Standhartinger (Hgg.), „Eine gewöhnliche und harmlose Speise“?: Von den Entwicklungen frühchristlicher Abendmahlstraditionen, Gütersloh, 105-130
- Schröter, J., 2006, Das Abendmahl: Frühchristliche Deutungen und Impulse für die Gegenwart (SBS 210), Stuttgart
- Schröter, J., 2010 Nehmt – esst und trinkt: Das Abendmahl verstehen und feiern, Stuttgart
- Stemberger, G., 1987, Pessachhaggada und Abendmahlsberichte des Neuen Testaments, Kairos 29, 147-157
- Theißen, G./ Merz, A., 21997, Der historische Jesus: Ein Lehrbuch, Göttingen
- Theobald, M., 2006, Paschamahl und Eucharistiefeier: Zur heilsgeschichtlichen Relevanz der Abendmahlszene bei Lukas, in: R.Hoppe / M. Theobald (Hgg.), Für alle Zeiten zur Erinnerung (Jos 4,7) – Beiträge zu einer biblischen Gedächtniskultur (FS F. Mußner; SBS 209), Stuttgart, 133-180
- Wengst, K. (Hg.), 1984, Didache (Apostellehre) Barnabasbrief Zweiter Klemensbrief Schrift an Diognet (SUC 2), Darmstadt
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