Äon
(erstellt: Januar 2011)
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1. Bedeutungspotenzial
Das griechische Wort „aiōn“ wird in der Regel verwendet, wenn eine bestimmte Zeitspanne ausgedrückt werden soll. Von diesem temporalen Grundpotential her kann es bei den klassischen griechischen Schriftstellern (Homer, Aischylos, Demosthenes) weitere Bedeutungen wie „Lebenszeit“, „Epoche“, „Generation“ oder „Zeitalter“ annehmen. Bei Platon ist der Begriff im Sinne einer transtemporalen Ewigkeit gebraucht, die jenseits unseres zeitlich gebundenen Denkens existiert. Er unterscheidet zwischen einer göttlichen und einer entstandenen Zeit, wobei nur letztere Vergangenheit und Zukunft kennt, während erstere das eigentlich reine Sein darstellt (Timaios 37d). Von daher kann der Begriff im Kontext des → Hellenismus
2. Im Kontext des antiken Israel
In der → Septuaginta
Eine besondere Bedeutung erlangt der Begriff „Äon“ im Kontext der jüdischen Apokalyptik. Zunächst wird im Buch Daniel die Vorstellung ausgebreitet, dass die Weltgeschichte eine Abfolge von verschiedenen Königreichen ist, an deren Ende Gott sein ewiges Reich aufrichten wird (Dan 2,44
3. Im Kontext des frühen Christentums
Analog zum antiken Israel kann der Begriff Äon zunächst schlicht als „Lebenszeit“ aufgefasst werden. Wenn z.B. → Petrus
Die Vorstellung einer dahin eilenden Weltzeit kennt Paulus allerdings auch. So spricht er z.B. davon, dass seine Generation unter dem Eindruck der ablaufenden Weltzeit steht (1Kor 10,11
Dass auch im Christentum der Begriff „Äon“ theologisch vor allem durch apokalyptische Implikationen geprägt ist, zeigt vor allem die Verkündigung Jesu. Der Anbruch der Gottesherrschaft als zentraler Gegenstand seiner Verkündigung (Mk 1,14f
4. Zusammenfassung
„Man muss also wissen, dass der Name Äon vieldeutig ist. Ja, er hat mehrfachen Sinn. Äon heißt einmal jedes menschliche Lebensalter. Dann heißt Äon der Zeitraum von tausend Jahren. Weiterhin heißt Äon das ganze gegenwärtige Leben und Äon [heißt] das zukünftige, das endlose [Leben] nach der Auferstehung. Es heißt ferner Äon nicht eine Zeit oder ein Zeitteil, der nach Gang und Lauf der Sonne gemessen wird, also aus Tagen und Nächten besteht, sondern die Bewegung und Dauer, die, gleichsam zeitlich, mit dem Ewigen gleichläuft. Denn was für das Zeitliche die Zeit, das ist für das Ewige die Ewigkeit [der Äon].“ (Johannes von Damaskus, Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens II, 1; Übersetzung: Steinhofer)
Das Bedeutungsspektrum, das Johannes von Damaskus auffächert, zeigt demnach, dass der Begriff „Äon“ zunähst grundsätzlich eine bestimmte Zeitperiode bezeichnet. Diese kann die Lebenszeit eines Menschen umfassen, aber auch die Ewigkeit der Welt. Im Rahmen der jüdischen und christlichen Apokalyptik kommt dem Begriff eine wichtige Rolle zur religiösen Deutung der Welt zu. Mit seiner Hilfe gelingt es, eine als negativ erlebte Welt trotzdem als Gottes Schöpfung zu deuten und gleichzeitig die Hoffnung auf eine bessere Welt zu bekräftigen. Dabei setzt sich die christliche Deutung der Welt dadurch von der jüdischen Apokalyptik ab, dass sie das Erleben von Heil bereits in der Gegenwart kennt.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Guhrt, J. / Kraus, W., 2000, Art. Zeit, ThBNT II, Wuppertal, 1994-2001
- Konstan, D. / Ramelli, I. u.a., 2009, Art. Aeon, EBR 1, Berlin / New York, 488-496.
2. Übersetzung
- Steinhofer, D. (Hg.), 1923, Des Johannes von Damaskus genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens (BKV, 1. Reihe, Bd. 44), München
3. Weitere Literatur
- Hahn, F., 1998, Frühjüdische und urchristliche Apokalyptik. Eine Einführung (BThSt 36), Neukirchen-Vluyn
- Harnisch, W., 1969, Verhängnis und Verheißung der Geschichte. Untersuchungen zu Zeit- und Geschichtsverständnis im 4. Buch Esra und in der syr. Baruchapokalypse (FRLANT 97), Göttingen
- Metzger, P., 2005, Katechon. II Thess 2,1-12 im Horizont apokalyptischen Denkens (BZNW 135), Berlin / New York
- Metzger, P., 2005, Esra und das vierte Esra-Buch. Die Bedeutung des Pseudonyms für die Interpretation einer apokalyptischen Schrift, in: F.W. Horn / M. Wolter (Hgg.), Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS Otto Böcher), Neukirchen-Vluyn, 263-290
- Stuhlmann, R., 1983, Das eschatologische Maß im Neuen Testament (FRLANT 132), Göttingen
- Vielhauer, P. / Strecker, G., 5. Aufl. 1989, Apokalyptik des Urchristentums, in: W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung II. Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen, 529-535
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