Areopagrede
(erstellt: August 2015)
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Die Areopagrede bezeichnet die in
Apg 17,22b-31
1. Forschungsgeschichte
Die literarische und konzeptionelle Eigenart der Areopagrede sicherte ihr außergewöhnliches Forschungsinteresse. 1913 wurde sie mit der Studie „Agnostos Theos“ von Eduard Norden (1868-1941) zum Gegenstand lebhafter Kontroversen zwischen Altphilologen und Neutestamentlern. Norden führte einen Teil ihres Inhalts auf eine theologische Erörterung des neupythagoreischen Wanderphilosophen Apollonios von Tyana aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts zurück; in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts habe der epigonenhafte Redaktor der →
Apostelgeschichte
Der skizzierten Problemstellung benachbart ist die Frage, inwiefern die Areopagrede der historischen Botschaft des Apostels Paulus entspricht. Während in jüngerer Zeit nur selten bezweifelt wurde, dass die Areopagrede sich als Ganze lukanischer Komposition verdankt, wird kontrovers darüber geurteilt, inwieweit sich der Offenbarungsanspruch der paulinischen Bekehrungspredigt (vgl. bes.
Röm 1,18-2,16
2. Kontext und Setting
Auf seiner „zweiten Missionsreise“ hat Paulus auf der Route von Makedonien nach →
Korinth
Das Paulusbild trägt Züge des prophetischen Zornes über die „→
Götzenbilder
Die Reaktion auf die Paulusrede erscheint abermals gespalten: Die →
Epikureer
3. Reden in der Apostelgeschichte
Nach der bereits im sog. Methodenkapitel des „Peloponnesischen Krieges“ (Thukydides 1,22,1) besprochenen und in der griechisch-römischen Geschichtsschreibung verbreiteten Praxis dienen die vom Historiographen ausgearbeiteten Redefiktionen dazu, den Richtungssinn des geschichtlichen Verlaufs, gerade auch Höhe- oder Wendepunkte, zu beleuchten. Die komponierte Rede soll rhetorisch eindringlich sein und zum geschichtlichen Akteur, Ort und Adressatenkreis der Rede passen. Die Apostelgeschichte bietet in diesem Sinn drei ausgeführte paulinische Programmreden: an Juden und Gottesfürchtige in der Synagoge des →
pisidischen Antiochien
4. Aufbau und Inhalt
Die Areopagrede ist nach Komposition, Stil und Sprachfarbe sorgfältig gestaltet und offenkundig darum bemüht, „philosophischen“ Klang anzunehmen. Gliederungsvorschläge orientieren sich teilweise an bestimmten rhetorischen Strukturschemata, die in dieser literarisierten Rede jedoch lediglich stückweise wahrzunehmen sind.
Apg 17,22b-23
Apg 17,24-29
Apg 17,30f
In der Exegese werden einzelne hervorstechende Bestandteile der Rede, vor allem die „Stoikerzitate“ besonders aufmerksam – mitunter auch vom Erzählzusammenhang isoliert – wahrgenommen. Die Interpretation wird sowohl die kontextuelle Einbettung als auch den Gesamtverlauf der Rede berücksichtigen.
(a) Redeeingang: Als Ausgangspunkt seiner Ansprache wählt Paulus die von ihm bei der Stadtbesichtigung entdeckte Altaraufschrift: „Dem unbekannten Gott!“ (Agnṓstōi theṓi). Solche Widmungen (vgl. Pausanias 1,1,4; 5,14,8; Philostrat, Vita Apollonii 6,3) dienten der scheuen Berücksichtigung von Gottheiten, denen man die namentliche Verehrung schuldig blieb (vgl. van der Horst, 1989). Vermutlich hat Lukas selbst den verbreiteten Plural in den Singular verwandelt (vgl. Tertullian, Ad nationes 2,9,4; Hieronymus, In epistolam ad Titum 1,12-14): Paulus vereinnahmt die Altaraufschrift für den jüdisch-christlichen Monotheismus. Seine Verkündigung ist freilich gerade nicht auf fremde und neuartige Gottheiten ausgerichtet, sondern auf den seit jeher waltenden einen Gott, der den Heiden allenfalls als Ahnung bekannt werden konnte. Das Adjektiv „ausgesprochen gottesscheu“ (deisidaimonestéroi) ist ironisch doppeldeutig: Auf der Ebene der erzählten Welt verbeugt sich der Redner mit einem rhetorischen Eingangskompliment vor seiner frommen Zuhörerschaft; auf der Ebene der kommunizierten Welt entlarvt der Erzähler gegenüber seinen Lesern diese Frömmigkeit als Aberglauben – der üblicherweise von der paganen Umwelt gegenüber den Christen erhobene Vorwurf.
(b)
Kritik am paganen Kultwesen: Die den Mittelteil der Rede rahmende Zurückweisung des als Dienstleistung verstandenen Kulthandelns und des damit verbundenen anthropomorphen Gottesbilds gehört zu den gängigen Motiven der philosophischen und theologischen Religionskritik. Sie wird besonders scharf von der → prophetischen
(c)
Aufweis der Gottesnähe aller Menschen: Affirmativ wird die Gottheit mit biblisch-traditionsgebundener Sprache, der im hellenistischen Judentum verbreiteten Tradition folgend, als Schöpfer und Erhalter des Alls beschrieben (vgl. z.B. Dtn 32,8
(d)
Christliche Umkehrbotschaft: Das der Areopagrede oft zugeschriebene apologetische Anliegen liegt also im Brückenschlag zu paganen Plausibilitäten, tangiert jedoch die christliche Botschaft als solche nicht. Der Redeschluss beschwört zunächst – mit deutlichem Unterschied zum Motiv des endzeitlichen → Gotteszorns
Die Kunst der Areopagrede liegt nicht in ihrem – häufig überschätzten – Bildungswissen. Sie zitiert „geflügelte Worte“, ohne sie gedanklich zu durchdringen. Kunstfertig wirken dagegen der Brückenschlag zwischen frühjüdisch-urchristlicher und paganer Sprachwelt, das ironische Doublespeak und das eindrückliche Szenenbild. Ihr Geltungsanspruch ist durchaus offensiv: Das antike Kultwesen ist Illusion, die griechische Theologie Selbstmissverständnis und allenfalls tastende Ahnung; der Erdkreis ist dem Bevollmächtigten Gottes – nicht dem Kaiser, sondern dem →
Messias
Literaturverzeichnis
1. Kommentare
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