Berenike
(erstellt: Januar 2010)
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1. Name
Berenike (Βερενίκη = „Siegbringende“) ist als Frauenname und auch als davon abgeleiteter Ortsname belegt.
Den Namen Berenike trugen mehrere weibliche Mitglieder der ptolemäischen Dynastie sowie drei Frauen aus der herodäischen Dynastie. Die Darstellung der ptolemäischen und der herodäischen Frauen in den antiken Quellen ist – insofern diese männlichen Herrschern gleich- oder vorrangige Position beanspruchten – abwertend; moralisch abwertende Beurteilungen dieser Frauengestalten finden sich bis in die neuere Forschung. Auf eine tendenzkritische Lektüre der Texte ist also besonders zu achten.
Die Ptolemäer (→ Ptolemäer
Die ptolemäischen Frauen mit Namen Berenike, die zugleich Herrscherinnen waren, werden vor allem deswegen hier kurz vorgestellt, weil die Wahrnehmung der jüngeren Herodäerin Berenike vermutlich von den ptolemäischen Trägerinnen des Namens, die als machtbewusste Herrscherinnen auftraten, her bestimmt wurde.
Ptolemäerinnen mit Namen Berenike:
a. Berenike I, verheiratet mit Ptolemaios I (306/4-282), mit diesem zusammen Dynastie gründend, Mutter von Arsinoe (geb. 316) und Ptolemaios II (geb. 308)
b. Berenike II (ca. 272-221), Tochter des Magas, König von Kyrene, setzte ihre Eheschließung mit Ptolemaios III gegen Widerstand in Teilen ihrer Familie durch und prägte bereits in Kyrene sowie später in Ägypten eigene Münzen mit ihrem Portrait. Nach ihr wurde die Hafenstadt Berenike bei Benghasi benannt. Berenike trug zu Lebzeiten die königliche Titulatur und wurde in religiöser und politischer Hinsicht als gleichrangig neben ihrem Ehemann dargestellt. Berenike II und Ptolemaios III wurden als „wohltätige Gottheiten“ (θεοὶ εὐεργέται) kultisch verehrt. Berenike wurde jedoch auch unabhängig von ihrem Ehemann Gegenstand kultischer Verehrung, insbesondere als Isis im ägyptischen und Io, → Demeter
c. Kleopatra Berenike III, Tochter von Ptolemaios IX und Kleopatra IV, Nichte und Ehefrau Ptolemaios X; nach der Ermordung seiner Mutter, Kleopatra III (101), hatte Ptolemaios X seine Nichte, Kleopatra Berenike III, zur Frau genommen. Kleopatra Berenike III wurde Mutter einer Tochter, über die nichts weiter bekannt ist. Schließlich wurde Ptolemaios X von seinem Bruder, Ptolemaios IX Soter II, abgesetzt; er fiel im Kampf. In diese Auseinandersetzungen zwischen Kleopatra Berenike III und Ptolemaios X einerseits und Ptolemaios IX andererseits war Alexander Jannäus verwickelt (1Makk 10f
d. Berenike IV, Tochter von Ptolemaios XII Auletes und seiner Schwester Kleopatra VI Tryphaina. Kleopatra VI Tryphaina wurde wenige Jahre nach der Eheschließung zugunsten einer zweiten Ehefrau verstoßen. Die älteste Tochter, die aus dieser zweiten Ehe hervorging, war → Kleopatra
2. Herodäerinnen
e. 2. Generation der herodäischen Dynastie: Berenike war die Tochter → Salomes
f. 4. Generation der herodäischen Dynastie: Iulia Berenike hieß die Tochter → true und der Kypros; sie war eine Urenkelin → Herodes d. Gr.
Eine kleine Notiz bei Joseph (Josephus, Antiquitates Iudaicae 20.145; vgl. Juvenal, Satiren 6.153 in einem antijudaistischen Abschnitt), ein Gerücht sei aufgetreten, dass sie mit ihrem Bruder zusammen sei, hat in der Sekundärliteratur bis in jüngste Zeit dazu geführt, eine inzestuöse Beziehung zwischen Berenike und ihrem Bruder anzunehmen. Josephus führt das Gerücht als Motiv Berenikes dafür ein, die erneute Eheschließung mit Polemon einzugehen, und begründet damit auch die kurze Dauer der Ehe. Dieser dritten Eheschließung Berenikes steht Josephus bereits deswegen kritisch gegenüber, weil die Initiative sowohl für die Eheschließung als auch die Ehescheidung bei Berenike zu liegen scheint und Josephus die Meinung vertritt, dass Ehescheidungen nur vom Ehemann ausgehen dürfen (vgl. Antiquitates Iudaicae 15.259f.). Dass zwischen Berenike und Agrippa eine inzestuöse Beziehung vorlag, ist angesichts der Observanz der Herodäer gegenüber der jüdischen Ehegesetzgebung unwahrscheinlich. Diese Observanz ist für Berenike und Agrippa insofern belegt, als von Polemon die Beschneidung – für einen griechischen König eine beträchtliche Zumutung – gefordert wird. Dafür, dass Berenike sich an die Tora gehalten hat und einem jüdischen Lebensstil verpflichtet war, spricht weiterhin, dass sie sich bei Ausbruch des jüdischen Krieges wegen eines Nasiräats in Jerusalem aufhielt (Josephus, Bellum Iudaicum 2.309-314; vgl. Berenike II und ihre Haarlocke).
Vermutlich im Jahr 60 treten Berenike und Agrippa in Apg 25,13-26,33
Nachdem die „Friedenspartei“ in Jerusalem, die von Agrippa angeführt wurde, unterlegen war, stellte sich Agrippa auf die Seite der römischen Truppen und begleitete die römische Armee, hielt sich jedoch auch eine Zeitlang in Rom auf (Bellum Iudaicum 4.498-500); im Lauf des jüdischen Kriegs hatte Berenike mit → Titus
Nach Kleopatra war Berenike die zweite Königin „aus dem Osten“, die mit einem römischen Herrscher verbunden war. Wie im Fall der ptolemäischen Königin scheiterte die Verbindung an der Einstellung der stadtrömischen Bevölkerung. Dieses Scheitern ist angesichts des jüdischen Selbstverständnisses Berenikes und ihres Bruders von weltgeschichtlicher Relevanz: Es kann begründet vermutet werden, dass sich sowohl das Geschick Judäas und des Diasporajudentums, als auch die Entwicklung des frühen Christentums in eine andere Richtung bewegt hätten, wenn die Beziehung durch eine formale Eheschließung legitimiert und sogar dynastisch relevant geworden wäre. Auffällig ist, dass die Sekundärliteratur bis in jüngste Zeit Berenike ungünstig darstellt, ihre Frömmigkeit als Heuchelei charakterisiert und ihr machtgierige und sexualisierte Verhaltensweisen unterstellt werden. Ähnlichkeiten zur Darstellung der Kleopatra sind zu konstatieren (vgl. ausdrücklich „überdies hielt seine Schwester, Berenike, eine Kleopatra im Kleinen, mit dem Rest ihrer viel in Anspruch genommenen Reize das Herz des Bezwingers von Jerusalem gefangen.“ Mommsen, 540). Vor dem Hintergrund dieser Tendenz ist darauf hinzuweisen, dass Berenike aller Wahrscheinlichkeit nach eine „gute“ Jüdin war und als solche wahrgenommen wurde. So wurden nach dem Tod ihres Vaters, ihre und ihrer Schwester Statue von der griechisch-römischen Bevölkerung Caesareas verspottet (Josephus, Antiquitates Iudaicae 19.357); dieser Spott traf sie als Tochter des jüdischen Königs. Von ihrem Nasiräat war bereits die Rede. Ihr Einsatz bei Florus beim Ausbruch des Krieges zeigt sie als verantwortungsbewusste Herrscherin, die sich für „ihr Volk“ einsetzte. Es gibt weiterhin keine Hinweise darauf, dass Berenike einen sexuell ausschweifenden Lebenswandel zeigte; im Gegenteil deutet vieles darauf hin, dass sie viele Jahre ihres Erwachsenenlebens auf sexuelle Beziehungen verzichtete. Ihre Entscheidung, den Witwenstand vorzuziehen, teilte sie mit nicht wenigen aristokratischen Frauen ihrer Zeit; der Verzicht auf eine erneute Eheschließung ermöglichte unter günstigen Umständen ein vergleichsweise freies und selbstbestimmtes Leben. Die Annahme, sie müsse Titus kunstfertig „umgarnt“ haben, ist ein Rückschluss moderner Interpreten aus dem Altersunterschied (Berenike war 10 Jahre älter als Titus), der ausschließlich Auskunft über die Genderkonstrukte dieser modernen Interpreten gibt; Tacitus hingegen begründet das Liebesverhältnis auch mit Berenikes Schönheit („florens aetate formaeque“, Historien 2.81).
g. 5. Generation der herodäischen Dynastie: Berenike hieß die Tochter Mariamnes, der Tochter Agrippas I und des Archelaos, eines Sohnes des Helkias, eines jüdäischen Aristokraten und guten Freundes des Agrippa (Josephus, Antiquitates Iudaicae 19.355; 20.140). Berenike war die Enkelin Agrippas I und die Ururenkelin von Herodes d. Gr.
Literaturverzeichnis
1. Quellen und Übersetzungen
- Catull:online verfügbar unter http://www.thelatinlibrary.com/catullus.shtml
- Catull. Sämtliche Gedichte. Lateinisch / deutsch, übers. und hg. von M. v. Albrecht. Stuttgart 2005
- Cassius Dio:Historia Romana, online verfügbar unter http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Cassius_Dio/home.html
(griechisch und englisch)Römische Geschichte, übers. und hg. von O. Veh. Düsseldorf 2007 - Josephus:
- Antiquitates Judaicae, online verfügbar unter http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text;jsessionid=0E39A05027203DB2747C61D2D0C24D8C?doc=Perseus%3atext%3a1999.01.0145
(griechisch) - Flavii Josephi Opera omnia, 6 Bde., hg. von B. Niese (Editio minor), Berlin 1888-1895
- Jüdische Altertümer, übers. und. mit Einl. und Anmn. versehen von H. Clementz. Mit Paragraphenzählung nach recognovit B.Niese (Editio minor), Wiesbaden 2005
- Bellum Judaicum, online verfügbar unter http://www.perseus.tufts.edu/hopper/collection?collection=Perseus%3Acorpus%3Aperseus%2Cwork%2CFlavius%20Josephus%2C%20The%20Jewish%20War
(griechisch) - De bello Judaico, 4 Bde., hg. und übers. von O. Michel / O. Bauernfeind. Darmstadt 1959-1969
- Juvenal: Saturae, online verfügbar unter http://www.thelatinlibrary.com/juvenal.html
- Satiren. Lateinisch-deutsch, hg. und übers. von J. Adamietz. München 1993
- Kallimachos: Werke. Griechisch und deutsch, übers. von M. Asper. Darmstadt 2004
- Plutarch: Drei religionsphilosophische Schriften. Griechisch-deutsch, hg. und übers. von H. Görgemanns. Düsseldorf 2. Aufl. 2009
- Suetonius:
- De Vitis Caesarum, online verfügbar unter http://www.thelatinlibrary.com/suet.html
(lateinisch) - Die Kaiserviten., hg. und übers. von H. Martinet. Düsseldorf 3. Aufl. 2006
- Tacitus:
- Historiae, online verfügbar unter http://www.thelatinlibrary.com/tac.html
(lateinisch) - Historien. Lateinisch-deutsch, hg. und übers. von J. Borst unter Mitarbeit von H. Hross / H. Borst. München 2010
2. Sekundärliteratur zu den Ptolemäerinnen
- Hölbl, G., 1994, Geschichte des Ptolemäerreiches. Politik, Ideologie und religiöse Kultur von Alexander dem Großen bis zur römischen Eroberung. Darmstadt
- Holzberg, N., 3. Aufl. 2003, Catull. Der Dichter und sein erotisches Werk. München
- Merkelbach, M., 1996, Das Königtum der Ptolemäer. in: Ders., Hestia und Erigone. Vorträge und Aufsätze. Stuttgart / Leipzig, 162-179
- Sørensen, S.L., 2010, Eine Anspielung auf Kallimachos im 3. Makkabäerbuch. GRBS 50, 87-94
3. Sekundärliteratur zu den Herodäerinnen
- Ebel, E., 2009, Lydia und Berenike. Zwei selbstständige Frauen bei Lukas (BG 20), Leipzig
- Hansom, K.C., 1989, The Herodians and Mediterrenean Kinship. Part 1: Genealogy and Descent, BTB 19, 75-84; Part 2: Marriage and Divorce, ebd., 142-151
- Ilan, T., 1996, Jewish Women in Greco-Roman Palestine, Peabody
- Krieger, K.-S., 1997, Berenike, die Schwester König Agrippas II. bei Flavius Josephus. JSJ 28,1, 1 - 11
- Mayer-Schärtel, B., 1995, Das Frauenbild des Josephus. Eine sozialgeschichtliche und kulturanthropologische Untersuchung, Stuttgart
- Mommsen, T., 5. Aufl. 1993, Römische Geschichte V, München
- Wilker, J., 2007, Für Rom und Jerusalem. Die herodianische Dynastie im 1. Jahrhundert n. Chr., Frankfurt
Abbildungsverzeichnis
- Berenike I. Wikimedia Creative Commons; Urheberrechtsinhaber: Classical Numismatic Group, Inc. http://www.cngcoins.com
- Berenike II. Wikimedia Commons; Creative Commons Lizenz (Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:BerenikeIIOnACoinOfPtolemyIII.jpg&filetimestamp=20071110133746)
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