Ethik (NT)
(erstellt: Januar 2011)
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1. Definitionen
Wenngleich von einer Ethik des Neuen Testaments seit 1899 (s.u.) gesprochen wird, hat sich dieser Begriff erst Jahrzehnte später, im Ausgang des 20. Jh.s, durch explizite Lehrbücher zur neutestamentlichen Ethik durchgesetzt (vgl. Schrage, Schulz, Schnackenburg, Lohse, Marxsen). Der Begriff der Ethik mit Bezug auf den → Kanon
2. Forschungsgeschichte
Die erste Gesamtdarstellung der Ethik des Neuen Testaments wurde 1899 von Herrmann Jacoby verfasst, einem ordentlichen Professor für Praktische Theologie und späteren Rektor der Universität Königsberg. Er interessierte sich für die praktische, diakonische Ausrichtung des zeitgenössischen Christentums und suchte eine biblische Grundlegung. Bereits zuvor, in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s, hatte die sozialgeschichtliche Forschung im Licht der Sozialen Frage Einzug in die wissenschaftliche Theologie gehalten (Weitling, Lücke, Heinrici, Uhlhorn; dazu ausführlich Hochschild). Einen dezidiert wissenschaftlichen Charakter gewann diese frühe sozialgeschichtliche Forschung jedoch erst um die Wende zum 20. Jh. Durch Ernst von Dobschütz wurde ein „Sittenbild“ der urchristlichen Gemeinden gezeichnet und Adolf Deißmann verknüpfte die Volkskunde sowie die Papyrologie und → Epigraphik
Während diese Forschung vornehmlich am realen Leben der urchristlichen Gemeinden interessiert war, suchte die frühe Dialektische Theologie nach einem Verständnis für die Struktur der Ethik innerhalb des Glaubens. Sachlich markierte dies einen Bruch zur frühen sozialgeschichtlichen Forschung, deren Anliegen erst im letzten Drittel des 20. Jh.s erneut aufgenommen wurde. Gleichzeitig erschienen im Jahr 1924 in der „Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der Älteren Kirche“ von Hans Windisch und Rudolf Bultmann zwei Aufsätze zur Ethik des Paulus, in denen die bereits vorher gelegentlich gebrauchten Begriffe „Indikativ“ und „Imperativ“ und die Frage ihrer Zuordnung ins Zentrum traten.
Bultmann bezieht den Indikativ auf die aus der Rechtfertigung erwachsende Realität der Gerechtigkeit und Freiheit von der Sünde. Folglich besteht die Sündlosigkeit in Gottes Urteil über den Glaubenden und nicht in dessen Vermögen, ethisch gut zu handeln. Gleichwohl bezieht sich der Imperativ auf den vorgängigen Indikativ. Dieses Verhältnis von Indikativ und Imperativ wird von Bultmann als echte Antinomie aufgefasst, da es jeweils um den Menschen einerseits als Gerechtfertigten und andererseits als Empirischen in seinen Verfehlungen geht. Beide Seiten entsprechen im Glauben einander und sind aufeinander bezogen. Der Versuch, mittels des Indikativ-Imperativ-Schemas nicht nur die paulinische, sondern die gesamte neutestamentliche Ethik zu erfassen, hat in der deutschsprachigen Exegese das gesamte 20. Jh. bestimmt (dazu Blischke, 21-38) und ist noch heute aktuell. Im angloamerikanischen und im romanischen Sprachraum hingegen war der Einfluss Bultmanns deutlich geringer.
Alle Fragen der materialen Ethik sind in der Kerygma-Theologie relativ unbeachtet geblieben. Auch in Bultmanns 1958 erschienener „Theologie des Neuen Testaments“ bleibt es bei einer erneuten Darlegung der Struktur des Glaubens in Indikativ und Imperativ (§ 38.1). Martin Dibelius allerdings, neben Bultmann Hauptvertreter der formgeschichtlichen Schule (→ Bibelauslegung, historisch-kritische
Die ersten größeren monographischen Darstellungen der neutestamentlichen Ethik im deutschsprachigen Raum erschienen, nicht zuletzt unter dem Eindruck der gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen, in den 1980er Jahren (Wolfgang Schrage, Siegfried Schulz, Willi Marxsen, Rudolf Schnackenburg, Eduard Lohse; dazu ausführlich Horn, 1995). Sie orientierten sich überwiegend an der redaktionsgeschichtlichen Methode (→ Bibelauslegung, historisch-kritische
Etwa gleichzeitig setzte auch in Deutschland erneut eine sozialgeschichtliche Erforschung der Anfänge des Christentums ein, die weniger nach der expliziten Ethik und ihrer Begründung fragte, sondern nach dem Ethos der Christen und seinen sozialen Bedingungen. Hierfür wurde ein differenziertes methodisches Raster entwickelt. Bahnbrechend waren die verschiedenen Arbeiten Gerd Theißens, angefangen von der „Soziologie der Jesusbewegung“ aus dem Jahr 1977. Die Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums seiner „Studien zur Soziologie des Urchristentums“ (Theißen, 3. Aufl. 1989, 331-370) vermittelt einen Eindruck von dem Umfang und der Intensität dieser seinerzeit neuen Methode. Die Übersetzung etlicher Arbeiten des führenden amerikanischen Sozialgeschichtlers Wayne Meeks in die deutsche Sprache trug sicher auch zu ihrer Etablierung bei. Daneben setzte sich auch die kulturanthropologische Methode durch, die für sich reklamiert, einen Brückenschlag zwischen einer ideengeschichtlichen und einer sozialgeschichtlichen Auslegung herzustellen (Malina, E.W. Stegemann / W. Stegemann).
3. Aufgabe
Gegenwärtig bestimmen unterschiedliche Modelle die Diskussion (vgl. dazu Hays, 2006, 3-19). Sie unterscheiden sich vor allem durch die jeweiligen Bezugspunkte der Darstellung. Wenn dies der Kanon der neutestamentlichen Schriften ist, orientiert sich eine Ethik des Neuen Testaments notwendigerweise ausschließlich an diesem. Sie beschreibt in historischer Rekonstruktion die Ethik der einzelnen Schriften, bündelt eventuell auf das Gemeinsame und beschreibt den theologischen Anspruch. Diese Aufgabe steht hinsichtlich ihrer Anlage und Durchführung, aber auch bezüglich ihrer Themen in großer Nähe zu einer Theologie des Neuen Testaments, da beständig die Verbindungen zur Christologie, Eschatologie, Ekklesiologie und Anthropologie darzustellen sind.
Wenn hingegen die Geschichte des frühen Christentums bis zum Beginn des 2. Jh.s der Bezugspunkt der Darstellung ist, erhebt die Forschung in einer historischen, vorwiegend sozialgeschichtlichen Fragestellung das faktische Ethos, die Moral der frühen Christen. Hierbei kann nicht allein das Neue Testament Grundlage der Rekonstruktion sein. Vielmehr müssen alle für den Zeitraum des 1. Jh.s n. Chr. und den mediterranen Raum zur Verfügung stehenden Quellen und materialen Überreste einbezogen werden.
Derzeit bewegt sich die Forschung mehrheitlich auf eine Schnittmenge beider Modelle zu, da die Darstellung einer Ethik des Neuen Testaments ohne sozialgeschichtliche Fundierung ein historisch fragwürdiges, idealistisches Bild zeichnen würde. Eine rein historische Beschreibung des Ethos des frühen Christentums jedoch würde den etlichen Texten des Neuen Testaments inhärenten theologischen Anspruch missachten.
Beiden Modellen wird ein hohes Interesse entgegengebracht, das entweder im Sinn einer Applikation Maßstäbe gegenwärtigen Handelns aus der Ethik des Neuen Testaments bzw. aus dem Ethos der frühen Christen gewinnt oder aber gerade die Abständigkeit modernen Christentums von seinen antiken Voraussetzungen betont. In jedem Fall ist ein biblizistischer Rekurs auf die neutestamentlichen Texte auszuschließen, wenn die gegenwärtige Ethik nicht in anachronistischer Weise einfach eine Kopie der vergangenen urchristlichen Ethik darstellen soll. Dieser Weg ist wegen der grundlegend veränderten politischen, sozialen, rechtlichen oder kulturellen Rahmenbedingungen ohnehin unangemessen. Der von Richard Hays formulierte vierfache Zugang, die Ethik des NT deskriptiv, synthetisch, hermeneutisch und pragmatisch zu erfassen, ist vielfach akzeptiert worden. Die Aufgabe muss meines Erachtens lauten, die Ethik des NT im Kontext antiker Diskurse in hellenistisch-römischer Zeit und innerhalb der sozialen Wirklichkeit der frühen Kaiserzeit wahrzunehmen und ihre Einbindung in die frühchristliche Theologie zu bedenken. Eine Hermeneutik (→ Bibelauslegung, christliche
4. Konstitutionsbedingungen
Die Umkehrpredigten → Johannes des Täufers
Das frühe Christentum teilte eine Vielzahl ethischer Vorstellungen und Normen mit seinem jüdischen und nicht-jüdischen Umfeld. Diese wurden durch den sich ausbildenden neuen Glauben nicht in Frage gestellt. Was aber führte – unbeschadet dieser Schnittmenge – zur Ausbildung einer spezifisch christlichen Ethik in den Anfängen des Urchristentums? Mehrere Faktoren sind erkennbar: a) Die soziale Stellung der Christengemeinden als Hausgemeinden begünstigte eine lebensweltliche Distanz und Differenz zu der nichtchristlichen Umwelt, die von allen Seiten wahrgenommen und thematisiert wurde (1Petr 2,12
Einem ethischen Optimismus steht das negative frühchristliche → Menschenbild
5. Formen
Alle neutestamentlichen Briefe thematisieren in unterschiedlichem Umfang, jedoch nie ausschließlich, ethische Fragen. Auffällig ist die Zusammenstellung ethischer Themen im zweiten Briefteil bzw. am Schluss etlicher Briefe (→ Brief / Briefformular (NT)
Die ethische Belehrung ist freilich nicht zu begrenzen auf solche Texte, deren Gattung oder Inventar eindeutig ethische Themen behandeln. Der Weg Jesu in die Niedrigkeit dient auch als Vorbild für die Nachfolgenden (Joh 15,12-14
Im engeren Sinn sind als Formen der ethischen Belehrung solche Textkomplexe anzusprechen, die auf bestehende Formen ethischer Belehrung zurückgreifen. Die sog. Haustafeln (Kol 3,18-4,1
Die ethische Belehrung ergeht zunehmend auch mittels des häresiologischen Inventars, in dem den „Irrlehrern“ grundlegende Verfehlungen attestiert werden (2Tim 3,1-9
6. Begründungen
Gegenüber einer lange Zeit bestimmenden dezidiert theologischen Interpretation kann die Ethik von ihrem Ansatz her nicht durchgehend als ein Imperativ verstanden werden, der auf den Indikativ des Heilsgeschehens (Taufe, Rechtfertigung, Sündenvergebung, Freiheit, Gottes Liebe, Gabe des Geistes) folgt (s.o.). Wiewohl solche Zuordnung durchaus vor allem in der Briefliteratur begegnet (Röm 6,4
7. Zielsetzungen
Die Ethik der frühchristlichen Gemeinden ist primär nach innen gewandt (Gal 6,10
8. Inhalte
Die Themen der frühchristlichen Ethik folgen zum Teil Grundüberzeugungen des neuen Glaubens (Liebe, Gerechtigkeit, Friede, Leben, Orientierung am Nächsten) und zielen auf deren Realisierung in der Gemeinschaft der Christusgläubigen. Die Ethik folgt jedoch nicht deduktiv in reflektierender Weise theoretischen Vorgaben, sondern entwirft induktiv Leitlinien aus den Problemfeldern, die sich in den Hausgemeinden ergeben (soziale Differenz, Statusfragen, Geschlechter-Themen, individuelle Einstellungen). Daneben ergibt sich ein erheblicher Klärungsbedarf aus der Absetzung vom früheren paganen Hintergrund (Kol 3,5-10
Literaturverzeichnis
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2. Weitere Literatur
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