Fluch / Fluchen (NT)
(erstellt: Oktober 2013)
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1. Griechische Äquivalente
Das Gegenteil von → „Segen
1.1. kakologein ktl.
Das Verb kakologein ist im NT vor allem im Sinne von „Schlechtes reden, schmähen“ belegt: Mk 7,10
1.2. blasphemein ktl.
Auch blasphemein wird im NT nicht im Sinne von „fluchen“ verwendet, sondern im Sinne von „schmähen, verleumden, lästern“ (Hofius, EWNT I, 527-532). Nirgendwo jedenfalls ist blasphemein der Gegenbegriff zu eulogein.
1.3. loidorein ktl.
Anders ist dies – jedenfalls in 1Kor 4,12
1.4. katarasthai ktl.
„Fluchen, verfluchen“ wird im NT mit katarasthai ktl. wiedergegeben. Das Kompositum (das Verbum simplex ist im NT nicht belegt) geht auf das griechische Substantiv ará (Wunsch Gebet) zurück (Büchsel, ThWNT 1, 1933, 449). Bereits bei Sophokles (Philoktetes 1120 u.ö.) und Euripides (Alkestis 714 u.ö.), meint ará den „Fluch“ (vgl. auch Röm 3,14
1.5. anathematizein ktl.
Das Nomen anathema im Sinne von „Fluch“ ist im NT nur bei Paulus (Gal 1,8f
2. katarasthai ktl. im Neuen Testament
2.1. Begriffliche Abgrenzung
Die Wortgruppe ará ktl. taucht im Neuen Testament ein Mal in der Grundform ara (im Sinne von Fluch: Röm 3,14
2.2. Grundbedeutung
Das griechische Substantiv ará bezeichnet zunächst „Wunsch, Bitte, Gebet“ (Büchsel, ThWNT 1, 1933, 449; vgl. Euripides, Hippolyt 888.890.895 u.ö.). Zugleich kann das Nomen aber auch die Bedeutung von „Fluch“ annehmen (vgl. Euripides, Medea 607; Phönizierinnen 67.334 u.ö.; Josephus, Ant IV 104). Das Verbum simplex ist sowohl in der Profangräzität (vgl. Herodot, Hist 1,132,8) als auch in der Septuaginta (1Kön 8,31
2.3. Vorkommen der Wortgruppe katarasthai ktl. im Neuen Testament
2.3.1. Gott bzw. Christus als Subjekt des Fluchs und dessen endzeitliche Auswirkung
1) Gal 3,10-14
Maßgeblich für das ntl. Verständnis des Fluches ist – wie beim Verständnis des Segens – seine Verwendung im → Galaterbrief
Zentrale Bedeutung hat der Gegensatz zwischen dem Glauben (pistis) und den Werken des Gesetzes (erga nomou – zu interpretieren als Taten, die das Gesetz fordert bzw. Werke, die das Gesetz beim Menschen hervorbringt (Rusam, 57-59). Wenn Paulus den Glauben mit dem Segen parallelisiert, dann entspricht den Werken des Gesetzes folgerichtig der Fluch (Gal 3,10
Paulus verwendet hier vermutlich ein Schriftwort, das seine galatischen Kontrahenten gegen ihn in Anschlag bringen. Hatten diese doch von den Heidenchristen gefordert, sie sollten sich beschneiden lassen (Gal 5,2
Der Übernahme des Fluches durch Jesus „für uns“ (Gal 3,13
Nach Paulus kommt der Segen den Heidenvölkern (ethne) zu. Er besteht in der gegenwärtigen Gabe des Geistes (Gal 3,14
Segen (eulogia) und Fluch (katara) sind integriert in das zentrale Thema der paulinischen Theologie: die Verkündigung der Freiheit von der Anklage der Tora für alle Heiden. Das ist umso auffälliger, als Paulus nur im Galaterbrief so argumentiert.
2) Hebr 6,8
In Hebr 6,7f
3) Mk 11,12-14.20f.
Die Episode von der Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14
4) Mt 25,41
Mit der Sondergutparabel vom Weltgericht (Mt 25,31-46
5) Joh 7,49
Der Fluch der Pharisäer über das gesetzesunkundige Volk, das an Jesus glaubt, steht in der Perspektive endzeitlicher Verdammung. Weil das Volk die Tora nicht kennt und nicht erfüllt (vgl. Dtn 27,26
6) 2Petr 2,14
Im 2Petr 2,14
Allen behandelten Stellen ist gemeinsam, dass der Fluch eschatologische Auswirkungen hat. Allerdings unterscheiden sich die Aspekte der drohenden Verwerfung im → Jüngsten Gericht
2.3.2. Menschen als Subjekt (und Objekt) des Fluchs und dessen ethische Auswirkung in Röm 3,14; 12,14; Lk 6,28; Jak 3,9
Im Rahmen seiner Ausführungen über die Macht der Sünde stellt Paulus in Röm 3,14
Auch das Fluchverständnis des → Jakobusbriefs
3. Anathema / anathematizein im NT
3.1. Herkunft und Bedeutung
Ursprünglich bedeutet anathema als Nomen zu dem Verb anatithemi (aufstellen) etwas „Aufgestelltes“. Später bezeichnet es etwas für eine Gottheit im Tempel „Aufgestelltes“, ein „Weihegeschenk“ (so in 2Makk 2,13
3.2. Vorkommen im NT
Insgesamt zwölfmal taucht im NT die Wortfamilie anathema auf, fünfmal davon als Fluchformel (Gal 1,8f
In Röm 9,3
In 1Kor 5,1ff
Einen Sonderfall stellt die Annahme in 1Kor 12,3
Es spricht alles dafür, dass der paulinische Gebrauch des Substantivs anathema auch die Bedeutung des Verbs anathematizein im NT geprägt hat. So wird etwa der Schwur des Petrus in Mk 14,17
4. Zum Unterschied von ara ktl. und anathema
Wenn Menschen anderen „fluchen“ (unter Verwendung eines Begriffes aus der Wortfamilie ara ktl.), dann tun sie einander Böses an. Sie vergießen Blut, verbreiten Schaden und Jammer, haben keine Gottesfurcht (Röm 3,14-18
Davon unterscheidet sich der Ausruf anathema esto auf signifikante Weise: Die mit dem anathema Belegten sind dem Gericht Gottes verfallen. Für sie gibt es keine Rettung mehr. In diese Richtung weist auch die Verwendung des Verbs anathematizein. Es handelt sich hier also um performative Redeweise (vgl. Gal 1,8f
5. Zusammenfassung
Die im NT für „Fluch / fluchen“ verwendeten Begriffe lassen sich nicht auf ein gemeinsames griechisches Grundwort zurückzuführen. Besonderes Gewicht hat die Wortfamilie ara ktl., bei der sich zwei grundlegende Aspekte unterscheiden lassen: Zum einen impliziert der von Gott bzw. von Christus ausgehende Fluch die endzeitliche Verwerfung, zum anderen wird „fluchen“ als ein von Menschen ausgehendes Tun im Sinne böser Taten verstanden. „Fluchen“ steht damit – zumindest im Hinblick auf diese zwei Gesichtspunkte – dem „Segnen“ im NT diametral gegenüber.
Immer wieder sind beide Aspekte wechselseitig aufeinander bezogen: Böse Taten ziehen den endzeitlichen Fluch nach sich. Dennoch zielen das pln. und lkn. Fluchverbot zunächst nur auf innergemeindliche Beziehungen. Wenn Paulus indessen unter bestimmten Voraussetzungen ein „anathema“ ausruft, dann liefert er den mit diesem Wort Belegten der endzeitlichen Vernichtung im Gericht Gottes aus – wobei die Chance der Umkehr bestehen bleibt. Insofern mag bei der Verwendung des Substantivs anathema durchaus auch eine paränetische Absicht mitschwingen.
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