Gebet / Beten (NT)
(erstellt: Januar 2010)
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1. Terminologie, Definition und Voraussetzung des Betens im Neuen Testament
In der Forschung besteht kein Konsens darüber, was als Gebet zu gelten hat (vgl. WiBiLex-Artikel „Fürbitte, Fürbittgebet [intercessory Prayer] im Neuen Testament“): Handelt es sich bei einem Gebet um die in der zweiten Person an Gott gerichtete Rede? (Newman, 6f.). Wie verhält es sich mit Segnungen, magischen Formeln, Flüchen und Exorzismen? Wie sind nonverbale Handlungen zu bewerten, die der Verherrlichung Gottes dienen (1Kor 6,20
Ein dem deutschen Wort „Gebet“ entsprechender griechischer Oberbegriff (ebenso wie ein hebräischer oder aramäischer) war in der Antike unbekannt. Stattdessen begegnet eine Fülle unterschiedlicher Termini, die einzelne Aspekte dessen bezeichnen, was im Deutschen unter „Gebet“ verstanden wird.
Nicht wenige Definitionen von Gebet bergen die Gefahr, dass Elemente ausgeblendet werden, die von den Autoren des Neuen Testaments mit Selbstverständlichkeit der Kategorie „Gebet“ in einem weiteren Sinne zugeordnet worden wären.
Um den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten von „Gebet“ Raum zu geben, sei Gebet hier beschrieben als jede Form menschlicher Kommunikation mit Gott und Christus (Ostmeyer, Kommunikation, 29.33). Das schließt sowohl nonverbale als auch kultische Formen der Hinwendung mit ein.
Wer sich in einer Beziehung mit Gott befindet und mit Gott (und Christus) in einer Form der Kommunikation verbunden ist, der betet. Die Aufforderung zum permanenten Beten (1Thess 5,17
Die Autoren des Neuen Testamentes setzen voraus, dass erst die Heilstat Christi die Kommunikation mit Gott (d.h. das Beten) ermöglicht. Diese Kommunikation war zuvor unterbrochen (z.B. durch den Sündenfall) oder dem Menschen nicht im vollen Maße zugänglich.
2. Gesten und Orte des Betens
Die im Jerusalemer Tempel übliche Gebetshaltung war das Stehen (Lk 1,10
Proskynesen bezeichnen in den Evangelien weniger einen bestimmten Gebetsgestus, sie bringen vielmehr die Anerkennung der Messianität Jesu zum Ausdruck (Mt 8,2
Die Zusage, dass Gott ins Verborgene sieht und auch den Betenden im „Stillen Kämmerlein“ zugewandt ist (Mt 6,6
3. Die Betenden
Die Möglichkeit des Betens wie auch seine Erhörung waren in neutestamentlicher Zeit nicht an das Geschlecht oder den Status der Betenden gebunden (vgl. bereits 1Sam 1,10
Jede jüdische Frau und jeder jüdische Angehörige sozialer Randgruppen hatte selbstverständlichen Zutritt zu Bereichen des Tempels, die den mächtigsten nichtjüdischen Männern, wie etwa den römischen Präfekten, verschlossen waren. So beteten die Witwe Hannah (Lk 2,37f
Im jüdischen und christlichen Gebet sind alle geschlechtlichen und hierarchischen Schranken aufgehoben. Im Magnificat wird das Gebet einer jungen Frau zum Medium der Vermittlung des Bildes der verheißenen Welt: Im Eschaton werden gegenwärtig gültige ökonomische Unterschiede und Status-Differenzen umgekehrt (Lk 1,46-55
4. Zur Theologie des Betens im Neuen Testament
Wer oder was für einzelne Christinnen und Christen ihr Gott ist, wird erkennbar an dem, was Mitte des jeweiligen Betens und dessen eigentlicher Adressat ist: Ein Gebet, das primär die Zuhörerinnen oder Zuschauer im Blick hat, macht diese zu Gott (vgl. Mt 6,5
In nicht wenigen Untersuchungen zu den Gebeten im Neuen Testament interessieren vor allem der Inhalt oder die Funktion des Betens. Doch wie jeder Akt der Kommunikation ist auch ein Gebet nicht allein bestimmt durch seinen Inhalt und Zweck. Mindestens ebenso wichtig ist die Beziehung zwischen den Gläubigen, Christus und Gott, die sich im Gebet spiegelt (Ostmeyer, Kommunikation, 30f.). Deshalb kann in einem Atemzug zum Bitten aufgefordert (Mt 6,9
Wird Gebet als Ausdruck der Beziehung zu Gott aufgefasst, werden die Aussagen des Paulus zum permanenten Gebet verständlich (1Thess 5,17
Unerfüllte Gebetsbitten stehen folglich nicht im Widerspruch zur göttlichen Zusage der Gebetserhörung. Christinnen und Christen haben nicht das Ausbleiben konkreter Hilfe zu fürchten, sondern den Abbruch der Gebetsbeziehung. Die Gebetsbeziehung wird zum Ausdruck der Gottesbeziehung. Jesu besondere Gottesbeziehung korrespondiert einer allein ihm zugeschriebenen Art zu beten.
Die Bedeutung des Beziehungsaspektes sei anhand der Gleichniserzählung von Zöllner und Pharisäer illustriert (Lk 18,9-14
Die Beschreibungen des Betens im Neuen Testament sind Spiegel des jeweiligen Gottes- oder Christusbildes seiner Autoren und erweisen sich als wesentliches Ausdrucksmittel ihrer Theologien und Christologien.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Gebauer, Roland, Artikel „Gebet. III. Neues Testament“, in: RGG4 Bd. 3, 488-491
- Häusl, Maria / Ostmeyer, Karl-Heinrich, 2009, Artikel „Gebet und Klage“; in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, hg. v. F. Crüsemann, K. Hungar, C. Janssen, R. Kessler, L. Schottroff, Gütersloh, 182-186
- Häusl, Maria / Ostmeyer, Karl-Heinrich, 2009, Artikel „Gelübde“; in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, hg. v. F. Crüsemann, K. Hungar, C. Janssen, R. Kessler, L. Schottroff, Gütersloh, 196f.
- Häusl, Maria / Ostmeyer, Karl-Heinrich, 2009, Artikel „Segen und Fluch“; in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, hg. v. F. Crüsemann, K. Hungar, C. Janssen, R. Kessler, L. Schottroff, Gütersloh, 515-518
2. Monographien und Aufsätze
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- Ehrlich, Uri, 2004, The nonverbal Language of Prayer. A New Approach to Jewish Liturgy, transl. by Dena Ordan, TSAJ 105, Tübingen
- Gebauer, Roland, 1989, Das Gebet bei Paulus. Forschungsgeschichtliche und exegetische Studien (TVGMS 349), Gießen u.a.
- Hamman, Adalbert G., 1959, La Prière. I. Le Nouveau Testament, BT.B, Tournai
- Kranemann, Benedikt, 1992, Liturgisches Beten zu Christus? Zur Theozentrik und Christozentrik liturgischen Betens, in: KuI 7, 45-60
- Newman, Judith H., 1999, Praying by the Book. The Scripturalization of Prayer in Second Temple Judaism (SBL. Early Judaism and Its Literature 14), Atlanta (Ga)
- Ostmeyer, Karl-Heinrich, 2002, Das immerwährende Gebet bei Paulus, in: ThBeitr 33, 274-289
- Ostmeyer, Karl-Heinrich, 2006, Kommunikation mit Gott und Christus. Sprache und Theologie des Gebetes im Neuen Testament, WUNT 197, Tübingen
- Ostmeyer, Karl-Heinrich, 2004, Das Vaterunser. Gründe für seine Durchsetzung als „Urgebet“ der Christenheit; in: NTS 50, 320-336
- Pulleyn, Simon, 1997, Prayer in Greek Religion. Oxford Classical Monographs, Oxford
- Watzlawick, Paul / Beavin, Janet H. / Jackson, Don D., 2000, Menschliche Kommunikation. Formen. Störungen. Paradoxien, Bern u.a.
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