Geburt (NT)
(erstellt: Juni 2010)
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1. Antike Medizin und Neues Testament
Neutestamentliche Texte, die von Gebärfähigkeit bzw. Unfruchtbarkeit, Schwangerschaft und Geburt erzählen, nehmen vielfach alttestamentliche Traditionen auf und setzen antikes medizinisches Wissen voraus. Das zeigt der folgende Vergleich mit Texten aus antiken naturwissenschaftlichen und medizinischen Werken sowie literarischen Texten, die sich auf diesen Bereich beziehen.
1.1. Gebärfähigkeit
Das Alter, bis zu dem Frauen menstruieren, wird in der antiken Medizin mit vierzig bis fünfzig, in wenigen Ausnahmefällen mit sechzig Jahren angegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt wird auch die Fähigkeit zu empfangen vorausgesetzt (vgl. auch bBaba Batra 119b). Soranus bezeichnet die Spanne, in der Frauen Kinder zur Welt bringen sollten, vom 15. bis zum 40. Lebensjahr (Frauenheilkunde I,34; vgl. auch Aristoteles, Politeia, VII,16; Text gr. und lat. Autoren
1.2. Unfruchtbarkeit
Auch in der antiken Medizin wird davon ausgegangen, dass die Ursachen von Kinderlosigkeit bei Frauen und Männern liegen können (vgl. z.B. bYevamot 65a; 64a-b), jedoch überwiegt die Literatur zur Behandlung unfruchtbarer Frauen (Weissenrieder, 78-90). Grundlage für die Feststellung ist die Untersuchung beider Geschlechter durch eine Hebamme. Aline Rousselle verweist daneben auf die Annahme des Zusammenhangs von Unterernährung und Impotenz bei Männern und Amenorrhoe (Ausbleiben der Menstruation) bei Frauen, die sekundär Sterilität hervorriefen (Rousselle 327). Unfruchtbare Frauen waren gesellschaftlicher Ächtung und Kränkungen ausgesetzt, Kinderlosigkeit galt als Schande (vgl. Lk 1,25
1.3. Schwangerschaft
Über die Dauer der Schwangerschaft herrschte Uneinigkeit in der antiken medizinischen Diskussion, die Zählungen reichen vom siebten bis zum zehnten Monat (vgl. z.B. Plinius, Naturkunde 7,38-40). Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Schwangerschaftsmonate und der Embryonalentwicklung bietet die Esra-Apokalypse (vgl. 5,12ff). In Lk 1
1.4. Geburt
Nach Soranus sind es drei Frauen, die neben der Hebamme bei der Geburt anwesend sind, zwei sollen dabei an ihrer Seite und eine hinter ihr stehen, um sie zu halten. Wird kein Gebärstuhl benutzt, so soll sich die Gebärende auf den Schoß der dritten setzen (Frauenheilkunde II,5; Text gr. und lat. Autoren
1.5. Hebammen und Ammen
Da die gesamte medizinische Praxis der Gynäkologie in den Händen von geburts- und heilkundigen Frauen lag, konnten die männlichen Ärzte nur schriftlich niederlegen, was sie von Hebammen erfahren hatten (vgl. Soranus, Frauenheilkunde I,2; Text gr. und lat. Autoren
Üblich war es für wohlhabendere Frauen, die Kinder nicht selbst zu stillen, sondern Ammen einzustellen (vgl. Soranus, Frauenheilkunde II, 19, 20; Text gr. und lat. Autoren
1.6. Empfängnisverhütung, Abtreibung und Kinderaussetzung
Berichte über und Rezepte zur Empfängnisverhütung und Abtreibung gibt es in der Antike vielfach (vgl. u.a. Corpus Hippocraticum, Über die Natur der Frau 104; Über das Fleisch 19; Soranus, Frauenheilkunde I, 60; Text gr. und lat. Autoren
2. Gesellschaftliche und theologische Bewertung des Gebärens
2.1. Mutterschaft
Die römischen Gesetze der Jahre 18 v. und 9 n. Chr. (lex Julia und lex Papia) versuchten, die Geburt und das Aufziehen legitimer Kinder zu fördern, um die Übertragung von Eigentum in der römischen Oberschicht zu sichern. Sie betrafen vor allem das Erbrecht. Daneben eröffneten sie freigeborenen Frauen, die drei, oder freigelassenen Frauen, die vier Kinder geboren hatten und nicht unter der Gewalt ihres Vaters oder Ehemannes standen, die Möglichkeit, ihre eigenen Rechte zu vertreten (vgl. Gardner 10, 80-81, 181; Mette-Dittmann 131-186).
Im Neuen Testament wird die Frage nach der Bewertung der Mutterschaft für Frauen kontrovers diskutiert. Lk 11,27-28
2.2. Geburtsmetaphorik
Mit Hilfe der Geburtsmetapher werden in biblischer Tradition vielfach Krisensituationen beschrieben, in denen nicht in erster Linie der glückliche Ausgang, sondern Schmerz, Unsicherheit und die Unabwendbarkeit der Geschehnisse im Zentrum stehen (Bergmann 2008). In jüdisch-apokalyptischen Vorstellungen (vgl. äthHen 62,3-4; 4Esr 5,45-55
In Gal 4,19
Ein weiteres Geburtsbild, das an die Erfahrung der Verwundbarkeit der Gebärenden und des Neugeborenen anknüpft, findet sich in Apk 12,1-17
Menschen können im Neuen Testament als „die von Frauen Geborenen“ bezeichnet werden (Mt 11,11
Literaturverzeichnis
- Bergmann, C., 2008, Childbirth as a Metaphor for Crisis. Evidence from the Ancient Near East, the Hebrew Bible, and 1QH XI, 1-18, BZAW 382, Berlin / New York
- Diepgen, P., 1937, Die Frauenheilkunde der Alten Welt, Handbuch der Gynäkologie, 12.Bd. 1.Teil: Geschichte der Frauenheilkunde I, W. Stoeckel (Hg.), München
- Gardner, J.F., 1995, Frauen im antiken Rom. Familie, Alltag, Recht, München
- Janssen, C., 1998, Elisabet und Hanna - zwei widerständige alte Frauen in neutestamentlicher Zeit. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung, Mainz
- Krug, A., 1993, Heilkunst und Heilkult in der Medizin der Antike, 2. durchges. und erw. Aufl., München
- Kügerl, J., 2004, Zeugung, Schwangerschaft und Geburt. Die Rezeption antiker medizinischer Theorien in theologischen Texten des Frühjudentums und des Frühchristentums, Norderstedt
- Mette-Dittmann, A, 1991, Die Ehegesetze des Augustus. Eine Untersuchung im Rahmen der Gesellschaftspolitik des Princeps, Historia-Einzelschriften Heft 67, Stuttgart
- Rousselle, A., 1993, Der Körper und die Politik. Zwischen Enthaltsamkeit und Fortpflanzung im Alten Rom, in: P. Schmitt Pantel (Hg.), Geschichte der Frauen Bd.1 Antike, Frankfurt / New York, 323-372
- Scheuter, S. / Oldenhage, T. / Borter, A. / Plüss, D., 2008, Heike Walz / David Plüss (Hgg.), Mutter / Vater durch Geburt, in: Theologie und Geschlecht. Dialoge querbeet, Berlin / Zürich, 38-56
- Schroer, S. / Staubli, T., 1998, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt
- Schroer, S. / Zimmermann, R., 2009, Art.: Geburt, in: Frank Crüsemann u.a. (Hgg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh, 186-190
- Schubert, C. / Huttner, H. (Hg.), 1999, Frauenmedizin in der Antike, griechisch-lateinisch-deutsch, Sammlung Tusculum, Düsseldorf / Zürich
- Sutter Rehmann, L., 1995, Geh - frage die Gebärerin. Feministisch-befreiungstheologische Untersuchungen zum Gebärmotiv in der Apokalyptik, Gütersloh
- Weissenrieder, A., 2003, Images of Illness in the Gospel of Luke, WUNT 2. Reihe 164, Tübingen
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