Gerechtigkeit Gottes (NT)
(erstellt: Januar 2011)
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1. Einführung und Beleglage
Das Substantiv „Gerechtigkeit“, δικαιοσύνη, ist in 19 der 27 neutestamentlichen Schriften an insgesamt 92 Stellen belegt. Mit der Erweiterung des Ausdrucks zum Syntagma „Gerechtigkeit Gottes“, δικαιοσύνη (τοῦ) θεοῦ /, wird die Rede von der Gerechtigkeit theologisch spezifiziert. Sie begegnet als solche explizit oder vermittelt durch den Kontext an insgesamt 21 Stellen, nämlich siebenmal im Matthäusevangelium, zwölfmal bei → Paulus
In der Mehrzahl der Schriften besteht eine theologische Verbindung zwischen dem Wortfeld Gerechtigkeit und den Wortfeldern → Erlösung
2. Traditionsgeschichtlicher Hintergrund
Der neutestamentliche Gebrauch des Substantivs wie des Syntagmas ist traditionsgeschichtlich vom alttestamentlich-jüdischen Gebrauch abhängig, vgl. den Artikel → Gerechtigkeit Gottes
Während die hebräischen Ausdrücke für „Gerechtigkeit“ im Alten Testament häufig belegt sind, findet sich das Syntagma „Gerechtigkeit JHWHs“ hier nur in Dtn 33,21
Der Ausdruck „Gerechtigkeit“ ist im Alten Testament grundsätzlich ein Relationsbegriff und artikuliert zunächst ein konkret-soziales Lebensverhältnis von Partnern oder Bundesgenossen; bezogen auf Gott bedeutet „Gerechtigkeit Gottes“ dann Gottes bundesgemäßes Verhalten gegenüber den Menschen. Dabei ist umstritten, ob es sich bei „Gerechtigkeit“ um eine Eigenschaft oder ein Tun Gottes handelt (Wilckens), doch ist fraglich, ob damit im Blick auf den gnädigen Gott letztlich eine echte Alternative bezeichnet werden kann.
Stellen wie 1Sam 12,7
In diesem Zusammenhang wurde in der Vergangenheit immer wieder die Frage aufgeworfen, ob der Ausdruck „Gerechtigkeit“ alttestamentlich einen gerichtlich-forensischen Aspekt besitzt, ob sich damit also etwa der Gedanke verbindet, dass Gott in einer Art Gerichtsverfahren über das Gerechtsein des Menschen richtet. Diese Frage ist dahingehend beantwortet worden, dass es sich um keine formale iustitia distributiva (zuteilende Gerechtigkeit) handelt; allerdings ist ein forensischer Aspekt auch nicht grundsätzlich zu verneinen, weil der rettende Freispruch des Menschen durch Gott im Sinne einer iustitia salutifera (heilbringende Gerechtigkeit) letztlich eine Entscheidung Gottes voraussetzt (Conzelmann).
In Deutero- (Jes 40-55
Im griechischen Denken steht hinter dem Ausdruck „Gerechtigkeit“ die Vorstellung einer iustitia distributiva, bezeichnet also eine Gesetzmäßigkeit, Rechtlichkeit oder rechte Beschaffenheit. Im philosophischen Denken kann er dann als eine Tugend verstanden werden (Dihle), so dass sich auch ethische Aspekte mit „Gerechtigkeit“ verbinden. Auf diesem Wege gerät der Ausdruck schließlich in Konkurrenz mit dem alttestamentlich-jüdischen Wortsinn als Heilsgabe Gottes.
3. Gerechtigkeit Gottes bei Paulus
3.1. Vorbemerkungen
Vor dem Hintergrund des alttestamentlichen Befundes ist wenig wahrscheinlich, dass mit „Gerechtigkeit“ Gottes ein terminus technicus vorliegt, der immer auf den gleichen Sachverhalt rekurriert und in jedem Kontext die gleiche Bedeutung trägt (Güttgemanns). Der Ausdruck wird statt dessen auf der Basis des alttestamentlich-jüdischen Denkens zu verstehen sein, das die gezeigte Bedeutungsbreite aufweist. Dann kann überlegt werden, inwieweit Paulus als Jude auf den Pfaden des ihm vorgebenen Denkens geblieben ist und an welchen Stellen er diese Pfade verlassen hat (Conzelmann).
Wie bei → Deuterojesaja
Entsprechend wurde in der Vergangenheit um die konkrete Deutung der Genitivverbindung zum Teil heftig debattiert. Rudolf Bultmann verstand den Genitiv als genitivus auctoris und bestimmte „Gerechtigkeit Gottes“ als Gabe; es handele sich um ein Geschenk, das dem Menschen aufgrund eines eschatologischen Gerichtsurteils Gottes zuteil wird. Der Grund der Rechtfertigung des Menschen sei dabei die Gnade Gottes, nicht Werke des Gesetzes, die zu erfüllen seien, um die Gerechtigkeit vor Gott im Sinne eines Genitivs der Relation zu erlangen. Gegen die ausschließliche Bestimmung als Gabe erhob Bultmanns Schüler Ernst Käsemann Einspruch. Er verstand den Genitiv als genitivus subjectivus und erklärte, „Gerechtigkeit Gottes“ habe zugleich den Charakter einer Macht; Gabe und Macht gehörten seiner Interpretation nach zusammen und seien letztlich ein- und dasselbe, weil die Gabe dem Menschen durch den Glauben (διὰ πίστεως) zukomme. Käsemanns Schüler Christian Müller und Peter Stuhlmacher versuchten in der Folge, ihren Lehrer zu bestätigen, wobei Stuhlmacher zunächst den Machtcharakter sehr stark betonte, seine Ausführungen später jedoch relativierte. Bultmann erwiderte, es sei zwar denkbar, dass eine jüdische Machtkonzeption im Sinne einer „heilsetzenden Macht“ eine aus der Tradition noch mitlaufende Sprachmöglichkeit sei; die die paulinische Sprache beherrschende Bedeutung sei jedoch die der Gabe.
In der Folge gab es eine Reihe von Vermittlungsversuchen zwischen den Positionen Bultmanns und Käsemanns. Exemplarisch sei hier der Ansatz von Hans Hübner angedeutet; er zeigt das Engagement für die Sache und das sprachliche wie theologische Feingefühl, das für die Vermittlung zwischen den beiden Positionen notwendig ist. Hübner bestimmte zunächst die Gerechtigkeit Gottes als positives Pendant der → Sünde
Die Nachwirkungen der Debatte sind bis heute spürbar; in der gegenwärtigen Diskussion klingen die Argumente häufig nach, weil sie immer wieder zu einer Auseinandersetzung einladen und zu einer Stellungnahme auffordern.
3.2. Die Belege bei Paulus im Εinzelnen
Das Thema „Gerechtigkeit Gottes“ blitzt bei Paulus historisch erstmals und fast etwas überraschend im 2. Korintherbrief auf. Es findet danach eine Wiederaufnahme im Galaterbrief, wo das Syntagma jedoch nicht explizit steht. Im Römerbrief steht die Majorität der Belege, und im Philipperbrief findet sich, sofern man den Philipperbrief zeitlich nach dem Römerbrief ansetzt und nicht davor, der letzte Beleg. Diese Beleglage erweckt den Eindruck, dass das Thema als solches von Paulus erst angesprochen wurde, als es im Zuge seiner Mission notwendig wurde. Die Zuspitzung des Themas und die polemische Art und Weise der Formulierung im Galaterbrief zeigt, in welcher Auseinandersetzung das Thema hier artikuliert wurde. Demgegenüber ist die Behandlung im Römerbrief deutlich systematischer. Paulus scheint das Thema also je situativ aufgegriffen und erörtert zu haben. Vor diesem Hintergrund müssen Wandlungen im paulinischen Denken nicht zwingend angenommen werden.
3.2.1. 2Kor 5,21
Der älteste paulinische Beleg des Syntagmas „Gerechtigkeit Gottes“ findet sich in 2Kor 5,21
3.2.2. 2Kor 9,9
Der zweite Beleg in 2Kor 9,9
3.2.3. Gal 2,16
In Gal 2,11-22
3.2.4. Röm 1,16f.
In seinem Brief an die ihm unbekannte Gemeinde in Rom macht Paulus das Thema „Gerechtigkeit Gottes“ zu einem zentralen Topos und spannt den thematischen Horizont gleich zu Beginn des Schreibens, in Röm 1,16f
3.2.5. Röm 3,5
Dem zweiten Beleg in Röm 3,5
3.2.6. Röm 3,21–26
In Röm 3,21-26
3.2.7. Röm 10,3
In Röm 9-11
3.2.8. Phil 3,9
Der letzte Beleg steht in Phil 3,9
3.2.9. Kurzer Rückblick
Nach dem Durchgang durch die Belege im Corpus Paulinum lassen sich einige Kennzeichen zusammenstellen. Unstrittig ist, dass das Syntagma „Gerechtigkeit Gottes“ ein umfassender Heilsbegriff ist. Die Besprechung der Belegstellen hat gezeigt, dass der Ausdruck „Gerechtigkeit Gottes“ im ersten Schritt anders zu verstehen sein kann als in einem oder mehreren weiteren, weil Paulus die Terminologie je nach Kontext entwickelt. Die Streitfrage, ob es sich bei der δικαιοσύνη (τοῦ) θεοῦ um eine Gabe Gottes oder eine Macht Gottes handelt, ist letztlich nicht eindeutig zu beantworten, weil diese Differenzierung bei Paulus selbst nicht erkennbar ist; dadurch, dass Paulus in Röm 1,17
3.3. „The New Perspective on Paul“ und die aktuellen Entwicklungen
3.3.1. Die Rezeption von Paulus durch Martin Luther und Rudolf Bultmann
Martin Luther hatte bei Paulus eine Antwort auf die eigene, bange Frage gefunden, wie er einen gerechten Gott bekommen, also selbst das Heil erlangen könne; seine Arbeiten sind in der Folge immer wieder vom Thema „Gerechtigkeit Gottes“ durchzogen. Auch vor dem Hintergrund der theologischen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts entwickelte Luther daraus eine Rechtfertigungslehre, die ein negatives Bild vom Judentum als einer einheitlichen Religion der Werkgerechtigkeit erkennen lässt. Diese Paulusinterpretation verband Rudolf Bultmann mit seinem Programm der existenzialen Auslegung des Neuen Testaments, so dass Paulus bei Bultmann und in seinem Schülerkreis stark anthropologisch verstanden wurde. In der Nachfolge Luthers, der die Rechtfertigungslehre zum Dreh- und Angelpunkt seines Kirchenverständnisses gemacht hatte, wie in der Nachfolge Bultmanns wurde dabei dem paulinischen Verständnis von „Gerechtigkeit Gottes“ immer wieder eine zentrale Position im Wirken und in der Theologie der Paulus zugewiesen. Bereits William Wrede jedoch hatte in der Rechtfertigungslehre die „Kampfeslehre des Paulus“ gesehen, die Paulus im Gegenüber zu seinen Gegnern entwickelt habe, und Albert Schweitzer hielt die Lehre von der Gerechtigkeit aus Glauben für einen „Nebenkrater“ im Hauptkrater der Erlösungslehre.
3.3.2. Anfragen und Einwände gegen das Paulusverständnis Luthers und Bultmanns
Gegen die spezielle Luther-Bultmann-Rezeption des Paulus gab es im 20. Jahrhundert eine Reihe von Anfragen, die nach einem Aufsatz von James D.G. Dunn meist als „The New Perspective on Paul“ subsumiert werden, wenngleich die Anfragen aus unterschiedlichen Richtungen kommen und je eigene Schwerpunkte setzen.
Als erster wies Krister Stendahl darauf hin, dass die paulinische Rechtfertigungslehre erst angesichts praktischer Fragen im Zuge seiner Mission entstanden sei; zudem bestehe zwischen Paulus und Luther der biographische Unterschied, dass Luther selbst unter Gewissensqualen litt, Paulus jedoch nicht. Ed P. Sanders unterstrich diese Aspekte. Er verglich die Religionsstrukturen und lehnte das Verständnis des Judentums als Religion der Werkgerechtigkeit ab; zudem sei statt von einem einheitlichen Judentum eher von jüdischen Gruppen auszugehen. Ihr gemeinsames Merkmal sei der Bundesnomismus (covenantal nomism), eine Struktur, die aus Hineinkommen (getting in) durch Erwählung und Darinbleiben (staying in) durch Toraobservanz bestehe. James D.G. Dunn versteht die „Werke des Gesetzes“ (ἔργα νόμου) – in erster Linie Beschneidung, Speisegebote und Sabbatobservanz – vor allem soziologisch; sie seien als identity markers bzw. boundary markers zu verstehen, die das Streben nach sozialer Abgrenzung artikulierten. Das Festhalten daran sei es dann auch, was Paulus in der Auseinandersetzung mit den jüdischen Gruppen kritisiert habe.
3.3.3. Themen der gegenwärtigen Diskussion
Die „New Perspective on Paul“ hat dazu geführt, die bisherigen Auslegungswege zu verlassen. Die der bisherigen Paulusinterpretation entgegengestellten Alternativen sind jedoch selbst stark diskutiert und hinterfragt worden. Beispielhaft sei die Problematisierung des Ausdrucks Bundesnomismus (covenantal nomism) genannt. Gefragt wird auch, ob mit „Werke des Gesetzes“ wirklich nur identity bzw. boundary markers bezeichnet werden oder ob damit gesetzeskonforme Taten (Avemarie), kultische Handlungen (Haacker) oder lediglich Vorschriften der Tora im Unterschied zu menschlichen Handlungen (Bachmann) gemeint sein könnten. Schon 2001 wurde in diesem Kontext der Versuch gemacht, von einer „Post-‚New Perspective‘ Perspective“ (Byrne) zu sprechen.
3.3.4. Kein Fazit
Die stärker zeitgeschichtliche Wahrnehmung der paulinischen Korrespondenz vor dem Hintergrund der missionarischen Erfordernisse für die je eigenen Gemeindesituationen hat die soziologische Komponente der Rede von der „Gerechtigkeit Gottes“ zutage gefördert. In diesem Horizont besteht nicht mehr die Notwendigkeit, über die theologische Alternative von genitivus subjectivus und genitivus objectivus zu diskutieren (Dunn). Stattdessen kommt die Dynamik der Beziehung Gottes zu den Menschen stärker zum Ausdruck, die die Gerechtigkeit Gottes vor allem als Aktivität Gottes sichtbar werden lässt. Dabei ist es jedoch essentiell, neben der soziologischen Komponente immer auch die genuin theologische Komponente der Rede von der Rechtfertigung zur Geltung zu bringen, weil Paulus selbst sich als Theologe im Kontext des Evangeliums Gottes (Röm 1,16f
4. Gerechtigkeit Gottes in der nachpaulinischen Literatur
Der Ausdruck Gerechtigkeit findet sich zwar in den Deuteropaulinen (Eph 4,24
5. Gerechtigkeit Gottes im Matthäusevangelium
5.1. Das Matthäusevangelium und der Befund in den synoptischen Evangelien
Zwar ist das Syntagma „Gerechtigkeit Gottes“ im Matthäusevangelium nicht belegt, doch weist der Terminus δικαιοσύνη seinen theologischen Bezug in Mt 6,33
Die Tatsache, dass der Ausdruck im Markusevangelium fehlt, im Lukasevangelium nur einmal und im Johannesevangelium nur zweimal belegt ist, zeigt, dass δικαιοσύνη erst im Matthäusevangelium zu einem Schlüsselwort der Verkündigung Jesu geworden ist. Dieser Befund legt den Schluss nahe, dass der Ausdruck an allen Stellen redaktionell ist (Strecker). Denkbar ist, dass der Evangelist selbst seine Tradition aus der Neophytenunterweisung erhalten hat (Popkes).
5.2. Die Stellen im Matthäusevangelium
Bereits im Zuge seiner Taufe durch → Johannes den Täufer
Die fünf Belege in der Bergpredigt einschließend, wird von Mt 3,15
Umstritten ist die Deutung von Mt 5,6
6. Gerechtigkeit Gottes im übrigen Neuen Testament
Einen von Paulus deutlich unterscheidbaren Gebrauch weist die Wortverbindung „Gerechtigkeit Gottes“ im Jakobus- und im 2. Petrusbrief auf, ohne dass ein grundsätzlicher Dissens zwischen dem Gebrauch im Jakobusbrief und der paulinischen Rechtfertigungslehre behauptet werden muss (Söding).
6.1. Jak 1,20
Dem Beleg im Jakobusbrief geht eine Ermahnung voraus, die von einer jüdisch-hellenistischen Weisheitstheologie geprägt ist. In ihr erklärt der Absender, dass Versuchungen als Freude zu erachten seien und dass Glaubensproben Geduld bewirken sollen. Das Ziel sei der Empfang des Siegerkranzes durch denjenigen, der den Versuchungen standhalte. In der anschließenden Abhandlung über das rechte Verhalten des Menschen in der Welt wird in Jak 1,20
6.2. 2Petr 1,1
In 2Petr 1,1
Literaturverzeichnis
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