Griechenland
(erstellt: April 2013)
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Begriffsklärung
Im Gegensatz zur Gegenwart verstand man in der Alten Welt unter „Griechenland“ nicht unbedingt ein einheitliches Staatengebilde, sondern den durch Religion oder Philosophie, durch Sport, Bildung und Sprache geprägten Kulturkreis, der geographisch neben dem griechischen Festland als Fortsetzung der Balkanhalbinsel auch die Inseln der Ägäis einschließlich Kreta und Zypern sowie die Küstenregion Kleinasiens umfasste.
Die Bewohner dieses Kulturkreises – die „Griechen“ – wurden von Nicht-Griechen weniger als Angehörige einer Nation denn als Vertreter einer spezifischen Kultur und Lebensart empfunden.
Die Geschichte des antiken Griechenlands ist über Epochen hinweg nicht die Geschichte einer Nation, sondern die von regional begrenzten Teil- und Stadtstaaten – den Poleis. Kulturhistorisch bedeutende Philosophen wie Platon oder Sokrates sind im engeren Sinn keine panhellenischen Persönlichkeiten, sondern entstammten dem Athener Stadtstaat, dessen Einfluss auf Gesamt-Griechenland geographisch und zeitlich (5./4. Jh. v.Chr.) begrenzt war.
1. Griechenland in biblischer Zeit
1.1. Von den Stadtstaaten bis zur Hegemonie Athens
Nach dem Niedergang der Hochkultur der Minoer auf Kreta und der Mykener auf der Peloponnes beginnt um 1000 v. Chr. das Zeitalter der Stadtstaaten. Kleinere Städte (Poleis) wie Athen, Korinth, Argos oder Theben entwickeln sich zu Zentren einer regional orientierten Kultur. Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse dieser Epoche bilden den Hintergrund für Homers Kampf um Troja.
Die Gründung zahlreicher Kolonien an den Küsten Kleinasiens, des Schwarzen Meers und auch in Unteritalien prägen die darauf folgende Zeit (8.- 6. Jh. v. Chr.) und lassen die Idee eines großen Griechenlands entstehen (Magna Graecia). Innenpolitisch entwickeln sich in den Stadtstaaten des griechischen Mutterlandes Ansätze zu demokratischen Staatsformen, die – wie in Athen – den freien Bürgern (nicht den Sklaven und Frauen) eine Teilnahme an den politischen Entscheidungen ihres Gemeinwesens ermöglichen.
Der Überfall der Perser auf Griechenland zwang die Stadtstaaten zur Einigung und stärkte das griechische Nationalbewusstsein. In der Schlacht bei Marathon (490 v. Chr.) siegten die Athener allein, zehn Jahre später bei Salamis ein Bündnis aus Spartanern, Athenern und anderen Stadtstaaten Griechenlands. Durch den Triumph gestärkt, stieg Athen zur Seemacht auf, geriet aber durch seine Hegemonialpolitik in Konflikt mit den Spartanern. Der Peloponnesische Krieg (431-404 v. Chr.) brachten keinen Sieger hervor, brach aber die Vormachtstellung Athens.
1.2. Vom Aufstieg Makedoniens bis zur römischen Herrschaft
Im Norden Griechenlands wuchs mit dem Königreich der Makedonen eine neue Macht heran. Philipp II. von Makedonien schlug 338 v.Chr. ein Bündnisheer der Griechen und wurde zum Herrscher über ganz Griechenland. Zum ersten Mal in der Geschichte war Griechenland politisch geeint. Den Plan eines Feldzuges gegen das Perserreich setzte sein Sohn → Alexander
Alexander rückte bis nach Indien vor und gründete ein Reich von nie zuvor da gewesener Größe. Obwohl seine Herrschaft nur gut zehn Jahre dauerte, war sie von weltgeschichtlicher Bedeutung und brachte ihm den Beinamen „der Große“ ein. Mit Alexander begann das Zeitalter des → Hellenismus
168 v. Chr. gelangt Griechenland unter römische Herrschaft. Die → Provinz
Auch wenn die politische Eigenständigkeit mit dem Auftreten der Römer verloren ging, so lebte die Kultur der Griechen im Römischen Reich weiter. Hellenistische Literatur und Philosophie prägte zunehmend auch die römische Zivilisation. Römische Kaiser wie → Nero
Zahlreiche Städte wurden in staatlichen Bauprogrammen vergrößert und monumental ausgestaltet. Bis in die Spätantike hinein war es für die römische Elite selbstverständlich, ihre Söhne zum Studium nach Athen zu schicken. Selbstverständlich sprach man Griechisch, wie überhaupt das Griechische im gesamten Osten des Römische Reiches die vorherrschende Sprache blieb. Davon zeugt auch das Neue Testament, dessen Schriften komplett auf Griechisch geschrieben wurde. Nur im Westen des Reiches konnte sich das Lateinische durchsetzen. Durch die Eingliederung in das → Imperium Romanum
2. Griechenland und das Judentum
2.1. In der Diaspora
Der kulturelle Einfluss des Hellenismus machte auch vor dem → Judentum
Insbesondere die in Ägypten, Syrien und Kleinasien lebenden → Diaspora
2.2. In Palästina
Im Mutterland selbst verlief die Entwicklung nicht so reibungslos: Judäa wurde 332 v. Chr. von Alexander eroberte, seit 302 v. Chr. gehörte Palästina zum → Ptolemäereich
Die Situation eskalierte 167 v. Chr. im Opferbefehl für Zeus und dem Verbot der Beschneidung, was auf heftigen Widerstand gesetzestreuer und nationalreligiöser Kreise stieß (vgl. 1Makk 1,51ff
Der militärische Erfolg der Aufstandsbewegung führte zu politischer Unabhängigkeit (Gründung des → hasmonäischen Königtums
2.3. Zur Zeit Jesu
Zur Zeit Jesu waren die Dörfer Palästinas bereits von hellenisierten Städten umgeben, in denen griechische Kultur, Religion und Lebensart gepflegt wurden – vor allem in der Dekapolis, in den Küstenstädten, in Tiberias und Samaria/Sebaste. Wie weit die griechische Kultur nach Palästina vorgedrungen war, zeigt sich vor allem an der Namensgebung: selbst unter den Jüngern Jesu finden sich genuin griechische Namen (vgl. Mk 3,18
Inwieweit Jesus selbst mit griechischer Kultur vertraut war, der er hin und wieder begegnete (vgl. z.B. Mt 4,25
3. Biblische Überlieferung
Der Begriff „Griechenland“ ist in der Bibel eine Randerscheinung. Die Lutherbibel verzeichnet insgesamt nur sieben Belege, wovon vier auf das Alte Testament (Dan 8,21
3.1. Das AT
In der → Völkertafel
Unter den Völkern, die nach der Prophezeiung Tritojesajas zur endzeitlichen Wallfahrt nach Jerusalem kommen, befindet sich auch „Jawan“ (Jes 66,19f
3.2. Das NT
Griechenland ist wichtiger Schauplatz für die Missionstätigkeit des Apostels → Paulus
Abb. 7: Karte von zweiter und dritter Missionsreise (Deutsche Bibelgesellschaft)
Da Griechenland im 1. Jh. n. Chr. in Macedonia (Hauptstadt Thessaloniki) und Achaia (Hauptstadt → Korinth
4. Paulus in Griechenland
Nach dem Zeugnis der Apg und der Briefe brach Paulus nach dem Apostelkonvent in Jerusalem (48/49 n. Chr.) zur Missionstätigkeit in Kleinasien und Griechenland auf (vgl. Apg 15
Die Mission in Griechenland beginnt nach den Angaben der Apostelgeschichte mit der Überfahrt nach Makedonien. Durch eine Vision motiviert (vgl. Apg 16,9
4.1. Philippi
Auf der Via Egnatia – der wichtigsten Ost-West-Verbindung zwischen Byzanz und Rom – gelangte Paulus nach → Philippi
Nach der Apg 16,13ff
Die Apostelgeschichte weiß von Konflikten mit der Stadtregierung (Apg 16,20
Wie der → Philipperbrief
4.2. Thessaloniki („Thessalonich“)
Von Philippi kommend (vgl. 1Thess 2,2
Die heutige Metropole am Thermaischen Golf war im Jahre 316/15 v. Chr. gegründet worden und in makedonischer Zeit wichtiger Stützpunkt für Handel und Flotte.
In römischer Zeit (nach 148 v. Chr.) wurde Thessaloniki Hauptstadt der Provinz Macedonia und entwickelte sich zur größten Stadt Nordgriechenlands. Nach 42 v. Chr. zur civitas libera („Freistadt“) erhoben (vgl. Inscriptiones Graecae X 2,1 Nr. 6), behielt Thessaloniki die aus makedonischer Zeit stammenden Institutionen städtischer Selbstverwaltung wie Rat, Volksversammlung (demos) und Politarchen (vgl. Apg 17,6ff
4.3. Beroia („Beröa“)
Die alte, schon bei Thukydides (460-396 v. Chr.) erwähnte Stadt Beroia (heute: Véria) war in römischer Zeit Sitz des makedonischen Städtetages (vgl. Münzprägungen) und trug den Ehrentitel „Metropolis“.
Die relative Abgelegenheit (Cicero: In Pisonem 89: oppidum devium) – abseits der Via Egnatia ohne Zugang zum Meer – und die bekannte Beschaulichkeit dürften nach den Vorfällen in Thessaloniki dazu beigetragen haben, dass Paulus und seine Begleiter Beroia als nächstes Ziel wählten (vgl. Apg 17,10
Die in Apg 17,13ff
4.4. Athen
Zur Zeit des Paulus hatte Athen schon lange seine Eigenständigkeit und den politischen Einfluss aus der Zeit nach den Perserkriegen verloren. Die Stadt blieb aber der Ort, in der die von Sokrates und Platon begründete Tradition der philosophischen Bildung fortlebte. Die Elite des Mittelmeerraumes, darunter nicht wenige Römer, studierte hier. → Horaz
Der Philhellenismus, der sich schon im 2. Jh. v. Chr. durch großzügiges Sponsoring monumentaler Bauwerke auf der Agora bzw. am Fuße der Akropolis gezeigt hatte (Olympieion, Attalos-Stoa, Eumenes-Stoa etc.), setzte sich in römischer Zeit fort. Besonders die Regentschaften der Kaiser → Trajan
Lukas gestaltet den Besuch des Paulus in Athen durch die berühmte →„Areopagrede
Der Erfolg der Missionstätigkeit in Athen ist unklar. Die Apostelgeschichte nennt neben einer nicht näher benannten Anzahl von Männern namentlich zwei Personen, die sich dem Apostel anschließen: Dionysios, ein Mitglied des Areopags, der in orthodoxer Tradition als erster Bischof der Stadt gilt, und eine Frau namens Damaris (vgl. Apg 17,34
4.5. Korinth
Die Stadt am Isthmos mit seinen großen Häfen (Lechaion und Kenchreai) war die bedeutendste und größte Stadt Griechenlands. Nach der Blüte in archaischer und klassischer Zeit (8.-4. Jh. v. Chr.) geriet der Stadtstaat seit dem 4. Jh. in Konflikt mit den Großmächten. Nach der Zerstörung durch die Römer (146 v. Chr.) wurde Korinth von Julius Caesar als römische Kolonie wieder aufgebaut (44 v. Chr.). Die Colonia Laus Iulia Corinthiensis war seit 27 v. Chr. Hauptstadt der neu gegründeten Provinz Achaia und Sitz des Prokonsuls. Im Jahre 51/52 n. Chr. hatte Lucius Iunius Gallio, ein Bruder des Philosophen Seneca, dieses Amt inne. Nach Apg 18,12-17
Die Anfänge der Christengemeinde gehen auf die paulinische Mission zurück. Nach Apg 18,2
Korinth entwickelte sich zum Zentrum der paulinischen Mission in Griechenland. Nach Apg 18,11
Die beiden Korintherbriefe, die nach der Abreise des Apostels abgefasst wurden, geben Einblick in die alltäglichen Schwierigkeiten einer jungen Christengemeinde in heidnischem Umfeld. Gleichzeitig spiegeln sie facettenreich das wechselhafte und bisweilen komplizierte Verhältnis zwischen dem Apostel und seinen „geliebten Kindern“ wider (1Kor 4,14f
Persönliche Anfeindungen, Spaltungen und andere innergemeindliche Probleme veranlassten Paulus im Jahre 55/56 n.Chr. zu weiteren Aufenthalten in Korinth (vgl. Apg 20,3
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Löwentor der Burganlage von Mykene Foto: Christoph vom Brocke
- Alexander der Große Foto: Christoph vom Brocke
- Kaiser Nero (54-68 n. Chr.) Foto: Christoph vom Brocke
- Antiochus IV. Epiphanes. Foto: Christoph vom Brocke
- Herodes der Große. Foto: Christoph vom Brocke
- Die Vision von Troas – Paulus-Denkmal in Veria. Foto: Christoph vom Brocke
- Philippi - Römisches Forum. Foto: Christoph vom Brocke
- Thessaloniki - Promenade und „Weißer Turm“. Foto: Christoph vom Brocke
- Paulus-Denkmal in Véria. Foto: Christoph vom Brocke
- Athen - Agora und Akropolis. Foto: Christoph vom Brocke
- Korinth - Lechaion-Straße und Forum im Hintergrund. Foto: Christoph vom Brocke
- „Erastus-Inschrift“. Foto: Christoph vom Brocke
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