Gut / Güter (NT)
(erstellt: Juli 2012)
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1. Philosophischer Kontext
1.1. Allgemeine Vorbemerkung
Was gut ist, was Güter sind, ist aufgrund des hohen Abstraktionsgrads schwer fassbar. Generell dürfte aber als gut angesehen werden, was subjektiv oder in einem bestimmten sozialen Umfeld konventionalisiert als tauglich, zweckmäßig und hilfreich, beglückend und befriedigend, erstrebens- und achtenswert erscheint – das Nützliche, Erfreuliche und in sich Sinnvolle, das mit Lob oder Empfehlung bedacht wird. Insbesondere unter theologischer Perspektive ist dieses Verständnis aber dahingehend zu konkretisieren, dass zwischen dem bloß Angenehmen oder Nützlichen einerseits und dem um seiner selbst willen Guten unterschieden wird.
Die zwei wesentlichen griechischen Begriffe, die diese Vorstellungen bezeichnen, sind ἀγαθός (agathos) und καλός (kalos) mit ihren jeweiligen morphologischen Varianten.
Im allgemeinen Sinn bezeichnet agathos das Treffliche und Tüchtige, das Herausragende an sich. Dabei kann es sich einerseits um den Menschen handeln, der die ihm zugeschriebenen Aufgaben gut erfüllt (ein guter Handwerker, ein guter Beamter etc.) oder aufgrund seiner inneren Haltung tugendhaft handelt und damit ein guter Bürger ist, der einen hohen Wert für das Staatswesen darstellt. Andererseits bezieht sich agathos auf ein dem Menschen übergeordnetes (göttliches) Gut.
Die allgemeine Wortbedeutung von kalos weist dort erhebliche semantische Schnittmengen mit agathos auf, wo es um die innere Disposition, das sittlich Gute, geht. Allerdings bezeichnet kalos auch Menschen oder Dinge, die als fehlerfrei, äußerlich schön und makellos oder reizend angesehen werden. Generell steht hinter allem, das mit kalos bezeichnet wird, die Vorstellung des Geordneten, der Symmetrie, sei es auf die Gesundheit des Menschen, seine äußere Erscheinung oder auf die Tauglichkeit von Menschen oder Dingen bezogen.
Das Begriffspaar καλός καί ἀγαθός (kalos kai agathos) spielt in dieser und ähnlichen Verbindungen eine wichtige Rolle in griechischer → Antike
1.2. Antike
1.2.1. ἀγαθός κτλ.
In der antiken Philosophie wurde die Frage nach dem Guten zunächst in Bezug auf die Tüchtigkeit des Bürgers im Staatswesen behandelt (Xen., Oec 1,15; 6,13; vgl. Mueller-Goldingen, 8f) bzw. ist bezogen auf die Fähigkeiten des einzelnen, zu einem gelingenden Staatswesen beizutragen (Platon, Pol 506ab; vgl. Gadamer, 17.49-51; Krämer, 189). Außerdem wird mit dem Adjektiv agathos die Bedeutung oder Trefflichkeit einer Sache hervorgehoben. Das substantivierte Adjektiv kann zum einen abstrakt das Gute (τόν ἀγαθόν, ton agathon) bezeichnen oder konkret bestimmte Güter (τά ἀγαθά, ta agatha). Beides wirkt sich auf das Wohlbefinden des Menschen aus. Das Wissen um das Gute ist Teil der auf sokratischen Denken beruhenden platonischen → Tugend
Aristoteles wendet sich gegen die universelle Idee des Guten und konkretisiert das Gute je nach Kategorie: Das Göttliche oder die Vernunft ist das Gute, als Qualität besteht das Gute aus den Tugenden, als Quantität wird es als das Maß verstanden, unter zeitlichem Aspekt ist das Gute der rechte Zeitpunkt, der kairo,j (kairos) (Aristot., EthNik I,4, 1096ab; vgl. Flashar, 66f.70f).
Schließlich wird zwischen weltlichen Gütern und dem anzustrebenden Gut unterschieden, genauer dem höchsten Gut. Platon ordnet in Bezug auf den Menschen Güter in drei Klassen: die des Besitzes, die des Leibes und die der Seele (Platon, Nom 697b, 743; Pol 504-509; Gorg 470). Dieser Ansatz wird später von Vertretern der Stoa weiterverfolgt (Stob., Ekl II,57,19; II,77,6; vgl. Diog. Laert. VII, 94; vgl. Hossenrieder 1995, 46-49). Allerdings muss es im Spannungsfeld zwischen Bedürfnissen und deren Befriedigung durch Güter und in der Konkurrenz verschiedenartiger Güter unweigerlich zu Konflikten kommen, weswegen eine Güter- bzw. Übelabwägung notwendig wird. Dies wird z.B. dadurch entschieden, welche Güter dringender oder wichtiger sind, nach den Folgen für Eigen- oder Gemeinwohl oder entsprechend der Frage nach dem kleineren Übel. Auf dieser Grundlage operiert die Güterethik, die versucht, die Güter des menschlichen Lebens in verschiedene Klassen einzuteilen und gegenseitige Relationen zu bestimmen (vgl. Härle, 126-134; Rawls, bes. 395-452; Nussbaum).
In diesem Zusammenhang wurde bereits in der Antike grundlegend zwischen einem relativen Guten und einem absoluten Guten unterschieden, so dass eine Hierarchie des Guten die Folge ist. Die Orientierung an einem höchsten Gut wurde zur Tradition. Das jeweilige Verständnis dieses höchsten Gutes unterscheidet sich je nach philosophischem und kulturellem Kontext: Es besteht nach Aristoteles in der Glückseligkeit (εύδαιμονἱα, eudaimonia), die durch eine gute innere Haltung und tugendhaftes Handeln erlangt werden kann (Aristot., EthNik I, 1094a-1103a; X,6-9, 1176a-1179a; vgl. Shields, 306-349; Ackrill; Lawrence), nach Epikur im individuellen Wohlbefinden (ἡδονή, ēdonē; Diog. Laert. X,137; Cic., Tusc 3,41; vgl. Hossenfelder 2006, 51-75) und gemäß der → Stoa
1.2.2. καλός κτλ.
Bei Platon ist der Begriff kalos bzw. kalon ( καλός / καλόν) eng mit der Vorstellung des Guten, im Sinn des agathos verbunden (Platon, Tim 87c). Als höchstes Gut ist das kalon der göttliche Aspekt innerhalb der platonischen Ideenlehre. Das kalon verbindet im Sinne des geordneten Guten Gottheit, Welt und Menschen zu einer idealen Einheit. Der Mensch strebt durch den έρως (erōs) als treibende Kraft stets nach dem kalon.
Aristoteles trifft zwar eine explizite Unterscheidung zwischen agathos und kalos: Ersteres sei nur in Handlungen, also beim Menschen auszumachen, zweiteres finde sich aber auch in Unbeweglichem, also bei Sachen (Aristot., Metaph 1078a; vgl. Rhet II,13, 1389b); seine sonstigen Ausführungen zum Begriff des Guten weisen aber dennoch einige Bedeutungsüberschneidungen auf (z.B. EthNik XI,8 1168b; vgl. Price). Innerhalb der aristotelischen Tugendethik ist das kalon zusammen mit dem agathon das Ziel aller Tugend (Aristot., EthNik III,10, 1115b). Dieses Ziel wird somit nicht durch das kalon allein, sondern durch die καλοκαγαθία (kalokagathia) erreicht (Aristot., EthEud VII,15 1249a; vgl. Buddensiek, 220-223). Schön und gut ist jemand, der tugendhaft ist und dem die schönen Dinge von selbst zukommen (Aristot., EthEud VIII,3 1248b; vgl. Buddensiek, 213-220). In ähnlicher Weise versteht die Stoa den Begriff des kalos, der nun weitgehend synonym zu agathos verwendet wird (Diog. Laert. VII, 100).
1.3. Hellenismus
1.3.1. ἀγαθός κτλ.
Im Hellenismus nimmt das Element des Göttlichen eine prominentere Stellung ein. Gut ist auf den Menschen bezogen derjenige, der Gott wohlgefällig lebt, auf die Gottheit bezogen ist das gute Handeln ein dem Menschen gegenüber gütiges Handeln. Im Corpus Hermeticum wird das Gute aufgrund der menschlichen Sehnsüchte in einer unsicheren Welt dem Göttlichen allein übertragen. Das gute Ziel (άγαθόν τέλος, agathon telos) für diejenigen, die Erkenntnis erlangt haben, besteht darin, vergöttlicht zu werden (Corp.Herm., I,26). Kein Mensch ist demnach gut. Der Mensch kann das Gute nicht erkennen, auch wenn er es als Wort oftmals im Mund führt. Gott allein oder göttliche Wesen werden als gut bezeichnet. Gott ist das Gute schlechthin, da er alles gibt und nichts nimmt (Corp.Herm., II,15f; VI,1; vgl. G. Löhr, 172.179-181.194.210-236). Das Gute ist nur im Ursprünglichen, nicht aber im Geschaffenen zu finden. Dort wo das Gute herrscht, ist ein affektfreier Raum. Dennoch haben Menschen immer einen gewissen Anteil am Guten und können, wo sie nicht schlecht sind, als teilweise gut bezeichnet werden (Corp.Herm., VI,2-5; vgl. G. Löhr, 188)
Ganz in diesem Sinn positioniert sich auch → Philo von Alexandrien
1.3.2. καλός κτλ.
Philo betont wie bereits Platon und die Stoa den religiösen Aspekt des kalon, wiederum in enger Verbindung mit agathos; Gott ist hier nicht nur das Gute schlechthin, sondern sogar besser und schöner (Philo, LegGai 5; vgl. Winston, 238-241). Die Vorstellung des höchsten Gutes wird ebenfalls mit kalon bezeichnet, das von Gott kommt oder das Göttliche ist (Philo, Sacr AC 63). Der Mensch, der danach strebt, gehört zu den Söhnen Gottes (Philo, SpecLeg I, 138).
Innerhalb der hermetischen Literatur ist eine signifikante Bedeutungsverschiebung auszumachen, indem kalos als vollständig der göttlichen Sphäre zugehörig verstanden wird (Corp. Herm. XI,3). Der Begriff wird dem agathon beigestellt, so dass oftmals vom Schönen und Guten (καλόν καί ἀγαθόν, kalon kai agathon) die Rede ist, das der Mensch nicht erfassen kann. Der ideale Kosmos ist kalos (Corp.Herm. I,8). Dieses Schöne kann der Mensch allein nicht wahrnehmen, das gelingt ihm nur durch Erkenntnis (Corp.Herm. VI,4).
2. Gut/Güter im Neuen Testament
2.1. Sprachlicher Befund
Gut und Güter werden sowohl im ethischen wie im profanen Sinn im Neuen Testament mit den Adjektiven agathos und kalos sowie deren morphologischen Varianten bezeichnet. Im Neuen Testament ist agathos κτλ. 119mal belegt. Am häufigsten tritt das Adjektiv auf, außerdem finden sich zahlreiche Belege für das substantivierte Adjektiv maskulinum und neutrum. Agathos wird sehr häufig in appellativen Texten verwendet – in paränetischen Passagen der Briefliteratur oder in Parabeln der → Evangelien
2.2. ἀγαθός κτλ.
Im Neuen Testament ist allein Gott das wahrhaft Gute. Zwar wird auch Jesus als gut bezeichnet, z.B. als guter Lehrer (Mk 10,17
Im Neuen Testament erscheint agathos damit als das Gute als abstrakt-absoluter und höchster Wert, der am Wort Gottes ausgerichtet ist (vgl. Röder). Das Gute ist nach Paulus zusammen mit dem Wohlgefälligen und Vollkommenen der Wille Gottes ( Röm 12,2
In Anbetracht der seltenen Verwendung im Corpus Johanneum sollte Joh 5,29
Die mellonta agatha, Güter der zukünftigen Welt, sind in Christus real verwirklicht. Das Heil in Christus eröffnet die Chance des Wissens um das Gute und das entsprechende Handeln (Röm 12,2
Wenn Gott als der einzig Gute verstanden wird und die mellonta agatha die einzig wirklichen Güter sind, kann es im diesseitigen Leben kein Gut und keine Person geben, die als agathos im umfassenden Sinn bezeichnet werden können (vgl. Röm 7
Der aus dem hellenistisch-jüdischen Umfeld bekannte philagathos (Aristoteles, Eth.Mag., II,14, 1212b 18ff; Philo Vit.Mos. II,9), ein gesellschaftlicher Ehrentitel, begegnet auch im Neuen Testament: Der Bischof wird als jemand bezeichnet, der das Gute liebt (Tit 1,8
2.3. καλός κτλ.
Möglicherweise impliziert auch der neutestamentliche Gebrauch das ursprüngliche Verständnis von kalos im Sinn eines nach außen sichtbaren Gutseins, der Schönheit (vgl. Fuchs, 16).
Auch im Neuen Testament können Bedeutungsüberschneidungen von kalos und agathos im Sinn des Verständnisses der hellenistisch-jüdischen Umwelt festgestellt werden. Gott wird kalos zugeschrieben, kalon sperma (Mt 13,24
Das tätige Gutsein wird ebenfalls mit kalos bezeichnet. Die kala erga, zu denen Jesus aufruft, entsprechen den aus der jüdischen Tradition bekannten Liebeswerken. Hierbei handelt es sich um Taten aus Barmherzigkeit und Nächstenliebe, deren Vollbringung die Liebe Gottes in die Welt trägt und sogar weltlichen Lohn einbringen kann, deren Unterlassen aber Konsequenzen nach sich zieht (Strack/Billerbeck IV, 536-558). Darunter fallen öffentliche oder private Krankenpflege, Unterstützung von Mittellosen, Teilnahme an Hochzeits- oder Trauerfeierlichkeiten, aber auch die rechte innere Haltung beim Gebet oder die gesetzestreue Erziehung der Kinder, insbesondere das Torastudium der Söhne betreffend (Strack/Billerbeck IV, 559-610). Die → synoptischen
Auch im Johannesevangelium nimmt kalos in der Bezeichnung Jesu als guter Hirte eine bedeutende Stellung ein (Joh 10,11-17
Weitgehend synonym zu agathos im Sinne des absolut Guten verwendet Paulus den Begriff kalos (Röm 7,18f
Kann für kalos bei Paulus keine herausgehobene Bedeutung festgestellt werden, wird der Begriff in den Pastoralbriefen auffällig häufig verwendet. Innerhalb der Patoralbriefe kann noch differenziert werden: Neben den kala erga der Nächstenliebe gilt im Titusbrief auch die Fürbitte für Mitmenschen, für Staat und Obrigkeit als kalon (Tit 3,8
Die zahlreichen Belege lassen letztlich den Schluss zu, dass innerhalb der neutestamentlichen Schriften ein Bedeutungswandel stattgefunden hat. Offenbar ist man in späterer Zeit zu dem alltäglichen Gebrauch von kalos im Sinn von „wahrnehmbar gut, tüchtig, ordentlich, recht, brauchbar“ (zurück)gekommen. Die in hellenistischer Umgangssprache häufig auftretende Vokabel wurde offenbar verwendet, um das Wesen der Christusnachfolge anschaulich zu beschreiben. Das mag auch der Grund für das Auftreten von kalos in Verbindung mit Kriegsvokabular sein (z.B. 1Tim 1,18
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