Hellenismus
(erstellt: Januar 2010)
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1. Einführung
1.1. Begriff
In Anlehnung an den Urheber dieser Epochenbezeichnung, dem deutschen Historiker Johann Gustav Droysen, versteht man unter Hellenismus traditionell die geschichtliche Periode vom Regierungsantritt Alexanders des Großen 336 v.Chr. bis zur Eingliederung Ägyptens in das Römische Reich im Jahre 30 v.Chr. Dominierendes Charaktermerkmal dieser Epoche ist die tiefgehende Durchdringung der mediterranen und orientalischen Welt mit griechischem Gedankengut, der griechischen Sprache und der griechischen Kultur (Architektur, bildende Kunst usw.). Der Begriff Ἑλληνισμός [hellēnismós] im Sinne von „Nachahmung des Griechischen“ wurde bereits in der Antike verwendet [vgl. Meißner, 1-3; Gehrke, 1-4; zur neuzeitlichen Begriffsgeschichte siehe Canfora (1987); zur Problematisierung des Epochenbegriffs „Hellenismus“ siehe Gehrke, 133-136 und ausführlich Bichler].
Diese Definition lässt freilich wesentliche historische Aspekte außer Acht. Zum einen ist bereits vor Alexander dem Großen eine Verbreitung griechischer Kultur in weiten Gebieten des Mittelmeeres und der Schwarzmeerküste evident. Ein wesentlicher Ausgangspunkt hierfür liegt in der griechischen Kolonisation in der Zeit von 750 v.Chr. bis 550 v.Chr. Auch lassen sich frühe Beziehungen griechischer Städte zu Ägypten und Syrien nachweisen. Neu und markant für die Ära des Hellenismus ist jedoch die Durchdringung des Orients bis nach Indien. Zum anderen ist zu betonen, dass die kulturelle Tradition des Hellenismus auch nach dem Untergang der Diadochenreiche im Römischen Reich (insb. zur Zeit der julisch-claudischen Dynastie) und im Byzantinischen Reich (bewusst oder unbewusst) fortgeführt wurde.
Strenggenommen ist daher ein Hellenismus im engeren Sinne (d.h. im Sinne der politischen Epoche 336-30 v.Chr.) von einem Hellenismus im weiteren Sinne (d.h. inklusive der Fortführung der hellenistischen Kultur in römischer Zeit) zu unterscheiden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Hellenismus im engeren Sinne. Die Beschreibung des Hellenismus in römischer Zeit erfolgt an anderer Stelle.
1.2. Quellen
Die Quellenlage der hellenistischen Epoche gehört zu den problematischsten der Alten Geschichte. Eine durchgehende zeitgenössische Darstellung ist nicht erhalten. Wir sind daher auf Fragmente bzw. auf die nicht vollständig erhaltenen Schriften von Historikern, Papyri (vor allem aus Ägypten), Münzen, Inschriften sowie auf archäologische Quellen angewiesen [zusammenfassend dazu Shipley, 5-31; ein nützliches Verzeichnis zu den Quellen und Quellensammlungen bietet Gehrke, 231-238; wichtige Texte sammelt Austin].
Im Bereich der literarischen Quellen sind die griechischen Autoren Timaios von Tauromenion (ca. 345–250 v.Chr.), Duris von Samos (ca. 340–270 v.Chr.) und Hieronymos von Kardia (360–272 v.Chr.), Zeitgenossen der Diadochen, sowie Phylarchos von Naukratis (3. Jh. v.Chr.) und Poseidonios von Apameia (135–51 v.Chr.) nur fragmentarisch erhalten [zu den Autoren und ihren Werken s. Erskine (2006), 5-6 und 14]. Hinzu treten die Alexanderhistoriker, die jedoch nur die ersten Jahre behandeln und für die Epoche als solche wenig austragen [Texte gesammelt bei Auberger]. Durchgehende Darstellungen besitzen wir erst aus römischer Zeit.
So zählen Diodor, der im ersten vorchristlichen Jh. schrieb und in den Büchern 18-20 seines Geschichtswerkes die Diadochenzeit behandelt, Pompeius Trogus (um die Zeitenwende), der in einer Zusammenfassung des Justinus erhalten geblieben ist, und Appian (2. Jh. n.Chr.), der einen Überblick über die Seleukiden verfasst hat, zu den wichtigsten Quellen [Erskine (2006), 7].
Ferner sind die Lebensbeschreibungen hellenistischer Herrscher in den Parallelbiographien des Plutarch (z.B. Eumenes, Demetrios und Pyrrhos) sowie die Chronik des Eusebius von Caesarea für die Betrachtung der hellenistischen Zeit heranzuziehen. Speziell für den Aufstieg Roms und den damit verbundenen Auseinandersetzungen mit den hellenistischen Reichen sind Polybios (ca. 200 bis nach 120 v.Chr.), Livius (59 v.Chr. – 17 n.Chr.) und Cassius Dio (155 oder 163 / 164 bis nach 229 n.Chr.) unverzichtbare Quellen.
Eine auf den ersten Blick weniger naheliegende literarische Quelle sind jüdische Texte in griechischer und hebräischer bzw. aramäischer Sprache. Hierzu zählen Flavius Josephus (insb. die Antiquitates), das alttestamentliche Danielbuch, die → Makkabäerbücher
Umfangreicher als die literarischen sind die dokumentarischen Zeugnisse jener Zeit. Neben den Inschriften, die vor allem Briefe der hellenistischen Könige an die Städte enthalten, sind insbesondere die ägyptischen Papyri und die frühseleukidischen Keilschriftenurkunden bedeutsam [Verzeichnis der einschlägigen Textsammlungen bei Gehrke, 232-233; vgl. HGIÜ II]. Von herausragender Bedeutung ist das insgesamt rund 2000 Dokumente umfassende Archiv des Großgrundbesitzers und Verwaltungsbeamten Zenon (unter Ptolemaios II. Philadelphos Sekretär des Dioiketes Apollonios) [Orrieux; Pestman], das uns Einblicke in die Wirtschaft und Verwaltung des ptolemäischen Ägypten gewährt.
Die Münzen dieser Zeit dokumentieren zum einen die politische Geschichte, sind aber auch ein gutes Zeugnis für die Mentalitätsgeschichte jener Epoche [Verzeichnis der einschlägigen Publikationen bei Gehrke, 233-234].
2. Geschichtlicher Grundriss
2.1. Alexander
Unter der geschickten Führung Philipps II. hatte Makedonien die Vorherrschaft in Griechenland an sich bringen können [vgl. ausführlich Engels, 20-41; Bengtson, 52-129]. Nach dem Tod dieses in seiner Bedeutung oft unterschätzten Königs gelang es seinem Sohn Alexander, diese Machtposition teils durch politische Agitation (Bestätigung als Archon des Koinon der Thessaler und als Hegemon sowie Strategos Autokrator des Korinthischen Bundes) teils durch militärische Aktionen (Feldzug gegen Theben, 335 v.Chr.) auszubauen und zu festigen.
Unter dem Vorwand, Griechenland für die erlittene Schmach der Perserkriege rächen zu wollen, begann Alexander im Frühjahr 334 v.Chr. den bereits unter Philipp II. geplanten Feldzug gegen die Perser. Innerhalb von vier Jahren eroberte er das persische Achämenidenreich, indem er sich nach der Eroberung Kleinasiens zunächst nach Syrien (August 332 v.Chr. Eroberung von Tyrus; angeblicher Besuch Jerusalems) und Ägypten (Oase Siwa, 331 v.Chr.) wandte, bevor er am 1. Oktober 331 v.Chr. in der Schlacht von Gaugamela die Perser (unter dem 330 v.Chr. ermordeten Dareios I.) vernichtend schlagen konnte. Nach der folgenden Unterwerfung Ostirans (Frühjahr 329 v.Chr. Überschreitung des Hindukusch nach Norden, Frühjahr 328 v.Chr. Vorstoß über den Oxos nach Sogdien) drang Alexander in den Jahren 327-325 v.Chr. bis nach Indien vor, wo ihn die Weigerung seines Erschöpften Heeres im Sommer 326 v.Chr. zur Umkehr zwang. Nach der Durchquerung der gedrosischen Wüste und einem etwa einjährigen, von Verwaltungsmaßnahmen und Planungen für neue Kriegszüge geprägten Aufenthalt in Susa, Opis und Ekbatana, starb Alexander 323 v.Chr. in Babylon, ohne einen Nachfolger designiert zu haben [zu den Feldzügen Alexanders ausführlich Laufer, 58-167; Fox, 119-559; zu den letzten Jahren und zum Tod Alexanders Engels, 63-69; Gehrke, 158].
2.2. Diadochenzeit
Da die Nachfolge ungeregelt geblieben war, erhoben sich nach dem Tod Alexanders im Jahr 323 v.Chr. seine führenden Generäle - zunächst unter dem Deckmantel der Erbsicherung für Alexanders minderjährigen Sohn (Alexander IV. Aigos), später nach dessen Ermordung 310 v.Chr. ganz offen - zu lokalen Machthabern [dazu ausführlich: Braund]. Diese bereits von Hieronymos von Kardia als Diadochen bezeichneten Herrscher [vgl. Josephus, Contra Apionem 1,213; zum Begriff Meißner, 4] ließen sich (beginnend mit Antigonos I. Monophthalmos und seinem Sohn Demetrios Poliorketes im Jahre 306 v.Chr.) schließlich als König (βάσιλευς / basileus) titulieren [Gehrke, 167-168].
Die Machtverteilung und die Trennung des Alexanderreiches sind konstitutiv für die weitere Geschichte [zu dieser ausführlich Seibert]. Zwar gelingt es den Diadochen gemeinsam, Aufstandsbewegungen gegen die makedonische Oberherrschaft niederzuringen (insb. den Aufstand Athens 323 / 322 v.Chr., sog. „Lamnischer Krieg“). In den Jahren von 323 bis 281 v.Chr. (also z.T. noch zu Lebzeiten des Alexandersohnes) führte die ungeklärte Machtfrage jedoch zu insgesamt 6 Kriegen (und unzähligen kleineren Scharmützeln), die unter dem Begriff Diadochenkämpfe subsumiert werden, und in denen sich die Machtbereiche immer wieder verschoben [Braund; Meißner, 14-18; Gehrke 33-40]. Nachdem sich die Diadochen zunächst noch 321 v.Chr. auf der Konferenz von Triparadeisos über eine politische Neuordnung verständigt hatten, erschien eine Wiedervereinigung des Alexanderreiches spätestens ab 301 v.Chr. aussichtslos, als der letzte Verfechter der Reichseinheit, Antigonos I. Monophtalmos, in der Schlacht bei Ipsos seinen Rivalen unterlag und fiel. Doch erst der Sieg des Seleukos I. über Lysimachos in der Schlacht bei Kurupedion 281 v.Chr. beendete das politische Ringen der Diadochen um die Aufteilung des Alexanderreiches.
Als Folge der Kämpfe hatten sich drei hellenistische Großreiche konstituiert, welche in den kommenden Jahren jeweils von einer Dynastie geleitet wurden. Die Antigoniden (Nachfahren Antigonos I. Monophthalmos) herrschten über Makedonien und Griechenland. Syrien, Mesopotamien und Persien wurden von den → Seleukiden
Neben diesen Großmächten bildeten sich kleinere Reiche, welche nicht selten die Politik der Großmächte maßgeblich mit beeinflussten. Zu den wichtigsten Kleinreichen zählt Pergamon, dass sich unter Eumenes I. (263-241 v.Chr.) aus seleukidischem Einfluss lösen konnte und durch eine starke antikeltische Staatsideologie (siehe u.a. Pergamonaltar in Berlin) eine eigenständige Identität erhielt [Radt, 27-44.168-177]. Weitere, allerdings nur temporär bedeutende Kleinmächte sind das pontische Reich (ab 301 v.Chr.; stärkste Expansion unter Mithridates VI. Eupator; 120-63 v.Chr.)) [Schmitt (2005)] und das kappadokische Königtum (unter Ariarathes III. (260-222 v.Chr.) vom seleukidischen Reich abgetrennt) [Schmitt / Nollé (2005a)].
2.3. Epigonen
Unter den Nachfolgern der Diadochen, den sog. Epigonen, stabilisierte sich die politische Lage zunächst. Die Zeit zwischen 281 v.Chr. und 230 v.Chr. kann als Phase der äußeren Konsolidierung des hellenistischen Systems bezeichnet werden. Auch im Inneren bilden sich die für die hellenistische Epoche markanten Strukturen heraus, indem das Staatswesen institutionell und materiell ausgebaut wird. Kunst, Kultur und Technik florieren. Kämpfe um Macht und Gebiete blieben aber bestimmendes Merkmal dieser Zeit. (u.a. 268 / 265-261 Chremoneischer Krieg, Syrische Kriege).
Ab 200 v.Chr. führte die Expansionspolitik Roms in Verbindung mit Degenerationserscheinungen der hellenistischen Reiche zu einem stärkeren Engagement Roms zunächst in Griechenland, dann aber auch (motiviert durch den Konflikt der Seleukiden mit den Ptolemäern) in Palästina. Dabei ist hervorzuheben, dass es Rom – teilweise zeitgleich in Auseinandersetzung mit Karthago – weniger militärisch glücklich zu agieren verstand, sondern vielmehr die Rivalität der griechischen Stadtstaaten und Reiche erfolgreich ausspielte [Gruen (2004), 248-249].
188 v.Chr. zwangen die Römer Antiochus III., der in seinen frühen Herrschaftsjahren den seleukidischen Einfluss in der Levante geschickt ausgebaut und im 5. Syrischen Krieg (201-198 v.Chr.) ptolemäische Besitzungen in Lykien, Karien und Kilikien erobert hatte [Meißner, 55-56], im Frieden von Apameia (188 v.Chr. infolge der Schlacht bei Magnesia 190 / 189 v.Chr. [Gehrke,123f.]) zum Verzicht auf Teile seines Reiches. Bereits zuvor hatte Philipp V. von Makedonien – trotz seiner militärischen Dominanz gegenüber den Römern im 1. Röm.-Makedonischen Krieg (211-205 v.Chr.) – nach seiner Niederlage im 2. Röm.-Makedonischen Krieg (200-197 v.Chr.) eine Einengung seines Handlungsspielraums in Griechenland akzeptieren müssen [Gruen (2004), 248-249]. Die Proklamation von Freiheit und Autonomie für die griechischen Städte durch Flaminius während der Isthmischen Spiele 196 v.Chr. [Polyb. 18,46,5-15; Livius 33,32-33; Plut. Flam. 10,3-10] bereitete der weiteren römischen Expansion erfolgreich ihren propagandistischen Boden [Gruen (2004), 249-250].
Während das ptolemäische Ägypten seine Macht weitestgehend halten konnte, erlebte das seleukidische Reich seit dem 3. Jh. einen stetigen Niedergang. So breiteten sich seit 250 v.Chr. (insb. unter Arsakes I.) die Parther im heutigen Iran aus (die sich interessanterweise ganz als Erben der hell. Tradition präsentieren; u.a. Übernahme der Münzprägung). Ungefähr gleichzeitig (256 v.Chr.) gingen die östl. Gebiete des Reiches durch die Abspaltung des griechisch-baktrischen Königreiches verloren. Um 141 v.Chr. gelang es den Parthern, Mesopotamien in Besitz zu nehmen, wodurch sie die seleukidische Dynastie auf einen keinen Reststaat in Syrien zurückdrängten.
Gerade im vermeintlichen Verlust der östlichen Teile des ehemaligen Alexanderreiches zeigt sich das Problem, Hellenismus - wie es oft geschieht - auf Diadochen und Epigonen zu fokussieren. Denn den Griechen in Baktrien gelang es, ihren Einflussbereich als Indo-griechisches Königreich auf Nordwestindien (Gandhara) auszudehnen und bis zum Ende des 2. Jahrhunderts v.Chr. zu halten. Obwohl man diese Kultur als Mischkultur bezeichnen muss, ist der hellenistische Anteil, wie jüngste Ausgrabungen gezeigt haben, erstaunlich hoch [dazu ausführlich: Altheim; Holt; Tarn; Posch]
Thronstreitigkeiten in der seleukidischen Dynastie taten das ihre. Nach der Ermordung Seleukos IV. Philopator (König 187-175 v.Chr.) konnte sich der in Rom als Geisel aufgewachsene → Antiochos IV
Im westlichen Teil des ehemaligen Alexanderreiches wurde der Einfluss der Römer immer stärker: Nach dem Ende des 3. Röm.-Makedonischen Krieges (Schlacht bei Pydna: 168 v.Chr. [dazu Gruen (2004), 254]) teilten die Römer Makedonien in vier rechtlich unabhängige Republiken auf und verwandelten es 20 Jahre später (148 v.Chr.) endgültig in eine römische Provinz [Christ, 49-54; Gruen (2004), 261; vgl. aber dagegen Kallet-Marx, 11-41; McGing, 78]. Weitere Teile ehemals hellenistischer Reiche folgten (insb. 129 v.Chr. Einrichtung der Provinz Asia aus Resten des Pergamenischen Reiches (bereits 133 v.Chr. per Testament von Attalos III. den Römern zugeeignet) sowie phrygischer und karischer Gebiete nach Beendigung des Aristonikosaufstandes [Kallet-Marx, 97-108]). Bezeichnenderweise glaubte Polybios, ein Zeitgenosse dieser Ereignisse, dass die römische Expansion hierin ihr Ziel und Ende gefunden habe [Polybios 33,3,9; 3,4,2; dazu Gruen (2004), 242-246].
Maßgeblich für das römische Engagement war der fortschreitende Zerfall des Seleukidenreiches (s.o.). Zwar gelang es Demetrios II. (mit den Beinamen Theos Nikator Philadelphos) nochmals kurzzeitig, größere Teile des seleukidischen Kernlandes Syrien unter seine Kontrolle zu bringen [Meißner, 86], jedoch führten der Thronstreit (115-96 v.Chr.) zwischen seinem Sohn Antiochus VIII. Grypos und dessen Stiefbruder Antiochos IX. Kyzikenos zur neuerlichen Desintegration des Reiches, zumal sich der Kampf um die Macht im seleukidischen Herrschaftshaus auch in der folgenden Generation fortsetzte. Hiervon profitierten kleinere Reichsteile. So wurde Judäa in dieser Zeit selbständiges Königreich (→ Hasmonäer
Auch das Ptolemäerreich musste ab dem 2. Jh. v.Chr. eine fortwährende Erosion der außenpolitischen Macht hinnehmen, der man innenpolitisch durch eine Bürokratisierung und Rationalisierung des Herrschaftssystems zu begegnen suchte [Meißner, 63]. Jedoch verhinderten auch hier – wie im Seleukidenreich – Thronstreitigkeiten und innere Unruhen (u.a. Aufstand des Dionysos: 165 v.Chr.) eine Konsolidierung der Lage. Die Auseinandersetzungen zwischen Ptolemaios VIII. Euergetes und der Witwe seines Vorgängers, Kleopatra II., die er zunächst geehelicht, dann aber zugunsten von deren Tochter Kleopatra III. verworfen hatte, führten 132 v.Chr. zu einem offenen Bürgerkrieg, den Ptolemaios VIII. nach wechselvollem Kriegsglück zwar zunächst für sich entscheiden konnte. Die Auseinandersetzungen der beiden Frauen Kleopatra II. und III. und ihrer Söhne um die Aufteilung der Macht und der Reichsgebiete, die faktisch zu selbständigen Territorien geworden waren, destabilisierten aber bald nach Ptolemaios VIII. Tod im Jahr 116 v.Chr. weiter die ptolemäische Herrschaft [zu den Ereignissen vgl. ausführlich Hölbl, 172-194]. Die Kyrenaika, 96 v.Chr. von Ptolemaios Apion den Römern testamentarisch vermacht, wurde 74 v.Chr. von diesen annektiert und 67 v.Chr. in die Provinzstruktur eingegliedert.
Die nun folgenden ptolemäischen Herrscher im Kernland Ägyptens müssen als Spielball äußerer Mächte betrachtet werden. Spätestens seit dem letzten Viertel des 2. Jh. stellte das sich immer weiter in Thronstreitigkeiten aufreibende ptolemäische Reich ein römisches Protektorat dar. 58 v.Chr. erfolgte die Annektion Zyperns durch Rom. Etwa zeitgleich führte die hohe Steuerlast zu Aufständen in Ägypten, in deren Kontext Ptolemaios XII. sein Leben verlor. Seine älteste Tochter Kleopatra VII. konnte sich schließlich mit der Hilfe Julius Caesars gegen ihren Bruder Ptolemaios XIII. durchsetzen (u.a. Alexandrinischer Krieg, 48-47 v.Chr.). Nach dem Tod des römischen Diktators eroberte Octavian im Sommer 30 v.Chr. im Zuge des römischen Bürgerkrieges die unter der Herrschaft von Antonius und Kleopatra VIII. stehende ägyptische Hauptstadt Alexandria und gliederte das Ptolemäerreich in das Imperium ein (offizielle Annektion am 1. bzw. 3. August 30 v. Chr. [Hölbl 223-224; zur Datierung Geraci, 159; Hölbl, 226]). Damit endeten die politische Selbstständigkeit der hellenistischen Reiche und die politische Geschichte des Hellenismus im Mittelmeerraum.
3. Politische Struktur der Diadochenreiche
Die Struktur der einzelnen Reiche weist teilweise große Unterschiede auf, zeigt aber doch auch eine Reihe prägnanter Gemeinsamkeiten:
3.1. Legitimation
So versuchten alle Dynastien, ihr Königtum aufgrund der Alexandernachfolge (διαδοχή, diadochē) zu legitimieren. De facto legitimierten sie sich durch die Akklamation durch das Heer, welches ihre Macht garantierte.
Beide Legitimationsformen haben Auswirkungen auf die Staatsform. Denn durch die starke Fixierung auf die Dynastie und auf das Charisma des jeweiligen Herrschers besteht ein starkes Personalprinzip. Die hellenistischen Staaten existierten daher nicht unabhängig von der herrschenden Dynastie. Das Königtum war kein staatliches Amt, sondern eine persönliche Würde, der Monarch sah den begrifflich davon nicht abgegrenzten Staat als seine Angelegenheit (vgl. hierzu Polybios 5,41). Das Land galt theoretisch als Besitz des Königs (weshalb dieser es auch testamentarisch an eine fremde Macht wie die Römer übereignen konnte; so geschehen 133 v.Chr. in Pergamon u.ö.).
Als typisches Charakteristikum des Hellenismus mit starker Ausstrahlung in die römische Epoche hinein ist der Personenkult anzusehen, der sich mit Bezug auf Alexander d. Gr. entwickelt hatte, sich aber religionsphänomenologisch aus unterschiedlichen Wurzeln nährt [Chaniotis, 431-436; Gehrke, 84]. Nach anfänglichem Zögern der Diadochen wurde der Herrschaftskult insb. von den Epigonen als weitere Legitimation ihrer Macht gefördert [Chaniotis; zur Entwicklung des Herrscherkults allg. s. Walbank, Könige]. Anscheinend wurde die kultische Verehrung der hellenistischen Herrscher zunächst in den autonomen bzw. pseud-autonomen Poleis Griechenlands praktiziert [Chaniotis, 436.439; Habicht (1970), 160-171]. Nachdem die Diadochen zunächst nur als „gottgleich“ bezeichnet wurden, bezeichneten erstmals die Rhodier im Jahre 304 v.Chr. Ptolemaios I. als Gott und nannten ihn σωτήρ (sōtēr, „Retter“). Inwiefern der Herrscherkult eine Anbindung zur gelebten Religiosität besaß, ist aber fraglich, und aufgrund der religionsgeschichtlichen Vorgaben am ehesten im ptolemäischen Raum anzunehmen. „So liegt der Schwerpunkt des Herrscherkultes im Politischen; er ist weniger Ausdruck von Religiosität, sondern vor allem von Loyalität durch die Untertanen“ [Gehrke, 85].
3.2. Verwaltungsstruktur
Die Verwaltung und Regierung der hellenistischen Reiche lässt sich im Großen und Ganzen als absolutistisch beschreiben. Sie war weitestgehend zentralistisch aufgebaut und wurde von Berufsbeamten organisiert. Jedoch gilt es zu berücksichtigen, dass alle hellenistischen Reiche aus vormals selbstständigen politischen Einheiten zusammengesetzt waren und deren Verwaltungsstruktur mit den spezifischen Eigenheiten quasi „erbten“. Hierzu zählen z.B. im griechisch-kleinasiatischen Raum die Verwaltungsstrukturen der Poleis, in Ägypten die differenzierte Verwaltungshierarchie mit ihrem Gegensatz von dörflich geprägtem Land und den städtischen Metropolen. Daher vereinte die zentrale Kontrolle der jeweiligen hellenistischen Reiche ein bunt strukturiertes kommunales Leben unter ihrem Dach [Meißner, 101-102].
Die kommunale Vielfalt wurde durch ein straffes Zentralisierungsprinzip zusammengehalten. Verwaltung und Gesetzgebung liefen im Herrschaftssitz zusammen und erfolgten hauptsächlich mit Hilfe schriftlicher Erlasse. Die Verwaltung des ptolemäischen Reiches erlaubt hier einen guten Einblick in die ausskalierte Bürokratie: Zu unterscheiden sind Prostagma / πρόσταγμα (Anordnung des Königs oder seiner Beamten), Programma / πρόγραμμα (Verfügung), Diagramma / διάγραμμα (Verordnung) und Diorthoma / διόρθωμα (Berichtigung von Vorschriften) [Meißner, 104]. Hinzu tritt der Brief (ἐπιστολή, epistolē), der auch die übliche Form der Eingabe darstellte und nach der zugrundeliegenden Fiktion eines persönlichen Treffens mit dem König Enteuxis / ἔντευξις heißt [Meißner, 104].
Im Zentrum des administrativen Systems aller hellenistischen Reiche stand der König, auf dessen Person der gesamte zentrale Verwaltungsstab zugeschnitten war. Die Ausbildung eines Königshofs ist daher ein charakteristisches Merkmal der hellenistischen Monarchie [Gehrke, 175]. Beraten wurde der Herrscher von einem Gremium aus Freunden (φίλοι, philoi) und als Verwandte (συγγενεῖς, syngeneis) bezeichneten Personen [zur Ambivalenz dieses Systems Gehrke, 53; bis heute hierzu grundlegend: Habicht (1958)], deren hierarchische Differenzierung zunächst informell war, die sich aber mit der feineren Ausziselierung der Verwaltung zu Beginn des 2. Jh. v.Chr. zunehmend verfestigte.
Zu diesem zentralistischen Grundprinzip verhält sich die regionale Verwaltung komplementär. Jedoch sind Königsland und sog. Außenbesitzungen zu unterscheiden: Die Außenbesitzungen gehörten nicht zum Königsland mit seiner Bezirksstruktur. Sie bildeten einen eigenen Territorialtypus und unterstanden i.d.R. einem Strategen. Zu den Außenbesitzungen des Ptolemäerreiches gehörten Kyrene, Teile Syriens, Zypern und die Küsten des Roten und des Indischen Meeres.
Gerade bzgl. der Außenbesitzungen weicht das Seleukidenreich von der ptolemäischen Organisationsform ab. Je nach Größe und politischem System wurden die Gebiete im Vielvölkereich der Seleukiden als „Völker“ (ἔθνη, ethnē), „Städte“ (πόλεις, poleis) oder „Herrschaftsbereiche“ (δυναστείαι, dynasteiai) bezeichnet. Diese Enklaven, die nicht unter direkter Verwaltung des Diadochenherrschers bzw. seiner Vertreter standen, sondern ihre ursprüngliche Verwaltung als tributpflichtige Vasallen beibehielten, blieben in dieser Form bis zum Ende des Hellenismus bestehen. Einige davon machten sich jedoch im Laufe der Zeit selbstständig, insbesondere an der Peripherie des Seleukidenreiches.
Die Verwaltung des Königslandes lässt sich wieder am besten für das ptolemäische Gebiet rekonstruieren [zu Königsland in Kleinasien vgl. Mileta]: Ägypten war in rund 40 Bezirke (νόμοι, nomoi) eingeteilt. Das finanzwirtschaftliche Moment ist prägend: geführt wurde der Nomos vom Nomarchen, der für die wirtschaftlichen, insb. landwirtschaftlichen Belange verantwortlich war, dem Oikonomos, dem die Finanzverwaltung unterlag und dem königlichen Schreiber (βασιλικὸς γραμματεύς, basilikos grammateus), der für Buchführung und Registrierung verantwortlich zeichnete [Gehrke, 58; Schmitt / Nollé / Brodersen, 878-879].
Unterbezirke (τόποι, topoi) und Dörfer (κώμαι, kōmai) bilden die weitere Untergliederung des Königslandes. Toparchen und Topogrammateis bzw. Komarchen / Komogrammateis und Antigrapheis waren den Bezirksbeamten zu ihrer Verwaltung zugeordnet. Diese Bezirksverwaltung unterstand dem in Alexandreia residierenden Dioiketes / διοικητής, dem Minister für Verwaltungsangelegenheiten, und seinem Büro. Parallel zu dieser ökonomisch ausgerichteten Verwaltungsstruktur unterstanden die Bezirke in polizeilicher und militärischer Hinsicht einem Strategen, der wie der Dioiketes, direkt dem König gegenüber verantwortlich war. Ihre aus heutiger Sicht klassische Form fand die Bezirksverwaltung im 3. Jahrhundert v.Chr. unter Ptolemaios III. (246–221 v.Chr.). Jedoch lässt sich bereits im 2. Jh. die Tendenz beobachten, dass die Strategen die gesamte Verwaltung der Nomoi übernehmen. Auch wurde die Amtsstruktur durch die Einfügung von Epistrategen, die für einen ganzen Landesteil (χώρα / chōra) zuständig waren, und einem für das Justizwesen zuständigen Archidikastes erweitert [Gehrke, 58; Schmitt / Nollé / Brodersen, 878-879].
Auch wenn die Quellen für das seleukidische Reich ein weniger genaues Bild ergeben [vgl. hierzu Schmitt / Nollé (2005b), 957-958; bis heute grundlegend: Bikerman] so ist die ökonomische Ausrichtung der Verwaltung auch hier evident. Deutlich steht die zentrale, königliche Kasse (βασιλικόν, basilikón) mit ihrem führenden Beamten (ὁ ἐπὶ τῶν προσόδων, ho epi tōn prosódōn, d.i. „der für die Einkünfte Zuständige“) an der Spitze der Verwaltungshierarchie. Die in den einzelnen Satrapien zuständigen Funktionäre scheinen aber anders als im Ptolemäerreich hauptsächlich für den Einzug der Steuern und weniger für die Leitung der Wirtschaft zuständig gewesen zu sein. Wesentlich für die seleukidische Verwaltung ist die Verwaltung der Reichsprovinzen durch Satrapen und Strategen, die sowohl für zivile wie militärische Belange zuständig waren. In Anlehnung an ältere orientalische Regierungsformen besaß der oberste Minister (in der modernen Literatur oft als Wesir oder Kanzler bezeichnet; griechisch ὁ ἐπὶ τῶν πραγμάτων, ho epi ton pragmáton, d.i. „Geschäftsführer“) wahrscheinlich mehr Befugnisse als ein ptolemäischer Dioiketes.
Parallel zu den hellenistischen Königreichen entwickeln sich innerhalb Griechenlands auf Basis älterer Kult- und Kampfbünde spätgriechische Bundesrepubliken (κοινά, koiná), von denen viele ihr Wirken erst unter direkter römischer Einflussnahme einstellen (zum Teil erst spät in röm. Zeit, wie der Lykische Bund in Kleinasien, der 43 n. Chr. aufgelöst wurde) [Gehrke, 73f.277; grundlegend: Larson]. Zu machtpolitischem Einfluss gelangten vor allem der Aitolische (zeitweilig ganz Mittelgriechenland umfassende) und der Achaiische Bund (mit dem Schwerpunkt auf der Peleponnes) [Scholten; Lehmann].
Innerhalb dieser Stadtbünde blieben die einzelnen Poleis innenpolitisch autonom, gaben aber große Teile ihrer außenpolitischen und militärischen Befugnisse an die übergeordnete Instanz des Bundes ab. Diese Instanz manifestierte sich nicht zuletzt in der Bundesversammlung, deren Kompetenzen von Bund zu Bund variierten, und in den jeweiligen Bundesbeamten, denen die Vertretung des Bundes nach außen oblag.
3.3. Gesellschaft und Sozialstruktur
Kennzeichnend für die hellenistische Gesellschaftsstruktur ist die Aufteilung in Nationalitäten (bzw. Hellenen – Indigenen). Wenngleich die Bipolarität keine schwerwiegenden Konflikte hervorrief [Gehrke, 65], so führten die Verwerfung der von Alexander dem Großen propagierten Gleichberechtigung aller Untertanen und die Bevorzugung hellenistischer Funktionsträger für die Reichsverwaltung in allen hellenistischen Nachfolgestaaten zu sozialen Differenzierungen und einer hellenistischen Oberschicht, was entsprechende sozialökonomische Folgen zeitigte.
Auch im juristischen Bereich findet sich die faktische Existenz einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bezeugt: so wurden im Ptolemäerreich Ägypter mit der Peitsche, Griechen lediglich mit dem Stock gezüchtigt [vgl. Philo, In Flaccum 10]. Mischehen waren teilweise untersagt, jede Bevölkerungsgruppe unterlag ihrem eigenen Recht. Prozesse zwischen Menschen verschiedener ethnischer Gruppen wurden vor besonderen Gerichten verhandelt
In Ägypten lässt sich zudem ein ethnologisches Nord-Süd Gefälle beobachten. Während im Norden Ägyptens, insb. im Fayum, überproportional viele Griechen siedelten, findet sich diese Bevölkerungsgruppe eher selten im Süden des Landes.
Die Mehrheit der indigenen Bevölkerung, etwa 6,5 Millionen Menschen [Gehrke, 68], verdiente ihr Auskommen entweder als Tagelöhner und Landarbeiter oder war als Bauer abgabenpflichtiger Pächter von Königsland.
Aus diesem Grundschema ragen in Ägypten drei Gruppen heraus: die Gruppe der Priester bildete seit je her eine eigene soziologische Entität. Neu waren seit dem 3. Jh. v.Chr. die sog. Μάχιμοι / máchimoi, Wehrbauern, die ihr für den Wehrdienst erhaltenes Land (sog. Kleros) selbst bebauten und zunehmend die Oberschicht der Dörfer gebildet zu haben scheinen [Gehrke, 68]. Die dritte Gruppe, die sog. Kleruchen, bildeten eine Schicht von Pächtern, die ihr Land weiterverpachten konnten oder mit angemieteten Kräften bearbeiteten. Sie bildeten, insb. nachdem die Kleroi faktisch vererbbar geworden waren [Gehrke, 69] die wohlhabende indigene Gesellschaftsgruppe.
Auch im seleukidischen Reichsgebiet lässt sich diese Bipolarität von Hellenen und Indigenen beobachten. Anders als im Ptolemäerreich ist die charakteristische ländliche Existenzform des an sein Dorf gebundenen oder hörigen Bauern. In griechischen Quellen werden diese Bauern pauschal als λαοί / laoí bezeichnet [ausführlich Papazoglou].
Die Sklaverei spielte in den östlichen hellenistischen Reichen gegenüber diesen traditionellen Formen der Abhängigkeit eine untergeordnete Rolle, und lässt sich dort vor allem in griechischen Besitzungen der östlichen Reiche nachweisen. Im kleinasiatischen, d.h. ursprünglich griechischen Raum, war die wirtschaftliche Bedeutung der Sklaverei traditionell größer [Gehrke, 70; Reger, 335].
4. Wirtschaft
4.1. Wirtschaftssystem
Wenngleich seitens der neueren Forschung zu Recht kritisch hinterfragt wird, ob man die Wirtschaftspolitik der hellenistischen Reiche als Planwirtschaft bezeichnen darf [so noch Rostovtzeff; Préaux; dagegen abwägend Gehrke, 180-182], so lässt sich ihr doch ein stark zentralisierter und durchorganisierter Grundgedanke, insb. im Ptolemäerreich, nicht absprechen. Die Papyrusfunde dokumentieren eine staatliche Planwirtschaft, in der der Herrscher durch verschiedenste Vorgehensweisen bis zu einem Drittel aller Erträge abschöpfen konnte. Das Nilland bildete einen nach außen abgeschlossenen Wirtschaftsbereich, zu dem die ptolemäische Hauptstadt Alexandria, einer der größten Handelsplätze der Antike, als Marktplatz diente. Staatlich vergebene Monopole schufen einen Ausgleich zwischen staatlicher Planungssicherheit und privatwirtschaftlicher Initiative.
Dadurch hat die Wirtschaftpolitik der hellenistischen Reiche die betreffenden Landschaften vielfach nicht nur soziologisch (z.B. durch Ansiedlung von Kleruchen), sondern auch ökologisch (durch gesteuerten Transfer von Agrartechniken) zutiefst geprägt.
So förderten etwa die Seleukiden nachhaltig den Weinbau im babylonischen Raum, Ägypten entwickelte sich unter den Ptolemäern mit Hilfe moderner Anbaumethoden zum wichtigsten Getreideexporteur im östlichen Mittelmeerraum.
Als für die weitere Geschichte besonders wichtig erweist sich hierbei die Wirtschaftsförderung der Seleukiden, die durch den Ausbau der Infrastruktur eine deutliche Verbesserung des Handels (und damit der Staatseinnahmen) zu erzielen suchten. Hierzu zählten die Gründung wirtschaftsstrategisch günstig liegender Städte im nördlichen Syrien (u.a. Laodikeia) und die Anlage künstlicher Häfen am Mittelmeer, um den vorderasiatischen Karawanenwegen eine Anbindung an den Seehandel zu ermöglichen [zur seleukidischen Wirtschaft vgl. ausführlich Aperghis 2004; Salles; sowie die Beiträge in Archibald].
4.2. Geld
Münzemissionen und Denominationen standen unter Kontrolle des jeweils Herrschenden, der das Münzrecht jedoch oftmals weitergab [z.B. Übertragung des Münzrechtes an die Juden unter Simon (142-134 v.Chr.) durch Antiochus VII. (1Makk 15,5-6
Lediglich im Ptolemäerreich erfolgte eine frühe Umstellung. Hier stoppte bereits Ptolemaios I. um 310 v.Chr. die Prägung nach attischem Münzfuß und führte die ptolemäische Tetradrachme (zu 14,3 gr.) ein [Howgego, 52-53].
Grundsätzlich lässt sich eine Fortsetzung der bereits im 4. Jh. v.Chr. begonnenen Zunahme von Bronzeemissionen und damit eine Monetarisierung der Gesellschaft beobachten. Jedoch führte dies nicht zu einer kompletten Verdrängung des Tauschhandels und anderer nicht-monetärer Handelsformen [Le Rider, 815-819].
In Ägypten wickelte die königliche Staatsbank (βασιλικὴ τράπεζα, basilikē trápeza) auswärtige Geldgeschäfte über ihre Hauptstelle in Alexandria und den inländischen Zahlungsverkehr über zahlreiche Zweigstellen im ganzen Reich ab [Gehrke, 182; ausführlich Bogaert, (1994;1998)].
4.3. Handel und Steuern
Eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben der hellenistischen Monarchien spielten die öffentlichen Banken der Poleis [Reger, 341] sowie in Ägypten die königlichen Lagerhäuser (θησαυροί, thēsauroí), welche neben dem Handel mit Naturalien (z.B. Getreide) wie die öffentlichen Banken zahlreiche Finanzdienstleistungen anboten. Daneben existierte ein umfangreiches privates Banksystem [Reger, 342].
In Ägypten bildeten die Einnahmen der Lagerhäuser gemeinsam mit den Erträgen der Krongüter, die vom sog. Idiologos (ἰδιολόγος) geleitet wurden, den Zöllen und den von Steuerpächtern (τελώναι, telōnai) eingetriebenen Steuern die Grundlage des Staatshaushalts. Quantitative Aussagen sind aufgrund des Quellenmaterials schwer zu fällen. Gegenwärtig wird der Wert der erwirtschafteten Agrarprodukte im seleukidischen Zweistromland bei angenommenen 5-6 Millionen Einwohnern auf 10.000 Talente Silber, aus denen 6000 Talente an Abgaben und Steuern herausgezogen werden konnten, geschätzt [Aperghis (2001)]. Eine wichtige Einnahme bildeten aber auch die Außenhandelszölle und die durch eine Erweiterung des Osthandels hervorgerufenen beträchtlichen Außenhandelsüberschüsse.
4.4. Gewerbe
Sieht man von den umfangreichen Monopolregelungen im ptolemäischen Ägypten ab, so besaß das Gewerbe in hellenistischer Zeit die gleichen privatwirtschaftlichen Möglichkeiten wie in der vorangehenden Epoche. Die Legende, nach der sich Antiochus IV. lieber mit Handwerkern über den technischen Fortschritt unterhalten als regiert habe [Polybios 36,1,2], lässt sich vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Interesses aller hellenistischer Herrscher interpretieren.
Eine Massenproduktion von Gütern ist nicht sicher nachweisbar, daher dürfte die typische, gewerbliche Betriebseinheit vergleichsweise klein anzusetzen sein [Walbank: „vermutlich der Besitzer und ein oder zwei Sklaven“, 168].
5. Heer und Kriegführung
Das Heer war für die hellenistischen Herrscher sowohl als außenpolitisches Machtmittel als auch als Legitimationsbasis nach innen vor allem in der Zeit der Diadochen von grundlegender Bedeutung. Jedoch wird der innenpolitische Aspekt bereits unter den frühen Epigonen durch die steigende Bedeutung der jeweiligen Hauptstadtbevölkerung in den Hintergrund gerückt [Gehrke, 117]. Ein wichtiges Charakteristikum ist die personale Beziehung von König und Heer, die sich u.a. im direkten Eid auf den Herrscher (und nicht auf das Reich) manifestiert. So gehören die militärische Funktion des Herrschers und damit seine Verbindung zum Heer zu den Grundpfeilern hellenistischer Herrschaft [dazu ausführlich Baker, 374-376]. Bezeichnenderweise starben 10 von 14 seleukidischen Herrschern in einer Schlacht!
Grundsätzlich orientieren sich alle Diadochenreiche im Wesentlichen an der militärischen Tradition Philipps II. bzw. Alexanders des Großen. Daher lassen sich zunächst in allen hellenistischen Heeren drei Hauptgruppen ausmachen: die makedonische Garde (ἄγημα, agēma), die aus Hopliten und Reitern bestand, die griechisch-makedonische Phalanx aus Schwerbewaffneten und eine Anzahl von nichtgriechischen Söldnern, i.d.R. Spezialisten (z.B. persische Bogenschützen). Jedoch lassen sich in den unterschiedlichen hellenistischen Reichen im Detail durchaus große Unterschiede und divergierende Entwicklungen erkennen [Überblick: Baker, Patrick; grundlegend sind: Launey; spez. zu den Seleukiden: Bar-Kochva; zu den Ptolemäern: Heinen; Lesquier; zu den Antigoniden: Hatzopoulos].
5.1. Funktion
Von der makedonischen Heeresversammlung (ἐκκλησία πάνδημος, ekklēsía pándēmos) hatten die hellenistischen Heere neben der Landesverteidigung insbesondere vier Aufgaben übernommen: die Ausrufung oder Bestätigung eines Königs (Akklamation), die Einsetzung von Vormündern für unmündige Könige, die Anerkennung königlicher Testamente und die Verurteilung politischer Gegner des Herrschers. Ob diese Aufgaben auf einen rechtlichen Hintergrund zurückgehen [Hinweise zur Diskussion bei Gehrke, 117], Ausdruck politischer Inszenierung oder den machtpolitischen Verhältnissen geschuldet waren, ist diachron differenziert und für den jeweiligen Fall zu betrachten. Dass Entscheidungen des Heeres zumindest in der frühen hellenistischen Zeit eine gewisse juristische Autorität zugemessen wurde, belegt die Tatsache, dass unter anderem Ptolemaios den Eumenes, Kassandros die Olympias und schließlich Antigonos den Kassandros vom Heer verurteilen ließen, und nicht selbst das Urteil sprachen.
5.2. Größe und Gattungen
Die Größe der Heere dürfte je nach Feldzug starken Schwankungen unterlegen haben. Zuverlässige Zahlen sind schwer zu ermitteln, es darf aber als gesichert gelten, dass die hellenistischen Heere, verglichen mit den Armeen der klassischen Zeit, gewaltig waren [Gauger, 397-398]. Die Zahlenangabe von gut 70.000 Soldaten pro Seite für die Schlachten von Ipsos (301 v.Chr.), Raphia (217 v.Chr.) und Magnesia (190 v.Chr.) erscheinen durchaus realistisch. Appian beziffert die Größe des ptolomäischen Heeres auf über 200.000 Fußsoldaten, 40.000 Reiter, 300 Kriegselefanten, 2.000 Streitwagen, 1.500 große und 2.000 kleine Kriegsschiffe [Appian praef. 10, dazu: Baker, 378].
Bezgl. der Waffengattungen und Taktik entwickeln sich die Heere auf Basis des makedonischen militärischen Erbes. So bleibt alleine bei den Antigoniden die makedonische Phalanx als Kern des Aufgebotes erhalten. Charakteristisch war hier die überlange Sarisse. Dagegen hat man bei Ptolemäern und Seleukiden zunehmend - wie schon im Alexanderheer - auf indigene Soldaten zurückgegriffen (u.a. in Ägypten ab dem ausgehenden 3. Jh. Rekrutierung von einheimischen Kriegsfähigen, sog. machimoi [s.o.]), die insb. im Seleukidenreich an ihrer eigenen, traditionellen Bewaffnung festhielten.
Daneben zeichnen sich als Charakteristikum des Hellenismus die zahlreichen technischen und militärischen Spezialeinheiten ab [Baker, 377-380]. Am markantesten sind in diesem Kontext sicherlich die seleukidischen Kriegselephanten [jedoch nur bis zur Schlacht von Magnesia 189 v.Chr.; Baker, 380], ferner der Einsatz von Kamelen, Kampfwagen, gepanzerten Reitern (κατάφρακτοι, katáphraktoi)) und diverser technischer Neuerungen. So wurden erstmals im großen Stil Belagerungsmaschinen eingesetzt, wobei sowohl die Belagerungs- als auch die Befestigungstechnik gewaltige Fortschritte machte [Garlan; McNicoll]. Auch wuchsen Zahl und Größe der Kriegsschiffe gewaltig an [Baker, 380-381].
Bsp.: Die größten Schiffe der Euphratflotte Alexanders des Großen besaßen lediglich fünf Reihen, bereits zur Zeit der Schlacht von Ipsos 301 v.Chr. ließ Demetrios Poliorketes aber dreizehnreihige Schiffe bauen. Die sechzehnreihige Hekkaidekere (ἑκκαιδεκήρης) markierte dann den Höhepunkt der auf praktischen Nutzwert ausgerichteten Schiffsentwicklung. Die später von den Ptolemäern gebauten zwanzig-, dreißig- und vierzigreihigen Schiffe waren dagegen wohl reine Schaustücke, die nur in sehr kleinen Stückzahlen gebaut wurden.
Taktisch betrachtet blieb das Zusammenspiel von Phalanx und Kavallerie grundlegend, jedoch lässt sich eine starke Aufwertung und der verstärkte Einsatz der leichten Infanterie und von Spezialeinheiten beobachten [Baker, 380].
5.3. Stehendes Heer und Kleruchen
Ein weiterer typischer Zug der hellenistischen Militärgeschichte ist die Unterscheidung von stehenden Truppen (die u.a. auch für Besatzungs- und Polizeiaufgaben eingesetzt wurden) und der nur bei Bedarf mobilisierten Reserve.
Zu diesem Reserveheer zählen die insb. für das Ptolemäerreich gut dokumentierten Kleruchen. Hierbei handelt es sich um ehemalige Soldaten oder Funktionäre, die als Gegenleistung für ein Stück Land (κλῆρος / klēros), das freilich prekär war und einem Pachtzins unterlag, vom Herrscher für hoheitliche, insb. militärische Dienstleistungen herangezogen werden konnten. Derartige Militärsiedler (κάτοικοι κληροῦχοι, katoikoi klērouchoi) bildeten auch im Seleukidenreich eine Art Reserveheer. Während die Ansiedlung unter den Ptolemäern aber eher im dörflichen Kontext erfolgte, ist die Ansiedlung in stadtartigen Kolonien typisch für das seleukidische System [zusammenfassend: Baker, 378; zu den Unterschieden des ptol. und des sel. Systems Orth; Cohen].
6. Religion und Kult
Im Sachfeld der Religion bietet die hellenistische Epoche eine bemerkenswerte Mischung aus Tradition und Neuerung, die durch die religiös tolerante Haltung der hellenistischen Dynastien sicherlich gefördert wurde. In keinem anderen Bereich ist die Akkulturation der griechisch-hellenistischen mit den indigenen Kulturen so stark wie hier.
Dessen ungeachtet wurden aber auch die alten Kulte kontinuierlich fortgeführt [sogar bis in Details auf praktischer Ebene, vgl. Potter, 408-413]. Zuweilen hat es sogar den Anschein, dass verschiedene Poliskulte geradezu neue Popularität gewannen und im Zuge der eigenen Identitätswahrung verstärkt gepflegt wurden [Gehrke, 78]. Jedoch lässt sich eine gewisse henotheistische Tendenz auch im Rahmen der traditionellen Kultverehrung nicht übersehen [Versnel; Bilde]. Wohl auch aufgrund dieser Tendenz lässt der durch die politischen Wirrnisse geprägte hellenistische Lebenshorizont Gottheiten wie die Personifikation des Schicksals - Tyche - populär werden.
Die beiden charakteristischsten Merkmale des Hellenismus, die bis in die römische Kaiserzeit hinein religiös dominieren, sind aber die Inkorporation orientalisch-ägyptischer Gottesvorstellungen in die eigene Gottessystematik (sog. Interpretatio Graeca, z.B. Zeus Helios – der Sonnengott), und das Erstarken der Mysterienreligionen. Im Bereich der letzteren sind die Kulte der Kybele, der Isis und des Mithras hervorzuheben, wenngleich bei allen diesen Kulten diskutiert werden kann, ob die betreffenden Kulte sich u.U. erst in römischer Zeit durchgesetzt haben [zur Diskussion Gehrke, 202-205]. Dem Kult des Sarapis ist insofern eine Sonderrolle einzuräumen, als es sich um einen von der ptolemäischen Dynastie offiziell geförderten Kult handelte [Brady; dagegen Gehrke, 205].
Allen diesen Kulten ist gemein, dass in ihnen nicht (wie bei den alten Kulten) die Kultgemeinschaft identisch mit der Bürgerschaft einer Polis war, und so eine gemeinsame - durch Initiation manifestierte - religiöse Gruppenidentität jenseits der politischen Grenzen möglich wurde. Typischerweise wurden die sozialen und geschlechtlichen Unterschiede der Kultanhänger relativiert. Die individuelle, im Kultgeschehen erfahrbare Nähe zur Gottheit scheint ein zentrales Moment für den Erfolg der Mysterienkulte gewesen zu sein. Der „Glaube“ als solcher erhielt ein starkes Gewicht [Gehrke, 201].
Wenngleich viele Eigenheiten der Mysterienreligionen auf Eigenheiten des Christentums vorverweisen [so zu stark die ältere, bei Gehrke, 200 zusammengefasste Forschung] und sicherlich mentalitätsgeschichtlich vorbereiten, so handelt es sich doch um eine Fortführung der traditionellen griechischen Votivreligiosität unter synkretistischen Vorzeichen [an vielen Details aufgezeigt bei Burkert, passim].
Daneben prosperierten die subkulturellen religiösen Praktiken der Zauberei und Magie; der Glaube an gute und böse Daimones war ebenso populär wie die Astrologie [Gasparro; Gordon].
Markant ist der Herrscherkult im Hellenismus, der letztendlich auf Alexanders Vergöttlichung von 324 v.Chr. zurückgeführt werden kann [Walbank (1987); Chaniotis, 434-435]. Die Diadochen setzten zunächst den Alexanderkult fort, dessen Zentrum (im ptolemäischen Ägypten) Alexanders Grab (σῆμα, sēma) in Alexandria bildete, förderten bald aber auch Legenden über ihre eigene göttliche Abstammung (u.a. Herakles als Ahnherr der Ptolemäer; Apollon als Ahne der Seleukiden). Eine Ausnahme bildet Makedonien, in dem keine kultische Verehrung des Herrschers stattfand. Zum eigentlichen Herrscherkult siehe oben Abschnitt 3.1.
Einen erstaunlichen Aufschwung insbesondere in Ägypten verzeichnete das Diasporajudentum, als dessen zweites geistiges Zentrum sich neben Jerusalem das ägyptische Alexandria etablierte. Zwar gehen die antiken Aussagen über den Beginn der jüdischen Migration in hellenistischer Zeit auseinander (entweder unter Alexander oder unter Ptolemaios I. Soter). Jedoch war ihre gesellschaftliche Akkulturation so groß, dass Ptolemaios IV. Philometor den Bau eines jüdischen Tempels in Leontopolis gestattete [dazu ausführlich Collins, 64-73]. Auch die Septuaginta und die Tatsache weiterer griechischer Rezensionen der Bibel deuten auf einen prosperierenden religiösen Hintergrund des Judentums. Wenngleich gewisse Ressentiments gegenüber dem Judentum auch in der frühen hellenistischen Epoche nicht zu übersehen sind, so darf man doch von einem im wesentlichen spannungsfreien Verhältnis sprechen, dass sich erst unter dem Eindruck des Makkabäeraufstandes und den politischen Ambitionen der Hasmonäer umkehrte [Gehrke, 189-191].
7. Wissenschaft und Forschung
Bedingt durch eine Literalisierung der Bildung und der Erweiterung des Wahrnehmungs- und Denkhorizontes über die Polisgrenzen hinaus in die Weite der hellenistischen Reiche erlebten Wissenschaft, Technik und Philosophie insbesondere in der Zeit der Diadochen und der frühen Epigonen einen ungeheuren Aufschwung.
7.1. Philosophie
Inhaltlich ist die gesamte hellenistische Philosophie (parallel zu Tendenzen der hell. Religion) durch das Bemühen gekennzeichnet, dem Intellektuellen ihrer Zeit „Halt in einer offensichtlich unkontrollierbar gewordenen Welt, im Betonen des Privaten“ [Gehrke, 85] zu geben. Von ihrem äußeren Erscheinungsbild her ist sie durch die Existenz zahlreicher philosophischer Schulen geprägt, die sich als Kultverein organisierten [zum folgenden grundlegend: Flashar; Überblick durch Mitsis; Quellensammlung: Long].
Hierzu zählen Platons Akademie und der durch Theophrast (371-287 / 286 v.Chr.) in der Nachfolge seines Lehrers Aristoteles (384-322 v.Chr.) gegründete Peripatos in Athen. Gerade die Schriften der Peripatetiker legen ein beredtes Zeugnis sowohl für den Forschungs- als auch für den Lehrbetrieb ab. Letztendlich darf der Peripatos mit seiner - Logik, Wissenschaftslehre und praktische Philosophie umfassenden - Universalgelehrtheit als Vorbild für das Museion in Alexandrien betrachtet werden [Mußner, 121]. Dagegen erging sich die Akademie zunehmend in Zahlenspekulationen nach pythagoreischem Vorbild und ihrem von Platon übernommenen Skeptizismus gegenüber sinnlichen Wahrnehmungen.
Besonders starke Auswirkungen bis in die hellenistische Strömung der römischen Kaiserzeit hinein besaßen die philosophischen Richtungen der Stoa und der Epikureismus. Beiden Schulen ist gemein, dass ihr Fokus auf der praktischen Philosophie liegt, die mithilfe der Anthropologie, der Naturphilosophie und der Metaphysik abgestützt wird.
Die Stoa lässt sich mit dem Diktum „in Übereinstimmung mit der Welt leben“ ihres Gründers Zenon von Kition (334 / 333-262 / 261 v.Chr.) charakterisieren. Diese Übereinstimmung ergibt sich gemäß der Stoa dadurch, dass der Mensch durch Beachtung der Affekte (Leid, Wohlgefühl usw.) zu wohlüberlegten Präferenzentscheidungen in einer praktischen Lebensführung gelangen kann [vgl. Diogenes Laertius 7,87f.; Sextus Empiricus, Adversus mathematicos 11,64-67; Clemens Alexandrinus, Stromateis 4,5,19ff.; dazu Meißner, 118]. Durch die Identität des menschlichen Logos (der individuellen Vernunft) mit dem Universum wird diese Überlegung zum einen metaphysisch angebunden, zum anderen als Ausgangspunkt zur Betonung der Gleichheit aller Menschen genutzt [Gehrke, 87-88].
Epikur (342-271 / 270 v.Chr.) setzt in seinen Überlegungen den materialistischen Atomismus Demokrits voraus, wehrt sich aber trotzdem gegen einen hieraus zu folgernden strengen Determinismus. Stattdessen geht er von einer (freilich konditionierten) Wechselwirkung von atomarer Wirklichkeit und persönlicher Lebensführung aus [vgl. Cicero, De fato 22]. Ziel der Lebensführung soll der Hedonismus (Lebensfreude) sein, der jedoch nicht momentbezogen sein darf, sondern auf das allgemeine, langfristige Lebensglück zielen soll [Meißner, 118-121]. Ziel ist die Unerschütterlichkeit (ἀταραξία, ataraxia) der Seele [Gehrke, 88].
Der Späthellenismus ist durch sein eklektisches Denken geprägt, und orientiert sich noch stärker als die frühen hellenistischen Strömungen an der praktischen Lebensführung. Möglicherweise hat dies die Übernahme durch die römische Nobilität gefördert.
7.2. Technik und Wissenschaft
Wie schon im geisteswissenschaftlichen Bereich darf die Erweiterung des (Wirtschafts-)Raumes und das hieraus resultierende Zusammenkommen unterschiedlicher Denktraditionen als eine grundlegende Voraussetzung für den Aufschwung der technischen Wissenschaft und Anwendung in hellenistischer Zeit betrachtet werden. Förderlich waren desweiteren sicherlich die gestiegenen militärtechnischen Anforderungen, die seit jeher den allgemeinen technischen Fortschritt mit gefördert haben, sowie die enorme Konzentrationsmöglichkeit an Produktionsmitteln (Material, Personal und Finanzen), die die großen hellenistischen Reiche im Gegensatz zu den früheren Poleis besaßen.
Dabei ist im militärischen Kontext vor allem die Weiterentwicklung der Belagerungstechnik (bewegliche Belagerungstürme, Wurfgeschützte; Miniertechnik) augenscheinlich. Im landwirtschaftlichen Sektor wurden Be- und Entwässerungstechniken perfektioniert (u.a. Entwässerung und Urbarmachung des Fayums).
Jedoch machten auch die theoretischen Wissenschaften, insb. im alexandrinischen Museion, große Fortschritte [eine illustrative Übersicht bietet die Quellensammlung von Irby-Massie / Keyser]. U.a. gelangte die geographische Mathematik zur vollen Entfaltung, ebenso entstanden bedeutende Beiträge zur Philosophie und Astronomie. Die Ärzte Alexandriens, namentlich Herophilos von Chalcedon und Erasistratos von Julis, wagten sich als erste an eine umfassende Erforschung der menschlichen Anatomie.
Pars pro toto sei verwiesen auf die astronomischen Arbeiten des Eudoxos von Knidos († 352 v.Chr.) und vor allem des Aristarch († 230 v.Chr.), der das heliozentrische Weltbild begründete und die Drehung der Erde erkannte, sowie auf Eratosthenes von Kyrene [Geus], den vielleicht bedeutendsten Gelehrten des Hellenismus († 202 v.Chr.), der den Umfang der Erde berechnete und das System der Längengrade schuf.
Im Bereich der praktischen Geographie ist daran zu erinnern, dass Pytheas ungefähr zur Zeit Alexanders d. Gr. die Nordsee befuhr und Britannien entdeckte. Ptolemaios II. schickte Gesandte nach Indien und ließ das Innere Afrikas erforschen.
8. Literatur und Kunst
8.1. Literatur
Die Literatur des Hellenismus bewegt sich - sieht man von der genuinen Neuschöpfung des Romans ab [dazu Gehrke, 99.210] - weitestgehend im Rahmen bereits bekannter Gattungen (wie Drama, Elegie, Epigramm, Epos; Lyrik), die aber weiterentwickelt und umgestaltet werden. So ist die charakteristischste Gattung des Hellenismus die sogenannte „Neue Komödie“, wie sie u.a. bei Menander (342 / 341-291-290 v.Chr.), aber auch bei Philemon dem Jüngeren (3. Jh. v.Chr.) und Diphilos von Sinope (gest. vor 270 v.Chr.) vorliegt. Im Gegensatz zu älteren Komödienformen, welche zumeist die öffentliche Funktion der Protagonisten in den Fokus rückten, beschäftigt sie sich stärker mit dem Individuum an sich und seinen menschlichen Schwächen und Gefühlen und zieht ihre Verve oftmals aus den Verwicklungen von Liebesbeziehungen. Das Menanderzitat „Wie reizend ist ein Mensch, wenn er Mensch ist“ (frg. 484) bringt den Kern der Neuen Komödie gut auf den Punkt.
Förderung erhielt die zeitgenössische Literatur wie zuvor durch das literaturinteressierte bürgerliche Milieu der Städte, nun aber auch durch den jeweiligen Herrschaftshof – sei es direkt in Form königlicher Patronage oder sei es indirekt durch das kulturell interessierte Umfeld. Die Alimentation von Künstlern und Intellektuellen war wichtiger Bestandteil der herrschaftlichen Repräsentation.
Indirekt profitierte die Literatur insbesondere in Ägypten durch die herrschaftliche Förderung philologischer Forschung, welche die älteren Werke sammelte und sich um die Vereinheitlichung der oft kontaminierten Textüberlieferung sowie um die Kommentierung der Klassiker (insb. Homer; erste „wissenschaftliche“ Edition durch Zenodot von Ephesos) verdient machte. Ptolemaios II. gilt als größter Förderer dieser Arbeit. Die Bibliothek und das Museion in Alexandrien [dazu Canfora (1988); Erskine (1995)] boten vielen Literaten zudem eine Anstellung, die ihnen den finanziellen Freiraum für ihre literarische Tätigkeit schuf. Neben Alexandrien müssen Pergamon und Rhodos als herausragende Förderer der Literatur hervorgehoben werden.
Auf diese Weise hat der Hellenismus viele bemerkenswerte Werke hervorgebracht, wie etwa das Lehrgedicht Phainomena des Arat von Soloi, Kallimachos Kleinepos Hekale [Gesamtedition: Pfeiffer] und die Argonautensage des Apollonios von Rhodos [Ed.: Glei - Natzel-Glei]. Bis in die frühe Neuzeit beliebt war der sog. Alexanderroman; die Werke der Alexanderhistoriker dagegen scheinen nur in der Antike rezipiert worden zu sein und liegen nur noch fragmetarisch vor (s.o.). Dagegen haben sich von Polybios, der in den Historien den Aufstieg Roms zur Weltherrschaft beschreibt, große Abschnitte erhalten [maßgeblich Walbank (1957-1979); weitere Literatur bei Gehrke, 236; dazu auch Meißner 111-115].
8.2. Architektur
Repräsentationswille und Euergetismus der hellenistischen Herrscher veränderten auch die Rahmenbedingungen für Kunst und Architektur.
Charakteristisch für den Hellenismus [zum folgenden vgl. allg. Lauter] ist die schematisch-orthogonale, mit dem Namen Hippodamos verbundene Anlage von Städten, die zwar bereits im 5. Jh. entwickelt worden war, nun aber zum dominierenden Prinzip erhoben wurde [Gehrke, 102]. Markantes architektonisches Kennzeichen der Epoche ist die Zusammenfassung unterschiedlicher, an sich selbstständiger Gebäude oder Bauteile zu einem Komplex [Gehrke, 102; Lauter, 92-99], sowie Einbindung von Natur und Landschaft in die Architektur. Der monumentale Tempelbau trat dagegen (Ausnahme: Kleinasien) zurück [Lauter, 180-201].
Hellenistische Architekturformen entfalteten sich als Ausdrucksform städtischen Selbstverständnisses in Form von Tempeln, Gymnasien, Theatern und Plätzen in allen hellenistischen Reichen und Reichsteilen. So finden sich hellenistische Bauten auch in Baktrien [z.B. das Gymnasium in Aï Khanoum]. Auch in zahlreichen jüdischen Städten, lassen sich hell. Bauten nachweisen. Die Architektur des Hellenismus erweist sich daher als bester und nachhaltigster Botschafter der griechischen Kultur.
8.3. Bildende Kunst
Wie im Übrigen auch die architektonischen Relikte warten die Überbleibsel der bildenden Kunst auf eine umfassende historische Aufarbeitung [Stewart, 514; eine Übersicht verschafft Pollitt; zusammenfassend Robertson]. Ein Merkmal der bildenden Kunst der hellenistischen Zeit ist die intensive Auseinandersetzung mit dem Orient und den Barbaren (vgl. u.a. die Gallieranatheme Attalos I.; die Flucht des Darios vor Alexander (Alexandermosaik)).
Gleichzeitig scheint vor allem die Bildhauerei durch ein verstärktes Streben nach Realismus geprägt, dessen Ziel jedoch nicht die naturalistische Genauigkeit, sondern die erzielte Wirkung auf den Betrachter ist (weshalb die Proportionen von Skulpturen in der Messung oftmals „falsch“, in der Wirkung aber genau richtig sind). Wichtige Elemente dieser Richtung sind expressionistische Stilelemente und pathetische Motive (Beispiele: Trunkene Alte und Barberinischer Faun) sowie ein Ausgreifen der Figuren in den Raum (vgl. Faun, Laokoon-Gruppe) [vgl. mit vielen Abbildungen Pfrommer].
Daneben war die Unterstützung der herrscherlichen Selbstdarstellung eine wichtige Funktion der hellenistischen Kunst [Hesberg]. Durch die Verwendung göttlicher Attribute wurden die herausgehobene Stellung und die Sieghaftigkeit der Monarchen betont.
Zu den leider verloren gegangenen Elementen hellenistischer Kunst gehört die Malerei und hier insb. die Genremalerei, wie sie der ältere Plinius (35,112) beschreibt. Demnach entdeckte die hellenistische Malerei Alltags- und Augenblicksszenen gerade des einfachen Alltagsleben (z.B. Kinder, Fischer usw.). Die ebenfalls florierende Kunstform der Bukolik bildet die sentimentale, wohl oft kitschige Kehrseite der Genremalerei.
Literaturverzeichnis
Die neue aktuelle Forschung findet sich durch Fernoux / Legras / Yon und Gehrke kommentierend zusammengetragen. Diese beiden Werke stellen daher wertvolle Werkzeuge für einen tieferen Einstieg in die hellenistische Epoche dar. Die folgende Liste konzentriert sich dagegen auf die im vorliegenden Beitrag zitierte Literatur und unverzichtbare Standardwerke.
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