Hirt (NT)
(erstellt: Juni 2010)
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1. Hinführung
Von „Hirten“ spricht das Neue Testament häufig in Gleichnissen und Bildworten. Als
realer Beruf wird er nur in der Geburtsgeschichte Jesu (Lk 2,8f
2. Die synoptische und johanneische Tradition
Im folgenden sollen zunächst die synoptischen und dann die johanneischen Texte besprochen werden. Geht es im weiteren Verlauf lediglich um die „Aufzählung“ der jeweiligen Passagen mit einer kurzen Andeutung des jeweiligen Kommunikats, dann wäre (andernorts) die weiterführende Frage zu klären, ob die joh. Berichte nicht die synoptischen (ob alle drei, oder nur MkEv und LkEv) Erzählungen gekannt oder gar benutzt haben. Das hängt ganz entscheidend mit der Verortung des JohEv in diesem urchristlichen Strom der Theologiegeschichte zusammen. Diese Verortung ist jedoch höchst umstritten, einen Überblick über die möglichen Positionen bieten Labahn / Lang.
2.1. Die synoptische Tradition
Diese Traditionslinie hat dort messianisch-eschatologische Züge, wo es um die Sammlung der verlorenen Schafe aus dem Hause Israel durch den einen Hirten geht:
Mt 9,36
2.2. Die joh. Tradition
Die joh. Hirtenrede steht nicht umsonst vor dem großen Kapitel 11, das die Auferweckung des Lazarus sowie die sich daran anschließende Todesbeschluss-Szene in
Joh 11,46
Was hier im Rahmen des Bildwortes gesagt ist, wird in
Joh 18,38b-40
Exkurs: Zur religionsgeschichtlichen Signatur der Rede vom „Hirten“
Der
alttestamentliche Horizont lässt sich in zwei Traditionslinien teilen, die für die neutestamentliche Theologie besonders relevant sind: • die in der synoptischen Tradition zu erkennende Perspektive, wonach Gott selbst als der gute Hirte gedacht ist, der sein Volk Israel weidet. Tröstend kann dieser Gedanke angesichts des Exils in den Vordergrund treten, etwa im Psalter (Ps 23
In den
zwischentestamentarischen Schriften ist zuerst natürlich PsSal 17 (bes. PsSal 40-43) zu nennen, weil diese gesamte Passage ein intertextuelles Spiel mit Ez 34
Im
hellenistischen Rahmen wird etwa von Platon darauf verwiesen, dass die Herrscher mit den Hirten zu vergleichen seien, denn der Menschenhirt solle ein Abbild des göttlichen Hirten sein (Plat Pol 275d-e; Text gr. und lat. Autoren
Für die ntl. Zeit ist ein Verweis auf Dio Chrysostomos wichtig. Er schreibt (Or 4,43-44) über die Könige, die er als „Freunde Gottes“ bezeichnet, folgendes: „[43] Wer nun mit Zeus befreundet ist und dieselbe Gesinnung hat wie er, wie sollte der jemals etwas Unrechtes begehren, etwas Schlechtes und Schändliches beabsichtigen können? Dasselbe will Homer wohl auch sagen, wenn er einen König als ‚Völkerhirten‘ preist (αὐτὸ δὲ τοῦτο ἔοικε δηλοῦν καὶ ὅταν ἐγκωμιάζων τινὰ λέγῃ τῶν βασιλέων „ποιμένα λαῶν“). [44] Denn einzige Aufgabe des Hirten ist es, seine Schafe zu versorgen, sie zu bewahren und zu schützen (τοῦ γὰρ ποιμένος οὐκ ἄλλο τι ἔργον ἢ πρόνοια καὶ σωτηρία καὶ φυλακὴ προβάτων), nicht, beim Himmel, sie zu töten, zu schlachten und abzuhäuten. Allerdings treibt bisweilen auch ein Metzger viele Schafe vor sich her, wenn er sie gekauft hat; aber es besteht doch ein himmelweiter Unterschied zwischen der Aufgabe eines Metzgers und der eines Hirten, etwa so wie zwischen der Königsherrschaft und der Tyrannis (ἀλλὰ πλεῖστον διαφέρει μαγειρική τε καὶ ποιμενική, σχεδὸν ὅσον βασιλεία τε καὶ τυραννίς).“
In einem eigenständigen Abschnitt müsste noch der Frage nach der Literaturgattung „Bukolik“ nachgegangen werden: Es sind zunächst jene Gedichte über Rinder- und Ziegenhirten, die seit Theokrit (3. Jh.v.Chr.) immer weiter verbreitet werden und ein frisches und ungeschminktes Bild des „Hirten“ zeichnen. Vergil (70-19 v.Chr.), Tibull († 19 v.Chr.) und Properz (ca. 2. Hälfte des 1. Jh.v.Chr.) rezipieren in Auswahl diesen Literaturzweig. Für die ntl. Zeit sind vor allem Nero und Calpurnius Siculus zu nennen, die mit dieser Literaturgattung die Wiederbelebung des Goldenen Zeitalters verbinden.
3. Die Briefliteratur, Apostelgeschichte und Apokalypse
Im Rahmen der Paränese von
1Petr 2,25
Die bereits angedeutete amtstheologische Perspektive wird in
1Petr 5,2-4
In ähnlicher Weise ist die Abschiedsrede des Paulus in Milet (
Apg 20,17
In
Eph 4,11
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Abbildungsverzeichnis
- Claude Lorrain, Le Berger (Hirte). Wikimedia Commons, Public Domain. National Gallery of Art, Washington, D.C.
- William Holman Hunt, The Hireling Shepherd. Wikimedia Commons. Distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH.
- Julien Dupre, Le Berger. Quelle: http://www.1st-art-gallery.com/thumbnail/112652/1/Le-Berger-$28the-Shepherd$29.jpg
- Rembrandt van Rijn, Die Anbetung der Hirten, 1646. Rembrandt, Die Anbetung der Hirten, 1646, Quelle: www.meisterwerke-online.de
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