Lydia
(erstellt: Mai 2012)
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1. Name
Der Name Lydia ist ursprünglich ein Ethnikon, also eine Herkunftsbezeichnung: Er bezeichnet eine Frau aus Lydien, bedeutet somit „die Lydierin“. Lydien ist eine Landschaft in Kleinasien, dem Westen der heutigen Türkei. Im Norden grenzt es an Mysien, im Osten an Phrygien und im Süden an Karien, im Westen stößt es an die Ägäis.
In den biblischen Schriften findet sich nur eine einzige Frau dieses Namens: die Purpurhändlerin Lydia (Apg 16,11-15
2. Der Textbefund
Nur wenige Verse der → Apostelgeschichte
Lydias Wohnort Philippi legt darüber hinaus die Frage nahe, ob auch in den beiden frühchristlichen Briefen, die an die dortige Gemeinde gerichtet sind, nämlich im → Philipperbrief
2.1 Das Zeugnis der Apostelgeschichte
2.1.1. Der Name: Lydia
In der Antike sind es oftmals → Sklavinnen und Sklaven
Der Name Lydia könnte deshalb ein Hinweis darauf sein, dass diese Frau eine bestimmte Zeit ihres Lebens eine Sklavin gewesen ist. Die Einzelheiten der Biographie der Lydia und ihrer Familie, die damit in Zusammenhang stehen könnten, bleiben jedoch im Dunkeln: Die Leserinnen und Leser der Apostelgeschichte erfahren nicht, ob Lydia – wenn sie denn überhaupt eine ehemalige Sklavin ist – schon als Sklavin geboren wurde oder unter welchen Umständen sie erst später in ihrem Leben eine Sklavin geworden ist.
2.1.2. Die Herkunft: aus Thyatheira
Unabhängig von einem entweder durch Geburt gegebenen oder durch spätere Schicksalswendungen (Raub, Kriegsgefangenschaft oder Schuldsklaverei) ausgelösten Sklavenstand könnte ihre Herkunft aus der Stadt → Thyateira
2.1.3. Der Beruf: Purpurhändlerin
Lukas gibt Lydias Beruf mit dem Wort πορφυρόπολις / porphyropolis an (→ Apg 16,13
2.1.4. Der Wohnort: Philippi
Lukas betont die Bevölkerungsmischung in Lydias aktuellem Wohnort Philippi (zu dieser Stadt vgl. Pilhofer, 49-113; Bormann, 11-84): Die makedonische Bevölkerungsgruppe lässt sich aus der Angabe „Stadt des ersten Bezirks Makedoniens“ (Apg 16,12
Die römische Prägung der Stadt ist für Lydia einerseits vorteilhaft, da sie in der römischen Führungsschicht Abnehmerinnen und Abnehmer für ihre Produkte finden kann, andererseits kann sie als Gottesfürchtige unter typischen Vorbehalten von Römerinnen und Römern gegen das → Judentum
2.1.5. Der Glaube: von der Gottesfürchtigen zur Christin
Die bunt gemischte Bevölkerung Philippis führt auch zu einem Nebeneinander verschiedener Religionen in dieser Stadt. Lydia gehört zunächst nicht zu den Anhängerinnen und Anhängern griechischer, makedonischer oder römischer Kulte, sondern zählt zu den mit dem Judentum sympathisierenden Gottesfürchtigen (Apg 16,14
2.1.6. Der Zivilstand: „ihr Haus"
Gleich zweimal ist in Apg 16,15
Das betonte „ihr bzw. mein Haus“ legt den Schluss nahe, dass Lydia zumindest zum Zeitpunkt der Begegnung mit Paulus die alleinige Hausherrin ist. Lydia ist also eine unverheiratete oder möglicherweise eine verwitwete Frau, die einem eigenen Haushalt vorsteht.
Dieses eigene Haus ermöglicht es Lydia, zunächst die Missionare Paulus und Silas und später die Gemeinde der philippischen Christinnen und Christen zu beherbergen (Apg 16,15
2.1.7. Versuche einer sozialen Einstufung
Die verschiedenen Merkmale Lydias, die Lukas in seinem kurzen Portrait dieser Frau bietet, werden sehr unterschiedlich für eine soziale Einstufung der Purpurhändlerin genutzt: Der Geringschätzung des Handwerks und speziell des schmutzigen und mit üblen Gerüchen verbundenen Purpurhandwerks durch die Oberschicht, der vermutete rechtliche Status Lydias als Freigelassene, d.h. als ehemalige Sklavin, und nicht zuletzt der Umstand, dass diese unverheiratete Frau lediglich eine Zugezogene in Philippi ist, stehen der Tatsache gegenüber, dass der Purpurhandel nur mit gewissen finanziellen Voraussetzungen möglich ist und die selbständige Geschäftsfrau zumindest in geschäftlichen Kontakt mit Angehörigen der Oberschicht bringt. Das Spektrum der sozialen Einstufungen Lydias reicht von einer Betonung ihres hohen Ranges und Wohlstandes (Stegemann, 224: „durchaus zu den höheren Schichten Philippis zu zählen“; Roloff, 244f.) über abwägende Mittelpositionen (Sterck-Degueldre, 2004, 235-238; Lang, 40-42; Ebel, 2012, 31-33) bis zur rigorosen Zuordnung Lydias zur Unterschicht (Schottroff, 307: „Ihre Lebensbedingungen waren miserabel, ihr soziales Ansehen war extrem gering.“).
2.2. Das Zeugnis des Philipperbriefs
Laut der Apostelgeschichte hat Paulus selbst Lydia getauft und in ihrem Haus gewohnt, dennoch gibt es weder in Form eines Rückblicks auf die Gemeindegründung noch im Blick auf aktuelle Ereignisse eine direkte Anspielung auf Lydia im Philipperbrief. Muss deshalb die Historizität Lydia grundsätzlich in Zweifel gezogen werden (so Abrahamsen, 19; Portefaix, 135.155)? Mehrere alternative Erklärungen für diesen Befund sind denkbar, ohne Lydias Existenz ganz und gar infrage stellen zu müssen (vgl. dazu Ebel, 2012, 64-69): Da Lydia nur ein Rufname, aber nicht der eigentliche Name dieser Frau sein könnte, könnte sie als Syntyche oder Euodia (Phil 4,2f
2.3. Das Zeugnis des Polykarpbriefs
In dem Brief des Polykarp an die Gemeinde in Philippi (zu Teilungshypothesen vgl. Bauer, 18f.; Fischer, 234-238) aus der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts, der zu den → Apostolischen Vätern
3. Wirkungsgeschichte
Nach heutigen geographischen Vorstellungen ist Lydia nicht nur die erste Christin Philippis, sondern sogar Europas (zu antiken Vorstellungen vgl. Pilhofer, 153-159). In ihrer Nachfolge spüren viele Menschen den Wunsch, an dem vermeintlichen Ort ihrer Taufe selbst getauft zu werden. Dort wurde eine Taufstelle mit kreuzförmigem Zugang zum Wasser und aufsteigenden Sitzbänken errichtet. In der unmittelbaren Nähe wurde eine Taufkapelle zu Lydias Ehren erbaut. Am 20. Mai wird der Gedenktag Lydias, die in der griechisch-orthodoxen Kirche als Heilige verehrt wird, begangen.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2005, V 625
2. Monographien und Aufsätze
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- Bauer, J.B., 1995, Die Polykarpbriefe (KAV 5), Göttingen
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- Ebel, E., 22012, Berenike und Lydia. Zwei selbständige Frauen bei Lukas (Biblische Gestalten 20), Leipzig
- Fischer, J.A. (Hg.), 101993, Die Apostolischen Väter (SUC 1), Darmstadt
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- Pilhofer, P., 1995, Philippi. Band I: Die erste christliche Gemeinde Europas (WUNT 87), Tübingen
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- Richter Reimer, I., 1992, Frauen in der Apostelgeschichte des Lukas. Eine feministisch-theologische Exegese, Gütersloh
- Roloff, J., 21988, Die Apostelgeschichte (NTD 5), Göttingen
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- Steigerwald, G., 1986, Die antike Purpurfärberei nach dem Bericht Plinius’ des Älteren in seiner „Naturalis Historia“, Traditio 42, 1-57
- Stegemann, W., 1991, Zwischen Synagoge und Obrigkeit. Zur historischen Situation der lukanischen Christen (FRLANT 152), Göttingen
- Sterck-Degueldre, J.-P., 2004, Eine Frau namens Lydia. Die lukanische Komposition von Apg 16,11–15.40 (WUNT 2.176), Tübingen
- Sterck-Degueldre, J.-P., 2009, Eine Frau namens Lydia. Erstbekehrte nach dem Apostelkonvent, BiKi 64, 39-43
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