Maria aus Magdala
(erstellt: September 2011)
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Maria Magdalena; Maria von Magdala; Mary of Magdala; Mary Magdalene
1. Entwicklungslinien
Die historische Maria aus dem galiläischen Ort Magdala am Westufer des Sees Gennesaret war Jüdin im Palästina der Zeitenwende, Anhängerin Jesu und Zeugin der Osterereignisse. Aus ihrem Namen lässt sich schließen, dass sie den Ort Magdala (vermutlich in der Nachfolge Jesu) verlassen hat. Zudem ist die Näherbestimmung des damals sehr häufigen Namens Maria (die latinisierte Form von → Mirjam
Im Laufe der Geschichte ist Maria aus Magdala, auch Magdalena genannt, in sehr unterschiedlicher Weise dargestellt worden. Im Neuen Testament begegnet sie zunächst als Nachfolgerin Jesu und als Zeugin von Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung Jesu. In apokryph gewordenen Schriften des frühen Christentums ist sie Lieblingsjüngerin Jesu, empfängt von ihm besondere Offenbarungen und wird von Petrus, der Repräsentationsgestalt der Männergruppe, angegriffen. Seit dem 6. Jahrhundert wurde sie zumeist mit der anonymen salbenden Sünderin aus Lk 7,36-50
2. Neues Testament
Die neutestamentlichen Texte sind die ältesten erhaltenen Zeugnisse über Maria aus Magdala. In allen vier Evangelien hat Maria einen prominenten Platz bei den Ereignissen rund um Ostern. Nach übereinstimmender Aussage der vier Evangelien ist sie Zeugin von Jesu Kreuzigung. Darüber hinaus berichten die drei → synoptischen Evangelien
2.1 Maria aus Magdala als Jüngerin
In den neutestamentlichen Evangelien ist die Gruppe der mathetai, auf Deutsch meist mit → „Jünger“
Fragt man nun nach den Namen dieser Jüngerinnen Jesu, so stößt man in den synoptischen Evangelien auf mehrere Listen mit Frauennamen, an erster Stelle steht dort regelmäßig „Maria aus Magdala“. Daraus lässt sich schließen, dass sie die wichtigste der Jüngerinnen Jesu gewesen ist. Die Listen variieren in anderen Einzelheiten: Die mk Liste der Kreuzigungszeuginnen (vgl. Mk 15,40-41
2.2 Maria aus Magdala als Osterzeugin
2.2.1 Kreuzigung
In den beiden schon erwähnten Listen der Kreuzigungszeuginnen in Mk 15,40-41
Auch in den Kreuzigungsdarstellungen bei Lk und Joh sind Frauen präsent, jedoch mit Abweichungen: Im lk Paralleltext Lk 23,49
Wie bei Mk und Mt wird Maria aus Magdala auch bei Joh erstmalig bei der Kreuzigung erwähnt (vgl. Joh 19,25
Fraglich erscheint zudem die Anwesenheit der Mutter Jesu, da sie notwendig für die folgende symbolische Lieblingsjünger-Szene ist (vgl. Joh 19,26f
2.2.2 Maria und die Frauen am Grab
Im Anschluss an die Kreuzigung berichten die vier Evangelien übereinstimmend von der Grablegung Jesu in einem bislang ungenutzten → Felsgrab
Auf die Grablegungsberichte folgen Erzählungen von der Auffindung des leeren Grabes (vgl. Mk 16,1-8
Die (textkritisch eindeutig) sekundären Fortschreibungen in Mk 16,9-20
In den beiden anderen syn Versionen der Auffindung vom leeren Grab (vgl. Mt 28,1-8
In der joh Version der Grabesgeschichte kommt Maria aus Magdala am Sonntagmorgen allein zum Grab und findet es leer (vgl. Joh 20,1
2.2.3 Begegnungen mit dem Auferstandenen
Nach Joh 20,11-18
Neben Joh 20,11-18
Auch im längeren sekundären Schluss des Mk, der wohl aus dem 2. Jh. stammt, ist von einer Ersterscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena die Rede (vgl. Mk 16,9
2.3 Maria aus Magdala nach Ostern
Der einzige neutestamentliche Hinweis auf den Verbleib Marias nach Ostern findet sich in Apg 1,14
3. Apokryph gewordene Schriften des frühen Christentums
Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind eine Reihe von antiken Texten wieder aufgefunden worden, die zumeist aus dem 2. / 3. Jh. n.Chr. stammen und in denen Maria aus Magdala eine größere Rolle spielt. Viele dieser Texte waren zuvor unbekannt, in einigen Fällen wusste man zwar von ihrer Existenz, hatte aber keine oder kaum Informationen über ihren Inhalt. Für die Gestalt der Maria sind vor allem folgende Texte von Bedeutung: Ein Papyruscodex, der u.a. eine Schrift mit dem Titel → Evangelium nach Maria
Maria tritt in einer Reihe dieser Texte als bedeutende und paradigmatische Jüngerin Jesu auf. Ihre Beziehung zu Jesus weist eine besondere Nähe auf: Jesus bevorzugt Maria, er liebt sie „mehr als die anderen“, was sich darin äußert, dass sie spezielle Offenbarungen von ihm erhält. Es geht in diesen Texten um die geistige Beziehung von Jesus und Maria – und nicht, wie neuerdings in populärer Literatur propagiert, um Maria als Ehefrau Jesu und Mutter seiner Nachkommenschaft. Besonders letzteres ist schon deshalb abwegig, weil die aus dem Umfeld von Nag Hammadi stammenden Texte eher → asketische
Im Folgenden werde ich beispielhaft auf einige der relevanten Textpassagen näher eingehen (vgl. zur ausführlicheren Darstellung: Marjanen 1996; Petersen 1999, 94–194, Petersen 2011, 90–180).
3.1 Maria als Lieblingsjüngerin
Ein zentraler Text für die besondere Beziehung zwischen Jesus und Maria aus Magdala ist das Evangelium nach Maria (= EvMar). Vom EvMar ist (neben zwei kleineren griechischen Papyrusfragmenten aus dem 3. Jh.) etwa die Hälfte des Textes in einer koptischen Übersetzung im BG (s.o.) erhalten. Das griechische Original wurde im 2. Jh. n.Chr. verfasst. In der koptischen Fassung lautet der Titel der Schrift (als Untertitel): „Evangelium nach Maria“ und entspricht damit formal den Titeln jener Evangelien, die wir aus dem NT kennen („Evangelium nach …“); mit der im Titel genannten Maria ist Maria aus Magdala gemeint.
Nach dem verlorenen Anfang der Schrift setzt der Text des EvMar mitten in einem Dialog zwischen Jesus und seinen JüngerInnen ein. Nach Beantwortung verschiedener Fragen verabschiedet sich Jesus, die Gruppe bricht daraufhin allerdings nicht zur Verkündigung auf (wie in anderen Schriften dieser Art nach Jesu Abschied), sondern verfällt in Angst und Lethargie. In dieser Situation greift Maria ein:
„Da stand Maria auf, umarmte / küsste sie alle und sagte zu ihren Geschwistern: Weint nicht und seid nicht traurig und zweifelt nicht, denn seine Gnade wird mit euch allen sein und wird euch beschützen. Lasst uns vielmehr seine Größe preisen, denn er hat uns bereitet und zu Menschen gemacht. Als Maria dies gesagt hatte, wendete sie ihr (pl.) Herz zum Guten, und sie fingen an, über die Worte des [Erlösers] zu diskutieren.“ (BG, p.9,12-24)
Marias Eingreifen hat zunächst einmal Erfolg: Die Gruppe beginnt, sich mit den Worten Jesu zu beschäftigen, statt in Trauer und Mutlosigkeit zu verharren. Maria tritt hier in eben jener Rolle auf, die in anderen Schriften Jesus zukommt: Sie ist diejenige, die die Gruppe tröstet, ermutigt und belehrt. Dennoch steht Jesus weiterhin indirekt im Mittelpunkt als derjenige, dessen Worte erinnert werden. Durch diese Erinnerung wird die Situation der nachösterlichen Verlassenheit bewältigt, entscheidend für die Erinnerung ist die Person Marias, da sie aufgrund ihrer besonderen Beziehung zu Jesus mehr weiß als die anderen. Dies meint zunächst auch Petrus:
„Petrus sagte zu Maria: Schwester, wir wissen, dass der Erlöser dich mehr liebte als die übrigen Frauen. Sage uns die Worte des Erlösers, die du erinnerst, die du kennst, nicht wir, und die wir auch nicht gehört haben. Maria antwortete und sagte: Was euch verborgen ist, werde ich euch verkünden.“ (BG, p.10,1-9)
Während Petrus lediglich davon ausgeht, dass Maria etwas erinnert, was die anderen nicht gehört haben, betont Maria, dass sie verborgene, geheime Worte mitteilen wird. Das hier formulierte Konzept des Erinnerns an verborgene Worte gibt es auch sonst in frühchristlichen Texten: Besonderes Wissen wird als geheime Überlieferung an Einzelpersonen oder einen begrenzten Personenkreis dargestellt, was eine Rückbindung der Lehren an bekannte Personen erlaubt, die damit als Traditionsgaranten für bestimmte Überlieferungen fungieren und deren Zuverlässigkeit sichern.
Diskutiert wird im EvMar der Grad der Bevorzugung Marias durch Jesus. Während Petrus im zitierten Text lediglich davon ausgeht, Jesus habe Maria mehr als die anderen Frauen geliebt, und dann Zweifel an den von ihr mitgeteilten geheimen Offenbarungen und an ihrer bevorzugten Rolle äußert, verteidigt ein anderer der anwesenden Jünger namens Levi Maria folgendermaßen gegenüber Petrus:
„Wenn aber der Erlöser sie würdig gemacht hat, wer bist denn du selbst, sie zu verwerfen? Sicherlich kennt der Erlöser sie genau. Deswegen hat er sie mehr als uns geliebt.“ (BG 18,10-15)
Jesus hat Maria also nicht nur mehr als die anderen Frauen, sondern „mehr als uns“ geliebt, wobei dieses „uns“ den männlichen Teil der Gruppe einschließt. Der Einwand des Petrus erweist sich als falsch, der Text des EvMar ist dabei eindeutig parteilich für die von Maria und Levi vertretene Seite der Auseinandersetzung: Beide gehören auf die „richtige“ Seite, wobei Maria als Traditionsgarantin für eine bestimmte Art „geheimen“ Wissens fungiert, dessen Zuverlässigkeit durch ihre Person sowie ihre geistige Nähe zu Jesus garantiert wird.
Im Text des EvMar spiegeln sich reale Auseinandersetzungen des 2. Jh.; die auftretenden Personen repräsentieren dabei verschiedene christliche Positionen dieser Zeit. Historische Rückschlüsse auf die Personen des 1. Jh. sind deshalb problematisch, allerdings erfahren wir, dass es in der Anfangszeit des Christentums (wobei unklar bleibt, ab wann) eine Richtung gab, die sich selbst als christlich verstand und ihre theologischen Überzeugungen auf Maria aus Magdala zurückführte, so wie andere Richtungen für ihre Überzeugungen andere Personen in Anspruch nahmen, wie etwa Thomas (im EvThom) oder den → true im Joh. Das EvMar beruft sich ebenso wie Joh auf eine von Jesus besonders geliebte Person, um sich von der „petrinischen“ Version des Christlichen abzusetzen, was u.a. auf Kosten der Petrusfigur in diesen Texten geht. Es ist in der Forschung üblich, im Hinblick auf das Joh und die hinter ihm stehende Gruppe von „johanneischem Christentum“ zu reden; ebenso hat sich auch die Benennung „Thomaschristentum“ für diejenige Richtung durchgesetzt, auf die u.a. das EvThom zurückgeht. In entsprechender Weise ließe sich für das EvMar etwa auch von einem „Magdalenen-Christentum“ sprechen (vgl. Schaberg 2004, 347–349).
Auch in anderen wiedergefundenen Schriften tritt Maria aus Magdala als wichtige und / oder besonders verständige und von Jesus bevorzugte Jüngerin auf, so z.B. in der Sophia Jesu Christi (= SJChr; BG,3 und NHC III,4), wo ihr Name als einziger in einer Gruppe von sieben Jüngerinnen genannt ist, oder im → Dialog des Erlösers
Im → Evangelium nach Philippus
3.2 Der Konflikt zwischen Petrus und Maria
Einer der Texte, die von einem Konflikt zwischen diesen beiden Figuren erzählen, ist das EvMar (s.o.). Dort hatte Petrus Maria aufgefordert, von ihr erinnerte Worte Jesu mitzuteilen. Maria berichtet daraufhin von einer → Vision
„Hat er etwa mit einer Frau heimlich vor uns gesprochen und nicht öffentlich? Sollen wir selbst umkehren und alle auf sie hören? Hat er sie mehr als uns erwählt?“ (BG, p.17,18-22)
Im Sinne des EvMar sind diese Fragen mit „Ja“ zu beantworten: Die Petrusfigur des EvMar bezweifelt Marias Wissensvorsprung und Überlegenheit zu Unrecht. Maria reagiert mit Trauer auf den Angriff des Petrus und wird anschließend von Levi verteidigt, der dabei Petrus heftig angreift:
„Da weinte Maria, sie sagte zu Petrus: Mein Bruder Petrus, was denkst du denn? Denkst du, dass ich sie selbst ausgedacht habe in meinem Herzen oder dass ich über den Erlöser lüge? Levi antwortete und sagte zu Petrus: Petrus, von jeher warst du jähzornig. Jetzt sehe ich dich, wie du dich gegen die Frau ereiferst wie die Widersacher. Wenn aber der Erlöser sie würdig gemacht hat, wer bist denn du selbst, sie zu verwerfen? Sicherlich kennt der Erlöser sie genau. Deswegen hat er sie mehr als uns geliebt. Vielmehr sollten wir uns schämen und den vollkommenen Menschen anziehen, ihn uns hervorbringen, so wie er uns beauftragt hat, und das Evangelium verkündigen, während wir keine andere Grenze oder ein anderes Gesetz außer dem festsetzen, was der Erlöser sagte.
Als [Levi aber dies gesagt] hatte, da fingen sie an zu gehen, um zu erklären und zu verkündigen.“ (BG, p.18,1-19,2)
Nach der Rede Levis findet der Aufbruch zur Verkündigung, der nach dem Weggang Jesu aus Angst und Trauer unterblieben war, endlich doch statt: Es folgt nur noch der Titel („Das Evangelium nach Maria“) als Untertitel (subscriptio).
Der Streit im EvMar geht nicht nur um die Inhalte von Marias Verkündigung, sondern auch um ihre Geschlechtszugehörigkeit: Marias Legitimation wird von Petrus unter Verweis auf ihre Weiblichkeit angezweifelt. Das EvMar allerdings ergreift in diesem Streit eindeutig Partei für Maria, deren Frau-Sein sie nicht daran hindert, tiefere Einsichten als die anderen zu haben.
Einen Konflikt zwischen Petrus und Maria gibt es noch in weiteren Schriften des 2. / 3. Jh., jeweils in unterschiedlicher Zuspitzung: In der Pistis Sophia (= PS), einer schon vor dem Nag-Hammadi-Fund bekannten Schrift aus dem 3. Jh. n.Chr., führt (der auferstandene und erscheinende) Jesus Dialoge mit der Gruppe der Zwölf, die in dieser Schrift aus acht Männern und vier Frauen besteht. Die weitaus meisten Redebeiträge dieser Gruppe (auch im Vergleich mit den Männern) entfallen auf Maria aus Magdala. Auch in dieser Schrift wird sie als besonders verständige Jüngerin von Jesus gelobt, und auch hier wird sie von Petrus angegriffen:
„Petrus stürzte vor und sagte zu Jesus: Mein Herr, wir werden diese Frau nicht ertragen können, da sie uns die Gelegenheit nimmt und niemand von uns hat reden lassen, sondern vielmals redet. Jesus antwortete und sagte zu seinen JüngerInnen: Alle, in denen die Kraft ihres Geistes aufsteigen wird, damit sie das, was ich sage, begreifen, mögen vortreten und sprechen.“ (PS 1,36)
Relevant ist hier der „Geist“, nicht die Geschlechtszugehörigkeit: Maria bleibt im folgenden Verlauf des Gespräches dann auch – trotz weiterer Probleme mit Petrus – die häufigste Dialogpartnerin Jesu.
In einem dritten Text, in dem Petrus gegen Maria auftritt, stellt dieser ihre Zugehörigkeit zur Gruppe prinzipiell in Frage. Der Text findet sich ganz am Ende des → Evangeliums nach Thomas
„Simon Petrus sagte zu ihnen: Maria soll von uns weggehen, denn die Frauen sind des Lebens nicht würdig. Jesus sagte: Siehe, ich werde sie führen, auf dass ich sie männlich mache, damit auch sie ein lebendiger, euch gleichender, männlicher Geist wird. Denn (es gilt): Jede Frau, wenn sie sich männlich macht, wird in das Reich der Himmel eingehen.“ (EvThom 114; NHC II, p.51,18-26.)
Anders als im EvMar ist in diesem Fall Jesus (und nicht Levi in Abwesenheit Jesu) derjenige, der Maria gegen Petrus verteidigt: Maria muss die Gruppe nicht verlassen, wie Petrus es will, da sie sich mit Jesu Hilfe „verwandeln“ kann. Die allgemeine Geltung des Spruches wird durch die Wiederholung seiner zentralen Aussage deutlich: Das erste Mal wird die Aussage auf Maria bezogen: „Ich werde sie führen, damit ich sie männlich mache …“; das zweite Mal wird die Aussage generalisiert: „Jede Frau, wenn sie sich männlich macht …“. Was am Fall Marias beispielhaft ausgeführt wurde, gilt für alle Frauen, auch in Abwesenheit der direkten Führung Jesu. Maria ist hier, wie auch in anderen Schriften, eine paradigmatische Jüngerin; an ihrem Beispiel wird die Frage der „Weiblichkeit“ prinzipiell diskutiert.
3.3 Die Weiblichkeit Marias
Argumentiert wird im gerade zitierten Text EvThom 114 gegen die Ausschlussforderung des Petrus nicht damit, dass Frauen als solche zu akzeptieren sind, sondern Maria – und auch jeder anderen Frau – wird zugesprochen, „männlich“ werden zu können. Damit ist der „Anstoß“ der Weiblichkeit beseitigt – und eben dadurch wird die Zugehörigkeit der Frauen ermöglicht. Wie dieser „Anstoß“ zu verstehen ist, zeigt die Formulierung in der Jesusrede, in der das „Männliche“ mit dem → „Geist
Eine Verbindung der Figur Marias mit der Frage nach der Geschlechterdifferenz gibt es nicht nur im EvThom. Auch im Dialog des Erlösers (= Dial; NHC III,5, s.o.), wo Maria als besonders verständige Jüngerin gepriesen wird, taucht die Frage nach der (störenden) Weiblichkeit auf. Das Schlagwort lautet hier: „Zerstört die Werke der Weiblichkeit!“; dies wird im Kontext mit dem „Aufhören der → Geburten
Ein vergleichbares Modell ist auch in der ersten Apokalypse des Jakobus (1ApcJac, NHC V,3; vgl. auch die Parallele im Codex Tchacos: CT, 2) zu finden. In diesem Dialog zwischen Jesus und Jakobus geht es wiederum um die Rolle der „Weiblichkeit“, und es werden die Namen von mehreren Jüngerinnen genannt, darunter auch der Marias. Wiederum ist die Weiblichkeit eine problematische Größe, sie wird jedoch in den „männlichen“ Bereich „aufgehoben“ (vgl. NHC V, p.41,13-19/CT, p.28,16-20), womit Maria und die anderen Jüngerinnen anscheinend der problematisch-defizitären Sphäre ihrer Weiblichkeit entkommen sind.
In den genannten Texten werden Fragen der Geschlechterdifferenz kontrovers diskutiert. In jenen Texten, in denen Maria aus Magdala auftritt, ist sie oftmals die beispielhafte Gestalt, an der eine solche Diskussion geführt wird oder die sie hervorruft. Ihre Rolle als wichtigste Jüngerin und Vertraute Jesu in diesen Schriften steht nicht im Kontext einer Aufwertung von Weiblichkeit, vielmehr ist sie genau deshalb wichtig und paradigmatisch, weil sie die Sphäre des Weiblichen überwunden hat.
4. Ausblick
Das frühchristliche Bild der Maria aus Magdala wurde in der westeuropäischen Kunst-, Kultur-, und Literaturgeschichte etwa ab dem 4. Jh. n.Chr. von einem anderen ergänzt und schließlich überlagert: Die typische Darstellung von Maria Magdalena als reuiger und büßender Sünderin (oft mit langen offenen Haaren), etablierte sich, verbreitet vor allem durch Gregor den Großen (um 600 n.Chr.). Diese Darstellung beruht vor allem auf einer Identifikation dreier neutestamentlicher Frauengestalten, die zu einer Einheitsgestalt vereinigt wurden, es handelt sich um folgende: 1. Die tatsächliche Maria aus Magdala (s.o. unter 2.), der nach Lk 8,1-3
Solche Identifikationen von anonymen und namentlich genannten Gestalten hat es in der Überlieferung und Rezeption neutestamentlicher Geschichten häufig gegeben, die Folgen sind in diesem Fall allerdings bes. weitreichend: Die wohl wichtigste Jüngerin Jesu und eine zentrale Zeugin der Osterereignisse ist über viele Jahrhunderte primär als ehemalige Prostituierte und reuige Sünderin wahrgenommen worden; und das Bild der „Sünderin“ und sexuell anrüchigen Frau wirkt weiterhin in populärer Literatur, in Romanen, Gedichten und Filmen. Daneben werden neuerdings auch andere Aspekte der Überlieferung revitalisiert und neu kombiniert, so etwa aus dem südfranzösischen Legendenkreis, greifbar in der legenda aurea (vgl. Benz 1979), der Maria Magdalena als Missionarin, Heilige und (büßende) Einsiedlerin kennt und von der späteren Auffindung ihrer Gebeine in Südfrankreich berichtet. Einige neuere Romane (z.B. Dan Browns Da Vinci Code / Sakrileg), wollen die oben unter 3.1. dargestellten Textpassagen aus dem EvMar und EvPhil als Beleg dafür sehen, dass Maria aus Magdala und Jesus eine sexuelle Beziehung (inkl. Nachkommenschaft) gehabt hätten, verkennen dabei aber Kontext und Aussageabsicht dieser Schriften (weiteres zur Rezeption bei Wind 1996; Taschl-Erber 2010; Petersen 2011, 197–274; zur Kritik an den modernen Jesus-Maria-Mythen vgl. Kollmann 2009).
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