Martyrium
(erstellt: Oktober 2013)
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1. Die Geschichte des Begriffs „Märtyrer"
Die christliche Tradition bezeichnet seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. denjenigen als Märtyrer, der als Zeuge für seinen Glauben gestorben ist. Doch kommt diese konkrete inhaltliche Füllung des Begriffs erst in der Literatur der Alten Kirche vor. In der Profansprache und den Schriften des Neuen Testaments finden sich andere, wenn auch verwandte Charakterisierungen der Begriffe μάρτυς (mártys), μαρτυρία (martyría) und μαρτύριον (martýrion).
1.1. Μάρτυς (mártys, Zeuge) in der Profansprache
1.2. Μάρτυς (mártys, Zeuge) im Neuen Testament
1.3. „Märtyrer“ in der frühchristlichen Literatur
Seit der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. lässt sich in der altkirchlichen Literatur das Ringen um eine Bezeichnung für diejenigen Christen feststellen, die wegen ihres Bekenntnisses hingerichtet wurden. Der → Hirt des Hermas
Um 160 (jüngst für eine spätere Datierung: Moss) wurde in Smyrna ein Brief über das → Martyrium des Bischofs Polykarp
Ein möglicher Einfluss auf die Entwicklung der martyrologischen Begrifflichkeit wird den Briefen des → Ignatius von Antiochien
Die Unterscheidung zwischen den „Leidenden“ und den „Bedrängten“ im Hirt des Hermas wird im Brief der Gemeinden von Lyon und Vienne (M. Lugd., 177) terminologisch ausdifferenziert: Der Märtyrer-Titel wird postmortal verliehen, kommt also den Gefangenen, die auf ihre Hinrichtung warten, noch nicht zu. Sie werden stattdessen „Bekenner“ (ὁμόλογοι, homólogoi) genannt. Diesen Bekennern (später: ὁμολογήται, homologētai, lat. confessores) kommt in der Alten Kirche auf Grund ihres Charismas eine besondere Autorität zu, speziell im Bußwesen. Doch wurde diese Unterscheidung zwischen Märtyrern und Bekennern nicht immer stringent eingehalten.
2. Die Tradition des Martyriums
Die begriffliche Entwicklung darf nicht von einer sich entfaltenden christlichen Theologie des Martyriums im 2. Jahrhundert getrennt werden, die bereits auf eine längere Tradition des Martyriums und seiner Deutung zurückblickt. Bei der Nachzeichnung dieser Tradition ist zu berücksichtigen, dass hier ein altkirchliches Konzept (Martyrium) auf alt- und neutestamentliche Phänomene angewendet wird, die dem christlichen Verständnis von Martyrium entsprechen.
2.1. Martyrium in Dan sowie 1 und 2Makk
Die Anfänge der jüdischen Martyriumstradition finden sich unter der Regentschaft des → Antiochos IV. Epiphanes
2.2. Verfolgungs- und Leidensthematik im Neuen Testament
In den Schriften des Neuen Testaments kommt immer wieder die im zeitgenössischen Palästina verbreitete Vorstellung zum Ausdruck, alle prophetischen Gestalten des Alten Bundes hätten durch die Hand des Volkes Israel einen gewaltsamen Tod erlitten. Es finden sich Hinweise, dass Jesus selbst sowie auch seine → Jünger
In der Weiterentwicklung jüdisch-apokalyptischer Vorstellungen (vgl. Dan) und der sich entfaltenden Christologie wird Jesus die entscheidende Rolle im künftigen Gericht zugesprochen. Die Annahme bzw. Ablehnung der Botschaft Jesu und seiner Jünger erhält nun eschatologische Tragweite. Damit einher geht die soteriologische Interpretation des Kreuzestodes Jesu, die über eine rein martyrologische Deutung hinausgeht: das Leiden und Sterben des Christus gewinnt – im Unterschied zum gewaltsamen Tod seiner Anhänger – Heilsbedeutung.
Die Ausgangssituation für das Verfolgungsgeschick der Jünger und der urchristlichen Gemeinden liegt im missionarischen Kontext (Mk 13,9-11
In der → Apokalypse des Johannes
3. Frühchristliche Märtyrerliteratur und Märtyrerverehrung
3.1. Gattungsfrage
Die literarischen Zeugnisse über die Martyrien der frühchristlichen Zeit werden oft gemeinhin als ‚Märtyrerakten‘ bezeichnet, was eine Homogenität der Texte nahelegt, die faktisch so nicht gegeben ist. Zur Vielfalt der altkirchlichen Märtyrerliteratur zählen unterschiedliche Genera: Briefe, Acta sowie Passiones bzw. Martyria. Das Martyrium Polykarps (M. Polyc.) bspw. ist in Briefform abgefasst und dient dem Zweck, andere christliche Gemeinden über die stattgefundenen Martyrien zu unterrichten. Nach dem Vorbild amtlicher Gerichtsprotokolle entstanden die Acta (z.B. die Akten Justins und seiner Gefährten, M. Just., oder die Akten der Märtyrer von Scilli, M. Scill.), welche aber eher als Gedächtnisprotokolle verstanden werden dürfen. Literarische Zeugnisse dieser Gattung legen ein Augenmerk auf den Redeanteil der als Charismatiker angesehenen angeklagten Christen, denen Jesus ja den Beistand des Geistes in gerichtlichen Situationen verheißen hat (Mk 13,9-11
3.2. Merkmale
Die gesamte frühchristliche Martyriumsliteratur ist in einem eher niederen Sprachstil verfasst und zeichnet sich durch zahlreiche biblische Bezüge aus (z.B. Reminiszenzen auf die → Passion Jesu
Generell stehen in der frühchristlichen Märtyrerliteratur weniger Verfolgungswellen, die sich gegen Gemeinden richten, im Mittelpunkt als vielmehr das Schicksal einzelner Christen und dessen theologische Interpretation. In den uns erhaltenen Schriften werden literarisch verschiedene Verhaltensweisen diskutiert und herausgestellt: die Ablehnung von Selbstanzeigen bzw. übermäßiger Martyriumssehnsucht, die Erlaubnis zur Flucht oder das standhafte Verhalten nach der Gefangennahme (M. Polyc.). Als Gegenspieler der Märtyrer wird der Teufel verstanden, wie er sich in den Vertretern der staatlichen Macht und ihren Foltermethoden zeigt. Der Kampf gegen den Antagonisten wird häufig mit agonistischen Metaphern beschrieben: letztlich gewinnt der Märtyrer den Wettkampf und erhält den Siegeskranz. Es handelt sich um einen moralischen Sieg, der in der sofortigen Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit mündet. Herausragendes Moment ist die Christus-Beziehung der Märtyrer: Die Verurteilten ahmen ihren Herrn Jesus Christus nach (imitatio Christi), der in ihrem Leiden und Sterben bei ihnen ist. Das Bekenntnis „Christianus/Christiana sum“ stiftet Identität in den christlichen Gemeinschaften und bestärkt sie in ihrem bedrängten Dasein in der damaligen Gesellschaft.
3.3. „Sitz im Leben“: Märtyrerverehrung
Im M. Polyc. 18 findet sich der erste Hinweis auf eine kultische Verehrung der Märtyrer. Nach der Verbrennung ihres Bischofs Polykarp sammelt die Gemeinde dessen Gebeine auf, um sie an einem passenden Ort zu bestatten. An dieser Stelle wird sie künftig seines Todestages in besonderer Weise gedenken. Formal knüpft diese Form der Märtyrer-, Apostel- und Heiligenverehrung an den antiken Totenkult an. Da man im Rahmen der liturgischen Feier des Märtyrergedenktages oft auch den entsprechenden Martyriumsbericht verlas (vgl. P. Perp.), wurde es nötig, das (Konkurrenz-)Verhältnis des neuen Genres Martyriumsliteratur zu den Schriften der apostolischen Zeit zu bestimmen: Im Zuge der neutestamentlichen Kanonbildung wurde geklärt, dass die Martyriumstexte nicht Heilige Schrift sind. Teilweise verbot man deshalb auch ihre liturgische Verlesung.
Im 3. Jahrhundert beginnen insbesondere größere Gemeinden, die Anniversarien lokaler Märtyrer sowie Bischöfe in Listen einzutragen (vgl. → Tertullian
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Lexikon der antiken christlichen Literatur, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 2002 (Art. Kalender; Martyrologium, Menologion, Synaxarion; Art. Märtyrerakten)
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff. (Art. Heiligenverehrung; Art. Martyrium II)
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2005
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2005 (Art. Martyrium)
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
2. Weitere Literatur
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- Baumeister, Th., 2004, Märtyrer und Martyriumsverständnis im frühen Christentum: Ursprünge eines geschichtsmächtigen Leitbildes, WiWei 67, 179-190
- Baumeister, Th., 21994, Zeugnisse der Mentalität und Glaubenswelt einer vergangenen Epoche. Hagiographische Literatur und Heiligenverehrung in der Alten Kirche, in: H.R. Seeliger (Hg.), Kriminalisierung des Christentums? Karlheinz Deschners Kirchengeschichte auf dem Prüfstand, Freiburg, 267-279
- Binder, T., 2005, Semen est sanguis Christianorum. Literarische Inszenierungen von Macht und Herrschaft in frühchristlicher Passionsliteratur, Berlin
- Brox, N., 1961, Zeuge und Märtyrer. Untersuchungen zur frühchristlichen Zeugnis-Terminologie (StANT 5), München
- Campenhausen, H. von, 21964, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche, Göttingen
- Engel, U., 2011, Radikale Treue zum radikalen Zeugnis Jesu. Theologische Dimensionen des christlichen Martyriumsbegriffs, WuA 52, 101-106
- Frend, W.H.C., 1965, Martyrdom and Persecution in the Early Church. A Study of a Conflict from the Maccabees to Donatus, Oxford
- Delehaye, H., 21933, Les origines du culte des martyrs (SHG 20), Bruxelles
- Delehaye, H., 21966, Les passions des martyrs et les genres littéraires (SHG 13b), Bruxelles
- Delehaye, H., 1927, Sanctus. Essai sur le cult des saints dans l’antiquité (SHG 17), Bruxelles
- Henten, J.W. van, 2002, Die Märtyrer als Helden des Volkes, in: H. Lichtenberger / G.S. Oegema (Hgg.), Jüdische Schriften in ihrem antik-jüdischen und urchristlichen Kontext (JSHRZ-St. 1), Gütersloh, 102-133
- Moss, C.R., 2010, On the Dating of Polycarp: Rethinking the Place of the Martyrdom of Polycarp in the History of Christianity, EC 1, 539-574
- Moss, C.R., 2010, The other Christs. Imitating Jesus in ancient Christian ideologies of martyrdom, New York
- Scheele, P.-W., 2008, Zum Zeugnis berufen. Theologie des Martyriums, Würzburg
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