Deutsche Bibelgesellschaft

Messiasgeheimnis

(erstellt: Januar 2011)

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Das Markusevangelium will eigentlich Heidenchristen Jesus als → Messias und → Sohn Gottes in seinem Wirken und Lehren sowie in seinem Leiden nahebringen. Gerade deswegen ist der Leser befremdet von der anscheinend widersprüchlichen Darstellung der Hauptperson, die sich in ihrem Wesen zugleich offenbart und verhüllt. Mit W. Wrede fassen wir den Begriff „Messiasgeheimnis“ jedoch weit. Nicht nur die Messianität Jesu soll geheimgehalten werden (Mk 8,30), sondern auch sein Wunderwirken, seine Verklärung auf dem Berg; verborgen bleibt den meisten ferner der Sinn seiner zentralen Botschaft und seiner Weisungen. All diese Motive hängen zusammen.

1. Die Komponenten des Messiasgeheimnisses

1.1. Die Geheimnismotive in den Wunder- und Epiphaniegeschichten

Das erste → Wunder, das Markus berichtet, ist die Vertreibung eines unreinen Geistes aus einem Mann, mit der Jesus die Vollmacht seines Lehrens in der Synagoge von → Kapharnaum unterstreicht, also in voller Öffentlichkeit (Mk 1,21-28). Wie auch bei anderen Exorzismen (Mk 3,11; Mk 5,7) schreit der Dämon gleich zu Beginn sein Wissen um Jesus heraus. Der schilt ihn und gebietet ihm Schweigen (Mk 1,24f). Jesus will nicht, dass die bösen Geister ihn bekannt machen (Mk 3,12), obwohl – oder besser: weil – sie wissen, wer er ist (Mk 1,34c), der Heilige Gottes bzw. der Sohn Gottes. An sich ist das „Anfahren“ (ἐπιτιμᾶν) und „Verstummenmachen“ (φιμοῦν) Teil des Machtkampfes zwischen Jesus und den → Dämonen (vgl. Mk 9,25; Mk 4,39 gegenüber dem Sturm, Lk 4,39 gegenüber dem Fieber; vgl. Jud 9); es dient aber zugleich der Geheimhaltung seiner wahren Würde vor den Massen (vgl. noch einmal Mk 9,25). Die Menge sieht nur die Machttat und ist erstaunt (θαμβεῖν) bzw. erschrocken (φοβεῖσθαι), ja sie reagiert mit Abwehr (vgl. Mk 5,17).

Zugleich verbreitet sich der Ruf des Wundertäters (z.B. Mk 1,28; Mk 6,14). Die Leute kommen zuhauf zu ihm und suchen seine Kräfte. Er aber zieht sich oft in ein Haus (vgl. Mk 1,29; Mk 2,1; Mk 7,24) oder an einen einsamen Ort (Mk 1,35.45b) zurück. Vergeblich (Mk 7,24). Zwar nimmt er bei → Heilungen die Kranken beiseite (vgl. Mk 7,33; Mk 8,23), er lässt nur wenige → Zeugen bei einer Totenerweckung (vgl. Mk 5,37.40b) oder beim Sichtbarwerden seines Gottessohn-Seins auf dem Berg (vgl. Mk 9,2) zu. Jesus trägt den Geheilten bzw. den Zeugen auf, niemand von dem Wunder (Mk 1,44; Mk 5,43; Mk 7,36a) bzw. von dem Geschauten (Mk 9,9) zu erzählen, höchstens in der eigenen Familie (Mk 5,19; vgl. Mk 8,26). „Je mehr er es ihnen aber auftrug, desto mehr verkündeten sie“ (Mk 7,36b). Der vom Aussatz und der vom Dämon Befreite (Mk 1,45; Mk 5,20) künden in ihrer ganzen Region von dem, was Jesus ihnen getan hat. Sie werden nicht dafür getadelt, dass sie sich seinem Befehl widersetzen.

Es ist auch nicht so, dass Jesus sich scheute, seine Macht durch Wunder zu demonstrieren. Zwar verweigert er dieser Generation gegenüber ein Zeichen vom Himmel (Mk 8,11f), aber das Erbarmen bewegt ihn immer wieder dazu, alles heil zu machen. Dazu fordert er allerdings eine Atmosphäre des Glaubens, d.h. zunächst des Zutrauens zum Können des Wundertäters (vgl. Mk 9,19.23). Wo er von vornherein auf Unglauben stößt wie in → Nazareth, kann er keinen Machterweis vollbringen (Mk 6,1-6). Das Wunder soll aber auch → true erzeugen. Das zeigt das ganz redaktionelle Gespräch über die beiden Brotvermehrungen Mk 8,14-21, in dem Jesus den Jüngern Verhärtung des Herzens vorwirft, weil sie keine erneute Brotgabe von ihm erwarten. Da geht der Sauerteig der → Pharisäer und des → Herodes auf, die auf eine Heilung hin beschlossen, Jesus zu töten (Mk 3,6). Die Zeitgenossen Jesu nehmen nur das Außergewöhnliche am Wunder wahr (vgl. die „Chorschlüsse“), merken aber nicht, wer der ist, der sie wirkt. Selbst die → Jünger nicht: Ihre Frage nach der Stillung des Sturms „Wer ist dieser…?“ (Mk 4,41) steht unbeantwortet im Raum bis zum Christusbekenntnis des Petrus Mk 8,29. Aber auch hier gebietet der markinische Jesus den Jüngern, mit niemand über dieses Persongeheimnis zu reden (Mk 8,30). Warum nur? War die Offenbarung seines messianischen, göttlichen Wesens nicht der Zweck des Wundertuns? Geheimhaltung der Wunder und Messiasgeheimnis im engeren Sinn scheinen zusammenzuhängen (richtig Watson 49-52).

1.2. Die Geheimnismotive in der Verkündigung und Lehre Jesu

Den Wundern deutlich vorgeordnet ist seine Aufgabe, die Frohe Botschaft vom nahen → Reich Gottes zu verkünden (vgl. Mk 1,14f.38f.). Das Verkündigen findet in den offiziellen Synagogen oder am See statt, am Ende lehrt Jesus sogar im zentralen Heiligtum in Jerusalem. Und doch ist beides, die Frohe Botschaft und die Lehre, vom Schleier des Geheimnisses umgeben. Jedenfalls für die Außenstehenden. Für sie haben die → Gleichnisse und Bildworte Jesu die Funktion der Verrätselung. Sie sollen nach Jes 6,9f sehen und doch nicht sehen, hören und doch nicht verstehen.

Letzteres bezieht sich auf das Wort vom Gottesreich. Da aber das Nicht-Sehen und Nicht-Hören Mk 8,18 (hier unter Verwendung von Jer 5,21) auch im Zusammenhang des Jüngerunverständnisses gegenüber Wundern vorkommt, sind wir berechtigt, eine pragmatische Verbindung anzunehmen zwischen der Gleichnistheorie des Markus und dem Geheimnismotiv in den Wundergeschichten. Dort sind allerdings die Person Jesu und ihr Tun vom Geheimnis verhüllt, hier zunächst das Reich Gottes und Fragen der Ethik. Doch in Mk 8,31; Mk 9,31 umfasst die Lehre auch das Geschick des Menschensohns.

Den ausgewählten Jüngern aber gelten die Aufrufe zum Hören und Verstehen. Ihnen ist „das Geheimnis des Reiches Gottes“ – ein apokalyptisches Konzept – geschenkt (Mk 4,11f), obwohl auch sie der Vorwurf trifft, nicht zu verstehen (Mk 7,18; Mk 8,17f.21). Den Sinn seiner Gleichnisse, aber auch seiner Lebensweisung, erschließt der Meister ihnen im kleinen Kreis, oft im Haus, indem er auf ihre Fragen eingeht oder selbst das Gespräch mit einer Frage eröffnet (vgl. Mk 4,10.33f; Mk 7,17; Mk 9,10f.28.33; Mk 10,10; Mk 13,3).

Von Mk 8,31 an aber gibt es einen neuen Gegenstand des Lehrens Jesu: Jedenfalls spricht er jetzt offen – nicht nur verdeckt wie Mk 2,20 – davon, dass der Menschensohn leiden muss, aber auch, dass er auferstehen wird. Wegen dieser exklusiven Lehre für die Jünger will Jesus nicht, dass jemand von seinem Durchzug durch Galiläa erfährt (Mk 9,30f; vgl. Mk 10,32 beiseite nehmen). Aber auch hier hält das Unverständnis der Jünger an, wie aus ihrem Streiten, ihren uneinsichtigen Fragen und Wünschen sowie ihrer permanenten Furcht hervorgeht. Sie fürchten sich sogar, Jesus nach seinem vorausgesagten Geschick zu fragen (Mk 9,32). Ausgesucht, um an Jesu Gebetsringen teilzunehmen, versinken die vier Spitzenjünger im Schlaf (Mk 14,37.40); Petrus bestreitet schließlich, Jesus je gekannt zu haben (Mk 14,66-71).

2. Herkunft und Sinn des Messiasgeheimnisses

2.1. Historisch-psychologische Erklärung

Bis ins 19. Jahrhundert hinein, aber manchmal auch noch heute, versucht man diesen Motivkomplex von der Persönlichkeit Jesu, etwa seiner Bescheidenheit, und ihren geschichtlichen Bedingungen her zu verstehen. Wenn Jesus der verheißene Messias sein wollte, das überkommene Bild von einem militanten, nationalen Messias ihm aber nicht entsprach, musste er Zurückhaltung beim Gebrauch des Titels üben und durfte sich nur gegenüber Juden als Messias äußern, bei denen kein Missverständnis möglich war. Aber die Bekenntnisse der Dämonen etwa sind christologisch durchaus korrekt. Warum werden sie unterdrückt? Überhaupt dürfte ein so zweideutiges und wankendes Verhalten, wie es Jesus bei Markus an den Tag legt, historisch unwahrscheinlich sein. Ein Einblick in seine Psyche ist uns unmöglich.

2.2. Ursprung in der vormarkinischen Gemeinde

Nach W. Wrede sind solche psychologischen und historischen Überlegungen verfehlt. Das Messiasgeheimnis sei aber auch nicht einfach die Erfindung des Markus. Es stamme aus der Zeit, als man zwar wusste, dass die Messianität Jesu erst in der → Auferstehung anfing, sie aber doch in die an sich unmessianischen Traditionen vom Irdischen zurücktragen wollte. Die dabei entstehende Spannung habe man durch das Geheimnismotiv gelöst. Nun versteht aber schon die → Logienquelle (vgl. Lk 7,18-23) die Heilungen und Totenerweckungen Jesu als Ausweis des verheißenen Heilbringers (Mt 11,2 verdeutlicht: als „Werke des Messias“), so dass unmessianische Wunderüberlieferungen wenig wahrscheinlich sind. Auch verrät Markus keine Kenntnis davon, dass die Messiaswürde Jesu erst an Ostern „hergestellt“ wurde. Titel wie „Messias“ oder „Sohn Gottes“ sind nicht proleptisch gemeint. Wohl sind nicht alle Perikopen gleichermaßen von der Theorie des Messiasgeheimnisses durchdrungen; und es mag für diese schon in der Überlieferung Ansätze gegeben haben (z.B. Verstummungsbefehl für Dämonen, Geheimhaltung bei magischen Praktiken, Parabeltheorie auch Joh 10,6; Joh 16,25). Aber erst der Evangelist hat wohl die verschiedenen Elemente zur Gesamtkonstruktion zusammengefügt.

Dagegen betonen Räisänen und Pesch, dass die meisten genannten Einzelzüge traditionell sind und dass sie nichts miteinander zu tun haben. Aber Mk 3,12; Mk 8,30; Mk 9,9 sind sicher dem Evangelisten nicht vorgegeben (gegen Pesch II 39, vgl. Schnelle 253f).

2.3. Redaktioneller Umgang des Evangelisten mit dem Stoff

Diese redaktionskritische Erklärung gewann nach dem ersten Weltkrieg immer mehr Einfluss. Der Sprachgebrauch des Markus wurde genauer untersucht. Man fand bei den Einzelmotiven des Messiasgeheimnisses sein typisches Vokabular. Freilich sind die Forscher sich nicht einig darüber, weshalb der Evangelist Jesus diese Strategie zugeschrieben hat.

Eine in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts populäre These geht vom unterschiedlichen religionsgeschichtlichen Charakter des verarbeiteten Stoffes aus. Danach vertreten die Wundererzählungen eine hellenistische Christologie vom „göttlichen Menschen“, die Markus nur widerstrebend aufnehme und durch das Messiasgeheimnis mit der ihm vorliegenden Passionstradition zu vereinbaren suche (Weeden, Schenke 1974, der seine Meinung aber inzwischen geändert hat). Aber der Evangelist hat nichts gegen Wunder, er vermehrt sie noch in seinen Summarien, er schildert mit Genugtuung den Eindruck, den sie auf das Volk machten. Das Unverständnis der Jünger besteht in der ersten Hälfte des Evangeliums darin, dass sie Jesus keine Wunder zutrauen (Mk 4,40; Mk 6,52; Mk 8,18-21). Hätte Markus diese relativieren wollen, dann dürfte er nicht – bis auf zwei Ausnahmen (Mk 5,43; Mk 8,26) – zulassen, dass die Schweigegebote erfolglos bleiben.

2.4. Die Erklärung vom literarischen Effekt her

Die dauernde Durchbrechung des Geheimnisses bringt auf den Gedanken, dass es nur den Wert der Offenbarung steigern soll. Wie Mysterienkulte durch Geheimhaltung und erschwerten Zugang zu religiösen Gütern diese erst attraktiv machen, so hätte Markus das Schweigegebot als „schriftstellerisches Motiv“ eingesetzt, um das nachösterliche „sieghafte Hinausrufen“ des Evangeliums in alle Welt herauszustellen (Ebeling 145). Nun ist nach Mk 4,22 klar: „Nichts ist verborgen, es sei denn, damit es offenkundig werde“. Das Messiasgeheimnis ist kein Endzweck, sondern bewirkt, dass der Inhalt des Evangeliums dem „Endverbraucher“ interessant erscheint. Aber nach der Erzählung ereignet sich das Offenbarwerden auch schon vor Ostern. Der Leser wird sich fragen: Warum hat dann nicht Israel, warum haben nicht einmal Jesu eigene Jünger zu seinen Lebzeiten diese Heilsbotschaft recht aufgenommen?

2.5. Am ehesten zureichend: die apologetische Erklärung

Genau auf diese Fragen antwortet aber das Messiasgeheimnis. Es ist befristet: Die Jünger sollen von der Schau des Gottessohnes niemand etwas sagen, „es sei denn, wenn der Menschensohn von den Toten auferstanden ist“ (Mk 9,9). D.h.: Das Phänomen Jesus kann man erst vom Ende her als ganzes recht in den Blick bekommen, in der nachösterlichen Verkündigung. Wenn Markus aber deren Grundlegung in der irdischen Geschichte Jesu beschreiben wollte, musste er in seinem Evangelium ein doppeltes Ziel verfolgen. Wie M. Dibelius (232) richtig bemerkt, galt es, einerseits die Züge an der Überlieferung zu betonen, die Jesus als Messias erwiesen, zugleich aber zu zeigen, warum er doch nicht vom Volk als Messias erkannt wurde; deshalb konzipierte er sein Evangelium als „Buch der geheimen Epiphanien“.

Das Ärgernis des Unglaubens in Jesu eigenem Volk wird zweifach bewältigt: Einmal zeigt die ungeheure Wirkung Jesu auf die Volksmassen, die Verbreitung der Kunde von seinen Wundern trotz Verbot, zuletzt die Selbstoffenbarung Jesu vor dem Hohen Rat (Mk 14,61f), dass sie ihn als gottgesandten Heilbringer hätten erkennen können (vgl. Mk 1,44 „ihnen zum Zeugnis“). Dass sie das aber nicht taten, lag an ihrer Verstocktheit (Mk 3,5), eine Lösung, mit der auch sonst im NT missionarischer Misserfolg theologisch rationalisiert wird (vgl. 2Kor 3,14; Röm 11,7.25; Apg 28,25-27; Joh 12,39f). Nach dem Jesaja-Zitat Mk 4,12 ist das Nicht-Sehen und Nicht-Verstehen sogar die Absicht der Gleichnisrede Jesu. Sollten etwa die Schweigegebote ähnliches für die Machttaten bewirken?

Wenn man eine solche ähnliche Funktion annehmen darf (s. auch oben unter 1.2), erledigt sich ein Haupteinwand gegen die apologetische Deutung, dass sie sich nämlich allein auf die Parabeltheorie stützen kann (vgl. z.B. Räisänen 56f). Auch die Durchlöcherung der Redeverbote hat eine Entsprechung bei den Gleichnissen: Mk 12,12b merken die jüdischen Führer, dass sich das Gleichnis 12,1-9 an sie richtet - als Anklage und Drohung wegen ihrer Mordpläne. Mit der faktischen Durchbrechung des Geheimnisses wird also - wie bei den Wundern - die Verantwortlichkeit der Juden festgehalten. Die apologetische Erklärung wird diesem Moment am besten gerecht.

Als verstockt erweisen sich auch weithin die Jünger (Mk 6,52; Mk 8,17), obwohl sie Jesu Wunder aus der Nähe bezeugen können und gesonderter Belehrung teilhaftig werden. So wird schließlich ihr Abfall in der kritischen Situation des Leidens verständlich. Sie erfüllen aber eine doppelte Funktion: Sie veranschaulichen nicht nur verfehlte → Nachfolge, sie bilden auch mit dem Wissen und der Vollmacht, die Jesus ihnen mitteilte, die Traditionsbrücke zur Verkündigung von Jesus Christus nach Ostern. Nachdem die jüdischen Autoritäten – mit wenigen Ausnahmen (vgl. Mk 12,28-34; Mk 15,43) – Jesus abgewiesen und dem Tod überliefert haben, steht der Hauptmann Mk 15,39 für die heidenchristlichen Empfänger der Botschaft. Er hat – freilich auf Grund eines kosmischen Zeichens – die entscheidende Erkenntnis, dass Jesus Gottes Sohn war, und das angesichts des Gekreuzigten, den die Hohenpriester und Schriftgelehrten nur spöttisch als „den Messias, den König Israels“ titulieren. Da die Kreuzigung des angeblichen Messias der eigentliche Skandal war, müssen die Jünger durch die Weissagungen Jesu darauf vorbereitet werden, dass das Leiden des Menschensohnes gottgewollt ist. Solange bleibt das Bekenntnis des Petrus mit Schweigen versiegelt; sein Widerstand verrät ja auch, dass er das Leiden darin noch nicht integriert hat (vgl. Mk 8,29-33).

2.6. Ergänzend: der paränetische Zweck

Die Auseinandersetzung Jesu mit Petrus über das Leidenmüssen des Messias als Menschensohn wird abgelöst von einer Unterweisung, zu der Jesus außer den Jüngern ausdrücklich noch die Menge herbeiruft (Mk 8,34-38). Dabei geht es um die Notwendigkeit, in der Nachfolge Jesu Kreuz und Lebensgefahr auf sich zu nehmen. Darin hat man manchmal den letzten Sinn des Messiasgeheimnisses gesehen: „daß man Gottesoffenbarung in Jesus gar nicht anders als auf dem Weg des Nachfolgers, also auch erst nach dem Leiden des Menschensohnes verstehen kann“ (Schweizer 8). Dabei unterlegt man Markus gelegentlich eine zugespitzte Kreuzeschristologie in der Art von 1Kor 1f. Doch ist der Ausblick auf die Auferstehung in den Leidensweissagungen nicht zu übersehen. Die Nachfolge auf dem Weg zum Kreuz aber ist eine praktische Folgerung für den, der Jesus auch in seinem Leiden schon als Messias erkannt hat.

2.7. Fazit

Das Messiasgeheimnis ist als Komplex ein Konstrukt des Evangelisten Markus. Um den Leser zur rechten Erkenntnis anzuleiten, wer Jesus im Ganzen seines irdischen Weges, der am Kreuz endet, war, zeichnet er nicht nur seine eigentlich allen einsichtige messianische Laufbahn nach, sondern führt auch restriktive Momente ein. Diese sollen verständlich machen, warum Israel – lange Zeit auch die Jünger – nicht zu dieser Erkenntnis kam. Die Verstockung Israels und das Unverständnis der Jünger bewirken zusammen mit dem Sich-Entziehen Jesu gegenüber seinen Zeitgenossen beim Leser aus der Völkerwelt den Eindruck, dass ihm diese Erkenntnis vorbehalten ist. Weil er die Geschichte Jesu von ihrem glorreichen Ende her lesen kann, kommt bei ihm die Selbstoffenbarung Jesu, die durch das Geheimnis geschützt ist, erst an. Zugleicht warnt ihn aber auch das negative Beispiel der Israeliten und der Jünger, dass auch ihm diese Offenbarung durch Unglaube verschlossen bleiben könnte. Deshalb ist es einseitig, wenn Watson den Sinn des Geheimnisthemas darin sieht, dem Leser seine „Prädestination“ zum Bewusstsein zu bringen.

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