Petrus
(erstellt: Oktober 2015)
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1. Bedeutung
Simon Petrus, → Fischer
Im christlichen Abendland erhebt schon früh der Bischof von Rom den Anspruch, Nachfolger Petri zu sein. Das macht Petrus in der → Reformationszeit
Gern hat man der Figur des Petrus eine gewisse Ambivalenz attestiert. Einerseits tritt er als maßgeblicher Protagonist auf, ausgezeichnet mit der Vollmacht zum Binden und Lösen – wofür das Symbol der Schlüssel steht. Andererseits begegnet er in der → Passionsgeschichte
2. Quellen
An der Existenz eines „historischen“ Petrus kann kein Zweifel bestehen. Die Quellen gestatten indessen nur die Nachzeichnung einer literarischen Biographie.
Grundlegende Bedeutung kommt den vier kanonischen Evangelien zu, die Petrus als Anhänger → Jesu von Nazaret
Dem lukanischen Bild in der Apostelgeschichte korrespondieren verschiedene sporadische Notizen im Korpus Paulinum (1Kor 15,5
Unter den → Apostolischen Vätern
Archäologische Spuren gibt es nur wenige. Immerhin eignet ihnen eine besondere Faszination. In →Kaparnaum
3. Biographische Bausteine
Von allen Figuren im Umfeld der Jesusbewegung und der frühen Christenheit findet Petrus im NT am häufigsten Erwähnung. Seine Biographie bleibt fragmentarisch, lässt aber einige große Linien erkennen. Als historische Person bleibt er in lebendiger Erinnerung. Seine literarische Präsentation trägt exemplarische und idealtypische Züge.
3.1. Herkunft / Beruf
Petrus ist → Galiläer
Von Kafarnaum aus betreibt Petrus gemeinsam mit seinem Bruder → Andreas
Im Haus wohnt auch die Schwiegermutter des Petrus, die von Jesus geheilt wird (Mk 1,29-31
3.2. Name / Beiname
Der ursprüngliche Name des Petrus lautet „Simon / Symeon“ (= "Gott hat erhört"); Petrus ist lediglich ein Beiname. Für gewöhnlich steht die Form „Simon“; nur Apg 15,14
Seinen Beinamen erhält der Fischer Simon bei der Etablierung des → Zwölferkreises
- im Kontext der Berufung der Zwölf: Mk 3,16
/ Lk 6,14 => diff Mt 10,2 - im Kontext des Messiasbekenntnisses: Mt 16,18
=> diff Mk / Lk - „Simon, der Petrus genannt wird“ als stille Voraussetzung: Mt 4,18
/ Mt 10,2 - „Kephas“ als einziger Name: 1Kor 1,12
; 1Kor 3,22 ; 1Kor 9,5 ; 1Kor 15,5 ; Gal 1,18 ; Gal 2,9.11.14 - vgl. noch Joh 1,42
Dieser Beiname soll ihn von einem anderen Simon im Zwölferkreis mit dem Beinamen „Kananäus“ bzw. „Zelotes“ (Mk 3,18
Erst im Anschluss an die breite Rezeption der kanonischen Überlieferung von „Simon Petrus“ wandelt sich der Beiname zum Eigennamen und avanciert schließlich zu einem der beliebtesten Männernamen der christlichen Welt: Peter, Pietro, Piero, Pierre, Pierrot, Pedro, Pérez, Peer, Peet, Pit, Pitter, Peko, Petz, Pierce, Petr, Piotř, Pietrek, Pjotr, Petruschka, Petar, Penćo, Petö, Pekka, Butros ... und andere mehr.
3.3. Berufung / Auftrag
Petrus erscheint als ein Mann der ersten Stunde. Das macht seine besondere Nähe zu Jesus aus. Dennoch wird seine Berufung unterschiedlich akzentuiert:
Berufung der beiden Brüderpaare am See: Mk 1,16-20
- Beide Szenen sind in strenger Symmetrie erzählt. Petrus und Andreas werden mit Jakobus und Johannes parallelisiert.
- Der Nachfolgeruf erklingt abrupt und ohne jede Vorbereitung. Er reißt die Fischer mitten aus ihrer Alltagswelt heraus.
Berufung des Petrus am See: Lk 5,1-11
- Lukas hat alles auf Petrus konzentriert. Von Andreas ist keine Rede mehr. Johannes und Jakobus bleiben Statisten.
- Die Berufung wird erzählchronologisch ein Stück nach hinten verschoben. Ihr geht zudem ein Fischfangwunder voraus. Petrus und Jesus haben demnach schon eine Geschichte miteinander, bevor der Nachfolgeruf erklingt.
Berufung des Petrus als eines Täuferschülers am Jordan: Joh 1,35-42
- Petrus und andere befinden sich hier bereits im Kreis des Johannes und wechseln von da aus in die Schülerschaft Jesu über.
- Petrus wird erst an dritter Stelle „berufen“, vermittelt durch seinen Bruder Andreas.
Berufung der Zwölf: Mk 3,16-19
- Die Szene schildert die Etablierung eines besonderen, symbolträchtigen Kreises innerhalb der größeren Schülerschaft Jesu.
- Petrus steht immer an der Spitze der Zwölferlisten. Dieses Ranking hat Bedeutung. Als Erstberufener fungiert er nun auch als Sprecher des Zwölferkreises.
Die Berufung als Schüler begründet eine besondere Beziehung zu dem Lehrer Jesus. Sie hat die radikale Form einer ausschließlichen Zugehörigkeit und impliziert den Bruch mit Familie, Arbeitswelt und Heimat. Zugleich zielt die Schülerschaft auf die Einbeziehung in den Auftrag Jesu – die Sammlung Israels – ab. Die Beteiligung der Schüler, d.h. ihre → Aussendung
* „Ich will euch zu Menschenfischern machen!“: Mk 1,17
Drei weitere Auftragsworte sind an Petrus im Besonderen gerichtet:
- Kontext: Messiasbekenntnis des Petrus, Deutung seines Beinamens
* „Stärke deine Brüder!“: Lk 22,31-32
- Kontext: Tischgespräche nach dem letzten Mahl
* „Weide meine Lämmer!“: Joh 21,15-17
Diese Auftragsworte sind sowohl Ausdruck der allgemeinen Beauftragung / Sendung der Schüler Jesu als auch Niederschlag einer besonderen, exemplarischen Funktion des Petrus.- Kontext: Erscheinung des Auferstandenen am See
3.4. Funktion im Zwölferkreis
Die Evangelisten stilisieren Petrus nicht nur als Erstberufenen, sondern auch als Wortführer des Schülerkreises, der stets die Initiative ergreift und Verantwortung übernimmt. In dieser Rolle erscheint er in verschiedenen Figurenkonstellationen:
Anführer der Zwölferlisten: Mk 3,16-19
- Berufung am See: Mk 1,16-20
- Betrachtung des Tempels: Mk 13,3
Dreiergruppe: Petrus – Jakobus – Johannes (d.h. Petrus und die Zebedäussöhne)
- Jairustochter: Mk 5,22-24.35-43
- Verklärung: Mk 9,2-10
- Gethsemane: Mk 14,32-42
Zweiergruppen
- Brüderpaar Petrus und Andreas: Berufung am See (Mk 1,16-18
- Schülerpaar Petrus und Johannes in Lukas / Apostelgeschichte: Bereitung des Passamahles (Lk 22,7-13
- Petrus und der „Lieblingsjünger“ bei Joh: Vermittlung beim Mahl - Bezeichnung des Verräters (Joh 13,21-26
In exponierter Weise ist Petrus auch bei einigen Wundertaten Jesu beteiligt:
Heilung der Schwiegermutter des Petrus: Mk 1,29-31
Petrus auf dem Wasser: Mt 14,22-33
- Seewandelgeschichte Mk 6,45-52
/ Joh 6,16-21 ohne „Ausstieg“ des Petrus - Lk lässt die Episode im Rahmen seiner mkn. Auslassung (Mk 6,45-8,26
) ganz weg
Seinen wichtigsten Auftritt hat Petrus, als er bei → Cäsarea Philippi
Bekenntnis: Mk 8,27-30
- Nur Mt 16,17-19
fügt das Felsenwort / die Verheißung als zusätzliche Bestätigung ein. - Durch die folgende erste Leidensankündigung interpretiert Jesus das Bekenntnis.
- Der Einspruch des Petrus gegen den Leidensweg trägt ihm eine scharfe Abfuhr ein.
Satanswort: Mk 8,32-33
- Bei Mk / Mt vermag Petrus demnach die Vorstellung eines leidenden Messias nicht zu akzeptieren.
- Lk lässt dieses Wort aus und unterstreicht damit die stumme Zustimmung des Petrus.
Petrus wird in diesem Zusammenhang als derjenige dargestellt, der sich exponiert, der das gleichsam „in der Luft liegende“ Bekenntnis formuliert, jedoch daran scheitert, seine Tragweite zu erkennen. Als Wortführer erscheint er noch in den folgenden Zusammenhängen:
Hauptakteur
- Suche nach Jesus: Mk 1,35-37
„Simon und die mit ihm“ => diff Mt / Lk - Tempelsteuer: Mt 17,24-27
Disput Jesu mit Petrus => nur MtS - Heilung der blutflüssigen Frau: Lk 8,43-48
Petrus ergreift das Wort => diff Mk / Mt - → Fußwaschung
: Joh 13,1-11
Fragesteller
- nach der Auslegung eines Gleichnisses: Mt 15,15
(rein / unrein => diff Mk); Lk 12,41-48 (Wachsamkeit => diff Mt) - nach den Grenzen der Vergebung: Mt 18,21-22
=> Auftakt zum „Schalksknecht“ - nach dem Lohn der Nachfolge: Mk 10,28-31
/ Mt 19,27-28 - nach dem → verdorrten Feigenbaum
: Mk 11,20-25 => diff Mt - nach dem Termin der Tempelzerstörung: Mk 13,3-37
Durchgängig spielt Petrus die Rolle des exemplarischen Schülers, der auf der Erzählebene an allen entscheidenden Ereignissen beteiligt ist und so als Mann der ersten Stunde auch zum maßgeblichen Traditionsträger wird.
3.5. Passions- und Osterereignisse
In der Passionsgeschichte erfährt die literarische Biographie des Petrus einen Bruch. Trotz eines vollmundigen Treueversprechens leugnet er im Augenblick der Gefahr seine Zugehörigkeit zu Jesus. Der Hahn, der zu einem besonderen Symbol des Petrus geworden ist, signalisiert indessen ganz zu Unrecht einen wankelmütigen Charakter. Petrus beweist vielmehr Mut. Nach Joh 18,10-11
Treueversprechen, Ansage der Verleugnung: Mk 14,26-31
- Mk / Mt: Sach 13, 7
- Versprechen des Petrus - Ansage Jesu - Bekräftigung des Petrus - Lk: „Stärke deine Brüder!“ - Versprechen des Petrus - Ansage Jesu
Schlaf in Gethsemane: Mk 14,32-42
- Nur Mk / Mt nennen die Dreiergruppe, den dreimaligen Schlaf und den Tadel gegenüber Petrus.
- Lk nimmt Petrus heraus und entlastet die Jünger insgesamt. Sie schlafen nur einmal, und das „vor Traurigkeit“.
Schwertstreich bei der Verhaftung: Joh 18,10-11
Verleugnung: Mk 14,66-72
- Nur Mk / Mt sprechen von einer regelrechten „Selbstverfluchung“ des Petrus.
- Lk emotionalisiert die Szene. Beim Hahnenschrei kommt es zu einem Blickkontakt zwischen Jesus und Petrus.
Am Ostermorgen hat Petrus den Weg in die Gemeinschaft der anderen bereits wieder gefunden. Nach Lukas / Johannes prüft Petrus die Mitteilung der Frauen über das leere Grab nach. Eine Erscheinung des Auferstandenen vor Petrus wird nicht erzählt, aber angedeutet. Hier konkurriert Petrus mit → Maria Magdalena
Auftrag an die Frauen: Mk 16,7
Gang zum Grab
-
Lk 24,12
: Petrus überzeugt sich durch Augenschein von den Worten der Frauen -
Joh 20,1-10
: Petrus und der Lieblingsjünger sehen das leere Grab / die Binden
Ersterscheinung des Auferstandenen:
Petrus
die Frauen / Maria Magdalena
-
Mt 28,9-10
: Erscheinung vor den Frauen auf dem Rückweg vom Grab -
Joh 20,11-18
: Erscheinung vor Maria Magdalena
„Heilung“ der dreimaligen Verleugnung im dreimaligen Auftrag: Joh 21,15-17
Auch am Ostermorgen wird Petrus als Mann der ersten Stunde vorgestellt. Sein Scheitern, seine Umkehr und seine Begegnung mit dem Auferstandenen begründen die Autorität, die ihm die frühe Christenheit offensichtlich zugesteht.
3.6. Organisatorische Tätigkeit
Nach Ostern übernimmt Petrus auch in der Jerusalemer Gemeinde eine führende Rolle. Das wird in verschiedenen Zusammenhängen jedenfalls so vorausgesetzt:
- Komplettierung des Zwölferkreises auf Initiative des Petrus: Apg 1,15-26
- Sprecher der Gemeinde gemeinsam mit Johannes: Apg 3,1-10.11-26
; Apg 4,1-22 ; Apg 8,14-25 - Vorsitz in Fragen der Gemeindedisziplin: Apg 5,1-11
- „Visitations“-Verantwortung in → Samarien
und der Küstenebene: Apg 8-9
Immer wieder wird Petrus als der entscheidende Akteur oder Ansprechpartner genannt. Er setzt fort, was er in der Jesusbewegung bereits begonnen hatte.
Der Zwölferkreis mit Petrus als seinem Wortführer bietet sich zunächst als ein bereits vorhandenes Leitungsgremium an. Die neuen Entwicklungen erfordern jedoch schon bald die Etablierung neuer Verantwortungsträger – wie den Kreis der → Presbyter
Lukas lässt Petrus in Apg 15
Insgesamt legt Lukas seine Apostelgeschichte so an, dass der erste Teil von der Figur des Petrus, der zweite hingegen von der Figur des Paulus dominiert wird. Zwischen beiden Figuren gibt es vielfache Parallelen - etwa hinsichtlich ihrer Missions- und Wundertätigkeit. Zweifellos hat Lukas darin etwas von der grundlegenden Bedeutung, die man Petrus in der ersten Generation zuerkannte, eingefangen und festgehalten.
3.7. Missionarische Unternehmungen
Als Erstberufener und Erstzeuge des Auferstandenen wird Petrus nun bei Lukas auch zum Erstverkündiger. Er hält in der Apostelgeschichte insgesamt acht Reden (Paulus: sieben), die ihn in verschiedenen Zusammenhängen als wortmächtigen Prediger und Disputanten ins Bild setzen:
* Apg 1,15-26
* Apg 2,14-36
* Apg 3,11-26
* Apg 4,8-12
* Apg 5,29-33
* Apg 10,34-43
* Apg 11,1-18
* Apg 15,7-11
Die größte Bedeutung kommt hier der Pfingstpredigt zu. Motiviert durch den Geist Gottes tritt die kleine Gemeinde aus der Verborgenheit heraus in die Öffentlichkeit. Petrus weiß das Kommen des Geistes im Lichte der Schriften (Joel 3,1-3
Lukas lässt Petrus zunächst unter seinen jüdischen Landsleuten verkündigen. Das entspricht der Ausgangssituation und wird auch von Paulus bestätigt, der in Gal 2,7-8
In Antiochia findet Petrus eine neue Heimat (Gal 2,11
3.8. Wundertaten
Als Schüler Jesu war Petrus bereits mit dem → Charisma
* Apg 3,1-10
* Apg 5,1-11
* Apg 5,12-16
* Apg 9,32-35
* Apg 9,36-43
Gerade hinsichtlich der Wundertätigkeit wird die Parallelität zu Paulus deutlich sichtbar. Lukas gelingt es damit, auf erzählerische Weise einen Konsens zwischen den führenden Persönlichkeiten der Anfangszeit darzustellen. Erneut verkörpert Petrus das Profil des „Apostels“ auf exemplarische Weise.
3.9. Streit um die Tischgemeinschaft in Antiochia
Von diesem Konflikt, der ein Folgekonflikt des Apostelkonvents ist, berichtet nur Paulus (Gal 2,11-21
Petrus, der sich in Antiochia aufhält, passt sich der dortigen Praxis an. Als jedoch eine Jerusalemer Delegation („Leute des Jakobus“) Einspruch erhebt, gibt er sie wieder auf. Paulus brandmarkt dieses Verhalten als „Heuchelei“ und fordert Petrus in der Gemeindeöffentlichkeit heraus. Vermutlich kommt es zum Bruch, denn Paulus kann gegenüber den Galatern von keiner Einigung oder Übereinkunft berichten. Erst später kommt es zu einer Klärung, die in einer Minimalforderung nach Art des „Aposteldekrets“ besteht.
Dieser Streit hat die Exegese lange beschäftigt. Die Väter störten sich an dem offenen Konflikt der beiden „Apostelfürsten“. Luther hingegen sah im Protest des Paulus gegen Petrus das Modell seines biblisch begründeten Protestes gegen den Papst auf dem „Stuhl Petri“. Die Tübinger Schule versuchte im 19. Jh. beide Apostel als Repräsentanten von Juden und Heidenchristen zu verstehen und erblickten in ihrer Synthese die Geburt der „frühkatholischen Kirche“. Damit ist der kurze Textabschnitt jedoch deutlich überfrachtet worden.
Petrus und Paulus vertreten in diesem Streit berechtigte Anliegen (Böttrich, 2002). Petrus ist an der Einheit der christlichen Gemeinde mit Israel interessiert; für Paulus geht es um die Einheit von Juden und Nichtjuden in der christlichen Gemeinde. Paulus nimmt diese Frage zum Anlass, die Beziehung zwischen Gott und Mensch (seine → Rechtfertigungstheologie
Zugleich fällt ein bemerkenswertes Schlaglicht auf die Beziehung zwischen Petrus und Paulus. Sie ist geprägt von kritischer Kooperation und grundsätzlichem Respekt. In seinen späteren Briefen stellt Paulus die Autorität des Petrus niemals in Frage – auch 1Kor 3,11
3.10. Ende und Tod
Das Ende des Petrus verliert sich im Dunkel. Wo jener „andere Ort“ (Apg 12,17
Über den Tod des Petrus finden sich nur wenige vorsichtige Andeutungen, die jedoch ein gewaltsames Ende nahelegen:
* Joh 21,18-19
- In Form eines → Amen-Wortes
sagt der Auferstandene voraus: Petrus werde seine Hände ausstrecken und ein anderer werde ihn gürten und führen, wohin er (Petrus) nicht will. Der Sprachgebrauch zielt zunächst nur auf die Abhängigkeit des alternden Menschen; eine „→ Kreuzigung “ lässt sich darin noch nicht erkennen. - Der Evangelist kommentiert: „Das aber sagte er, um anzudeuten, mit welchem Tod er (Petrus) Gott verherrlichen werde.“ Er weiß also schon von einer besonderen, jedenfalls nicht natürlichen Todesart. Als „Verherrlichung“ wird bei Joh auch der Tod Jesu bezeichnet.
* 2Petr: dieser Brief ist stilisiert als ein Testament des Petrus
- Die Ahnung des nahen Lebensendes (2Petr 1,13-15
) assoziiert hier zunächst nur das fortgeschrittene Alter. - Hinweise auf ein gewaltsames Ende des Petrus sind in 2Petr nicht zu finden.
* 1Clem 5,1-7: der Passus bringt Petrus und Paulus in Verbindung zu den Märtyrern der jüngsten Vergangenheit
- Petrus sei, nachdem er „Zeugnis abgelegt“ habe, an den „Ort der Herrlichkeit“ gegangen. Damit wird sein bereits erfolgter Tod konstatiert, nicht aber dessen Art.
- „Zeugnis“ hat hier noch nicht zwangsläufig die Bedeutung „→ Blutzeugnis / Martyrium
“. Petrus bezeugt seinen Glauben durch seine Verkündigung. Dann stirbt er. Wie – das bleibt offen.
* IgnRom 4,3: Bischof Ignatius, der zum Martyrium nach Rom transportiert wird, setzt sich selbst zu Petrus und Paulus in Beziehung
- „Nicht wie Petrus und Paulus gebiete ich euch.“ – Ignatius formuliert im → Demutsgestus
. Eher markiert er seinen Unterschied zu den Aposteln, als dass er sich ihnen gleichstellt. - Dennoch steht der ganze Abschnitt im Kontext seiner Martyriumssehnsucht.
Von einem gewaltsamen Ende des Petrus, das nun auch in Rom lokalisiert wird, weiß erst die Legende vom Ende des 2. Jh.s an zu berichten:
* → Petrusakten
- Petrus, der zum Kampf gegen den Magier Simon nach Rom reist, gerät aufgrund seiner Keuschheitspredigt in einen Konflikt mit dem Kaiserhaus. Er flieht aus Rom, begegnet dabei am Stadttor dem Auferstandenen und kehrt wieder um. Daraufhin wird er verurteilt und mit dem Kopf nach unten gekreuzigt.
- Von einer gemeinsamen Wirksamkeit mit Paulus ist in diesem Text keine Rede. Das Martyrium wird in die Zeit → Neros
datiert. Dennoch spielt der Brand Roms dabei keine Rolle. Ebenso fehlt ein direkter Bezug auf Nero; erst im Nachgang kommt der Kaiser noch ins Spiel.
* → Paulusakten
- Hier werden die Petrusakten bereits vorausgesetzt. Ein gemeinsames Wirken wie auch ein gemeinsames Martyrium beider Apostel sind jedoch unbekannt.
- Paulus erleidet den Tod durch das Schwert unter Nero, ohne dass auf den Brand Roms 64 und die folgenden Christenpogrome Bezug genommen würde.
Die Petrusakten gewinnen in der Folge rasch an Popularität und werden in der Väterliteratur breit rezipiert (z.B. Tertullian, Scorpiace 15; Prozesseinreden gegen die Häretiker 36; → Origenes
3.11. Petrus in Rom?
Jahrhundertelang stand das gewaltsame Ende des Petrus in Rom außer Frage. Erst mit Beginn der Neuzeit melden sich aufgrund der spärlichen Quellenlage erste Zweifel. Im 20. Jh. ist es vor allem der Kirchenhistoriker Karl Heussi, der in zahlreichen Publikationen zur „Petrus-Rom-Frage“ bestreitet, dass der Apostel überhaupt jemals in Rom gewesen sei. Grabungen unter San Pietro in Rom in den 1940er Jahren haben ein Grab des Petrus (trotz anders lautender Mitteilungen) nicht nachweisen können. Durch die jüngsten Untersuchungen zu den apokryphen Petrusakten (Zwierlein, 2009) flammt die Debatte erneut auf und wird zum Thema mehrerer Fachtagungen.
Der Befund ist so klar wie unbefriedigend. Literarische Quellen, die den Aufenthalt des Petrus in Rom zweifelsfrei belegen, gibt es nicht. 1Petr 5,13
Unter den literarischen Quellen hat eine Notiz bei Eusebius (Kirchengeschichte II 25,5-7) besondere Bedeutung: Der römische Presbyter Gajus behauptet (ca. 205), er könne „... die Trópaia der Apostel zeigen. Denn wenn du zum Vatikan gehen willst oder auf die Straße nach Ostia, wirst du die Trópaia derer finden, die diese Kirche gegründet haben.“ Mit dem Begriff „Trópaion / Siegeszeichen“ meint Gajus offenbar einen markierten Gedächtnisort, der an das Martyrium erinnert. Dass beide Apostel die römische Gemeinde gegründet hätten, widerspricht klar der Darstellung in Röm 1,8-12
Das „Trópaion des Gajus“ wird durch den archäologischen Befund bestätigt. In der Nekropole unter San Pietro findet sich ein kleines Säulenmonument, das baulich auf eine schon vorgegebene Situation Rücksicht nimmt. Vermutlich markiert es genau jenen Punkt, an dem röm. Christen etwa um 140 einen „cippus“ (eine Art Gedenkstein) errichtet haben. Diese Konstruktion ist in der Folge weiter ausgebaut und schließlich im 4. Jh. zum Orientierungspunkt für die gesamte Konstantinische Anlage geworden. Immerhin bleibt zwischen seiner Errichtung und dem Tod des Petrus noch immer eine Lücke von ca. 70 Jahren offen.
Vom Ende des 2. Jh.s an, etwa zeitgleich mit den apokryphen Petrusakten, verbreitet sich dann in der Väterliteratur die Überzeugung vom gewaltsamen Ende des Petrus in Rom nahezu flächendeckend. Sie wird zur Voraussetzung dafür, dass der römische Bischofsstuhl in der Folge nun auch eine besondere, von Petrus abgeleitete Autorität in Anspruch nimmt.
4. Petrusbilder in den Evangelien
Jeder der vier Evangelisten hat die Figur des Petrus auf seine Weise gestaltet und akzentuiert. Konsens ist, dass Petrus dabei stets auf die Kirche in ihrer Gesamtheit bezogen wird. Die jeweiligen Akzente lassen sich etwa folgendermaßen zuspitzen:
Petrus ist durchgängig Traditionsträger und Garant der Jesusüberlieferung, der in seiner Person die Zeit der Jesusbewegung mit den Ereignissen der frühen Christenheit zusammenhält. Seine Autorität steht hinter dem Entstehungsprozess der Evangelien im Ganzen. Darin liegt auch das sachliche Recht der ansonsten legendarischen Auffassung, Markus habe als Dolmetscher die Vorträge des Petrus aufgeschrieben (so etwa Papias, Fragm. 2,15; Irenäus, Gegen die Häresien III 1,1; Clemens Alexandrinus, bei Eusebius, Kirchengeschichte II 15,1-2; Hieronymus, Über berühmte Männer 1; und andere mehr). Petrus ist im Bewusstsein der Frühzeit so etwas wie die „graue Eminenz“ der Evangelientradition.
Markus fügt als erster die Petrusfigur in das Grundgerüst seines Evangeliums ein. In 15 Episoden platziert er Petrus jeweils an Schlüsselstellen der Erzählung: Petrus ist der Erste, dem Jesus begegnet (Mk 1,16
Matthäus baut die Petrusepisoden weiter aus - besonders markant etwa in der Erzählung von Petrus auf dem Wasser (Mt 14,28-31
Lukas entwirft das Bild des Petrus noch einmal neu, indem er über die Vorgaben des Markus hinaus den Apostel nun auch in die Geschichte der frühen Kirche hineinführt und dabei in besonderer Weise mit Paulus koordiniert. In der Apostelgeschichte stellt er ihn als vollmächtigen Organisator, Verkündiger und Wundertäter vor, der an allen maßgeblichen Weichenstellungen beteiligt ist. Gegenüber Matthäus entschärft er alle Spannungen im Bild des Petrus, nivelliert seinen Protest in Sachen Christologie und mildert sein Versagen während der Passionsereignisse ab. Den Streit um die Tischgemeinschaft übergeht er in Apostelgeschichte mit Stillschweigen. Dafür lässt er alle entscheidenden Impulse und Durchbrüche von Petrus ausgehen. Die Figur des Petrus ist bei Lukas in erster Linie durch ihre innovative Kraft und persönliche Integrität gekennzeichnet.
Johannes präsentiert in seiner Erzählung den geheimnisvollen „Lieblingsjünger“ als den maßgeblichen Traditionsträger seiner Gemeinde. Es trifft jedoch nicht zu, dass Petrus dieser johanneischen Figur gegenüber abgewertet würde. Vielmehr sind beide auf sorgfältige Weise einander zugeordnet: der → Lieblingsjünger
5. Petrus-Briefe im Neuen Testament
In der Einleitungswissenschaft herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass die beiden Petrus-Briefe → pseudepigraphe
Der Anspruch auf eine Autorschaft des Petrus wird in den folgenden Passagen zum Ausdruck gebracht:
* 1Petr 1,1-2
* 1Petr 5,1-3
* 1Petr 5,12-14
* 2Petr 1,1-2
* 2Petr 1,12-18
* 2Petr 3,1-2
* 2Petr 3,14-16
Dagegen spricht außer der gediegenen griech. Stilistik vor allem die Beobachtung, das beide Briefe Themen und Probleme einer späteren Zeit behandeln. Sie reflektieren die Situation christlicher Gemeinden, die längst aus dem Schutz des Judentums herausgetreten sind und sich nun mit den Anfeindungen der paganen Gesellschaft auseinander setzen müssen.
Vor allem der → 2. Petrusbrief
Viel diskutiert wurde die Frage, ob sich in beiden Briefen authentische „Petrustradition“ erhalten habe, oder ob sie nicht viel stärker unter dem Einfluss der paulinischen Theologie stünden (Herzer, 1998). Auch wenn man heute das eigenständige Profil beider Briefe wieder höher bewertet – einen Zugang zur Verkündigung des „historischen“ Petrus eröffnen sie nicht.
6. Apokryphen und Legenden
Es verwundert nicht, dass eine Figur wie Petrus schon bald auch zum Gegenstand der Legendenbildung werden musste. Das betrifft vor allem die auffällige Leerstelle zu seinem Ende. Vom 2. Jh. an haben sich apokryphe Schriften, → gnostische Texte
* Petrusakten (Ende 2. Jh.): Der in mehreren Fragmenten überlieferte Text erzählt von der Reise des Petrus nach Rom, seinem Kampf mit dem Magier Simon und seiner Kreuzigung unter Nero. Hier findet sich auch erstmals die berühmte „Quo vadis?“ - Szene, die dem Erfolgsroman des Nobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz von 1896 den Titel gab.
* → Petrusevangelium
* Apokalypse des Petrus (Mitte 2. Jh.): Mit diesem Text, der Mk 13
* Nag-Hammadi-Korpus: Unter den kopt.-gnost. Texten aus Oberägypten finden sich u.a. „Die Taten des Petrus und der zwölf Apostel“ und ein „Brief des Petrus an Philippus“ sowie eine weitere „Apokalypse des Petrus“, die den Apostel vor allem als Offenbarungsträger darstellen.
* Pseudo-Clementinen (2. / 3. Jh.): Dieser „christliche Roman“ vereint eine Fülle von apokryphen Petrusüberlieferungen und verbindet sie mit der Familiengeschichte des Römers Clemens.
* Legenda aurea (13. Jh.): Der Abschnitt „Vom heiligen Apostel Petrus“ fasst unter dem 29. Juni die Fülle der bisherigen Petruslegende zusammen und popularisiert sie für das christliche Abendland.
Von besonderer Wirksamkeit war es, dass Petrus und Paulus als „apostolisches Zwillingspaar“ mit der römischen Gemeinde in Verbindung gebracht wurden. Seit 258 nachweisbar feiert man am 29. Juni das Fest der beiden Apostel Peter und Paul. Papst Damasus (366-384), der sie als die „neuen Sterne Roms“ preist, liefert dafür den wichtigsten Impuls.
Eine Reihe von Zügen, die deutlich über die kanonische Überlieferung hinausgehen, prägen nun das Bild des legendarischen Petrus:
- Petrus stirbt in demütiger Weise den Kreuzestod seines Meisters (Apokryphen).
- Petrus wird vor allem als Ketzerbekämpfer in Szene gesetzt (Legende, Roman).
- Petrus fungiert als herausragender Offenbarungsträger (Gnosis).
- Petrus gilt als der engste Vertraute des wahren Propheten (Judenchristentum).
Der „heilige“ Petrus gelangt schon früh zur Ehre der Altäre und wird zum Patron zahlreicher Kirchen vor allem im christlichen Abendland.
7. Petrus und der päpstliche Primat
Ein spezifisches „Petrusbewusstsein“ bildet sich in der römischen Gemeinde seit dem späten 2. Jh. aus. Es knüpft an die zunehmend breiter gestreute Tradition vom → Martyrium
Erst im 5. Jh. wird der römische Primatsanspruch auch argumentativ entfaltet. Hierbei spielen vor allem Bonifaz I. (418-422) sowie Leo I. (440-461) eine entscheidende Rolle. Sie schaffen die Grundlagen, auf denen das Selbstbewusstsein des römischen Bischofs als eines „vicarius Petri“ fortan aufbaut. Während der Zeit des „Reformpapsttums“ im 12. Jh. löst der Titel „vicarius Christi“ allmählich den älteren Titel „vicarius Petri“ ab. Der Bischofsstuhl von Rom gilt – nach einem alten Ausdruck Cyprians (ca. 210-258) – nach wie vor als die „cathedra Petri“.
Aus den Kontroversen der Reformationszeit geht der päpstliche Anspruch letztlich gestärkt hervor. Er erreicht einen letzten Höhepunkt im 19. Jh., als auf dem 1. Vatikanischen Konzil (1869-1870) unter Pius IX. (1846-1878) die → Unfehlbarkeit
Aus den Schriften des NT lassen sich weder eine exklusive → Vollmacht
Die Entwicklung des römischen Primatsanspruches unter Berufung auf den „Stuhl Petri“ ist ausschließlich ein Phänomen der Kirchengeschichte, nicht aber der biblischen Überlieferung.
8. Petrusamt und Petrusdienst
Für das ökumenische Gespräch stellt die Institution des Papsttums eines der strittigsten Themen dar. Auch wenn die scharfe Polemik der Reformatoren gegen den Papst als den „→ Antichristen
Hier setzt das ökumenische Dokument „Communio Sanctorum“ von 2000 an, das unter VI. 4. die Frage eines „Petrusdienstes“ erstmalig und umfangreich behandelt. Bereits die Terminologie (Amt / Funktion / Dienst) hat Bedeutung. Vor allem aber: Besteht überhaupt die Notwendigkeit, über einen universalen Dienst für die Einheit der Kirche nachzudenken? Das Dokument votiert mit aller gebotenen Vorsicht für diese Aufgabe. Die römisch-katholische Seite müsste dann freilich ein großes Stück vor das geschichtlich gewordene „Petrusamt“ zurückgehen, während die reformatorischen Kirchen einen großen Schritt über ihr bisheriges Selbstverständnis hinaus unternehmen müssten. Der „Petrus der Bibel“ ist jedenfalls eine integrative Figur, die ihre Erfahrungen der Kirche in ihrer Gesamtheit zur Verfügung stellt. Bei ihr könnte auch eine Verständigung der Kirchen über einen „Dienst an der Einheit“ ansetzen.
Literaturverzeichnis
9.1. Gesamtdarstellungen
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- Brown, R. E. / Donfried, K. P. / Reumann, J. (Hg.), 1976, Das Petrusbild der Bibel. Eine ökumenische Untersuchung, Stuttgart
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- Cullmann, O., 1952, 31970, Petrus. Jünger - Apostel - Märtyrer. Das historische und das theologische Petrusproblem, Zürich
- Dschulnigg, P., 1996, Petrus im Neuen Testament, Stuttgart
- Gnilka, J., 2002, Petrus und Rom. Das Petrusbild in den ersten zwei Jahrhunderten, Freiburg / Basel Wien
- Hengel, M., 2006, Der unterschätzte Petrus. Zwei Studien, Tübingen
- Pesch, R., 1980, Simon-Petrus. Geschichte und geschichtliche Bedeutung des ersten Jüngers Jesu Christi, Päpste und Papsttum 15, Stuttgart
9.2. Einzelthemen
- Afanassieff, N. / Koulomzine, N. / Meyendorff, J. / Schmemann, A. (Hg.), 1961, Der Primat des Petrus in der orthodoxen Kirche, Zürich
- Aland, K., 1950, Der Tod des Petrus in Rom. Bemerkungen zu seiner Bestreitung durch Karl Heussi, in: ders., Kirchengeschichtliche Entwürfe, Gütersloh, 35-104
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Abbildungsverzeichnis
- Petrus (Detail), Masaccio, 1425-1428 Quelle: Wikimedia Commons
- Petrus empfängt die Schlüssel, Perikopenbuch Heinrich II., 11. Jh. Quelle: Wikimedia Commons
- Petrus und der Hahn, Chludov-Psalter, 9. Jh. Quelle: Wikimedia Commons
- Petrus, Ikone vom Sinai, 6. Jh. Quelle: Wikimedia Commons
- Kreuzigung Petri, Filippino Lippi, 1481-1482 Quelle: Wikimedia Commons
- Petrus, San Pietro in Rom, Arnolfo di Cambio, um 1300 Quelle: Foto Radomil 2004, Wikimedia Commons
- Petrus als Schlüsselbewahrer, Kathedrale von Rouen Quelle: Wikimedia Commons
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