Deutsche Bibelgesellschaft

Philemonbrief

(erstellt: Dezember 2008)

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1. Autor, Ort und Zeit der Abfassung

Phlm gehört zu den allgemein als authentisch anerkannten Paulusbriefen, ist der kürzeste dieser Briefe und wurde in Gefangenschaft (vgl. Phlm 1.9.13) abgefasst. Paulus befindet sich in Untersuchungshaft und hofft, beim Prozess frei gesprochen zu werden (vgl. Phlm 22). Laut Selbstbezeichnung ist er ein „alter Mann“ (πρεσβύτης, Phlm 9).

Der Ort der Abfassung hängt unmittelbar mit der Ansiedlung der Gemeinde Philemons zusammen, die aufgrund der Zusammenhänge nicht allzuweit vom aktuellen Aufenthaltsort des Paulus entfernt gewesen sein kann (beachte πρὸς ὥραν – „eine Weile“ in Phlm 15). Traditionell wird die Gemeinde Philemons in Kolossae angesiedelt, weil es nach Kol 4,9.17 in der dortigen Gemeinde Christen namens Onesimus und Archippus gab (vgl. Phlm 2.10); die Identität dieser Personen ist nicht erwiesen und unter Annahme des Kol als deuteropaulinischen Schreibens unsicher. Erwogen werden auch Pergamon (Schenk, 3483) oder Ephesos (Wolter 2009). Als Abfassungsort des Phlm scheidet Caesarea aufgrund der Entfernung aus; zumeist wird heute eine Gefangenschaft des Paulus in Ephesus postuliert (unter Hinweis auf 1Kor 15,32; 2Kor 1,8-10). Gielen spricht sich gegen Ephesos als Ort einer länger andauernden Gefangenschaft des Paulus aus und plädiert für Rom als Abfassungsort; konsequenterweise wäre dann auch in Rom oder Umgebung die Gemeinde Philemons anzusiedeln (Gielen, 91–92).

Eine Abfassungszeit zwischen 52 und 55 n.Chr. ist wahrscheinlich.

2. Ausgangssituation

2.1. Entflohener Sklave

Traditionell wird in Onesimus ein entflohener Sklave gesehen, der bei seiner Flucht seinem Herrn Philemon die Kasse entwendet und so großen Schaden zugefügt habe, nun aber von Paulus reumütig zurückgeschickt werde.

2.2. Gesandter

Onesimus sei von Philemon oder Archippus zu Paulus gesandt worden, und dieser bitte nun darum, Philemon möge seinen Sklaven erneut zu ihm schicken, nunmehr als Gehilfen auf Dauer (bes. Knox, Winter, Schenk).

2.3. Paulus als amicus domini

Onesimus sei kein entflohener Sklave, sondern habe Paulus als eine Art Anwalt aufgesucht, damit dieser im gestörten Verhältnis zwischen ihm und seinem Herrn Philemon vermittle (Lampe 1985; kritisch Harrill, siehe dazu aber Arzt-Grabner 2009).

2.4. Nutzloser Herumtreiber

Onesimus sei kein entflohener Sklave, sondern wiederholt länger als erlaubt fern geblieben. Nun sei er mit Paulus zusammengetroffen, der sich als Vermittler in einer gestörten Beziehung zwischen Sklavenhalter und Sklave anbiete (Arzt-Grabner 2009).

2.5. Kein Sklave

Onesimus sei gar kein Sklave, sondern der leibliche Bruder Philemons („Bruder im Fleisch“ nach Phlm 16), den dieser bisher „wie einen Sklaven“ behandelt habe (Callahan).

2.6. Beschreibung durch Paulus

Als gesichert kann gelten, dass Paulus von Onesimus im Gefängnis besucht wurde, dass Onesimus selbst aber nicht inhaftiert war (sonst hätte ihn Paulus nicht zurückschicken können; Phlm 12). Paulus ist z.Zt. der Abfassung bekannt, dass Philemon seinen Sklaven für „unnütz“ hält (Phlm 11 wörtlich „früher unbrauchbar“), weshalb sich diese Einschätzung des Sklavenhalters nicht auf die aktuelle Situation beziehen kann, sondern als bereits länger bekannte Charakterisierung seinerseits gesehen werden muss.

Nach Phlm 18 hat Onesimus seinen Herrn vielleicht „geschädigt“ oder er „schuldet“ ihm etwas, was auf die jüngsten Ereignisse Bezug nehmen, länger zurückliegen, grundsätzlich gemeint sein kann oder nur rhetorisch.

Die Ausgangssituation selbst wird in Phlm 15 mit den Worten beschrieben: „Denn vielleicht ist er deswegen für eine Weile (von dir) weggegangen, damit du ihn auf ewig zurückerhältst.“ Die passive griechische Form ἐχωρίσθη wird in der gesamten griechischen Literatur und in den Texten des griechisch-römischen Alltags eindeutig im aktiven Sinn von „weggehen“ verstanden (Arzt-Grabner 2004). Die Beschreibung des Paulus, Onesimus sei „nur für eine Weile weggegangen“ und kehre nun zurück, entspricht der Definition eines „Herumtreibers“ bei römischen Rechtsgelehrten (bes. Ulpian, z.B. Dig. 21,1,17,14). Dieser bleibe nur längere Zeit ohne ausdrückliche Zustimmung seines Herrn aus, kehre schließlich aber aus eigenem Antrieb zu diesem zurück, während die Flucht eines Sklaven darauf abziele, auf Dauer nicht mehr unter der Verfügungsgewalt seines Herrn zu sein.

Ob auch Philemon seinen Sklaven in der aktuellen Situation als bloßen Herumtreiber gesehen hat oder doch bereits als Flüchtigen, bleibt unklar. Die Situation muss jedenfalls noch so gewesen sein, dass sie es für Paulus sinnvoll erscheinen ließ, Onesimus gegenüber seinem Herrn als Herumtreiber auszugeben.

Diesbezügliche Unsicherheiten hängen mit dem Brief selbst zusammen, der nur wenige Hinweise über die Ausgangssituation enthält, die zudem als subjektive Beschreibungen des Paulus gesehen werden müssen. Äußerungen oder Antworten Philemons sind ebenso wenig bekannt wie Nachrichten, die Paulus von Onesimus erhalten hat, als dieser mit ihm zusammentraf. Folgende fünf Deutungen werden erwogen:

3. Inhalt und Absicht

3.1. Eingangsgruß (V. 1–3)

In der für Paulus typischen Form „Gnade euch und Friede …“ adressieren Paulus und sein Mitabsender Timotheus nicht nur Philemon, sondern auch Apphia (vermutlich Philemons Ehefrau), Archippus (vielleicht deren Sohn), und schließlich die ganze Gemeinde, die sich im Hause Philemons trifft. Dieser war also als Haushaltsvorstand in der Lage, entsprechend große Räumlichkeiten für Zusammenkünfte der Gemeinde zur Verfügung zu stellen. Wie viele Sklaven er sein eigen nannte, ist nicht bekannt.

3.2. Gebetsbericht, Erinnerungsmotiv, Dank (Überleitung zum Hauptteil, V. 4–7)

Ab Phlm 4 richtet sich Paulus direkt nur noch an Philemon; aufgrund der erneuten Anrede der ganzen Gemeinde ab Phlm 22 ist aber davon auszugehen, dass der gesamte Brief in der Gemeinde vorgelesen wurde und die Gemeinde somit als Zeugin fungierte.

Aus dem hellenistischen Briefformular übernimmt Paulus Gebetsbericht und Erinnerungsmotiv in Phlm 4. Beides wird mit einem Dank an Gott aufgrund guter Nachrichten über den Adressaten kombiniert, einer Konvention griechisch-römischer Epistolographie, die bereits das Briefcorpus einleitet. Dieser Abschnitt fungiert somit bereits als Überleitung zum Hauptteil (in der traditionellen Formgeschichte wird darin hingegen ein eigener Abschnitt „Danksagung“ gesehen, der zum Briefbeginn gerechnet wird).

Die Hervorhebung der positiven Seiten Philemons bereitet das Fundament für den weiteren Verlauf des Briefes und sein zentrales Anliegen.

3.3. Hauptteil des Briefcorpus (V. 8–17)

Paulus legt Fürsprache ein für sein „Kind“ (τέκνον) Onesimus, „den“ (auch im Griech. Maskulinum!) er im Gefängnis „gezeugt“ (also wohl getauft) hat. Die Termini „unbrauchbar“ und „gut brauchbar“, über die Onesimus kontrovers, von Paulus aber eindeutig positiv charakterisiert wird, sind typische Ausdrücke innerhalb einer Sklaventerminologie. Paulus würde den Sklaven gerne bei sich behalten (Phlm 13) und für die Verkündigung des Evangeliums einsetzen (als eine Art Lehrling; Arzt-Grabner 2003, 66–68), bedürfte dafür aber der Zustimmung des Sklavenbesitzers Philemon. Zu Phlm 15 siehe oben unter 2.6.

Phlm 15-16 zeichnet Paulus einen Sinnzusammenhang für die gestörte Situation zwischen Sklave und Sklavenhalter: Letzterer soll seinen Sklaven auf ewig, aber nicht mehr als Sklaven, sondern als geliebten Bruder zurückbekommen. Der zentrale Appell des Paulus folgt in Phlm 17: Wenn Philemon Paulus als „Partner“ (κοινωνός) hat, dann soll er seinen Sklaven aufnehmen wie Paulus, also als „Partner“. Dies meint mehr als den Glaubens-„Bruder“; der griechische Ausdruck κοινωνός meint vor allem den Geschäftspartner oder Teilhaber. Vor diesem Hintergrund geht es darum, dass Philemon seinen Sklaven Onesimus in seinen geschäftlichen Angelegenheiten und/oder in der christlichen Gemeinde mit einer verantwortungsvollen, gleichsam gleichrangigen Position betrauen sollte. Im Rahmen der antiken römischen Sklaverei war dies möglich (vgl. Bieżuńska-Małowist; Straus; Arzt-Grabner 2003; anders Patterson), ungewöhnlich ist die Aufforderung an einen Sklavenhalter, eine derartige Aufgabe einem bisher „unnützen, unbrauchbaren“ Sklaven anzuvertrauen.

3.4. Abschließender Teil des Briefcorpus (V. 18–22)

Weitere Argumente untermauern das Anliegen: Sollte Onesimus seinem Herrn einen Schaden zugefügt haben, so möge Philemon dies Paulus anlasten (Phlm 18), was eine Umkehrung der Verhältnisse bedeutet, denn wenn ein Sklave einem Dritten einen Schaden zufügte, musste der Besitzer dafür aufkommen; Paulus argumentiert, als wäre Onesimus sein eigener Sklave. Dass er für einen eventuellen Schaden bezahlen würde, bekräftigt er mit einer juristischen Formel: „Ich schreibe mit eigener Hand“ (Phlm 19).

Auf das Wortspiel in Phlm 20 (Paulus würde gern von Philemon „einen Nutzen haben“ – Onesimus bedeutet der „Nützliche“) folgt ein Appell an Philemons Gehorsam (Phlm 21). Gleichzeitig hofft Paulus auf seinen baldigen Besuch (Phlm 22).

3.5. Grußteil und Schlussgruß (V. 23–25)

Vor dem eigentlichen und wieder typisch paulinischen Schlussgruß (Phlm 25) werden Grüße anderer übermittelt, hier jene des Mitgefangenen Epaphras sowie der Mitarbeiter Markus, Aristarch, Demas und Lukas (Phlm 23-24).

4. Theologie

Obwohl er kaum theologische Aussagen enthält, die nicht auch in anderen Paulusbriefen (und dort ausführlicher) zu finden wären, hat Phlm seinen festen Platz im neutestamentlichen Kanon gefunden. Zum Charakter der Paulusbriefe als Gelegenheitsschriften gehört die Eigenart, theologische Ideen, Gedanken, Anregungen und Weisungen nicht im luftleeren Raum entstehen zu lassen, sondern auf eine konkrete Alltagssituation einer Gemeinde hin zu entwickeln, also dafür Antworten und Lösungen anzubieten. Als grundlegende Einsicht, die sich nicht nur im Phlm findet, ergibt sich: In jener „Familie“, deren Vater Gott selbst ist, gibt es kein Oben und Unten, sondern ein Neben- und noch mehr Miteinander auf der selben Stufe. Dies betrifft nicht nur den religiösen Bereich im engeren Sinn, sondern den Gesamtbereich menschlichen Lebens. Bei entsprechender Bereitschaft der Beteiligten ist dem schwächeren Partner in einer gestörten Beziehung eine überdurchschnittlich große Chance zur Bewährung einzuräumen, was auf dem Grundsatz basiert, dass mit Liebe und Vertrauen mehr zu erreichen ist als mit „gerechter“ Strafe und Furcht.

Literaturverzeichnis

1. Kommentare

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2. Weitere Literatur

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  • Wolter, M., 2009 (im Druck), The Letter to Philemon as Ethical Counterpart of Paul’s Doctrine of Justification, in: Tolmie (Hg.), Philemon

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