Protevangelium des Jakobus
(erstellt: Oktober 2020)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/200185/
1. Textaufbau
Das sogenannte „Protevangelium des Jakobus“ lässt sich thematisch in drei größere Blöcke gliedern. Im ersten Teil (ProtevJac 1-16) wird von der Empfängnis und Geburt → Marias
Ein Epilog (ProtevJac 25) präsentiert in der ersten Person Singular → Jakobus
2. Titel des Textes, Bezeugung und Datierung
Der heute im deutschsprachigen Raum übliche Titel „Protevangelium des Jakobus“ entstand erst im 16. Jahrhundert und geht auf den Humanisten Guillaume Postel (1510-1581) zurück. Postel nannte den Text Prot-Evangelium, weil er ihn für den verlorengegangenen Anfang des Markusevangeliums hielt, das im Gegensatz zu den anderen synoptischen Evangelien keine Geburtsgeschichte kennt, sondern direkt mit Johannes dem Täufer und der Taufe des erwachsenen Jesus einsetzt.
In ganz anderer Weise wird auch auf den Vers Gen 3,15
In den vielen Handschriften, die den Text überliefern, finden sich dagegen sehr unterschiedliche Titel. So heißt er z.B. „Geburt Marias. Offenbarung des Jakobus“, „Erzählung und Geschichte, wie die hochheilige Gottesgebärerin für unsere Erlösung geboren wurde“ oder „Erzählung des heiligen Apostels Jakobus, Erzbischof von Jerusalem und Herrenbruder, über die Geburt der allheiligen Gottesgebärerin und Ewigjungfrau Maria“ (vgl. ausführlich Pellegrini, 906). → Origenes
In der heutigen Forschung wird daher in aller Regel davon ausgegangen, dass das „Protevangelium des Jakobus“ um 200 bereits kursierte. In welcher Form Kirchenväter wie Clemens und Origenes die Schrift kannten, ist freilich umstritten, da sie inhaltliche und formale Brüche aufweist (s.u. 4.). Das lässt zumindest auf die Einarbeitung verschiedener Traditionen schließen. Hinzu kommt, dass die antiken Titelformulierungen sich häufig nur auf den ersten Teil zu beziehen scheinen, der die Geburt und das Aufwachsen Marias ins Zentrum stellt. Origenes kennt außerdem eine andere Überlieferung zum Tod des Zacharias (Origenes, Commentarius in Matthaeum XXV 2 zu Mt 23,29-36
Deutlich früher, nämlich schon ins 1. Jahrhundert, datiert G.T. Zervos die ersten Stufen des Textes. Er geht von einer jüdisch-messianischen Grundschrift aus, die die Herkunft und das Aufwachsen Marias bis zur jungfräulichen Geburt Jesu thematisierte und noch im 1. Jahrhundert gravierend verändert und um Josefs-Material erweitert wurde (vgl. Zervos, 19f.158-169). Seine endgültige Form habe das „Protevangelium des Jakobus“ dann im 2. Jahrhundert durch einen Redaktor erhalten, der den Text im Sinne „rechtgläubiger“ Positionen umschrieb und Inhalte ergänzte, die den Geburtsgeschichten aus den kanonisch gewordenen Evangelien entsprachen (vgl. Zervos, 20).
Einer der wichtigsten Textzeugen ist nicht nur wegen seines Alters (3. / 4. Jh.), sondern auch wegen seines guten Erhaltungszustandes Papyrus Bodmer V, der 1958 erstmals veröffentlicht wurde (Testuz). Auch wenn hier ProtevJac 18-21 in einer offenbar verkürzten Version überliefert wird, kommt jegliche neuere Beschäftigung mit der Überlieferung des „Protevangelium des Jakobus“ nicht an der Berücksichtigung dieses Textzeugen vorbei. Maßgeblich ist nach wie vor die Edition von E. de Strycker von 1961, die neben Papyrus Bodmer V und weiteren griechischen Textzeugen auch die breite Überlieferung des Textes in anderen Sprachen (Lateinisch, Syrisch, Georgisch, Koptisch, Äthiopisch u.a.) berücksichtigt. Eine Textausgabe, die sich eng an de Strycker anschließt, hat 1995 R. Hock vorgelegt. Eine neue Textedition, die sich von einigen einflussreich gewordenen Forschungspositionen de Stryckers kritisch absetzt, wird gerade von G.T. Zervos vorbereitet.
Die bis heute gebräuchliche Einteilung des Textes in 25 Kapitel wurde von J.A. Fabricius in seiner Edition des Textes von 1703 eingeführt.
3. Entstehungsort
Woher das „Protevangelium des Jakobus“ in lokaler Hinsicht stammt, lässt sich kaum konkret bestimmen. Dass der Entstehungsort aber zumindest außerhalb Palästinas zu suchen sei, wird in der Forschung zumeist mit den vage bleibenden Ortsangaben begründet, die nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen (siehe besonders ProtevJac 17 und ProtevJac 21,1; vgl. Hock, 12f.). Am häufigsten wird eine Entstehung in Ägypten (so z.B. de Strycker, 419-423) oder in Syrien angenommen (so z.B. Pellegrini, 909, und ausführlich Vuong, 193-239). Aber auch der palästinische Raum ist – ungeachtet der angedeuteten geographischen Ungereimtheiten – neuerdings von A. Toepel wieder ins Spiel gebracht worden (Toepel, 37f.).
Toepel gründet diese These vor allem auf die Jakobustradition, die durch die Verfasserfiktion aufgerufen werde. Fraglich ist allerdings, ob das Aufgreifen von Jakobustraditionen tatsächlich so eindeutig nur auf den palästinischen Raum verweist (und nicht z.B. auch nach Syrien deuten könnte). Abgesehen von der Verfasserfiktion in ProtevJac 25 zeigt der Text auch in seiner Endgestalt außerdem wenig Jakobus-Spezifisches. Die Vermutung liegt daher nahe, dass der Herrenbruder vor allem deshalb zum Autor stilisiert wird, weil er als Augenzeuge besonders nah am Geschehen ist (s.u. 4.10.). Die Herkunftsfrage des Textes lässt sich mit seiner Hilfe nicht lösen.
Auch Zervosʼ komplexes Modell der Textentstehung (s.o. 2.) geht für die früheste Stufe des Textes von einer Entstehung im Umfeld von Jerusalem aus (vgl. Zervos, 160).
4. Inhalt und theologische Schwerpunkte
Innerhalb der Sammlungen apokrypher Schriften wird das „Protevangelium des Jakobus“ in der Regel den sogenannten „Kindheitsevangelien“ zugeordnet. Es nimmt hier jedoch eine Sonderstellung ein, da es zwar von der Geburt Jesu berichtet, aber daran anschließend keine weiteren Begebenheiten aus der Kindheit Jesu schildert (wie etwa das → „Kindheitsevangelium nach Thomas
Die folgenden Ausführungen zu Inhalt und Theologie beziehen sich auf die überlieferte Endgestalt des Textes (einschließlich kleinerer Abweichungen in der Textüberlieferung), nicht auf mögliche Vorfassungen.
4.1. Marias Eltern Anna und Joachim, Empfängnis und Geburt Marias (ProtevJac 1-5)
Den größten Raum des Textes, so wie er in Papyrus Bodmer V und anderen Textzeugen erhalten ist, nimmt die Geschichte Marias ein. Diese beginnt bereits vor ihrer Geburt mit der Erzählung von Marias Eltern Anna und Joachim. Joachim wird als reich und freigebig beschrieben (ProtevJac 1,1), ebenso erscheint auch seine Frau Anna als untadelig in ihrem Verhalten (ProtevJac 2,3). Dennoch haben beide kein Kind und empfinden diese Situation leidvoll als Schande. Mit dieser Schilderung knüpft die Erzählung deutlich an das alttestamentliche Motiv des gerechten, aber unfruchtbaren Paares an. Stärker noch als das ähnliche Schicksal der Erzeltern → Abraham
So wie Hanna auf der Wallfahrt zum Heiligtum in → Silo
Neben den deutlichen alttestamentlichen Anknüpfungen lassen sich im Fortgang des Textes aber auch Anspielungen auf Motive aus der paganen hellenistischen Literatur feststellen. So ähnelt die Szene, in der Anna im Garten ihre Klage anstimmt (ProtevJac 2,4), dem Lamento des Daphnis im Garten (Longus, Daphnis et Chloe IV, 28, 2-3). Auch andere antike Romane beschreiben vergleichbare Klagen (vgl. Toepel, 70). Parallelen zum Anfang von Annas Weherufen in ProtevJac 3,1 finden sich aber ebenso in der Verfluchung des Tages der Geburt durch Hiob (Hiob 3,3
Motive, wie es sie ähnlich auch in dem antiken Roman Leucippe et Clitophon des Achilles Tatius gibt, lassen sich später im Text, in ProtevJac 13-16 (s.u. 4.5.), feststellen (vgl. Hock, 26), als Marias Schwangerschaft entdeckt wird und sich sowohl Josef mit dem Vorwurf der unrechtmäßigen sexuellen Annäherungen konfrontiert sieht als auch Marias Reinheit und Unschuld in Frage steht und beide das Prüfwasser trinken müssen.
Als Reaktion auf Annas kunstvolles Klagelied (ProtevJac 3) erscheint in ProtevJac 4,1 ein Engel und verkündigt ihr, dass sie ein Kind empfangen und gebären wird, von dem auf der ganzen Welt gesprochen werden wird. Zugleich erhält Joachim, der sich für 40 Tage zum Fasten in die Wüste zurückgezogen hatte (ProtevJac 1,4), eine entsprechende Engelsbotschaft. Hier ist allerdings nicht im Futur, sondern im Perfekt davon die Rede, dass „Anna in ihrem Leib empfangen hat“ (ProtevJac 4,2; vgl. ähnlich auch 4,4). Deutet der Text hier also an, dass die Empfängnis der Maria ohne Beteiligung Joachims vorzustellen sei? Die Forschung ist diesbezüglich uneins (positiv votieren u. a. Klauck, 91f., Hock, 39; Schneider, 103; negativ u.a. Toepel, 79, und Pellegrini, 913). Zumindest bietet der Text aber Raum für entsprechende Spekulationen.
Wäre dem Text daran gelegen, eine derart außergewöhnliche Empfängnis der Maria zu betonen, könnte man allerdings eine deutlichere Darstellung erwarten. Joachim etwa äußert keinerlei Zweifel an seiner Vaterschaft (anders als Josef bei Maria) und auch Anna ist bereits vor der Empfängnis der Maria keine Jungfrau mehr. Dass in späteren Zeiten die unbefleckte Empfängnis (immaculata conceptio) Marias dogmatisiert wird (s.u. 5.2.), schließt ebenfalls nicht notwendig eine natürliche Empfängnis aus, sondern beschreibt nur, dass Maria vom Moment der Empfängnis an vom Makel der Erbsünde unbefleckt blieb.
Nach nur sechs Monaten Schwangerschaft wird Maria im siebenten Monat geboren (ProtevJac 5,2) und somit bereits von Anfang an als ein besonderes Kind hervorgehoben (vgl. Toepel, 88).
4.2. Marias Reinheit während ihrer Kindheit im Elternhaus und im Tempel (ProtevJac 6,1-8,1)
Für das heranwachsende Kind gestaltet Anna das Schlafzimmer in ein Heiligtum um, in dem die Reinheit Marias gewahrt wird, sie nichts Unreines zu essen bekommt und nur die „unbefleckten Töchter der Hebräer“ mit ihr spielen dürfen (ProtevJac 6,1). Der erste Geburtstag des Kindes wird zu einem großen Festmahl, zu dem alle von Rang und Namen in Jerusalem eingeladen sind, insbesondere die Priester, die das Kind mehrfach segnen (ProtevJac 6,2). Daraufhin stimmt Anna einen Lobpreis an (ProtevJac 6,3), der in Ansätzen an das → Danklied der Hanna
Mit 3 Jahren kommt Maria in den Tempel (ProtevJac 7,2-3). Auf dem Weg dorthin wird ihre Reinheit ebenso sorgfältig bewahrt, wie zuvor im häuslichen Heiligtum: Die fackeltragenden unbefleckten Töchter der Hebräer (s.o.) säumen den Weg, bis Maria im Tempel vom Priester in Empfang genommen und auf die dritte Stufe des Altars gesetzt wird. Im Heiligtum selbst wird sie „aus der Hand eines Engels“ ernährt (ProtevJac 8,1; vgl. 1Kön 19,5-7
Ein Vergleich dieser Kindheitsschilderung mit antiken Biographien ist aufschlussreich. Wenn solche Biographien überhaupt Kindheitsdarstellungen enthalten, was im Übrigen eher selten der Fall ist, dann lassen diese im Kind bereits die besonderen Fähigkeiten der erwachsenen Person aufscheinen, beschreiben es als besonders klug, stark oder wunderwirkend (vgl. Wiedemann, 49-51). Von Maria erfahren wir diesbezüglich allerdings nur, dass sie bereits mit sechs Monaten ihre ersten sieben Schritte geht (ProtevJac 6,1). Denn Marias Besonderheit besteht nicht in erster Linie in dem, was sie Außergewöhnliches tut, sondern in ihrer hervorragenden Reinheit. Diese Reinheit macht sie zur herausgehobenen und einzigen geeigneten menschlichen Figur, um den Sohn Gottes zu gebären (vgl. Foskett, 203). Es entspricht durchaus den Konventionen antiker Biographien, dass die Darstellung dieser Reinheit daher bereits die Kindheitsdarstellung der Maria in entscheidender Weise dominiert, weil sich hier bereits vorgeprägt findet, was auch für die erwachsene Person von höchster Bedeutung sein wird.
4.3. Maria kommt in Josefs Obhut (ProtevJac 8,2-10,2)
Mit 12 Jahren kommt Maria in das Alter der eintretenden Geschlechtsreife. Das im Hinblick auf die Reinheit der Maria problematische Thema wird in ProtevJac 8,2 allein aus der Perspektive der Priester und deren Sorge um die Reinhaltung des Tempels aufgegriffen. Maria bleibt dagegen, abgesehen von ihren ersten sieben Schritten (ProtevJac 6,1) und ihrem Tanz auf den Altarstufen (ProtevJac 7,3), vorerst völlig inaktiv und reines Objekt der Handlung. Damit bleibt auch in der Schwebe, ob die Geschlechtsreife bei Maria tatsächlich eintritt (vgl. dazu ausführlich Vuong, 119-147).
Erstmals tritt hier in ProtevJac 8,2-3 Zacharias auf und zwar – anders als in Lk 1,5
Beide Stellen zeigen deutlich, dass der Text in seiner Endgestalt Rezipienten voraussetzt, die mit den kanonischen Geburtsgeschichten (hier konkret mit Lk 1,5-25.57-64
Nachdem der Priester (Zacharias) bezüglich des weiteren Umgangs mit Maria himmlische Weisung empfangen hat, werden die Witwer des Volkes versammelt, unter ihnen Josef. Mit Hilfe eines Stab-Orakels (vgl. Num 17,17-24
Nachdem Josef Maria in sein Haus genommen hat (ProtevJac 9,3), verschwindet er vorerst aus dem Fokus der Handlung (narrativ motiviert durch seine Abwesenheit auf fernliegenden Baustellen) und erscheint erst wieder, als Maria bereits schwanger ist (s.u. 4.5.). Maria bleibt währenddessen in Kontakt mit dem Tempel und wird ausgewählt, neben anderen Jungfrauen davidischer Abstammung an der Herstellung eines Tempelvorhangs zu arbeiten (ProtevJac 10). Sie bekommt die Farben Purpur und Scharlachrot zugewiesen.
Zervos vermutet hinter dem Scharlachrot einen Hinweis auf die einsetzende Menstruation Marias (s. dazu oben 4.3.) im ursprünglichen Text, der durch weitere Überarbeitungsschichten aber weitgehend unkenntlich geworden ist (vgl. Zervos, 159). Auffällig ist auf jeden Fall, dass im Folgenden in unmotivierter Weise wechselnd von der einen oder der anderen Farbe die Rede ist, wobei Purpur als königliche Farbe ein Hinweis auf das königliche Kind sein könnte (ebd.).
4.4. Die Verkündigung und Marias Besuch bei Elisabet (ProtevJac 11-12)
Die folgenden Begebenheiten laufen inhaltlich in wesentlichen Zügen parallel zu dem in Lk 1,26-56
So spielt die ganze Handlung nicht in → Nazaret
Nach der Verkündigungsszene liefert Maria ihre fertiggestellte Handarbeit im Tempel ab. Der Priester dort segnet sie mit Worten, die aus dem Magnifikat entlehnt sind und in Lk 1,48-49a
Beim sich anschließenden Besuch Marias bei Elisabet wirft vor allem ProtevJac 12,3 Fragen auf. Hier wird das Alter Marias mit 16 Jahren angegeben. In die Obhut Josefs war sie mit 12 Jahren gegeben worden (vgl. ProtevJac 8,2-9,3). Nichts lässt jedoch erkennen, dass die anschließend in ProtevJac 10-12 erzählten Begebenheiten eine Zeitspanne von vier Jahren umfassen sollten. (Einige Textzeugen haben das Alter der Maria in ProtevJac 12,3 daher nach unten angepasst und das Problem somit vermieden.) Merkwürdig mutet auch die Reaktion Marias auf Elisabets lobpreisende Worte in ProtevJac 12,2 an, denn der Text betont ausdrücklich, dass Maria sich nicht mehr an die kurz zuvor geschilderte Verkündigung Gabriels erinnert. Vermutlich soll so das später folgende Urteil mit dem Prüfwasser (s.u. 4.5.) vorbereitet werden. Erzählerisch schlüssig wirkt dieses Vergessen Marias jedoch nicht.
4.5. Marias Schwangerschaft, Josefs Reaktion und die Anklage der Priester (ProtevJac 13-16)
In ProtevJac 13,1 kehrt Josef von seiner auswärtigen Arbeit zurück und findet Maria im sechsten Monat schwanger vor. Klagend fragt sich Josef, ob er wie → Adam
In ProtevJac 15 wird breit ausgestaltet, was in den kanonisch gewordenen Geburtsgeschichten im Matthäus- und Lukasevangelium fehlt, nämlich die Reaktion der jüdischen Umwelt auf Marias Schwangerschaft und auf Josefs scheinbar übergriffiges Verhalten. Beide werden im Tempel vor ein Gericht gestellt. Auf die förmliche Anklage durch den Hohenpriester im Tempel beschwört Maria ihre Reinheit: „So wahr Gott, der Herr, lebt, rein bin ich vor ihm“ (ProtevJac 15,3; vgl. auch Annas Schwur in ProtevJac 4,1 und außerdem 1Sam 1,26
4.6. Der Weg nach Betlehem und die Geburt des Kindes (ProtevJac 17,1-19,2)
Der grobe Ablauf dieses Abschnitts mit dem von Kaiser → Augustus angeordneten Zensus, dem Weg nach Betlehem, der Geburt Jesu ohne ordentliche Herberge, dem Besuch der Sterndeuter und der Verfolgung des Kindes durch Herodes stellt eine Mischung der aus Lk 2
In ProtevJac 18,2-3 kommt schließlich doch noch die ganze Welt ins Spiel, aber völlig anders als in Lk 2,1
4.7. Salomes Zweifel an Marias Jungfräulichkeit (ProtevJac 19,3-20,4)
Dass Maria nicht nur bei der Empfängnis, sondern auch nach der Geburt jungfräulich unversehrt bleibt, beschreibt die sich anschließende Episode ProtevJac 19,3-20,4 in epischer Breite. Hier tritt mit → Salome eine neue Figur auf, die im Text nicht näher vorgestellt wird. Der Name ist vermutlich aus Mk 15,40
4.8. Besuch der Weisen und Verfolgung durch Herodes (ProtevJac 21,1-22,2)
ProtevJac 21,1-4 schließt sich mit dem Auftreten der Sterndeuter und den Nachforschungen des Herodes insgesamt eng an Mt 2,1-12
4.9. Das Schicksal des Johannes und seiner Eltern (ProtevJac 22,3-24,4)
In ProtevJac 22,3 werden Informationen aus #Lk 1# (Geburt des Johannes in zeitlicher Nähe zu Jesu Geburt) und Mt 2,16
Während Elisabet und Johannes gerettet werden, indem sich im Gebirge in wundersamer Weise ein Berg auftut und sie in sich aufnimmt (ProtevJac 22,3), wendet sich Herodesʼ Verfolgung gegen Zacharias, seinen Vater, der Johannesʼ Aufenthaltsort preisgeben soll. Der in Mt 2,16
4.10. Epilog (ProtevJac 25)
Am Schluss bietet ProtevJac 25,1 eine klare Autorangabe: „Ich, Jakobus, der ich diese Geschichte aufgeschrieben habe, begab mich wegen des Aufruhrs in Jerusalem, der entstand, als Herodes starb, in die Wüste, bis der Aufruhr in Jerusalem endete. Und ich pries den Herrn, Gott, der mir die Weisheit gegeben hat, diese Geschichte zu schreiben.“ Vom Gang der Handlung her ist offenbar der Tod Herodes’ des Großen im Jahr 4 v. Chr. gemeint. Der Text wäre somit in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Ereignissen in der judäischen Wüste (vgl. Hock, 77) geschrieben worden, und zwar vom Herrenbruder Jakobus als einem Augenzeugen der Geschehnisse. Dies ist aber zweifellos als literarische Fiktion zu werten, die der Authentifizierung des Textes dient.
Als Augenzeuge wird Jakobus im Text im Übrigen kaum profiliert, obwohl es dafür Ansatzpunkte gegeben hätte: In ProtevJac 9,2 wird zuerst nur ganz allgemein erwähnt, dass Josef bereits Söhne hat, ohne Namen zu nennen oder sie weiter in die Handlung einzubeziehen. Ob sie noch im Haus Josefs leben, wie es z.B. in der apokryphen „Geschichte von Josef, dem Zimmermann“ konkret von dem „Kleinkind Jakobus“ gesagt wird (HistJos 4,4), bleibt offen. Bei dem durch die Volkszählung veranlassten Aufbruch (ProtevJac 17,1) wird dann zuerst ein Sohn erwähnt, der den Esel führt, auf dem Maria reitet (ProtevJac 17,2). In ProtevJac 18,1 sind es schließlich mehrere Söhne, die Josef, noch kurz vor der Geburt Jesu, bei Maria in der Höhle stehenlässt, um eine Hebamme zu suchen. Dort werden sie im Fortgang der Erzählung dann auch buchstäblich stehengelassen, denn in der folgenden Handlung spielen sie keine Rolle mehr.
5. Wirkungen des Textes
5.1. Unterschiedliche Verbreitung des Textes in der West- und Ostkirche
Im Westen des Römischen Reiches fand das „Protevangelium des Jakobus“ anfangs keine positive Aufnahme. Die römische Kirche bekämpfte seine Verbreitung zusammen mit verschiedenen anderen apokryphen Büchern unter anderem im sogenannten Decretum Gelasianum, das in einer Überlieferung aus dem 6. Jahrhundert vorliegt, in einzelnen Teilen vermutlich aber bereits bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. zurückreicht. Unter den Büchern, die zu meiden seien, befindet sich sowohl ein „Evangelium unter dem Namen des Jakobus des Jüngeren“ als auch ein „Buch über die Geburt des Erlösers und über Maria oder die Hebamme“ (vgl. Markschies, 133-137). Hinter dem ersten Titel verbirgt sich vermutlich das „Protevangelium des Jakobus“, während der zweite Titel ein verwandtes Werk meint (vgl. Pellegrini, 909).
Gegenüber dieser Ablehnung, die das Protevangelium im Westen erfuhr, erfreute es sich im Osten großer Beliebtheit, wie sich in der breiten handschriftlichen Überlieferung zeigt und in verschiedenen Hinweisen auf den Text bei den Kirchenvätern. Auch im Westen wird der Stoff aber vor allem in Gestalt lateinischer Überarbeitungen verbreitet. Von größerem Einfluss sind hier das sog. → „Pseudo-Matthäusevangelium“
In den mittelalterlichen Handschriften folgt diesen Texten oft die lateinische Bearbeitung der ebenfalls apokryphen Kindheitsgeschichten Jesu (→ Kindheitsevangelium nach Thomas
Besondere Wirkung zeigt aber die Aufnahme von Stoffen aus dem „Protevangelium des Jakobus“ und seinen Folgewerken in der Legenda aurea des Jakobus de Voragine aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, einem Werk, das als Volksbuch über lange Zeit weite Verbreitung fand. In der bildenden Kunst dagegen (s.u. 5.3.) lässt sich noch viel früher – etwa in den Bildzyklen der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom (s.o. Abb. 5) – die Bekanntheit und Beliebtheit von Inhalten des „Protevangeliums des Jakobus“ auch im Westen belegen.
5.2. Marienverehrung
Im Zentrum des „Protevangeliums des Jakobus“ steht deutlich die Figur der Maria. Auch die Schilderung der Geburt Jesu geschieht auf sie bezogen und thematisiert vor allem ihre bleibende Jungfräulichkeit. Entsprechend spielte der Text eine große Rolle in der Entwicklung der Marienverehrung und Marienfrömmigkeit und ist selbst ein Ausdruck dieser Entwicklung. Wichtige dogmengeschichtliche Entscheidungen, die sicherlich einen Einfluss auf die Verbreitung des Textes hatten, fallen auf dem Konzil von Ephesus im Jahr 431, das Maria das Prädikat der Gottesgebärerin (theotokos) zuerkennt, und auf dem 2. Konzil von Konstantinopel 553, das die immerwährende Jungfräulichkeit Marias festhält. Bereits seit dem frühen Mittelalter ist ein Fest der unbefleckten Empfängnis Marias durch Anna zumindest in der Ostkirche nachzuweisen (zu den besonderen Umständen dieser Empfängnis in ProtevJac 4,2 und ProtevJac 4,4 s.o. 4.1.). Im Westen blieb die Frage, ob Maria von ihrer Empfängnis im Leib der Anna an von der Erbsünde frei war oder in einem besonderen Akt der Heiligung von ihr gereinigt wurde, dagegen lange Zeit unentschieden. Erst 1854 dogmatisierte die römisch-katholische Kirche die unbefleckte Empfängnis Mariens (immaculata conceptio).
Die zunehmende Marienverehrung zeigte auch deutliche Auswirkungen auf die Verehrung der Mutter der Gottesgebärerin, auf Anna. Seit dem Mittelalter wird Anna im Westen als Heilige verehrt. Im Osten jedoch lässt sich ihre Verehrung bereits ab dem 6. Jh. greifen (vgl. Zender, 753; s. auch Abb. 7). In dieser Zeit entwickelte sich unter anderem das Fest Mariä Geburt, das bis heute in der katholischen und anglikanischen Kirche und in den orthodoxen Kirchen am 8. September begangen wird. Im Mittelalter nimmt mit der Marienverehrung auch die Annenverehrung deutlich zu und zeigt sich nicht nur im theologischen Denken, in Schriften und Liturgie, sondern auch in der Kunst (s.u. 5.3.).
5.3. Motive aus dem „Protevangelium des Jakobus“ in der bildenden Kunst
Einige Motive in der bildenden Kunst – insbesondere im Zusammenhang mit der Mariendarstellung – sind allein aus den kanonischen Evangelien und ohne Kenntnis des „Protevangeliums des Jakobus“ (bzw. der Einarbeitung seiner Stoffe in spätere Texte) nicht denkbar. Dazu gehört unter anderem die Lokalisierung der Geburt Jesu in einer Höhle (ProtevJac 18-19), von der in den kanonischen Texten nicht die Rede ist. Ähnliches gilt auch für Ochs und Esel, die trotz ihrer Nichterwähnung im Lukas- und Matthäusevangelium bei kaum einer Geburtsdarstellung fehlen. Beide Tiere sind im „Protevangelium des Jakobus“ noch eher beiläufig erwähnt (der Esel als Marias Reittier in ProtevJac 17,2-3 und der Ochse nur in Form der Ochsenkrippe in ProtevJac 22,2), werden in der Weiterverarbeitung des Stoffes im Pseudo-Matthäusevangelium (s.o. 5.1.) dann aber ausdrücklich an der Krippe platziert und beten das Kind mit gebeugten Knien an (vgl. PsMt 14,1).
Insgesamt bedienen sich sämtliche Darstellungen des Marienlebens angesichts knapper Informationen in den kanonischen Evangelien gern der ausführlicheren Schilderungen des Protevangeliums. Dazu gehören Szenen aus der Vorgeschichte Marias, die Anna und Joachim abbilden (s o. Abb. 2), Marias Geburt (s.o. Abb. 3), ihr Gang zum Tempel (s.o. Abb. 4) oder das Staborakel Josefs, aber auch die weitere Ausschmückung von kanonisch berichteten Ereignissen, wie der Geburt Jesu (s.o. Abb. 6 und 8) oder der Verkündigung an Maria (s.o. Abb. 5). Nicht direkt an eine Geschichte aus dem Protevangelium, aber an die wichtigen Figuren im Text knüpfen die besonders im Mittelalter weit verbreiteten Anna-Selbdritt-Darstellungen an (Anna mit Maria und dem Jesuskind; s. Abb. 9).
Literaturverzeichnis
1. Textausgaben und Übersetzungen
- Fabricius, J. A., Codex apocryphus Novi Testamenti, Hamburg 1703, Bd. 1, 39-126
- Gijsel, J., Libri de nativitate Mariae. Pseudo-Matthaei Evangelium. Textus et commentarius (CCSA 9), Turnhout 1997
- Hock, R. F., The Infancy Gospels of James and Thomas: With Introduction, Notes, and Original Text Featuring the New Scholars Version Translation, Santa Rosa, CA 1995, 1-81
- Pellegrini, S., Das Protevangelium des Jakobus, in: C. Markschies / J. Schröter (Hgg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, I. Band: Evangelien und Verwandtes. Teilband 2, Tübingen 2012, 903-929
- Schneider, G., Evangelia infantiae apocrypha. Apokryphe Kindheitsevangelien (FC 18), Freiburg i. Br. 1995
- Strycker, É. de, La forme la plus ancienne du Protévangile de Jacques. Recherches sur le Papyrus Bodmer 5 avec une édition critique du texte grec et une traduction annotée. En appendice les versions arméniennes traduites en latin par H. Quecke (SHG 33), Brüssel 1961
- Testuz, M., Papyrus Bodmer V. Nativité de Marie (BBod), Köln/Genf 1958
- Zervos, G. T., The Protevangelium of James. Greek Text, English Translation, Critical Introduction: Volume 1 (Jewish and Christian Texts in Contexts and Related Studies 17), London 2019
2. Weitere Literatur
- Foskett, M. F., The Child Mary In the Protevangelium of James, in: L. M. McDonald / J. H. Charlesworth (Hgg.), “Non-Canonical” Religious Texts In Early Judaism and Early Christianity (Jewish and Christian Texts In Context and Related Studies 14), London 2012, 195-204
- Kaiser, U. U., Die Kindheitserzählung des Thomas. Einleitung, in: C. Markschies / J. Schröter (Hgg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, I. Band: Evangelien und Verwandtes. Teilband 2, Tübingen 2012, 930-942
- Klauck, H.-J., Apokryphe Evangelien. Eine Einführung, Stuttgart 22005
- McLachlan Wilson, R., Art. Apokryphen II. Apokryphen des Neuen Testaments, in: TRE 3 (1978) 316-362 (333-334 zu ProtevJac)
- Markschies, C., Haupteinleitung, in: C. Markschies / J. Schröter (Hgg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, I. Band: Evangelien und Verwandtes. Teilband 1, Tübingen 2012, 1-180
- Toepel, A., Das Protevangelium des Jakobus. Ein Beitrag zur neueren Diskussion um Herkunft, Auslegung und theologische Einordnung (FTS 71), München 2014
- Vuong, L. C., Gender and Purity in the Protevangelium of James (WUNT II/358), Tübingen 2013
- Wiedemann, T. E., Adults and Children in the Roman Empire, London 1989
- Zender, M., Art. Anna, Heilige, in: TRE 2 (1978) 752-755
Abbildungsverzeichnis
- Papyrus Bodmer V mit dem Beginn des Textes Fondation Martin Bodmer CC BY-NC 4.0 https://bodmerlab.unige.ch/fr/constellations/papyri/mirador/1072205366?page=006
- Die Vertreibung Joachims aus dem Tempel; Fresko des italienischen Malers Giotto di Bondone, Cappella degli Scrovegni, Padua (1303 und 1305) Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26639028
- Die Geburt Marias; Fresko des italienischen Malers Giotto di Bondone, Cappella degli Scrovegni, Padua (1303 und 1305) Gemeinfrei,
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=151723 - Der Tempelgang Marias; Altargemälde des Kölner Meisters des Marienlebens (zweite Hälfte 15. Jh.)
Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4041518 - Die Verkündigung an Maria und Josef (oberes Feld); Mosaik am Triumphbogen von Santa Maria Maggiore, Rom (432-440) Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=34067770
- Geburt Jesu in der Höhle; Mosaik, Cappella Palatina, Palermo (um 1150) Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=155150
- Geburtsszene mit Salome, die Maria ihre verletzte Hand zeigt; Elfenbeinschnitzerei auf der Rückseite der Kathedra des Maximinianus, Ravenna (Mitte 6. Jh.) Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4007097
- Die heilige Anna; Fresko aus der Kathedrale von Faras, Nubien (8. Jh. n. Chr.) Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43352670
- Anna Selbdritt; Kloster Santo Domingo de Silos, Spanien Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2380541
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)