Deutsche Bibelgesellschaft

Vierkaiserjahr

(erstellt: März 2013)

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1. Begriff

Vierkaiserjahr ist im engeren Sinn die Bezeichnung für das Jahr 69 n. Chr., in dem vier Angehörige der römischen Oberschicht mit militärischen Mitteln um die Kaiserwürde rangen. In einem weiteren Sinn bezeichnet der Begriff den Zeitraum vom Tod Neros im Juni 68 bis zum Herrschaftsantritt Vespasians Ende 69.

Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom ersten Vierkaiserjahr und bezeichnet dann die Nachfolgekämpfe des Jahres 193 nach der Ermordung des Commodus als zweites Vierkaiserjahr.

2. Die Abfolge der Usurpationen

2.1 Der Tod Neros und der Aufstand senatorischer Kreise

Im Frühjahr 68 erhob sich der gallische Statthalter Vindex gegen die Herrschaft des Kaisers → Nero. Ihm schloss sich, neben anderen, der spanische Statthalter → Galba an. Galba übernahm aufgrund seines Alters und seiner Position die Führung der Aufständischen, ließ sich jedoch noch nicht zum neuen Kaiser ausrufen, sondern nannte sich lediglich „legatus senatus ac populi Romani“ (Statthalter / Beauftragter des Senats und des Römischen Volkes). Erst im Juni 68 erklärte der Senat in Rom Nero zum Staatsfeind und erhob Galba zum Kaiser. Nero tötete sich daraufhin selbst und beendete damit die Herrschaft des von → Caesar bzw. → Augustus begründeten Julisch-Claudischen Kaiserhauses.

2.2 Galbas Herrschaft und die Usurpationen des Vitellius und Othos

Galba reiste nach Rom und bemühte sich, seine Herrschaft zu festigen. Allerdings gelang es ihm nicht, die Loyalität der Prätorianergarde und der Legionen des Reiches dauerhaft an sich zu binden. Der als streng charakterisierte Galba verweigerte vielmehr die üblichen Geldgeschenke (donativa) an die Truppe.

Die östlichen Provinzen und ihre Statthalter verhielten sich in dieser Situation abwartend, im Westen jedoch riefen die germanischen Legionen ihren Oberbefehlshaber → Vitellius Anfang Januar 69 zum Kaiser aus. Das Reich hatte nun zwei konkurrierende Kaiser.

Die Lage wurde noch komplizierter als der bereits über siebzigjährige Galba, um seine Herrschaft abzusichern, einen senatorischen Nachfolger adoptierte und damit andere Weggefährten überging. Einer dieser Parteigänger Galbas war → Otho, der unter Nero Karriere gemacht und den Aufstand Galbas unterstützt hatte. Otho ließ sich Mitte Januar des Jahres 69, gestützt auf die Prätorianergarde, zum Kaiser ausrufen und Galba ermorden.

Die verbliebenen Kaiser Otho und Vitellius suchten die Entscheidung ihrer Herrschaftsansprüche in der Schlacht. Die eilig zusammengezogenen Truppen Othos erwiesen sich dabei den erfahrenen Legionen des Vitellius als unterlegen. Otho wurde im April 69 nahe dem italischen Bedriacum geschlagen und beendete sein Leben durch Selbsttötung. Vitellius hatte die Herrschaft über den Westen des Reiches errungen.

2.3 Der Kampf der westlichen gegen die östlichen Legionen - Vitellius und Vespasian

Während im Westen Otho und Vitellius eine Entscheidung herbeiführten, einigten sich in den östlichen Provinzen die Statthalter und ihre Truppen auf einen eigenen Kandidaten. Gestützt auf den Wohlstand Ägyptens und die Legionen in Syrien und an der Donau wurde der Flavier → Vespasian im Juli 69 zum Kaiser ausgerufen. Dieser stammte aus einer Familie des Ritterstandes und hatte als Feldherr unter Nero Karriere gemacht. Zum Zeitpunkt seiner Erhebung war er beauftragt, den Jüdischen Aufstand in Palästina gewaltsam zu beenden.

Vespasian übergab die militärische Führung in Judäa seinem älteren Sohn → Titus und begab sich in die ebenso wichtige wie sichere ägyptische Hafenstadt Alexandria, um von dort aus die Geschehnisse zu überwachen und zu lenken. Seine Verbündeten marschierten indes vom Balkan nach Italien und besiegten die Truppen des Vitellius in der zweiten Schlacht bei Bedriacum (Oktober 69). Es folgte im Dezember ein erbitterter Kampf um die Stadt Rom, bei dem das Capitol samt Staatstempel in Brand gesetzt und Vespasians jüngerer Sohn → Domitian beinahe getötet wurde. Schließlich setzten sich die Truppen Vespasians durch und Vitellius starb an seinen Kampfverletzungen. Im Oktober des Jahres 70 betrat Vespasian Rom und begründete die Flavische Herrschaft (69-96).

3. Bedeutung

Das Vierkaiserjahr findet keine Erwähnung in den neutestamentlichen Texten. Dennoch ist seine politische Bedeutung nicht zu unterschätzen.

Für das Römische Reich brachte es die ersten Bürgerkriege seit fast hundert Jahren des inneren Friedens. Auch zeigten sich die seit Augustus nur unzureichend gelösten Probleme einer legitimen Nachfolge des Kaisers und der kaum beschränkten Macht des Militärs. Das gewaltsame Ende des Julisch-Claudischen Kaiserhauses und der Aufstieg der bislang eher unbedeutenden Familie der Flavier zogen zudem eine weitere Intensivierung der kaiserlichen Legitimationsstrategien, nicht zuletzt auf religiösem Gebiet, nach sich.

Die unterschiedlichen Einstellungen zum Imperium Romanum, wie sie etwa in den → Paulusbriefen (loyale Einstellung zum römischen Staat) auf der einen Seite und den → Evangelien (Apokalyptik) oder der → Johannesoffenbarung (scharfe Kritik am Herrscherkult) auf der anderen Seite greifbar werden, mögen nicht zuletzt aus der durch das Vierkaiserjahr veränderten politischen Situation erwachsen sein. Die Ereignisse des Vierkaiserjahres 68/69 und die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 bedeuten mit Sicherheit eine Zäsur auch in der neutestamentlichen Zeitgeschichte.

Literaturverzeichnis

1. Quellen

  • Tacitus, P. C., 2010, Historien, Sammlung Tusculum, 7. Auflage, Mannheim

2. Lexikonartikel

  • Eder, W., 2002, Art. Vierkaiserjahr, DNP 12 / 2, 204-205

3. Weitere Literatur

  • Christ, K., 2005, Geschichte der Römischen Kaiserzeit. Von Augustus zu Konstantin, 5. Auflage, München
  • Flaig, E., 1992, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich, Historische Studien 7, Frankfurt am Main / New York
  • Huttner, U., 2008, Die Römische Antike, Tübingen
  • Morgan, G., 2006, 69 A.D.: the year of four emperors, Oxford
  • Pfeiffer, S., 2009, Die Zeit der Flavier. Vespasian – Titus – Domitian, Darmstadt
  • Wellesley, K., 2000, The year of the four emperors, third edition, London / New York

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