Gender als Kategorie empirischer religionspädagogischer Forschung
(erstellt: Februar 2016)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Gender_als_Kategorie_empirischer_religionspdagogischer_Forschung.100116
Ab den 1980er Jahren taucht nicht → „Gender“
Durch die Rezeption der Genderforschung, die auch die Jungen stärker in den Blick nimmt, wird nach Unterschieden zwischen Mädchen und Jungen gefragt: Lesen Mädchen und Jungen biblische Texte unterschiedlich (Arzt, 1999; Renner, 2013)? Inwiefern unterscheiden sich die Gottesbilder und -vorstellungen von Mädchen und Jungen (Riegel, 2004; Wiedmaier, 2008; Szagun, 2011)? Ziel ist eine religionspädagogische Praxis, die beiden Geschlechtern gerecht wird, „geschlechtssensibel“ und „geschlechterbewusst“ ist.
1. Konzeptionen von Geschlecht in der empirischen Frauen- und Geschlechterforschung
Dadurch wurde die Aufmerksamkeit auf Geschlecht als auch zu berücksichtigenden Faktor in der religionspädagogischen Forschung erhöht und auch etabliert, zugleich ergibt sich das forschungspraktische Dilemma – so etwa Gildemeister (2004, 30) –, dass damit zwar Weiblichkeit aufgewertet wird, das Denken in zwei Geschlechterkategorien aber fortgesetzt wird, diese Differenzierung selbst bleibt unhinterfragt – diskutiert wird dies von der dekonstruktiven beziehungsweise sozialkonstruktivistischen Geschlechterforschung seit Beginn der 1990er Jahre unter den Stichworten „heimlicher Biologismus“ (Gildemeister, 2004, 30) beziehungsweise „Reifizierung/Herstellung von Zweigeschlechtlichkeit durch empirische Forschung“ (Buchen/Helfferich/Maier, 2004, Klappentext) beziehungsweise „Naturalisierung und Essentialisierung“ (Degele/Schirmer, 2004, 105). Ansätze, die Geschlecht als soziale Konstruktion betrachten, wollen diese polarisierten Muster überwinden: „Im Kern transportieren konstruktionstheoretische Ansätze einen Grundgedanken: Dass nämlich die Geschlechterklassifikation und Geschlechterdifferenz nicht ‚in der Natur der Sache‘ liegt, sondern die soziale Kategorie Geschlecht ein grundlegendes generatives Muster der Erzeugung sozialer Ordnung ist und empirische Frauen und Männer erst hervorbringt (...). Wenn die geschlechtliche Differenzierung selbst zum Gegenstand wird, dann kann nicht mehr von ‚Männern und Frauen‘ ausgegangen und Geschlecht als Variable eingesetzt werden, über die Eigenschaften oder Merkmale von Personen ‚gemessen‘ werden können. Die empirische Analyse verlagert sich vielmehr vom individuellen Handlungsträger hin zu dem System von sozialen Praktiken, die die Geschlechterdifferenzierung im Ergebnis hervorbringen (‚doing gender‘)“ (Gildemeister, 2004, 30). Mädchen und Jungen, Frauen und Männer werden also nicht mehr als „Blöcke“ miteinander verglichen. „Stattdessen geht es darum, dass systematisch versucht wird, Ebenen und Kontexte zu identifizieren, in denen die Kategorisierung der Person nach Geschlecht bedeutsam wird oder anders ausgedrückt: Wie, wann, wo, von wem und von wo aus wird ‚Geschlecht‘ relevant (gemacht)?“ (Gildemeister, 2004, 34). Gildemeister plädiert am Ende ihres Beitrages für das Aushalten von Widersprüchen und Spannungen in der Forschung: „Auch wenn also der Geschlechterforschung in gewisser Weise ‚die Differenz‘ abhandengekommen ist, Optionen und Handlungsräume sich erheblich erweitert haben, so ist doch in weiten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens der Rückgriff auf die Kategorie Geschlecht so konzipiert und organisiert, dass die beiden ‚Geschlechtsklassen‘ (im Sinne von Goffman, 1994) sowohl polar aufeinander verweisen als auch exklusiv sind, einander ausschließen. Das Denken im binären, zweigeschlechtlichen Muster durchzieht die gesamte politische Debatte. Lässt man sich jedoch auf die soziale Wirklichkeit ein, wird gerade in der empirischen Forschung die Gleichzeitigkeit auf Gleichheit zielender, universalistischer Bestimmungen und Differenz betonender, partikularistischer Bilder zentral, und entsprechend scheitert hier jeder Versuch, diesen Widerspruch und diese Spannung eindimensional aufzulösen“ (Gildemeister, 2004, 43).
2. Konzeptionen von Geschlecht in der religionspädagogischen empirischen Forschung
Die verschiedenen Ansätze, Geschlecht in der empirischen Religionspädagogik zu konzipieren und zu erforschen, werden im Folgenden anhand exemplarischer Studien zum Gottesbild und Gottesvorstellungen beziehungsweise -darstellungen von Kindern im Grundschulalter vorgestellt.
2.1. Aufwertung weiblicher Gottesbilder
Stephanie Klein (2000) hat eine viel beachtete Studie zu Gottesbildern von Mädchen vorgelegt, mit der sie einerseits einen Beitrag zur → Theologie von Kindern
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die Mädchen ein personales, aber nicht anthropomorphes Gottesbild haben – viel Mühe verwenden die Kinder darauf, dies deutlich zu machen. Etwa wenn sie ihr Bild mit weißem Stift übermalen, um die Unsichtbarkeit Gottes darzustellen. Deutlich wird aber auch, dass es eine enge Verbindung von Göttlichkeit und Männlichkeit gibt: „Gott als Person ist nicht menschlich, aber männlich“ (Klein, 2000, 168). So dient etwa der Bart als „Kennzeichnung Gottes“ (Klein, 2000, 166). Selten kamen in den bisherigen Studien zu gemalten Gottesbildern von Kindern Bilder vor, die Gott in weiblicher Gestalt darstellen, und wenn, dann nur bei Mädchen. Bettina malt zwei Mal ein Bild, das die Forscherin als Bild einer Frau interpretiert, das Mädchen aber lehnt diese Interpretation ab (Klein, 2000, 168-170). Klein interpretiert dies als Konflikt in der Glaubenswelt des Mädchens, hier werden „die Macht internalisierter Normen, die Gott nur als Mann (Vater, Sohn, Herrscher etc.) zulassen, sowie Denkverbote sichtbar, die den Mädchen verbieten, Gott rational als Frau oder Göttin zu denken und sprachlich zu benennen. Die Mädchen geraten dadurch in einen Zwiespalt zwischen der religiösen Norm und der eigenen religiösen Erfahrung und Identität“ (Klein, 2000, 172).
„Dies macht die Widersprüche bei den Mädchen erklärbar, die Gott als Frau malen und über Gott als Mann reden. In ihrer unmittelbaren Erfahrung und Beziehung zu Gott scheinen sie sich an ein Du zu wenden, das ihrer eigenen, auch geschlechtlichen Wirklichkeit entspricht. Die zur Verfügung stehende Sprache läßt aber nur eine männliche Bedeutung zu“ (Klein, 2000, 173).
Gerade im Blick auf die Mädchen fordert sie eine Aufwertung der Weiblichkeit in der Rede von Gott und die explizite Erlaubnis zu geben, Gott auch als Frau darstellen zu dürfen.
Als Desiderat für weitere Forschungen formuliert sie weitere → empirische Studien
2.2. Geschlechtsspezifische Unterschiede in Gottesbildern
Basierend auf der Studie von Klein gehen Hilger/Dregelyi (2002) davon aus, dass geschlechtsspezifische Sozialisation einen Einfluss auf Selbstbild und Gottesvorstellungen von Buben und Mädchen hat und dass sich entsprechende Unterschiede nachweisen lassen. Sie analysieren 300 Kinderzeichnungen, die in Unterrichtsversuchen von Studierenden in Grundschulen entstanden sind: Kinder malten ihr Gottesbild, schrieben Erklärungen auf die Rückseite, ihre Rückfragen und Gespräche während des Malens wurden protokolliert. In der Auswertung stellen die Forschenden eine „geschlechtstypische“ Darstellung Gottes auf den Bildern fest. Die Jungen betonen häufig Macht und Stärke Gottes. „Attribute und Anregungen aus der für Jungen typischen Lebens- und Spiele-Welt sind deutlich zu erkennen“ (Hilger/Dregelyi, 2002, 73): Gott gleicht einer Figur aus einem Computerspiel, einer Helden-Spielfigur, Gott ist Handballspieler oder Motorradfahrer, es finden sich Ritter, Marsmenschen, Science-Fiction-Motive und -Figuren, roboterhafte Gestalten, technische Geräte. „Häufiger als Mädchen scheinen sich Jungen mit einer männlichen Gottesgestalt zu identifizieren. Gleichzeitig aber – oft bei räumlicher Nähe – drücken ihre Bilder bei aller Expressivität emotionale Distanz und Sachlichkeit aus. Das gemalte Gegenüber ist selten Ansprechpartner, selten ein Du in persönlicher Beziehung“ (Hilger/Dregelyi, 2002, 77). Zwei Mädchen stellen Gott in einem Kleid dar, bei einem erinnert die Darstellung an die Schutzmantel-Madonna, häufiger wird ein fürsorglicher Gott in Beziehung zur → Schöpfung
Deutlich werden hier Anklänge an die Spielwelten, die Kindern angeboten werden – tatsächlich sind diese ja in „rosa und blau“, „weich und hart“ geteilt. Nicht übersehen werden dürfen aber jene Mädchen und Jungen, die andere, „untypische“ Bilder zeichnen. Auch der Kontext des Malens der Bilder dürfte eine Rolle spielen: die „typischen“ Darstellungen können auch ein Effekt des Ortes Schulklasse sein, in dem doing gender geschieht – gerade auch für Kinder im Grundschulalter ist es ja eine wichtige Frage, wie richtiges Mädchen- und Jungesein geht – und als solche wollen sie sich auch darstellen.
Manuela Wiedmaier (2008) legt den Schwerpunkt ihrer Studie auf die Malprozesse von Gottesbildern. 21 Mädchen und 19 Buben im Grundschulalter in geschlechtshomogenen Gruppen aus vier bis fünf befreundeten Kindern malen Gottesbilder und werden dabei videografiert. Die Bilder, die Gespräche und Interaktionen der Kinder beim Malen werden analysiert. Wiedmaier will das von Klein monierte Forschungsdesiderat, eine Studie mit einer Jungengruppe durchzuführen und den Entstehungskontext einzubeziehen, einlösen, da „bislang immer noch Studien mit Jungen fehlen, in denen nicht nur Bildprodukte ausgezählt werden, sondern in denen der Kontext und die komplexe Interaktionssituation bei der Erhebung der Daten berücksichtigt werden“ (Wiedmaier, 2008, 84). Deutlich wird, dass die Interaktion der Kinder eine große Rolle für den Malprozess spielt: nonverbal die Motiv- und Farbwahl, verbal die Gespräche und Kommentare der Kinder und auch das gemeinsame Reflektieren theologischer Fragen. So sprechen die Kinder über die Unsichtbarkeit Gottes, das Verhältnis von Jesus zu Gott, über Gott und Maria, Gott und die Schöpfung, die Handlungsfähigkeit Gottes in der Welt.
In den Malprozessen zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede (Wiedmaier, 2008, 312-314): Den Jungen ist es weniger wichtig, „ordentlich zu malen“; gefilmt zu werden war für die Jungen attraktiv; die Jungen wollten nicht gerne malen, während alle Mädchen sagten, dass sie das gerne tun; ausschließlich Buben malten Gott als männlichen Helden: Herkules, Barbarossa, als wilden Stier oder grimmig dreinschauenden Kopf mit Hörnern. Das Geschlecht Gottes kommt nur in den Malprozessen der Mädchen zur Sprache: Zwei Mädchen sprechen darüber miteinander, in den Bildern werden weibliche Figuren ergänzt. So betont Sarah, dass der Mond eine Möndin ist (und zeichnet ihr lange Wimpern) und Sina zeichnet ein Familienbild von Gott: Gott, Maria und Jesus – Gott macht das Wetter und Maria die Wäsche.
Auch bei Wiedmaier zeigt sich wie bei Klein: Gott ist kein Mensch, aber männlich: „wenn man Gott malt, man sich immer erst ausdenken muss, wie Gott aussieht ... auf jeden Fall ist er’n Mann“ (Wiedmaier, 2008, 314) – wie Klein sieht Wiedmaier Hinweise darauf, „dass Mädchen Gott mit einem internalisierten Denkverbot der Weiblichkeit Gottes symbolisieren“ (Wiedmaier, 2008, 313).
2.3. Doing-Gender und Gottesdarstellungen
Anna-Katharina Szagun stellt die Entwicklung des Gotteskonzepts ins Zentrum ihrer Langzeitstudie im konfessionslosen Kontext (Szagun, 2006). Die Ergebnisse bezüglich der Genderperspektive fasst sie in einem Beitrag zusammen (Szagun, 2011). Ab 1999 begleitet sie 55 Heranwachsende ab der ersten Klasse vier bis zwölf Jahre lang. In der Gestaltung von Skulpturen, in denen die Kinder einen Vergleich für Gott gestalteten, kommen selten anthropomorph-figürliche Darstellungen vor. Vereinzelt finden sich bei Mädchen weiblich anmutende Gottesdarstellungen, die aber als männlich benannt werden, drei Mädchen stellen explizit weibliche Gottesfiguren dar (Szagun, 2011, 162f.). Szagun vermutet, dass „die ‚kulturelle Tapete‘ mit ihrem eindeutig männlich konnotierten Gottesbild auch im mehrheitlich konfessionslosen Kontext noch eine erhebliche Prägekraft besitzt“ (Szagun, 2011, 164).
Allerdings zeigen sich keine Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen im Grundschulalter in Bezug auf ihr religiöses Interesse und Erleben und in den Grundlinien ihres Gottesbildes. Dies führt sie auf ihre vielfältigen Erhebungsmethoden zurück, in denen die Kinder nicht nur in Gruppen, sondern auch einzeln befragt wurden: „Die in der Studie durchgängig als Erhebungsmethode genutzten ‚persönlichen Gespräche‘ ermöglichten eine differenzierte Erfassung der Interessen beider Geschlechter und nachfolgend deren Berücksichtigung im Unterricht. Die Erfahrungen im Religionsunterricht wie die in ‚persönlichen Gesprächen‘ aufgebaute Vertrauensbeziehung bewirkten offenbar, dass Rollenstereotype die Einstellungen weniger stark beeinflussten: Im Schutzraum des Einzelgespräches konnten Jungen Erfahrungen, Hoffnungen, Ängste und religiöse Praktiken äußern, die sie in Gegenwart anderer Jungen vermutlich niemals mitgeteilt hätten. Für diese Vermutung sprechen folgende Beobachtungen: Bei einer schriftlichen Befragung im Klassenverband zu Gebetsverständnis und Gebetspraxis gaben alle Jungen an, niemals zu beten. Dieselben Jungen trugen in den gleichen Fragebogen in Einzelgesprächssituationen völlig andere Angaben ein“ (Szagun, 2011, 166).
Die Gottesmetaphern wurden in einer „Ausstellung“ präsentiert, und die Kinder, die wollten, konnten zu ihrer Skulptur auch etwas sagen. „Jungen zeigten deutlich mehr Hemmungen, vor Klassenkameraden zur Bedeutung der eigenen Skulptur etwas zu sagen, als Mädchen. – Ein Viertklässler äußerte im Einzelgespräch, für einen Jungen sei es problematisch, sich als religiös zu ‚outen‘. Wenn überhaupt, dürfe man so etwas höchstens Mädchen bzw. Frauen erzählen“ (Szagun, 2011, 166f.).
Deutlich werden hier Effekte des doing gender in den beiden Beispielen von Jungen. In der Gruppe ist es für die Jungen wichtig, Männlichkeit zu inszenieren – beten und religiös zu sein entspricht hier nicht dem erwünschten Bild von Männlichkeit in der Gruppe, die Jungen wollen sich entsprechend darstellen. Effekte dieses doing gender und wiederum Wirkungen geschlechtsspezifischer Spielwelten können auch in den Darstellungsformen der Mädchen und Jungen vermutet werden, denn sie unterschieden sich nicht „hinsichtlich der Fähigkeit zur Metaphernbildung und der Häufigkeit von symbolischen Darstellungen Gottes (…) Hinsichtlich der Form, des Materials und der konkreten Ausgestaltung dieses Gehäuses unterschieden sich Mädchen und Jungen aber beträchtlich. Mädchen wählten überwiegend das Bild einer Wohnung (vereinzelt auch eine Insel oder ein Schiff), die häufig sehr detailreich und liebevoll ausgestattet wurde“ (Szagun, 2011, 167). „Das ‚Gehäuse‘ der Jungen für Gott sah deutlich anders aus. Fast immer war es ein Fahrzeug, überwiegend ein Raumschiff (…), aber auch Kampfflugzeug, Monstertruck, Panzer oder Rettungswagen kamen vor. (…) Während die Mädchen in ihr Gehäuse fast immer auch Naturmaterialien einbauten, verwendeten die Jungen für ihre Fahrzeuge fast ausschließlich künstliche Materialien“ (Szagun, 2011, 168).
3. Zusammenfassung und Ausblick
Empirische Forschung in der Religionspädagogik zeigt, dass Geschlecht eine Kategorie ist, die in → religiösen Bildungsprozessen
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