Quellenbearbeitung
(erstellt: Januar 2015)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Quellenbearbeitung.100004
1. Notwendigkeit einer methodischen Regulierung der Arbeit mit Quellen
Quellen sind – häufig sprachliche – Zeichen einer ehemals gegenwärtigen Lebenswirklichkeit, die heute noch vorhanden und zugänglich sind. Sie bilden Zeugnisse vergangener Sinn-, Handlungs- und Wirkungszusammenhänge und sind aus ihnen hervorgegangen. Wer gegenwärtig mit Zeugnissen der Vergangenheit arbeitet, muss den umgekehrten Weg gehen: Aus den vorhandenen Zeichen sind über regulierte Verfahren vergangene Zusammenhänge zu (re)konstruieren.
Der Wirklichkeitsbereich → religiöse Bildung
2. Die Regularien der Arbeit mit Quellen
Die Regularien der Quellenarbeit stammen aus dem Historismus und lassen sich als drei unterscheidbare Prozesse beschreiben – Heuristik, Kritik und Interpretation. Als Prozesse sind sie zunächst formaler Natur. Erst wenn sie sich mit inhaltlichen Kategorien verbinden, bilden sie ein Arbeitsinstrument, das Richtungen der Quellenarbeit vorgibt. Die klassischen Kategorien sind hermeneutisch und analytisch konfiguriert, sie werden hier durch eine diskursanalytische Variante ergänzt.
2.1. Heuristik: Fragen stellen
„Heuristik ist die methodische Operation der Forschung, die intersubjektiv prüfbar historische Fragen auf empirische Bekundungen der Vergangenheit bezieht, zur Beantwortung der Fragen relevante Quellenbestände sammelt, sichtet und klassifiziert und den Informationsgehalt der Quellen abschätzt“ (Rüsen, 1986, 102). Der erste Schritt eröffnet die Quellenbearbeitung, indem das Erkenntnisinteresse offengelegt wird. Das Erkenntnisinteresse selbst berücksichtigt den erreichten Forschungsstand und überprüft, welche Erfahrungen, Situationen oder Theoriekonzepte der Gegenwart zu bislang zu wenig oder nicht gestellten Fragen führen. Erst dann lässt sich bestimmen, welche Quellen für die Bearbeitung der Fragen geeignet sind.
Hermeneutisch (→
Soll z.B. die religionspädagogische Konzeption (→
Eine analytisch geprägte Heuristik akzentuiert strukturelle Hintergründe und Determinanten einer Vergangenheit. Sie richtet das Erkenntnisinteresse auf die Klärung von Umständen und Verhältnissen, auf die z.B. eine religionspädagogische Konzeption reagiert. Welche Auswirkungen auf religionspädagogisches Denken haben etwa die Entstehung, die Blütezeit oder das Ende konfessioneller Milieus (→
Die Diskursanalyse will ergründen, wie durch kommunikative Prozesse Wissen und Wirklichkeit hergestellt werden. Historisch geht sie davon aus, dass diese Konstruktion durch den Gebrauch von Sprache erfolgt, der in Texten der Vergangenheit vorliegt. Wer die Frage stellt, „was in einer bestimmten historischen Situation als gegebene Wirklichkeit hingenommen wird“ (Landwehr, 2008, 22) und dies z.B. über Sprachverwendung in Quellen erarbeiten will, findet in der Diskursanalyse ein entsprechendes Instrumentarium. Religionspädagogisch kann dies bedeuten, zentrale Begriffe in einem vergangenen (kirchen-)politischen, wissenschaftlichen oder unterrichtspraktischen Diskurs so zu untersuchen, dass ihre semantische oder normierende Prägekraft deutlich wird. Der Frage gemäß folgt die Korpusbildung der Quellen.
2.2. Kritik: Quellengehalt untersuchen
Die Quellenkritik untersucht den Bezug zur empirischen Wirklichkeit, der durch eine Quelle auf eigene Weise präsentiert wird. Sie analysiert, welche Tatsachen, Begebenheiten, Argumente oder Erfahrungen in der Quelle zum Ausdruck kommen. Dabei ist es irrig zu meinen, eine Quelle müsse nur von subjektiven Einschätzungen der Autoren, von gattungsbestimmten Eigenheiten und verzerrenden Intentionen gereinigt werden, um zur objektiven Wirklichkeit einer Vergangenheit vorzustoßen. Dem steht sowohl das gegenwärtige Erkenntnisinteresse entgegen als auch die Tatsache, dass eine Quelle nur aus ihrer offenen oder verdeckten Wirkungsgeschichte heraus analysiert werden kann. Quellenkritik kann aber zu einer Plausibilität dessen beitragen, was die Quelle an Information beinhaltet. Die Frage nach ihrer inneren Stimmigkeit, ihren zeitgenössischen Absichten und der Vergleich mit anderen Zeugnissen der Vergangenheit können den Tatsächlichkeitsgehalt einer Quelle für die Erarbeitung von Geschichte plausibel machen.
Kritik ist hermeneutisch (→
Die analytische Variante will den Tatsächlichkeitsgehalt einer Quelle so bestimmen, dass sich in ihr Allgemeines widerspiegelt. Die Singularität der inhaltlichen Darstellung wird für eine Theoriefähigkeit sichtbar gemacht, „sie verschwindet zugunsten einer Repräsentativität für Vorgänge einer höheren Allgemeinheitsstufe“ (Rüsen, 1986, 132). Eine Quelle, die eine Katechese (→
Die Modi einer diskursanalytischen Kritik sind an linguistischen Operationen orientiert. Es werden sprachliche Merkmale des Quellenkorpus' untersucht. Auf der Makroebene kommt der Sprach- und Darstellungsstil in den Blick, die Mikroanalyse betrifft syntaktische Eigenarten, lexikalisch-semantische Wortverwendungen und pragmatische Hinweise. Den Bezug zum historischen Charakter der Quellen stellt eine Kontextuntersuchung sicher, die mediale, institutionelle und zeitgenössische Zusammenhänge der Quellenproduktion und -rezeption erhebt. Dabei werden die sprachlichen Zeichen als aufeinander bezogene und sich wechselseitig ergänzende Elemente eines Diskurses behandelt, der durch sie geprägt ist (vgl. Landwehr, 2008, 100-131).
2.3. Interpretation: Quellen einordnen
Interpretation verknüpft den kritisch erhobenen Gehalt von Quellen zu historischen Zusammenhängen. Sie transformiert die heuristischen Annahmen mit Hilfe der informationshaltigen Substanz der Quellenkritik zu Geschichte(n), die sich in ihrer Grundlage und Kohärenz überprüfbar darstellen lassen. Auf diese Weise entstehen Bilder, Erzählungen und Theorien über die Vergangenheit, die gegenwärtige Orientierungsbedürfnisse mit einem plausiblen und möglichst hohen Tatsachengehalt des Vergangenen konfrontieren. Die Quellen erhalten durch die Einbindung in Vorstellungen zeitlicher Veränderung ihre Bedeutung, die Vorstellungen selbst werden durch den Gehalt der Quellen empirisch (→
Eine hermeneutische Ausrichtung erfährt die Interpretation, wenn sie eine Entwicklung von Handlungen oder Deutungen aus der Intention und der Situation der Handlungs- und Deutungsverantwortlichen verständlich macht. Die Interpretation konzentriert sich auf die Motivation, den inneren Antrieb und die Kompetenz von Menschen, die für eine Veränderung verantwortlich sind. Religionspädagogisch bedeutet dies etwa die Frage, wie die Inanspruchnahme von Religion, Christlichem, Theologie o.Ä. durch Personen so interpretiert werden kann, dass sie zu einer veränderten Konzeption → religiöser Bildung
Richtet sich die Interpretation des Quellengehalts auf Veränderungen von Konstellationen, die Bedingungen menschlicher Deute- und Lebenspraxis betreffen, besitzt sie einen analytischen Charakter. Die Umstände werden in theoretische Konstrukte eingeordnet, in denen Einzelelemente ihren Bezug zu einer übergeordneten Zeitverlaufsvorstellung erhalten. So kann die Abfolge religionspädagogischer Konzeptionen im 20. Jahrhundert als Teil und Ausdifferenzierung eines schulischen und/oder kirchlichen Modernisierungsprozesses gedeutet werden, biografische Schilderungen religiöser Bildungserlebnisse lassen sich als Element von historischen Entwicklungsbedingungen personaler Identität erklären.
Wird ein historischer Diskurs als eine Menge von diachron angelegten Aussagen und Praktiken, die einen Sachverhalt konstituieren, definiert, kommt es nach der Einzelanalyse der Quellen darauf an, Linien durch das gesamte Quellenkorpus zu ziehen. Dann wird als ein Akt der Interpretation sichtbar, welche Merkmale den historischen Diskurs prägen, welche sich verändern oder wegfallen. Im Fall eines religionspädagogischen Wissenschaftsdiskurses kann u.a. die deutende Linie des Religionsbegriffs in einem konzeptionell orientierten Quellenkorpus zeigen, wie Religion in Lernprozessen verschiedener Zeiten konstituiert werden soll.
Literaturverzeichnis
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