Deutsche Bibelgesellschaft

Akademie, evangelisch

(erstellt: Februar 2019)

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1. Kirchliche Investition in die politische Kultur

Die Evangelischen Akademien in Deutschland (→ Akademien, katholische) entstanden seit 1946 als Antwort auf die Diktatur des faschistischen Nationalsozialismus und seine Verbrechen (→ Kirchen im Nationalsozialismus). Diese „moralische Katastrophe“ (Leiterkreis der Evangelischen Akademien, 1979, 109) dürfe sich in der deutschen Geschichte nie wiederholen. Dazu sollten nach Aussagen der Gründungsväter die Akademien mit ihrer Tagungsarbeit beitragen. Zurzeit existieren 17 Evangelische Akademien. Sie sind im Verein Evangelische Akademien in Deutschland (EAD e.V.) zusammengeschlossen. Etwa 140 Studienleiterinnen und Studienleiter arbeiten zumeist hauptamtlich in den Akademien, verantworten das Tagungsprogramm, seine Planung, Durchführung und Auswertung.

Die Themenkonjunkturen spiegeln in den nun 70 Jahren dieser Arbeit die Geschichte Nachkriegsdeutschlands und ihre Einbindung in die internationale Entwicklung bis heute. Dabei lassen sich bei aller Kontinuität und Überschneidung mancher Themenstränge vier unterscheidbare Phasen erkennen.

1.1. Einüben in die demokratische Gesellschaft

Bis in die frühen 1960er Jahre waren die Evangelischen Akademien wertkonservativ geprägt. Viele ihrer Gründerpersönlichkeiten können dem Habitus nach großbürgerlichen und deutsch-nationalen Milieus zugerechnet werden. Der Prozess der Herausbildung demokratischen Bewusstseins setzte sich in der Breite der → Gesellschaft erst langsam durch. Die schnell enttäuschte Sehnsucht nach der Restaurierung des christlichen Abendlandes als Anspruch an die Nachkriegspolitik durchzieht so manche der frühen Tagungsprotokolle (Schildt, 1999; Anhelm, 2004). Das war die eine Seite. Die andere äußerte sich als vorsichtige Öffnung für die Einübung in die → Demokratie, die Akzeptanz des Parteiensystems, der Gewerkschaften und der neuen verfassungsgemäßen Ordnungsprinzipien (Treidel, 2001). Als Egon Bahr 1965 in Tutzing das Konzept des Wandels durch Annäherung vorstellte, war dieser politischen Positionierung eine lange und heftige Diskussion über die in Akademietagungen vorbereitete Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, 1965) vorausgegangen. Die Evangelischen Akademien im Westen hatten sich als Akteure im Demokratisierungsprozess etabliert. Bei der Wiederaufrüstung blieben sie gespalten. Im Osten waren sie nach dem Bau der Mauer auf den Raum beschränkt, den das DDR-Regime für kirchliche Aktivitäten zuließ. Das änderte sich jedoch deutlich ab Mitte der 1980er Jahre (Friedenthal-Haase, 2007).

1.2. Paradigmenwechsel

1967 trat Rudi Dutschke in Loccum und dann 1968 in Bad Boll im Dialog mit Ernst Bloch auf. Die Studentenbewegung war in den Evangelischen Akademien angekommen. Das trug ihnen auf konservativer Seite nun das Attribut linker Kaderschmieden ein. Mit der inhaltlichen Vielfältigkeit der Tagungsprogramme hatte es wenig zu tun. Der Orientierungswechsel aber führte vom eher konservativ-restaurativen zu einem stärker progressiv-liberalen → Habitus. Diese neue Grundhaltung wies deutlich politisch-gesellschaftskritische Züge auf. Im ökumenischen Kontext bezog sich die Transformation auf die globale Gerechtigkeitsdiskussion im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) besonders durch das Programm zur Bekämpfung des Rassismus und dessen Sonderfonds, der Befreiungsbewegungen im Prozess der Entkolonialisierung und gegen das Apartheidsregime in Südafrika unterstützte. Akademien im Westen wie Bad Boll und Arnoldshain und im Osten wie Ost-Berlin und Magdeburg engagierten sich als Befürworter dieses Programms. 1970 beschloss der Zentralausschuss des ÖRK auf seiner Tagung in der Evangelischen Akademie Arnoldshain die erste Liste der Zuwendungsempfänger. Gerade in deutschen Landeskirchen und der EKD führte dies zu heftigen Gegenreaktionen bis hin zu Austrittsdrohungen aus dem ÖRK.

Auch in und zwischen den Akademien lösten das internationale ökumenische Engagement, die Positionierung für die Entspannungspolitik und das Eintreten für eine basisorientierte Demokratisierung kontroverse Diskussionen aus. Dabei ging es auch um das Selbstverständnis als Alleinstellungsmerkmal. Die Einen betonten die Rolle Evangelischer Akademien als Faktor in öffentlichen Auseinandersetzungen. Die Anderen hielten an der Vorstellung eines neutralen Forums fest.

Die Landschaft der Akteure hatte sich seit Beginn der 1950er Jahre längst durch weitere Träger wie katholische (→ Akademie, katholisch) und säkulare Akademien, Parteienstiftungen und Vereinigungen für Politische Bildung spürbar verbreitert. Ebenso verlangte die Institutionalisierung außerschulischer Erwachsenen- und Jugendbildung nach einer Neubestimmung des Propriums evangelischer Akademiearbeit. Das Durchdringen anstehender Konflikte durch Zusammenführen zersplitterter Spezialwissenschaften in zielorientierten Gesprächen stellte nun die Interdisziplinarität als den zentralen Anspruch an das Akademieprofil heraus, auf den man sich gemeinsam verstehen konnte (Leiterkreis der Evangelischen Akademien, 1979, 21-27;40-42).

1.3. Partei nehmen im Diskurs

Der Paradigmenwechsel in den 1970er Jahren hatte in den 1980ern eine Neukonsolidierung des Akademiekonzeptes zur Folge. Neben die Parteinahme für das ökumenische Engagement im 1983 vom ÖRK ausgerufenen Konziliaren Prozess für Frieden,Gerechtigkeit und Bewahrung derSchöpfung trat das Konzept des Diskurses, d.h. des intermediären Bearbeitens und Vermittelns in normativ polarisierten Konflikten und den öffentlich damit verbundenen Argumentationsmustern. Dieser diskursive Ansatz nahm die Anti-Atom-, die Friedens- (→ Friedenspädagogik) und Ökologiebewegungen (→ Ökologische Ethik) ebenso auf wie die auf Demokratie drängenden Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa, Afrika und Lateinamerika, und setzte diese Auseinandersetzungen mit der offiziellen Politik in Beziehung. Daraus entstanden öffentlichkeitswirksame Tagungen auf nationaler wie internationaler Ebene, z.B. während des Kriegsrechts in Polen, im Zuge der atomaren Aufrüstungsabsichten und Abrüstungsverhandlungen, aber auch der beginnenden weltweiten Klimadiskussion bis hin zum ersten systematisch strukturierten umweltbezogenen Mediationsprojekt in Deutschland (Anhelm/Hammerbacher, 1999, 200-214). Mediation als partizipatorisches Verfahren zur Konfliktbearbeitung erhielt von hier aus Anstöße zu seiner Anwendung in vielen anderen Themenbereichen.

Nach dem Fall der Mauer fanden in den Evangelischen Akademien von 1989 bis 1991 ca. 200 Tagungen zum Prozess der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten statt. Schon seit Mitte der 1980er Jahre waren entlang der Friedensdiskussion intensive Kontakte besonders zur Sowjetunion, Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen und der DDR aufgebaut worden. 1991 schlossen sich die Evangelischen Akademien Ost und West in Meißen zu dem heutigen Verband zusammen. Die beiden bis dahin getrennten Akademien in Berlin-West und -Ost vereinigten sich wieder zu einer Evangelischen Akademie.

1.4. Globalisierung und Vernetzung

Jenseits der Bipolarität änderten sich in den 1990er Jahren die Akzentsetzungen im Themenspektrum erneut. Auf dem nationalen wie internationalen Feld zog die Entwicklung und zunehmende Bedeutung der Zivilgesellschaft viel Aufmerksamkeit auf sich. Nichtregierungsorganisationen beeinflussten das Agenda-Setting großer UN-Konferenzen zu Umwelt und Entwicklung, Klima, Bevölkerung und Sozialstandards. Die Auswirkungen der marktliberalen Globalisierung auf die Sozial- und Bildungssysteme, die Transformation multinationaler Unternehmen, die Entwicklung des globalen Finanzsystems mit den daraus folgenden politischen und ökonomischen Deregulierungs- und Privatisierungsprozessen gehörten zu den wichtigen Tagungsthemen.

Die friedensorientierte Tagungsarbeit verschob sich von globaler Rüstungs- und Sicherheitspolitik zu Ansätzen von Krisenprävention und Konfliktbearbeitung bei innerstaatlichen Konflikten in Afrika, Asien und auf dem Balkan und der Osterweiterung der Europäischen Union. Als Gegenreaktion auf den global vorausgesagten Clash of Civilisations engagierten sich Evangelische Akademien im interkulturellen (→ Lernen, interkulturelles) und interreligiösen Dialog (→ Interreligiöses Lernen; → Dialog der Religionen: Entwicklung, Modelle, religionspädagogische Relevanz) wie auch im Diskurs zu → Migration und Integration. Ebenso beteiligten sie sich an den neuen öffentlichen Auseinandersetzungen über Gentechnologie und Hirnforschung, Soziobiologie (Beer/Markus/Platzer, 2003) sowie in jüngster Zeit über die Nutzung von Digitalisierung und autonomen Softwaresystemen.

Der fortschreitende methodische Säkularismus positivistischer Wissenschaft insgesamt verlangte nach der Thematisierung der mit ihm verbundenen theologischen, ethischen, sozialen und juristischen Problemstellungen. Die trendsetzenden Entwicklungen fanden in der Tagungsarbeit daher zunehmend Raum für ihre kritisch-interdisziplinäre Reflexion. Der in der dritten Phase durch antagonistisch polarisierte Positionen gekennzeichnete Diskurs wandelte sich in der vierten zu einer gezielten problemorientierten Vernetzung der am öffentlichen Diskurs beteiligten Gruppen von Akteuren zwischen Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

2. Evangelische Akademien als Lernorte

Die Akademien arbeiten in eigenen Tagungshäusern oder belegen die Tagungsstätten ihrer Landeskirchen. Berlin und jüngst Frankfurt haben sich auch als Stadtakademien etabliert. Die Identifizierung mit einem Haus als Ort mit Retraite-Charakter als geschütztem Reflexionsraum hatte schon hohen Stellenwert in der Konzeption der Gründergeneration.

Dies sollte für die Teilnehmenden an den meist mehrtägigen Veranstaltungen erfahrbar werden. Gottesdienste und Andachten sowie Meditationsangebote gehören zum Tagungsprogramm. Der „Dritte Ort“ (Anhelm, 1988, 39f.) sollte sich von gewohnter Alltagspraxis unterscheiden und gerade deshalb ungewohnte und versöhnliche Verhaltensdispositionen zulassen. Stichworte wie „Bekehrung der Strukturen“ (Müller, 1973), Einübung in konfrontierendes Denken und neuartige Denkprozesse verwiesen auf die potentielle kommunikative Kraft des angezielten Dialogs. Dafür stand als Symbol für die Akademiearbeit das Bild der Brücke.

Die Ausgestaltung dieses Anspruchs bedurfte eines spezifischen methodischen Arrangements. Es konzentrierte sich auf das Instrument der moderierten Tagung mit Vorträgen, Podien und Plenumsdiskussionen. Die Inhalte und Akteure (Teilnehmende/Referentinnen und Referenten/spezifische Zielgruppen) veränderten sich jedoch mit den sich wandelnden politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Kontexten. Akademiearbeit hatte sich auch methodisch neuen Herausforderungen und Erwartungen anzupassen. Am Lernort Evangelische Akademie blieb die Tagung zwar weiterhin das zentrale Instrument. Aber viele andere Formate wie zeitlich befristete Projektarbeit, Tagesveranstaltungen, Hintergrundgespräche und Ausschreibungen kamen hinzu.

2.1. Dialog als Lernerfahrung

Der Dialog als Weg zur Verständigung erwies sich in der ersten Phase der Akademiearbeit als das selbstverständliche Lernkonzept. Nach der Nazi-Diktatur bedurfte dies keiner besonderen Begründung. Gemeint war das freie und offene Gespräch. Hanns Lilje fand dafür 1952 den oft zitierten Satz: „Hier kann jeder alles sagen“. Wie die Tagungsprotokolle aus dieser Zeit zeigen, dominierten dabei allerdings die Vorträge. Doch die wiedergewonnene Erfahrung der Offenheit für kontroverse Positionierungen reichte aus, um diese Form des Lernens als Einübung in die Demokratie zu verstehen.

In der zweiten Phase wurde dieses Selbstverständnis in Frage gestellt. Der Paradigmenwechsel zu einer kritischen Grundhaltung gegenüber restaurativen Verhaltensmustern und der Mentalität des Wiederaufbaus sowie das auch selbstkritische Eintreten gegen Rassismus und Kolonialismus beförderten eine in der Sache entschiedene und auf breitere Partizipation ausgerichtete Lernkultur. Podiumsgespräche und Arbeitsgruppen lösten die Dominanz eher frontaler Arrangements ab. Lernen wurde als ein an sich kritischer Prozess begriffen, der sich aus der Artikulation der Teilnehmenden heraus entwickeln müsse.

2.2. Diskurs als Konfliktbearbeitung

Dies fand sich in der dritten Phase im Diskursbegriff wieder. Er spitzte den offenen Dialog auf zielorientierte argumentative Auseinandersetzungen über Richtungsentscheidungen zu. In und zwischen den Akademien blieb dieser Ansatz zunächst umstritten. Die Einen sahen darin eine thematische Verengung des Dialogangebots, die Anderen angesichts von Großdemonstrationen und Polizeieinsätzen die angemessenere Bearbeitung der Konflikte durch zivilgesellschaftliche Partizipation. Sprechverbote für Generäle begleiteten die ersten diskursiven Vermittlungsversuche ebenso wie der demonstrative Boykott durch Friedens- und Ökologiegruppen. Dennoch gewannen diskursive Arrangements auch durch ihre Übertragung auf weitere Themenfelder wie den interkulturell-religiösen Dialog (Evangelische Akademien in Deutschland, 2006) (→ Lernen, interkulturelles; → Interreligiöses Lernen; → Dialog der Religionen: Entwicklung, Modelle, religionspädagogische Relevanz), Sozial- und Wirtschaftspolitik, die Auseinandersetzungen um Globalisierung und insgesamt bei der Bearbeitung nationaler und internationaler politisch-gesellschaftlicher Konflikte zunehmend an Akzeptanz. Das galt auch für mediative Verfahren als systematisiertes Sonderformat der Vermittlung zwischen beteiligten Akteuren in abgrenzbaren Konfliktsituationen. Der Diskursbegriff blieb bis heute ein wesentlicher Referenzrahmen für das Lernarrangement evangelischer Akademiearbeit.

In der vierten Phase erwiesen sich die bipolaren Konstellationen zweier Extreme mit vermittelnden moderateren Positionierungen dazwischen jedoch kaum noch als tragfähig. Der Dualismus des West-Ost-Konfliktes bestimmte nicht länger die Denk- und die Handlungsmuster. Multipolares Vernetzen problemrelevanter Gruppen von Akteuren trat an die Stelle des bipolaren Bauens von Brücken. Die Aktivitäten der Akademien setzten auf möglichst präzise Definitionen von Sachproblemen und versuchten, die daran beteiligten Akteure (Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik, Fachdisziplinen und Wissenschaft) auf den je spezifischen Handlungsfeldern um Problemlösungsoptionen herum in kommunikativen Arrangements aufeinander hin zu orientieren. Die multipolaren neuen Problembeschreibungen spiegelten sich in multilateralen Konstellationen der Akteure und multivarianten Veranstaltungsformen.

Mit den gegenwärtig zunehmenden Entwicklungstrends zu überwunden geglaubten nationalistischen und populistischen Verhaltensmustern, zu autokratischen Regimen und quasi-religiöser Aufladung geopolitischer, sozialer und ökonomischer Konflikte, aber ebenso zu selbstreferenziellen autonomen, von Algorithmen gesteuerten digitalen Systemen trifft der Diskursansatz erneut auf noch kaum bearbeitete Herausforderungen. Die Ambivalenzen dieser Trends enthalten totalitäre Züge, stellen bisher für konsensfähig gehaltene zivile Grundüberzeugungen infrage und kündigen gezielt Prinzipien einer pluralistisch-demokratischen Kultur auf. Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um darin die nächste Bewährungsprobe für eine dialogische und diskursive Lernkultur zu entdecken.

3. Weltverantwortung, Religionspädagogik und Bildung

Evangelische Akademien sind institutionelle Gründungen aus dem Geist der Weltverantwortung von öffentlicher Theologie und Kirche. Mit dieser Rückbindung verstanden sich die Akademien als eine neue Art des Erwachsenenkatechumenats in gesamtgesellschaftlich missionarischer (→ Mission, christliche) und seelsorgerlich-diakonischer Dimension (→ Diakonisches Lernen, evangelisch). Sie sahen sich als zeitgenössischer Areopag für gemeinsames Nachdenken über die Fragen, die die Menschen bewegen (Leiterkreis der Evangelischen Akademien, 1979, 110). Hanns Lilje beschrieb die Akademien als das Fenster der Kirche zur Welt und zugleich als Chance zu monastischer Einkehr.

Dieser Anspruch enthält ein spezifisches Bildungsverständnis (→ Bildung). Es geht von Wechselwirkungen zwischen christlich-religiös geprägten und gesellschaftlich-pluralistischen Orientierungen aus. Entsprechungen und Spannungen in diesen Wechselwirkungen aufzuzeigen und zu bearbeiten, eröffnet den Zugang zu Feldern, die zumeist von säkularen Sprachformen dominiert sind. Faktizität und Geltung, Sachlogik und → Ethik, Wissen und Glauben unterscheidbar zu halten und zugleich gesprächsfähig aufeinander zu beziehen, ist das Lernprojekt Evangelischer Akademien. Inhaltlich liegt der Akzent dieses Lernprojekts auf den Trends der sich verändernden gesellschaftlichen und politischen Entwicklung.

Das bestimmt auch das gewachsene Verhältnis zur → Religionspädagogik. Als eigene Disziplin begründete sich diese aus kirchlicher Arbeitsteilung und universitärer Professionalisierung seit den 1970er Jahren. Sie schuf sich eigene Institutionen einschließlich außeruniversitärer Einrichtungen, wie z.B. Religionspädagogische Institute, die an der Entwicklung von Curricula, der Aus- und Fortbildung und als spezifische Lernorte (→ Lernorte religiöser Bildung) für die pädagogische Umsetzung in schulischen und außerschulischen Formen mitwirken. Die dieser Professionalisierung inhärente Logik und Theoriebildung legt den Akzent auf die pädagogischen Aspekte. In ihren formellen und informellen Lernkontexten (→ Informelles (religiöses) Lernen) ist sie auf spezifische Zielgruppen und einen eigenen Bildungs- und Fortbildungskanon zugeschnitten. Bei der Bildungspolitik, dem interreligiösen Dialog und in grundsätzlichen theologisch-ethischen Diskursen zeigen sich die inhaltlichen Schnittstellen zwischen Akademiearbeit und Religionspädagogik. Sie sind Ansatzpunkte für Kooperationsprojekte, wie z.B. bei der politischen Unterstützung und praktischen Einführung islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen.

Peter L. Berger hat intermediäre Institutionen zur Bearbeitung normativer Konflikte, soweit sie sich von zivilen Tugenden leiten lassen, in drei Typen unterschieden. Der imperiale Typus nutzt Recht, Gesetz und Sanktionen. Der pragmatische Typus sorgt für Interessenausgleich z.B. zwischen Tarifparteien oder durch Mediation. Dem dritten, dem dialogischen Typus rechnet Berger konzeptionell die Arbeit der Evangelischen Akademien zu. Gegenüber den anderen beiden ist er speziell durch die Suche nach dem ideenbildenden Kompromiss gekennzeichnet. Auf dieser ideenbildenden Ebene sieht Berger eine der wenigen Möglichkeiten für Vermittlungsprozesse als Vehikel für neue Erkenntnisse über menschliche Lebensbedingungen (Berger, 1997, 601-608). Aus theologischer Perspektive könnte hinzugefügt werden: Wo sich solche ideenbildenden Kompromisse herausarbeiten lassen, sollte dies in der Freiheit des Evangeliums auch als Möglichkeit zur verantwortlichen Gestaltung der Welt in öffentlichen Diskursen wahrnehmbar gemacht werden.

Literaturverzeichnis

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  • Anhelm, Fritz E., Diskursives und konziliares Lernen. Politische Grenzerfahrungen, Volkskirche und Evangelische Akademien, Frankfurt a. M. 1988.
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  • Beer, Wolfgang/Markus, Peter/Platzer, Katrin (Hg.), Was wissen wir vom Leben? Aktuelle Herausforderungen der Ethik durch die neuen Biowissenschaften, Schwalbach/Ts. 2003.
  • Berger, Peter L., Allgemeine Betrachtungen über normative Konflikte und ihre Vermittlung, in: Berger, Peter L. (Hg.), Die Grenzen der Gemeinschaft. Konflikt und Vermittlung in pluralistischen Gesellschaften. Bericht der Bertelsmann Stiftung an den Club of Rom, Gütersloh 1997, 581-614.
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  • Müller, Eberhard, Bekehrung der Strukturen, Darmstadt 1973.
  • Schildt, Axel, Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München 1999.
  • Treidel, Rulf J., Evangelische Akademien im Nachkriegsdeutschland. Gesellschaftspolitisches Engagement in kirchlicher Öffentlichkeitsverantwortung, Stuttgart 2001.

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