Akademie, katholisch
(erstellt: Februar 2017)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Akademie_katholisch.200212
1. Historie: Erbe als Auftrag
Konfessionelle Akademien gab es weltweit bis 1946 nirgends, weil sie „Kinder“ der deutschen Nachkriegszeit sind und als eindeutige Reaktionen auf den deutschen Faschismus verstanden werden müssen. Deutschland befand sich insgesamt in einer Krise völliger Depression und Orientierungslosigkeit. Man suchte auf alle Fragen Antworten, aber in einer „Atmosphäre toleranter Freiheit und auf wissenschaftlichem Niveau“ (Schütz, 2004, 186). Die Initiative zur Gründung der Akademien ging von katholischen Führungskräften und akademischen Laien in der katholischen Aktion aus (Schütz, 2004, 187; Bucher, 2007, 197). Auch die Amtskirche sah sich durch die intellektuellen Laien motiviert, Deutschland mit der Orientierung an christlichen Werten wieder aufzubauen. Anvisiert war von der katholischen Aktion ein freier Ort, um sich über das Leben und die Gesellschaft auszutauschen, und dabei sollte weder die Politik noch die Kirche eingreifen und lenken. Dieses Erbe der Freiheit formt das Selbstverständnis der Akademien bis heute und ist der Grund, weshalb die konfessionellen Akademien nach wie vor als Orte genutzt werden, um unterschiedliche, ja disparate Interessen in der Gesellschaft, Politik, Wissenschaft oder zwischen Kirche und Gesellschaft miteinander auszuhandeln (→ Kirche – Staat
Die erste konfessionelle Akademie wurde von der evangelischen Landeskirche in Württemberg 1945 in Bad Boll gegründet. 1951 folgte, ebenfalls in Württemberg, die erste Einrichtung auf katholischer Seite, die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die bis heute diesen Namen ohne Konfessionsbezeichnung trägt, um die erwähnte Offenheit auch namentlich zu signalisieren. Durch den Gründungsdirektor Alfons Auer, späterer Tübinger Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie und Begründer des moraltheologischen Konzepts der Autonomen Moral, erhielt der Akademiegedanke in der Linie des II. Vatikanums eine theologische Begründung, die bis heute für das Selbst- und Handlungsverständnis der katholischen Akademien gültig ist. Für Auer ist die Akademie ein Paradeort weltoffener Katholizität, ein Forum des freien offenen Wortes statt monologischer (kirchlicher) Verkündigung und eine Stätte, an der stetig entdeckt und bearbeitet wird, was von gesellschaftlicher Relevanz ist. Der deutsche Katholizismus konnte mit den Akademien erstmals seine freiheitlichen und christlichen Überzeugungen in die gesamte Gesellschaft hinein transportieren. Die meisten katholischen Akademien entstanden nach der Rezeption des II. Vatikanums (1962-65) und setzten dessen Inhalte in vielen Gründungen ab den 70er-Jahren in Deutschland um.
2. Das theologische Format der Akademien
Das Selbstverständnis der Akademien als Orte des freien Dialogs war zunächst der deutschen Nachkriegszeit geschuldet und hat sich theologisch profiliert und verstärkt in dem Gedanken der Konzilskonstitution Gaudium et Spes Art. 4 und 36: die Autonomie der irdischen Wirklichkeit gelten zu lassen, indem man sich bewusst ist, dass, nach der Antrittsenzyklika (Ecclesiam Suam) von Paul VI., die Welt nicht von außen gerettet wird, sondern man sich mit den Lebensformen derjenigen solidarisieren müsse, denen man die Botschaft Christi bringen will. Die Kirche muss zu einem Dialog mit der Welt kommen, in der sie nun einmal lebt. Auer verstärkte diese Haltung dahingehend, dass er hinsichtlich des Akademieauftrags vom Prinzip der „schöpferischen Ruhelosigkeit“ spricht, die theologisch für ihn in der „creatio continua“ gefasst ist (Auer, 1983, 28f.). Diese kreative Ruhelosigkeit, aus der Akademiearbeit lebt, bewirkt, dass wir uns nicht mit „weltfernen Glasperlenspielen“ befassen, sondern uns auf die „Probleme[n] der jeweiligen Gegenwart vital einlassen“ (Moser, 1985, 10). Um das zu vermögen, braucht die Akademie wirkliche Freiheit und darf sich weder einer bestimmten parteipolitischen Richtung, noch der amtierenden kirchlichen Hierarchie anpassen. Sie ist „nicht die Lehrkanzel des Bischofs“ (Moser, 2003, 3). Die Kirche geht mit den Akademien ein beträchtliches Risiko ein, denn sie sind sowohl „reflektorische Experimentierorte des Glaubens“ als auch „Laboratorien des gesellschaftlichen Fortschritts“. Des Weiteren geht es auch um eine „handlungsbezogene kreative Konfrontation von Existenz und Evangelium“ (Bucher, 2007, 199f.). In ihr drückt sich eine weltzugewandte Schöpfungstheologie aus (Bucher, 2007, 193). Mittlerweile liegt das impulsgebende Zweite Vatikanische Konzil Jahrzehnte zurück und es gibt begründete Zweifel, ob das Selbstverständnis der Akademien, Orte von Dialog und Gastfreundschaft zu sein, nicht zu wenige theologische Inhalte aufweist.
3. Die Drehtürmentalität im 21. Jahrhundert
Wenn die theologische Analyse stimmt, dass es keine Alternative dazu gibt, sich permanent auf eine höchst wechselhafte Realität einzulassen, so gilt das natürlich auch für das 21. Jahrhundert. Genau dies meint die Rede von der „kulturellen Diakonie“ (Fuchs, 1988, 154-156). In großer Radikalität trifft das auf die Analyse Pauls VI. in der Enzyklika Evangelii nuntiandi zu, der diagnostizierte, dass „der Bruch zwischen Evangelium und Kultur […] ohne Zweifel das Drama unserer Zeitepoche“ ist (zitiert nach Fuchs, 1988, 146). Aus diesem Bruch ist in weiten Teilen der westeuropäischen Gesellschaft eine völlige Entfremdung bis hin zur Ablehnung verfasster Religion geworden. Der Verlust des kirchlichen Deutungsmonopols wird auch von den Kirchen als historische Tatsache leidvoll erkannt, die aber andere Formen kirchlicher Präsenz in der Öffentlichkeit erforderlich macht (Eicher-Dröge, 2003). Schuller (2001) hält das Anknüpfen an das Zweite Vatikanum für antiquiert und entwicklungsbedürftig. Die Schicksalsgemeinschaft mit der Moderne ist für ihn unausweichlich. Auch können wir uns keine Position im komfortablen Gegenüber aussuchen, sondern wir befinden uns selbst mitten drin. Wir benötigen, wie der Erfurter Fundamentaltheologe Tiefensee sagt, eine Ökumene der dritten Art, nämlich eine „Ökumene der Gemeinsamkeiten von christlicher und areligiöser Lebensdeutung“ (Tiefensee, 2001, 202), die im gegenseitigen Respekt, in Kenntnis und Wertschätzung erfolgt. Es geht um einen Dialog, in dem beide Seiten erkennen, dass sie ohne die andere Seite zu keinem Fortschritt in der Sache kommen. Evangelisierung bedeutet, offen und begründet zu sprechen, was man vertritt, und sich bewusst sein, dass der gemeinsame Weg unausweichlich eine Selbstveränderung zur Folge haben wird. Die Drehtürmentalität meint, dass Menschen heute keinen dauerhaften Ort mehr suchen und wollen, der ihnen ihr Leben für immer verbindlich erklärt. Sie halten sich an solch erkenntnisvermittelnden und wertstiftenden Dreh-Orten, wie z.B. die Akademien es sind, eine begrenzte Zeit auf, gehen, kommen aber unter Umständen auch wieder zurück. Das Ich auf Wanderschaft ist zum Maßstab geworden, mit allen Folgen für die Gemeinschaft.
4. Foren suchender Zeitgenossenschaft
Katholische Akademien waren nie Einrichtungen der → Erwachsenenbildung
Nach wie vor ist die Forderung, Akademien als Kulturstationen zu definieren, aktuell und richtig. Sie basiert auf der bedeutenden Rede, in der Johannes Paul II. 1982 vor der UNESCO einen erweiterten Kulturbegriff formulierte: „Kultur ist all das, wodurch der Mensch mehr Mensch wird.“ Dieser erweiterte Kulturbegriff meint „die Gesamtheit der materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen“ (Fürst, 1999, 187) und der sich die Akademien in ihrer Art in der Form kultureller Diakonie annehmen sollen. Eine wichtige Haltung der Akademien und ihrer Träger ist dabei jene christliche Zeitgenossenschaft, nämlich „sich mit äußerster Wachsamkeit und Aufmerksamkeit all dem auszusetzen, was unsere Zeit konstituiert“ (Fürst/Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 1991, 18). Dabei meint „ehrliche Zeitgenossenschaft nicht nur, […] für die Not der Zeit etwas zu tun, sondern, […] aus den Denkmöglichkeiten und Inspirationen der Zeit heraus die Sache, um die es geht, neu zu gewinnen“ (Seckler, 1988, 265). Präziser lässt sich der Auftrag auch heute kaum beschreiben. Akademien sind somit Foren suchender Zeitgenossenschaft, in der sich die Kirche nicht weniger als Suchende begreifen sollte. „Katholische Akademien waren einmal Orte, wo die Kirche ein Risiko eingegangen ist. „Wo sind die heutigen Risikozonen?“ Der Dialog ist heute recht risikolos geworden, „zumindest wenn man ihn so führt, dass er für das kirchliche Binnenmilieu oder seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer recht folgenlos bleibt“ (Bucher, 2007, 200). Wenn man die Sache neu gewinnen will, dann gibt es keine Alternative zur intellektuellen Freiheit, die auch die kirchliche Hierarchie ohne Angst gewähren kann. Ihre konfessionelle Identität findet die Akademie auf der Basis des communio-Modells der Kirche, als Gemeinschaft der bleibend Verschiedenen. Die dialogische Grundhaltung kann eine Institution, die sich bewusst Akademie nennt, aber nicht losgelöst von ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung diskutieren (Eicher-Dröge, 2003, 280). Sie ist Forum und in ihrer christlichen Herkunft Faktor; beides Markenzeichen der konfessionellen Akademiearbeit.
5. Relevanz – Aktualität – Formkraft
Schaut man sich die Profile der bundesweiten evangelischen und katholischen Akademien an, so ist inhaltlich und methodisch eine große Vielfalt zu erkennen, auch weil Angebote präsentiert werden, die in Diözesen mit eigener konfessioneller Erwachsenenbildung ausgelagert sind. Es gibt Akademien, die Aufträge im Namen der Diözese entgegen nehmen, solche, die immer noch das vormals klassische Genre von Vortrag und Aussprache bedienen, und solche, die methodisch-didaktisch breit aufgestellt sind. Der wissenschaftliche Auftrag der Akademien konterkariert bisweilen mit ihrem Anspruch nach Aktualität und Schnelligkeit. Tiefgang, Hintergrundinformationen recherchieren, Sachkompetenz erwerben erfordert Zeit. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat man sich deshalb in den 1980er-Jahren entschieden, nicht mehr alles zu bedienen, um dem Auftrag gerecht werden zu können, an relevanten Stellen mit Entscheidungsträgern auf fachlicher Augenhöhe zu kommunizieren. Es wurden aus diesem Grund Fachreferate eingerichtet, die seit über 30 Jahren mit etablierten Kooperationspartnern aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen regelmäßige, auch internationale Fachtagungen durchführen. Nur durch diesen Sachverstand, den die Referate repräsentieren, konnte man sich als Partner in den relevanten Gremien vernetzen und etablieren. Der Anteil an offenen Tagungen für ein allgemein gebildetes Publikum ist folglich bewusst gering. Umso stärker wächst das Bestreben, mehrjährige Projekte aufzubauen und zu begleiten, weil so wesentlich mehr Einfluss und Formkraft bei relevanten gesellschaftlichen Prozessen gewonnen wird. Aktualität kann punktuell bedient werden, indem man bei Fachtagungen Abende mit prominenten Vorträgen für ein breites Publikum öffnet. Zunehmende Projektarbeit mit wichtigen Kooperationspartnern erfordert ein methodisch-didaktisch breites Arbeiten. Akademien leben aus einem Dreiklang von nachdenken, über das, was langfristig betrachtet gesellschaftlich und wissenschaftlich von Bedeutung ist. Sie müssen im Agenda-setting auch weiter denken, um diese Relevanz auf Zukunft hin zu prüfen und sie sollen nach wie vor in die Weite denken, also unkonventionelles Neuland entdecken, um die Sache, um die es geht, in ihren Denkmöglichkeiten und somit auch tatsächlich neu zu gewinnen (Seckler, 1988, 265). Voraussetzung dafür ist das, was schon immer notwendig war: Freiheit, Risikobereitschaft, Sachorientierung, erstklassiges wissenschaftliches und politisch informiertes Personal und Rückendeckung durch die Amtskirche.
Literaturverzeichnis
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