Fachdidaktische Konzeptionen
(erstellt: Januar 2015)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Fachdidaktische_Konzeptionen.100013
1. Zum Begriff der Fachdidaktischen Konzeption
Mit dem Begriff der Fachdidaktischen Konzeption wird in diesem Artikel wie auch in den diesem durch Verlinkung zugewiesenen Folgeartikeln eine in der Geschichte der → Religionspädagogik
2. Zur Geschichte der Konzeptionen
Der Bogen fachdidaktischer Konzeptionen lässt sich in beiden → Konfessionen
Aufgefangen wurde dieser Pendelschlag im katholischen Bereich von einer ursprünglich materialkerygmatischen Katechese bzw. Unterweisung hin zu einer gesellschaftskritisch-emanzipatorischen Ausrichtung des Religionsunterrichts durch die sogenannte → Würzburger Synode
3. Zur gegenwärtigen Diskussion
Im Kontext von gesellschaftlicher Ausdifferenzierung, vielfältiger → Pluralisierung
3.1. Kompetenzorientierung im Religionsunterricht
Zur Beschäftigung mit der Kompetenzorientierung ist die Religionsdidaktik gewissermaßen von außen genötigt worden (umfassende Darstellung bei Obst, 2010; Michalke-Leicht, 2011). Nachdem zur Jahrtausendwende empirische Schulleistungsstudien (→ Bildungsstudien
In allen genannten Bereichen sind auch die evangelische und katholische Religionsdidaktik aktiv, wobei sich gegenwärtig ein Schwerpunkt auf dem dritten Feld ausmachen lässt (Sajak, 2012 und Möller/Sajak/Khorchide, 2014). In diesem Kontext kristallisieren sich einige Merkmale kompetenzorientierten Religionsunterrichts heraus, wobei der Aspekt der Schüler- und Subjektorientierung besonders hervorsticht. → Kompetenzorientierter Religionsunterricht
- rückt das Lernen der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt, nimmt sie als Akteure ihres Lernens ernst und ist insofern „lernseitig“ ausgerichtet;
- legt Wert auf die Reflexion des Lernens und integriert metakognitive Elemente in den Lehr-Lernprozess;
- erhebt nicht nur zu Beginn einer Unterrichtseinheit, sondern kontinuierlich die → Lernausgangslage
der Schülerinnen und Schüler und passt die Lernangebote entsprechend an; - verbindet konzeptionell Wissen und Können und vermeidet insofern die Anhäufung „toten“ Wissens;
- ermöglicht Lernen in lebensweltlich relevanten „Anforderungssituationen“;
- eilt nicht von Unterrichtseinheit zu Unterrichtseinheit, sondern macht im Blick auf den längerfristig angelegten Kompetenzerwerb den Unterrichtsverlauf transparent und ermöglicht einen sequenziellen und kumulativen Aufbau von Kompetenzen (→ Kompetenzaufbau, kumulativ
); - bietet den Lernenden kognitiv anregende Aufgaben.
Ob es dem kompetenzorientierten Religionsunterricht wirklich seinem Anspruch gemäß gelingt, bessere und nachhaltigere Lernergebnisse bei Schülerinnen und Schülern hervorzubringen, dies nachzuweisen bleibt Aufgabe weiterer empirischer Forschung.
3.2. Performativer Religionsunterricht
Im Unterschied zu der von außen auf die Religionsdidaktik zukommenden Kompetenzorientierung hat sich die Diskussion um den performativen Religionsunterricht (→ Performativer Religionsunterricht, evangelisch
Der performative Religionsunterricht rekurriert auf zwei Traditionslinien und verbindet sie zugleich: Zum einen auf die in der Linguistik ausgebildete Theorie der (performativen) Sprechakte bzw. Sprachhandlungen und zum anderen auf die in den verschiedenen Sparten expressiver Ästhetik beheimatete Performance im Sinne leiblich-räumlicher Inszenierung.
Im Blick auf das notwenige Zusammenspiel von reflexiven Phasen und sinnlich-ästhetischen Handlungsvollzügen im Religionsunterricht liegt der performative Ansatz durchaus auf einer Linie mit dem Anliegen der Kompetenzorientierung: Auch religiöse Kompetenzen lassen sich nur in Performanzsituationen aktualisieren und zeigen. Auch zu symboldidaktischen Ansätzen gibt es deutliche Verbindungslinien, insofern es in ihnen um die didaktische Erschließung von Symbolen als genuine Ausdrucksgestalten religiöser Erfahrung geht, die eine informative, deskriptive Sprachform transzendieren.
Die Anfragen (z.B. Schambeck, 2007; Roose, 2006) an den performativen Ansatz richten sich zum einen darauf, ob die unterrichtlich inszenierten religiösen Handlungsvollzüge – entgegen den lebenswelt- und schülerorientierten Intentionen – nicht doch bloß auf Einübung in kirchliche Praxis zielen und insofern eine Reformulierung des kirchlich-kerygmatischen Religionsunterrichts darstellen (Themenheft Performativer Religionsunterricht, 2000). Zum anderen wird gefragt, ob das im Unterrichtskontext notwendigerweise didaktisch arrangierte religiöse Probehandeln wirklich schon das Verständnis für gelebte religiöse Praxis eröffnet (Kalloch/Leimgruber/Schwab, 2009, 327-341).
3.3. Konstruktivistischer Religionsunterricht
Am deutlichsten tritt die gegenwärtige Wendung zur Subjektorientierung in der Konzeption des → konstruktivistischen Religionsunterrichts
Als ein wichtiges wissenschaftliches Referenzsystem dient dem konstruktivistischen Religionsunterricht gegenwärtig die Gehirnforschung mit ihren pädagogischen Implikationen. Neuere neurobiologische Forschung (→ Neurowissenschaften
3.4. Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen
In hohem Maße anschlussfähig an die konstruktivistische Religionsdidaktik ist die in der Religionspädagogik seit etwa 2000 etablierte → Kindertheologie
Dabei werden die von den Kindern eigenständig entwickelten theologischen Vorstellungen (Bucher, 2002ff.), konfrontiert mit Elementen der christlichen Tradition. Kinder dürfen dem Anspruch der Kindertheologie nach nicht auf „ihre“ Theologie fixiert werden, sondern müssen im Religionsunterricht zum Reflektieren und Weiterentwickeln ihrer theologischen Vorstellungen in der Begegnung mit biblischen Inhalten angeregt werden. Erst in dieser dialogischen Struktur lässt sich von einer Theologie mit Kindern sprechen, die die eigenständigen theologischen Vorstellungen von Kindern zum Ausgangspunkt eines theologischen Gesprächs macht – als didaktische Vermittlung einer Theologie von Kindern und einer Theologie für Kinder.
Im Anschluss an den Diskurs um Kindertheologie entdeckte man in der Religionspädagogik, dass ältere Kinder und Jugendliche einen entwicklungsbedingt und lebensweltbezogen eigenen Zugang zu theologischen und philosophischen Fragen haben und entwickelte einen spezifischen methodisch-didaktischen Ansatz des → Theologisierens mit Jugendlichen
3.5. Religionsunterricht im Kontext von Inklusion und Intersektionalität
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahre 2009 verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland, in angemessener zeitlicher Perspektive ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu etablieren. Damit ist ein Rechtsrahmen geschaffen, der die Umsetzung von Inklusion und inklusiver Bildung nicht der Initiative einzelner Akteure überlässt, sondern als Auftrag an die Bildungsadministrationen der Länder formuliert. Seitdem ist Inklusion das beherrschende Thema in nahezu allen pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Handlungsfeldern und auf allen Ebenen.
Auch die allgemeine Didaktik (→ Inklusive Lehr- und Lernprozesse, allgemeinpädagogisch
Die Perspektive von Inklusion und inklusiver Bildung beschränkt sich aber nicht auf Behinderung, sondern bezieht weitere Dimensionen von → Heterogenität
Ein inklusiver Unterricht orientiert sich auf der einen Seite an der individuellen Lernentwicklung des Kindes und stellt differenzierte Lernangebote zur Verfügung; er organisiert auf der anderen Seite kooperative, gemeinsames Lernen fördernde Lernsituationen. Beide didaktischen Grundmuster in Balance zu halten, macht die Spannung einer inklusiven Didaktik aus (Möller, 2014, 254ff.)
Die pädagogische Herausforderung, den einzelnen Menschen mit seinen individuellen Besonderheiten und in seinen je spezifischen Kontexten in den Blick zu nehmen, zeigt noch konsequenter die Perspektive der → Intersektionalität
Literaturverzeichnis
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