Deutsche Bibelgesellschaft

Bible Art Journaling

Andere Schreibweise: Bible Journaling; Bible Art Journalling; Bible Art

(erstellt: Februar 2024)

Artikel als PDF folgt!

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/400007/

Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.400007

1. Was ist Bible Art Journaling? Herkunft und Tradition

Bible Art Journaling (BAJ) oder kurz Bible Journaling hat seinen Ursprung in den 2010ern in den USA, vor allem in den dortigen Freikirchen. Der “Complete Guide to Bible Journalling” von Fink und Yoder (2017, 54-96) geht aufgrund von Social-Media-Funden davon aus, dass die meisten, die heute ihre BAJ-Werke in den sozialen Medien teilen oder über das Bible Journaling bloggen oder vloggen, selbst erst seit 2014 mit dieser Methode in Kontakt gekommen sind. Die BAJ Community wächst in jüngster Zeit auch in Europa und Deutschland.

Der Name der Methode setzt sich aus drei Wörtern zusammen: 1. „Journaling“ verweist auf das Führen eines Tagebuchs zu Gedanken, Erlebnissen, inneren Gefühlszuständen. 2. Das „Art Journaling“ ist ein Künstlertagebuch, welches diese für Skizzen und Ideen führen. Ähnlich wie das Scrapbooking (→ Lapbook) zielt es darauf, Gedanken und Gefühle über einen (kurzen) Text oder ein Bild künstlerisch darzustellen und sprachlich knapp sowie visuell auszudrücken. 3. „Bible Art Journaling“ kombiniert diese Praktiken, indem es sie auf die Auseinandersetzung mit der Bibel – oder auch andere heilige Schriften wie den Koran oder die Thora (vgl. 3.3.) – bezieht.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau stellt auf ihrer Homepage unter dem Reiter „Christliche Kunst“ das BAJ als etwas vor, das „die eigene Realität mit Gottes Worten kreativ verbinden“ kann (EKHN, o.J). Ziel ist es, die Beziehung der Lesenden mit der Bibel zu vertiefen – oder besonders im religionsunterrichtlichen Kontext eine solche überhaupt erst anzubahnen. Das visuelle Eingreifen in den biblischen Text wird Teil der eigenen spirituellen Praxis und Einstellung. Ähnlich wie die traditionelle Leseform der Lectio Divina (→ Lectio Divina/Bibel-Teilen) ist das BAJ „eine meditativ-kontemplative Weise“ sich mit biblischen Texten intensiv und wiederholend auseinanderzusetzen, „bis die Worte tief in das eigene Leben und den eigenen Glauben hinein sprechen“ (Eltrop, 2020, Kap. 1). Mit Blick auf den Religionsunterricht ist anzumerken, dass die Schüler und Schülerinnen sich nicht selbst als gläubig verstehen müssen. Das intensive Lesen des Textes konkretisiert sich im visuellen Ausdruck des Gelesenen. Durch die visuelle Gestaltung der Bibelseite oder einzelner Verse gerät der oder die Lesende ins Nachsinnen über den Text: Was hat das mit meinem Leben zu tun? Auf diese Weise kann die eigene Realität mit den biblischen Worten kreativ verbunden werden.

Eine Wurzel des BAJ liegt in der mittelalterlichen Tradition der Buchmalerei, eine Form der kontemplativen, künstlerischen Beschäftigung mit dem biblischen Text. Illuminatoren (i.e. Buchmaler/-ei, „Illuminationen“ = malerischer Buchschmuck) und Skriptoren, später auch Laienwerkstätte, bebilderten in vielfältiger und bunter Weise die biblischen Seiten und liturgischen Werke. Traditionell waren es Männer, die dieser Tätigkeit folgten (Houston, 2016, 155-174). Die Arbeiten von Frauen, die als Illuminatoren tätig waren, wurden als nicht signifikant gehandelt (Yawn Bonghi, 1991, 10-19). Die mittelalterlichen Illuminationen bezogen sich stets auf den Text, den sie begleiteten. Im Vergleich scheinen die BAJ Bebilderungen freier und personalisierter (Dillon, 2020, 177).

Durch die Veröffentlichung der gestalteten Seiten in den → sozialen Medien läuft die materielle Bibel mit dem digitalen Raum und der digitalen Kultur zusammen. Es ist eine sehr junge Herangehensweise an den biblischen Text, welche durch den „visual“ oder „iconic turn“, der hauptsächlich durch den „digital turn“ und dessen multimodalen Modus in der Gesellschaft hervorgebracht wurde, eine Plattform erhält und diesem entspricht.

2. Vorgehen und methodische Möglichkeiten

2.1. Welche Bibel?

Illuminationen sind seit dem Mittelalter aus Bibeln weitgehend verschwunden, während die dichtbedruckte Bibelseite eine gewisse Autorität erhalten hat (Dillon, 2020, 162). Da die gewöhnliche Bibel für das BAJ mit ihren hauchdünnen Seiten wenig geeignet ist, werden eigene Bibelausgaben dafür angeboten: Im deutschen Raum ist die „NLB Art Journaling Bibel“ (i.e. Neues-Leben-Übersetzung, wegen ihrer am Alltag orientierten Sprache besonders für Einsteiger geeignet) als Vollbibel oder in Teilbibeln erhältlich. Erhältlich sind zudem die „BasisBibel. Die Kompakte. Art Journaling“, die „Einheitsübersetzung NT zum Selbstgestalten“ und die „Einheitsübersetzung Psalmen zum Selbstgestalten“. Der britische Raum vermarktet eine größere Menge an BAJ, u.a. „The NIV Beautiful Word Bible“ und „The ESV Journaling Bible“. In der Hinsicht hat der deutsche Markt noch etwas aufzuholen, i.e. andere Übersetzungen, dickeres Papier. Bibeln mit breitem Schreibrand eigenen sich jedoch genauso gut wie induktive Editionen, die zusätzlich zwischen den Zeilen Platz für Notizen und Rahmungen lassen. Außerdem können einzelne Seiten der gewünschten Bibelübersetzung aus Onlineportalen individuell angepasst und der Text möglichst mit Laserdrucker (kein Verlaufen!) auf gewünschtem Papier ausgedruckt werden. Auch das Tablet eignet sich dazu, mit entsprechendem Stift digital Seiten zu gestalten (Abb. 1) – allerdings geht dabei die dreidimensionale Ebene, das Taktile und Haptische, in Teilen verloren.

Abb. 1 Digitales BAJ zu Lukas 2.

2.2. Materialien und Techniken

Es ist durchaus beeindruckend, wie kreativ die Szene in der Verwendung von Materialien und dem Einsatz von verschiedenen Techniken ist (Abb. 2): Fineliner, Bunt-, Filz-, Aquarell- und Tuschestifte bieten sich für Zeichnerisches und Kalligrafisches an – zur Vereinfachung gibt es Buchstabenschablonen. „Highlighter“ kommen zum Einsatz, um Worte und Sätze zu markieren. Washi Tape, Sticker, Stempel und Tabs (vgl. auch → Lapbook) werden zusätzlich verwendet, um Passagen hervorzuheben oder Zustimmung und Ablehnung (symbolisch) auszudrücken.

Abb. 2 BAJ zu Lukas 2.

Solche Materialien sind hilfreich, weil sie „über die gefühlte Unfähigkeit zu zeichnen hinweghelfen“ (Daublebsky von Eichhain, 2021, 31). Allgemein können jegliche Papierausschnitte hinzugefügt werden: Sogenannte „tip-ins“ und „tip-outs“ (für einen dreiseitigen Effekt z.B. auch als Herz, Kreuz, Stern, Fisch) lassen Raum für größere Additionen (Dillon, 2020, 155) und werden mit eigenen Kommentaren oder Zeichnungen versehen. Künstler Grundierungen (z.B. klares Gesso) helfen, die Seiten stabiler zu machen und schützen vor ungewollten Durchschlägen oder Wellen (vgl. hierzu Becker, 2019, Downloadmaterial 3-5).

2.3. Methodische Möglichkeiten

2.3.1. Erstellen

Im Religionsunterricht und in der Gemeindepädagogik lassen sich – auch als Projekttag oder Workshop – ein Bible Art Journal bzw. eine oder mehrere Seiten in Einzelarbeit und Gruppenphasen, was zum Teilen von Anregungen und zum Austausch von Erfahrungen einlädt, erstellen. Denkbar wäre, für die Dauer einer Unterrichtsreihe z.B. zu einem längeren biblischen Textabschnitt oder auch zu thematisch bestimmten Seiten ein BAJ über mehrere Wochen führen zu lassen (vgl. Downloadmaterial 1 und 2 bei Becker, 2019), wobei die persönliche Auseinandersetzung und die eigenen Interventionen mit dem biblischen Text im Fokus stehen. Ebenso wäre eine einzelne Seite zu einem ausgesuchten Textabschnitt oder zu einzelnen Versen (siehe Abb. 3 unter Abschn. 3.3.) vorstellbar. Bei der Einführung der Methode und vor allem des biblischen Textes sollte sich Zeit gelassen werden. Es empfehlen sich folgende beispielhafte Schritte:

Einstieg zum Text wählen: BAJ kann, muss aber nicht der Einstieg in einen Text sein. Nach (mehrmaligem) Lesen kann z.B. zuerst ein eher analytischer Weg über das Erstellen einer (digitalen) → Bibelcloud gewählt werden.

In die Methode einführen: Vorab können Beispiele des BAJ präsentiert oder online in sozialen Medien recherchiert werden. Es ist ratsam, Beispiele für Techniken und unfertige BAJs zu zeigen, damit die Motivation nicht getrübt und die Angst vor dem leeren Blatt genommen wird. Je nach Lerngruppe können eine Schritt für Schritt Anleitung in Form (kleinschrittiger) Arbeitsaufträge, Arbeitsblätter, How-To Videos oder How-To Webseiten (z.B. https://bibleartjournaling.de/) und BAJ-Workbooks angeboten werden. Die Lehrperson kann Tipps zu Mal- und Gestaltungstechniken geben und ausprobieren lassen.

Den Raum vorbereiten: In der Mitte des Raumes kann das zur gemeinsamen Benutzung vorgesehene Material bereitgestellt werden sowie ein Inspirationstisch mit verschiedenen Materialien und Büchern (Becker, 2019, 232): Studienbibeln, Kommentare oder Bibellexika, bebilderte Bücher und  (Bild-)Vorlagen, Internetrecherchen usw.

Während des Journalings: Es kann hilfreich sein, die Schüler und Schülerinnen einen eignen Platz oder Raum wählen zu lassen, genauso wie ruhige Hintergrundmusik, die aber auch als störend empfunden werden kann. Impulsfragen (vgl. Becker/Sawatzky, 2017, 12; Becker, 2019, 231) geben Anstoß zur Auseinandersetzung und kreativen Intervention mit dem biblischen Text und wirken differenzierend, z.B.:

  • Was ermutigt mich?
  • Was fordert mich heraus?
  • Was spricht mich am meisten an?
  • Welches Gefühl entsteht beim Lesen?
  • An was möchte ich mich wieder erinnern?
  • Was kann ich lernen?
  • Welche einzelnen Wörter oder Sätze sprechen mich an? Du kannst sie mit leuchtenden Farben oder Rahmen hervorheben oder die anderen Textteile durch Übermalen und Abdecken zurücknehmen. 
  • Wie kann ich das nun darstellen? Vielleicht kalligrafisch, mit einer Zeichnung oder mit einem farbigen Hintergrundmuster?
  • Fällt dir ein Lied(text), ein Gedicht, Sprüche dazu ein? Oder findest du ein Bild, das dazu passt?

2.3.2. Austausch, Vergleiche und Analysen

Im Anschluss kann es in verschiedener Weise zum Austausch über die erstellten BAJs kommen: z.B. eine gemeinsame Vernissage mit Künstlergespräch (auch in Kleingruppen möglich) oder jeder bzw. jede stellt zuerst seine/ihre Illustration und den Entstehungsprozess vor, bevor im Anschluss Fragen beantwortet werden. Das entstandene Produkt wie der Prozess dorthin sollten in jedem Fall eine Würdigung erhalten (Becker, 2019, 232; Daublebsky von Eichhain, 2021, 31).

Es gibt zahlreiche BAJ Produkte, die über Pinterest und Instagram geteilt werden. Eine andere Herangehensweise wäre, BAJ als religiöse Praxis und biblische Rezeption von Christinnen und Christen (weltweit, nicht nur in Deutschland! vgl. 3.3.) im Unterricht zu analysieren. Mögliche Fragen, die den Hauptsträngen einer Bildanalyse ähneln (Beschreibung, Komposition, Text-Bild Gefüge), wären:

  • Welche Materialien, Motive, Beschriftungen, Farben werden benutzt, die ggf. auch dominieren?
  • Was könnten die Symbole und gezeichneten oder hineingeklebten Bilder bedeuten?
  • Wie interagieren die Symbole, Beschriftungen und Bilder mit den hervorgehobenen Versen und Wörtern oder auch mit dem gesamten abgebildeten Bibeltext? Auf welche Textpassagen bezieht sich die Person mit ihren Illuminationen, welche lässt sie aus?
  • Was verrät die künstlerische Intervention über die Person dahinter? Welche Gedanken, Sorgen, Gefühle könnte sie haben? Hat sie wohlmöglich etwas Bestimmtes erlebt?
  • Welchen Trost, welche Ermutigung, Geborgenheit oder Kraft findet die Person in den von ihr markierten und künstlerisch intervenierten biblischen Worten (für ihre Situation)?

Es ist auch vorstellbar, eine gemeinsame Analyse einer BAJ-Seite als Vorbereitung auf das eigene Journaling durchzuführen. Vielleicht ist es eine gestaltete Seite zum Bibeltext, der zuvor im Unterricht schon besprochen wurde, oder zu einem Thema, was nun aus biblischer Perspektive behandelt werden soll.

3. Religionspädagogische und didaktische Einordnungen

3.1. Ästhetisches Vergnügen, somatisches Wissen und gelebte Religion

Die Verwendung künstlerischer Materialien bei der Bearbeitung des Bibeltextes erzeugt, bevor überhaupt mit dem BAJ begonnen wird, ästhetisches Vergnügen (Dillon, 2020, 157): Neben der Schönheit der Farben sind das Malen, Zeichnen und Einfärben taktile Vorgänge. Es lädt dazu ein, den sinnlichen, somatischen Eindrücken volle Aufmerksamkeit zu schenken. Durch die papiernen und farblichen Schichten wird die Bibel mit persönlicher Bedeutung und einem für die Leserin/Künstlerin bzw. den Leser/Künstler eigenen Wert ausgestattet. Auf diese Weise knüpft die Praxis des BAJ an die Aneignung somatischen bzw. körperlichen Wissens (engl. bodily knowledge) an: Ohne einen Körper können keine Erfahrungen gemacht und auf Basis dessen Bedeutung konstruiert sowie Wissen einverleibt werden (engl. embodiment). Das behaupteten schon George Lakoff und Mark Johnson mit ihrem „Embodied Realism“ (1999; siehe dazu auch → Kognitive Linguistik, Semantik, Kap. 2.1.). Die Realität der Einverleibung betont unser Erleben des inneren und äußeren Selbst. Anstatt also den Verstand über oder sogar gegen den Körper zu setzen, zeigt diese non-dualistische Sichtweise, dass die Praxis des BAJ ein weitaus umfassenderes, somatisches Wissen begründen kann, welches einem „gewöhnlichen“ Bibellesen und Bible Journaling nicht nachsteht (siehe dazu die Vorstellung des leiblichen Lernens z.B. bei Beuscher/Zilleßen, 1998, bes. 141; Fricke/Riegel, 2016, bes. 258-262;266; → Leib und Körper).

BAJ ist Teil gelebter Religion, die durch eben solche (körperlichen) Praktiken bestimmt wird, durch die Menschen sich an Geschichten erinnern, sie teilen, verknüpfen, inszenieren, anpassen und neu schöpfen (McGuire, 2003, 2; → Erzählen). Claudia Gärtner verweist in ihrem Beitrag zu ästhetischer Bildung (→ Bildung, ästhetische) darauf, dass „ästhetische und religiöse Erfahrungen erstaunliche Analogien“ aufweisen, „wodurch ästhetischen Erfahrungen durchaus religiöse Relevanz zukommt“ (Gärtner, 2016, Kap. 7):

„Religionen im Allgemeinen und das Christentum im Speziellen sind durch Bilder, Lieder, Düfte, Riten u.v.m. zutiefst sinnlich-ästhetisch geprägt. Ohne Kompetenzen zur Erschließung ästhetischer Objekte und Vollzüge sind zentrale Dimensionen des Religiösen nicht zugänglich. […] Wenn – wie dargestellt – ästhetische Erfahrungen dem Menschen eine Ahnung seines wahren Ichs eröffnen, wenn sie als Überschreitung und Unterbrechung des Alltags betrachtet werden und Perspektiven eines (gänzlich) anderen Lebens erblicken lassen, dann wird deutlich, dass ästhetische Erfahrung und Bildung für religiöse Bildungsprozesse zutiefst relevant sind“ (Gärtner, 2016, Kap. 7).

Es sind doch gerade diese oft banal wirkenden Tätigkeiten, durch die die Menschen biblische Interpretationen in das alltägliche Leben und Handeln integrieren (McGuire, 2003, 2). BAJ ist im Religionsunterricht somit keine überflüssige oder sogar hinderliche Spielerei, sondern eine Tätigkeit, die die gesamte Person, den Körper, Verstand und Geist in Anspruch nimmt: „This form of journalling is an embodied process that weds an intellectual and spiritual knowledge with a ‘bodily knowledge’” (2020, 157).

3.2. Bibeldidaktische Perspektiven

Es liegt nahe, dass die Veränderungen, die die Digitalisierung beim Lesen und die Art zu Denken hervorgerufen hat, auch Auswirkungen auf das Bibellesen zeigt, wie Joachim Theis in seinem Beitrag → Einstellungen zur Bibel, von Jugendlichen bestätigt:

„Digital Natives, Millenials, Generation Y, Generation Z oder wie man die heutige aufwachsende Jugend noch bezeichnen möchte, wächst digitaler und vernetzter auf als alle Generationen davor. Dass sich das auch auf das Verhalten gegenüber der Rezeption von Texten im Allgemeinen und Bibeltexten im Besonderen massiv auswirkt, liegt auf der Hand“ (Theis, 2017, Kap. 2.9.3).

Bibellesen im Zeitalter der Digitalisierung setzt eine gewisse Anstrengung voraus, welche im Kontext des „iconic turn“ – eine visuell-ästhetische Wahrnehmung der Welt im Gegensatz zu einer auditiv-rationalen – schon beinahe anachronistisch anmutet (Lämmlin, 2005, 58). In “Personal Bible Reading and the Faith Formation of Teenagers in a Digital Age” verweisen Hildebrandt, Barentsen und Kock darauf, dass besonders bei stark religiösen Jugendlichen in Deutschland Veränderungen im Gebrauch der Bibel zu verzeichnen sind: Dieses betrifft nicht nur die Bibel in digitaler Form (z.B. die Bibel App „YouVersion“), sondern auch die Popularität des BAJ als eine spezifische Form, sich in ganz persönlicher Weise auf den biblischen Text einzulassen (2021, 168). Die sonst relativ unveränderbare Bibel verliert durch die veränderten (i.e. ästhetischen wie digitalen) Formen persönlicher Auseinandersetzung mit der Bibel etwas von ihrem kanonischen Status (vgl. Siker, 2017, X;245). Die normative Rolle religiöser Institutionen und Texte im Allgemeinen hat sich verändert. Letztlich läuft es durch den „iconic turn“ auf eine andere Qualität des Wissens hinaus, welche auch das Bibel-Leseverhalten Jugendlicher beeinflusst (Englert, 2012, 9), und das Scholz damit beschreibt, dass der Autor bzw. die Autorin als Informationsgarant so nicht mehr existiert (2012, 93-95): „Content isn’t king anymore. It has been dethroned by engagement” (Hutchings, 2015, 145). Die von Hildebrandt, Barentsen und Kock interviewten stark religiösen Jugendlichen in Deutschland spiegelten genau diese Entwicklungen: Sie neigen eher dazu, beim Bibellesen eine individuelle affektive Erfahrung zu suchen, sodass kognitive Verstehensprozesse der Inhalte Platz machen für persönliche Erfahrungen (2021, 185). Die Methode des BAJ knüpft direkt an diese Präferenz des Bibellesens an, welche zu einer visuell-ästhetischen Wahrnehmung der Welt – dem „iconic turn“ – passt. Ein „korrektes Verstehen” des biblischen Textes hat für diese Jugendlichen keine Relevanz mehr – die affektive Dimension scheint von primärer Bedeutung.

Mit seinem Anspruch der Diskursivität, d.h. mit der Bibel und mit anderen über die Bibel ins Gespräch zu kommen sowie Unterschiede und Varianzen wahrzunehmen, passt das BAJ außerdem in den methodischen Baukasten der diskursiven Bibeldidaktik ( Bibeldidaktik, diskursiv, bes. 2.4.).

3.3. Interreligiöse, feministische und bilinguale Komponenten des Bible Art Journaling

Es ist wenig erstaunlich, dass das BAJ auch in den anderen beiden abrahamitischen Religionen Anklang findet – im Jüdischen allerdings bedeutend weniger als im Muslimischen. Auf Pinterest und Instagram findet man keine deutschsprachigen Veröffentlichungen zum Tora und Koran Journaling, aber auf Englisch. Zudem wird zum Journaling für gewöhnlich nicht die gedruckte Tora oder der Koran verwendet, sondern ein separates Journal mit leeren Seiten. In diesem werden einzelne Wörter oder Verse auf Hebräisch bzw. Arabisch geschrieben, übersetzt und mit eigenen Gedanken (oft auch grafisch) reflektiert. Zum Entdecken und Vergleichen (vgl. 2.3.2.) von Tora Art Journals eigenen sich auf Instagram #torahjournaling sowie die Posts der Journalerin Zarah my.torah.journaling. Das muslimische Journaling ist meist sehr textorientiert und greift auf kalligrafische Elemente und farbliche Markierungen und Übersetzungen zurück. Sumayah Hassan gibt seit 2015 speziell für muslimische Frauen Workshops in London und auf ihrer Homepage „Recite and Reflect“ Anleitungen und Content darüber, wie man Koran Journaling praktiziert  – vor allem, um nicht-arabisch-sprechende Frauen dabei zu helfen, eine tiefergehende persönliche Beziehung zum Koran zu entwickeln (https://www.recitereflect.com/what-is-quran-journaling/, vgl. auch ihren Pinterest Account Recite & Reflect). Ähnlich die Journalerin Fatema, die sich selbst als „Proud Muslim-Millennial“ des 21. Jahrhunderts bezeichnet und auf ihrer Homepage „Balanced Bayt“ Tipps und Anleitungen zum kreativen Koran Journaling gibt (https://balancedbayt.com/category/quran-journaling/). Sie veröffentlicht viele Beispiele, u.a. zu einzelnen Techniken, über ihren Pinterest Account mit Fotos von und Instagram Links zu anderen weiblichen Journalern (z.B. @faakihah; @fatimasughra; @quranjottings).

Auffällig ist, dass primär Frauen Bibel, Tora und Koran Journaling betreiben, wie auch die Bibelwissenschaftlerin und Leiterin des Forschungsteams „The New Illuminators: Women in Search of Spiritual Authority and Resilience“ (NISAR) Amanda Dillon bemerkt (2020, 160). Diese „female voices“ wahrzunehmen oder wie die Interpretationen weiblicher Leserinnen heiliger Schriften visuell innerhalb künstlerischer Kultur ausgedrückt werden, kann ebenso für den Religionsunterricht interessant sein (→ Feministische Theologie; vgl. auch Dillon, 2020, 162-165).

Da die kreativen Journaling Produkte zu Tora und Koran (noch) primär auf Englisch gepostet werden und das BAJ eine große englischsprachige Community hat, bietet sich der interreligiöse Ansatz und das BAJ insbesondere für bilinguale Einheiten im Religionsunterricht (biliRU) an (→ Religionsunterricht, bilingualer, vgl. Pirner/Green, 2021, Kap. 3) (Abb. 3).

Abb. 3 Illumination zu Jesaja 43,2.

Der Religionsunterricht soll Schüler und Schülerinnen auch in globaler Hinsicht bei religiösen Fragen interkulturell und interreligiös sprachfähig machen (→ Interreligiöse Kompetenz). Das Christentum in anderen Ländern, wie z.B. den USA oder Großbritannien, sowie der Islam oder das Judentum in diesen u.a. Ländern könnten so für die Schülerinnen und Schüler besser greifbar werden. Nicht nur, weil durch die Thematisierung in englischer Sprache ein Verfremdungseffekt erzeugt wird, sondern weil das scheinbar gewohnte und bekannte europäische oder gar deutsche Setting des Christentums aufgebrochen wird (entgegen eines Deutschland- oder Euro-Zentrismus im Religionsunterricht!) und von Schülerinnen und Schülern neu und anders, nämlich global, wahrgenommen werden kann (→ Fremdheit als didaktische Aufgabe). BAJ in englischer Sprache sowie Tora und Koran Art Journals zeigen andere Konnotationen und andere kulturbedingte Zeichnungen und Symbole, die entdeckt und gedeutet werden können. Die populäre (Medien-)Kultur (→ Populäre Kultur), zu der das BAJ durch seine zahlreichen Veröffentlichungen in den sozialen Medien gehört, ist im Kontext der Digitalisierung mit englischer Sprache durchzogen und bietet so in Richtung „medienweltorientierte Religionspädagogik“ religionsdidaktische Anknüpfungspunkte (Nord/Zipernovsky, 2017).

4. Vorteile der Methode und zu Bedenkendes

BAJ kann einen (ersten) Zugang und Umgang mit der Bibel und ihren Inhalten verschaffen. Das Interesse am BAJ kann aus zwei Richtungen geweckt werden: weil man allgemein Lust am kreativ-künstlerischen Gestalten hat oder man nähert sich über die Bibel dem BAJ als neue Aneignungsform an (Becker, 2019, 232). Es kann, wie das Tagebuchführen, folgende Vorteile enthalten:

  • Es kann helfen, Gedanken, die man zum Text hat, besser zu sortieren.
  • Biblische und theologische Alltagskonzepte können durch die eigenen gestalterischen Interventionen im besten Fall einfacher gelernt bzw. verstanden, sperrige Passagen intuitiv erschlossen werden (Daublebsky von Eichhain, 2021, 30).
  • Es wird keine spezifische Antwort gesucht oder vorgegeben – sie entsteht für jeden persönlich im Tun.
  • „Be your own scribe!“ (Dillon, 2020): Man ist sein eigener Schriftgelehrter und erhält eine eigene Stimme.
  • BAJ fragt nach Assoziationen und bringt so die rechte Gehirnhälfte ins Spiel. Vorwissen über Exegese und Kontext sind nicht notwendig (Daublebsky von Eichhain, 2021, 30).
  • Es kann darin unterstützen, entsprechende Emotionen besser zu verstehen und auszudrücken.
  • Es kann Aufmerksamkeit schulen, Achtsamkeit fördern und Selbstdisziplin üben (Verlangsamung, Druck rausnehmen). Ein schnelles Ergebnis wird nicht gefordert.
  • Es können Flow-Erlebnisse entstehen und, wie einige berichten, das Gefühl, „sich durch die Methode in den Text wirklich fallen lassen zu können“ (Daublebsky von Eichhain, 2021, 31).
  • Die Art und Weise, in der man mit BAJ der Bibel begegnet, lässt Manche ihre persönliche Spiritualität entdecken.

BAJ könnte auch eine Rolle darin spielen, Trauma (gr. Wunde) zu lindern. Darauf lässt zumindest die qualitative Untersuchung – wenn auch nur mit einer kleinen Kohorte – von Amanda Dillon (2021) schließen: Dillon analysierte die BAJs von fünf suchtkranken Frauen (Tabletten, Drogen, Essen, Alkohol, Nikotin) in Nordamerika, die das BAJ als spirituelle Unterstützung während ihrer Genesung praktizierten. Darüber hinaus wurden Interviews zu ihren erlebten Prozessen während des BAJ geführt. Die Sucht selbst wird oft wie ein Trauma erlebt und oft geht ein solches der Sucht voraus oder zieht dieses mit sich. Hinter dem Journaling liegt für die Betroffenen oft die Intention, Bedeutung aus dem Leiden zu ziehen, indem sie auf diese Weise viele Ebenen reflektieren und Traumen „einfangen“ können (Dillon, 2021, 21f.). In diesem Sinne kann die Bibel und das Journaling als spirituelle Ressource zur Suchtbewältigung und Heilung emotionaler Schmerzen dienen. Auch die derzeitige Kultur scheint von vielen Traumen und Krisen geprägt zu sein (Krieg, Pandemie, Wirtschaft, Klima). Aber im schulischen Kontext bedeutet traumasensibles Arbeiten (→ Religionspädagogik, traumasensible) nicht, dass Religionslehrkräfte die Rolle von Therapeuten oder Therapeutinnen übernehmen, sondern, dass sie „auch ohne Kenntnis über evtl. Traumatisierungen bei Schülerinnen und Schülern traumabewusst, traumalindernd und Retraumatisierung vermeidend“ arbeiten und „die Weiterentwicklung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Traumaerfahrungen“ unterstützen (Kohler-Spiegel, 2023, Kap. 5).

Diese wie auch die didaktischen Ausführungen (vgl. 3.) legitimieren das BAJ als sinnvolle und vor allem effektive Methode für den Religionsunterricht sowie in der Gemeindepädagogik als Weg der Begegnung mit biblischen Texten und sich selbst.

Schließlich müssen aber auch Grenzen aufgezeigt werden. Bedenken könnten sicherlich dahingehend sein, dass die Methode im Religionsunterricht von Eltern und Schülern wie Schülerinnen, die überwiegend keinen religiösen Hintergrund haben, als religiös übergriffig oder gar überwältigend empfunden werden könnte – insbesondere weil sie eben auf affektive Wirkungen zielt oder wenn die Lerngruppe tatsächlich längere Zeit ein vorgefertigtes BAJ führen soll. Wird primär die persönliche Auseinandersetzung mit ihrer affektiven Dimension, weniger das kognitive Verstehen der biblisch-theologischen Inhalte durch das BAJ geschult (vgl. 3.2.), kann zurecht mit Martina Steinkühler gefragt werden: „Ist dieses Verfahren der Bibel angemessen? Darf die Bibel der ihr im Kanon eingeschriebenen Autorität so beraubt, ihre Wahrheit so zum Diskurs freigegeben werden? Wo bleiben Bekenntnis, Verkündigung, Missionsbefehl“ (2019, Kap. 2)?

Darüber hinaus stellt der Anspruch des auf Knopfdruck gestalterischen Kreativseins für manche Schülerinnen und Schüler eine große Herausforderung, bis hin zu gar keinen Zugang, dar – dem die Lehrkraft zum Teil mit Differenzierung und Vorbereitung entgegenwirken kann.

Die vielfältigen Materialien müssen natürlich auch angeschafft und finanziert werden, selbst wenn möglicherweise Kooperationen mit dem Kunstunterricht möglich sind.

Verwendet man für die Lerngruppe den gleichen Text, warnt Christiane Becker vor dem Vergleichen und „eine manchmal einsetzende Dynamik der Uniformität“ (2019, 230). Eine Auswahl verschiedener Texte zu einem Inhalt oder Thema kann bereits Ideen zur Gestaltung entstehen lassen.

Zuletzt ist im Religionsunterricht vorher zu überlegen, ob und wie z.B. durch Produktionserläuterungen eine → Leistungsmessung, Leistungsbewertung stattfinden kann. Man kann die Methode aber auch als Freiraum oder zusätzliches Angebot zur Vertiefung verwenden (Becker, 2019, 232).

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1 Digitales BAJ zu Lukas 2. © Mit freundlicher Genehmigung der Journalerin aus einem Uni-Seminar im WS 2022/23.
  • Abb. 2 BAJ zu Lukas 2. © Mit freundlicher Genehmigung der Journalerin aus einem Uni-Seminar im WS 2022/23.
  • Abb. 3 Illumination zu Jesaja 43,2. © Mit freundlicher Genehmigung der Journalerin aus einem Uni-Seminar im WS 2022/23.

PDF-Archiv

Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:

  • folgt!

VG Wort Zählmarke
Deutsche Bibelgesellschaftv.4.25.2
Folgen Sie uns auf: