Fotografie
(erstellt: Februar 2017)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Fotografie.200202
1. Neue Bedeutung eines ‚alten‘ Mediums im digitalen Zeitalter
Fotografie spielt in der Theorie der aktuellen Medienpädagogik eine nur untergeordnete Rolle, obgleich es Versuche einer Wieder-Entdeckung gibt (Holzbrecher/Schmolling, 2004; Holzbrecher/Oomen-Welke/Schmolling, 2006). Auch in der gegenwärtigen Religionspädagogik wird das Thema nur wenig beachtet (Feininger, 2006, 233f.); die Publikationen zur Bilddidaktik beschränken sich in der Regel auf Werke der bildenden Kunst, bei denen höchstens auch einige Beispiele von Foto-Kunst mit in den Blick kommen (z.B. Burrichter/Gärtner, 2014, 64;68;114;122). Dieses mangelnde Interesse verwundert insofern, als dieses ‚alte‘ Medium gerade auch im digitalen Zeitalter hochaktuell ist: Fotografien werden täglich als selbstverständlicher Teil von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Internetseiten und Werbeplakaten rezipiert und von vielen Menschen auch produziert. Zu Recht gelten sie daher als konstitutiver Bestandteil der „visuellen Kultur“ (Holschbach, 2003, 9). Auch Kinder und Jugendliche sind ständig in Schule und Privatleben mit Fotos konfrontiert. „Fotos sind wie Luft“ – mit diesen Worten bringen Schmolling und Holzbrecher zum Ausdruck, dass Fotos so allgegenwärtig sind, dass man sie kaum wahrnimmt (Schmolling/Holzbrecher, 2004, 9). Empirische Untersuchungen zeigen, dass Kinder und Jugendliche Fotos nicht nur wahrnehmen, sondern dass ein hoher Prozentsatz auch selbst fotografiert. Laut der KIM- und der JIM-Studie aus den Jahren 2014 bzw. 2015 machen 7% der Kinder täglich Fotos, 22% zumindest mehrmals die Woche (KIM-Studie 2014, 11); 27% der Jugendlichen machen täglich Fotos, 27% mehrmals die Woche (JIM-Studie 2015, 11). Bei den Jugendlichen liegt die Häufigkeit dieser Medienbeschäftigung hinter der Beschäftigung mit Internet, Handy, MP3 und Radio, aber noch vor dem Hören von CD, Computerspielen und dem Lesen von Tageszeitungen und Büchern (JIM-Studie, 2015, 11). Im Vergleich mit früheren Erhebungen steigt die Beliebtheit digitaler Fotografie, besonders beliebt ist diese bei Mädchen (JIM-Studie, 2015, 12f.). Die Bedeutung von Fotos für Jugendliche hängt vor allem damit zusammen, dass diese in der Kommunikation über soziale Netzwerke eine herausragende Rolle spielen: Fotos werden gemacht, um diese zu ‚teilen‘ und möglichst viele ‚Likes‘ dafür zu erhalten. Fotos rufen z.B. auf Facebook im Vergleich zu anderen Möglichkeiten des Postens „die mit Abstand reichhaltigste Anschlusskommunikation“ hervor und stellen allgemein auf Social Network Sites „quantitativ wie qualitativ die beliebtesten Kommunikationskanäle“ dar (Autenrieth, 2015, 111). Zur Bedeutung „bildbezogenen Handelns“ im Rahmen von Peergroup-Kommunikation liegt inzwischen eine Reihe von Publikationen vor (z.B. Autenrieth, 2014a; Autenrieth, 2014b; Autenrieth, 2011; Astheimer/Neumann-Braun/Schmidt, 2011).
2. Fotos als Medien religionspädagogischer Bildung
2.1. Arten und Verwendung von Fotografien
Adam unterscheidet im Anschluss an eine Untersuchung zu Bildern in evangelischen Religionsbüchern (Wahn, 1989) „dokumentarische“ Fotografie, bei der die Information „über geographische, kulturelle, politische, historische, bibel-, kirchen- und religionskundliche Fakten im Vordergrund steht“ (Adam, 2010, 270), „anthropologische“ Fotografie, „bei der Inhalte und Motive sich in direkter oder indirekter Weise auf Menschen beziehen“ (Adam, 2010, 270), „Motivfotografie“ (Adam, 2010, 270) wie etwa Naturaufnahmen, „fototechnisch verfremdete künstlerische Fotografie“ (Adam, 2010, 270), „Fotomontage und -collage“ (Adam, 2010, 270) sowie „illustrativ-auflockernde Fotos“ (Adam, 2010, 270f.). Adam weist, ebenfalls im Anschluss an Wahn, darauf hin, dass jeweils andere didaktische Leistungen im Vordergrund stehen: Fotos können eine „Informationsleistung vollbringen“, einen „interpretativ-hermeneutischen Charakter“ haben, aber auch „einen meditativen Zugang“ schaffen (Adam, 2010, 271f.); die bei Wahn erwähnte illustrative Funktion (Wahn, 1989, 26) kommt bei ihm bereits bei der Beschreibung von Foto-Typen zur Geltung. Ebenfalls hilfreich ist für pädagogische Zusammenhänge eine Systematisierung von Fotos danach, ob sie von den sich bildenden Menschen selbst oder von anderen produziert wurden – und ob sie auf diesen Fotos selbst zu sehen sind oder nicht (Holzwarth, 2013, 22), sowie danach, ob deren Bildlichkeit im Unterricht thematisiert wird oder nicht (sogenannte „Funktionsbilder“) (Wagner, 2010, 44). Daran anknüpfend können Fotos heuristisch danach unterschieden werden, ob sie bewusst als Medien wahrgenommen (vgl. 2.3.) oder eher als „Fenster zur Wirklichkeit“ (Busch, 1995, 258) fungieren (vgl. 2.2.).
2.2. Fotos als „Fenster zur Wirklichkeit“
Wird im Rahmen philosophischer Überlegungen zur Fotografie über das Charakteristische dieser Bild-Medien nachgedacht, spielt dabei immer auch die Tatsache eine Rolle, dass es sich bei einem Foto um ein „‚technisches‘ Bild“ handelt (Arndtz, 2013, 12), das Anspruch darauf erhebt, einen momenthaften Ausschnitt ,der‘ Wirklichkeit wiederzugeben. Roland Barthes spricht in diesem Sinne von dem „Es-ist-so-gewesen“ der Fotografie (Barthes, 1989, 87). Wortmann hat überzeugend darauf hingewiesen, dass dieser Anspruch nach wie vor zentral für das Wahrnehmen von Fotos ist: „Zumeist […] sehen wir das Medium nicht, sehen vielmehr die vermeintliche Wirklichkeit hinter dem Bild; nicht, weil es uns an Einsicht ermangelte, eher schon, weil das Wirklichkeitsversprechen der Fotografie zu verlockend erscheint, als dass man es ausschlagen könnte. Die Wirkmächtigkeit dieses Versprechens lässt sich nicht so ohne weiteres erledigen – die Evidenz der apparativ generierten Bilder ist schlagend […]“ (Wortmann, 2004, 11). Fungieren Fotos (in erster Linie) als selbst kaum sichtbare „Fenster zur Wirklichkeit“, machen sie den künstlichen Raum des Unterrichts oder eines anderen pädagogischen Settings durchlässig für das ‚Leben‘ außerhalb dieses Raums. Räumlich und zeitlich Entferntes (z.B. antike Münzen) kann so ohne Aufwand durch die sie repräsentierenden Fotos in den umgrenzten Lernraum geholt werden. Das „Wirklichkeitsversprechen“ der Fotografie macht sie zum beliebtesten Bildmedium, um Lerninhalte zu zeigen, zu veranschaulichen und zu illustrieren. Während es im Hinblick auf Werke der bildenden Kunst zumindest in der Theorie einen Konsens gibt, dass deren Funktionalisierung für Bildungszwecke abzulehnen ist, ist dies im Hinblick auf Fotos längst nicht so eindeutig, auch wenn sich als Kriterium für die Schulbuch-Zulassung durchgesetzt hat, dass Bilder nicht allein der Illustration dienen dürfen. Es stellt sich die Frage, ob es grundsätzlich verwerflich ist, wenn ein Foto nur Inhalte von Texten veranschaulicht, denn eine Vernetzung sprachlicher Äußerungen mit Bildern erleichtert es vielen Kindern und Jugendlichen, sich Sachverhalte zu merken (z.B. Holzbrecher, 2007, 47). Werden Fotos als „Fenster zur Wirklichkeit“ eingesetzt, ist damit fast immer eine dokumentarische Absicht verbunden. Gezeigt werden soll: Es ist wirklich so (gewesen)! Insofern verwundert es auch nicht, dass Fotos gerne im Kontext der Kompetenzorientierung eingesetzt werden, um ‚Anforderungssituationen‘ religiösen Lernens ins Klassenzimmer zu holen. Diese Absicht wird auch dort verfolgt, wo ein Foto „Lebenswirklichkeit der Jugendlichen transportiert und aufschließt und schlaglichtartig Identifikation anbietet, wie bei Tattoos oder bestimmten Gegenständen der Jugendkultur (z.B. Turnschuhe)“ (Feininger, 2006, 232). Es ist davon auszugehen, dass der Wirklichkeitsanspruch von Fotos der Hauptgrund dafür ist, dass diese eine hilfreiche „Brücke zur Sprache“ darstellen (Holzbrecher, 2013, 4).
Gerade weil Fotos bisweilen unreflektiert als „Fenster zur Wirklichkeit“ wahrgenommen werden und in hohem Maße eigene Interpretationsraster und Werthaltungen beeinflussen, spielt die Bild-Auswahl eine herausragende Rolle. Fotos können in allen Phasen ihrer Entstehung manipuliert werden: vor der Aufnahme (durch das Herstellen einer Situation und die Inszenierung der dargestellten Personen und Objekte), bei der Aufnahme (z.B. durch die Wahl des Ausschnitts, der Perspektive, der Schärfe-Einstellung, des Objektivs) und nicht zuletzt nach der Aufnahme durch die Möglichkeiten der Bildbearbeitung, die durch digitale Fotografie noch vielfältiger geworden sind (Holzwarth, 2013, 6-17). Im Zusammenhang religionspädagogischer Bildungsvollzüge ist insbesondere die Frage relevant, inwiefern die verwendeten Fotos eine Situation als ‚real‘ erscheinen lassen, die gestellt bzw. inszeniert oder durch einen neuen Bild-Text-Zusammenhang verändert wurde. Besonders problematisch erweisen sich in dieser Hinsicht sogenannte Symbolfotos – etwa zum Thema Arbeitslosigkeit oder Armut. Der Pressekodex des Deutschen Presserates fordert: „Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden“ (Deutscher Presserat, 2013, 9), wenn bei flüchtigem Lesen eine dokumentarische Absicht angenommen werden kann. Dies wäre auch für Unterrichtsmedien wünschenswert. Schulbücher werden bei der Begutachtung in der Regel daraufhin überprüft, ob die Bildauswahl dem Integrations- wie dem Inklusionsgedanken verpflichtet ist und Personen(-Gruppen) nicht diskriminiert werden (z.B. Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, 2014, 8f.). Bei Einzelfragen ist dabei durchaus strittig, wie man diesem Kriterium gerecht wird. Es ist z.B. Konsens, dass das Leben mit Behinderung durch die Bildauswahl keinesfalls nur in einer Defizitperspektive erscheinen darf. Aber heißt dies, dass nur besonders hübsche oder offensichtlich glückliche Menschen mit einer Behinderung gezeigt werden dürfen – oder ist auch eine solche Foto-Auswahl wieder problematisch?
Schulbuchanalysen aus dem Bereich der Religionspädagogik beschäftigen sich häufig mit der Darstellung anderer Religionen. Diesbezüglich hat Meyer Leitlinien für die Bildauswahl erstellt: Auf der Ebene der Kontexte sollen „historische und geographische Ursprungskonstellationen einer Religion in Balance zu dem Hier und Heute“ erscheinen, im Hinblick auf die Konkretionsebene „religiöse Idealformen und rituelle Schemata in Balance zur individuellen Verankerung in und Variation durch konkrete Menschen“ und im Hinblick auf die Ebene der Performanz „soziale Konstellationen in Religionen in Balance zu Ritualen und Riten“ (Meyer, 2006, 68f.). Sinnvoll seien darüber hinaus Bild-Serien, mit denen die Vielfalt eines Themas sowie der Ablauf ritueller Handlungen anschaulich werden können, sowie großformatige Fotos, auf denen auch Details zu entdecken sind (Meyer, 2006, 70). Allerdings spielt die Fotoauswahl bei allen Themen eine wichtige Rolle – nicht zuletzt auch bei (kirchen-)geschichtlichen, da empirische Untersuchungen zeigen, dass das Geschichtswissen Jugendlicher stark bildorientiert ist (Hamann, 2002, 6).
Die ‚Unsichtbarkeit‘ des Mediums Foto führt dazu, dass bei einer Beschäftigung mit Werken der bildenden Kunst kaum oder gar nicht reflektiert wird, dass solche im Unterricht fast ausschließlich über Fotografie vermittelt vorkommen – ein Umstand, der die Kunst-Wahrnehmung ganz wesentlich beeinflusst (Benjamin, 2011). Wird das Kunstwerk zu einer Abbildung in einem didaktischen Medium, ändern sich Farbgebung und Größe, zudem verliert es an Materialität und Plastizität. Noch gravierender sind die Veränderungen, wenn eine Plastik, eine Skulptur oder ein Sakralbau fotografiert werden, da es hier eine entscheidende Rolle spielt, aus welcher Perspektive das Bild aufgenommen, welcher Ausschnitt gewählt und wie das Objekt ausgeleuchtet wird.
2.3. Fotos als Gegenstand der Auseinandersetzung
Bei Adam wird zwar auf „fototechnisch verfremdete künstlerische Fotografie“ sowie „Fotomontage und -collage“ verwiesen (Adam, 2010, 269f.), andere Arten von Fotos, die als bildende Kunst verstanden werden können, kommen aber nicht in den Blick. Foto-Kunst findet auch in religionspädagogischen Veröffentlichungen zur Bilddidaktik wenig Beachtung; auch in Religionsbüchern sind „das anspruchsvolle Einzelfoto, das ausdrucksstarke künstlerische Foto“ (Feininger, 2006, 234) unterrepräsentiert. Aus dem Bereich der sogenannten künstlerischen Fotografie hat in der Theologie vor allem das Projekt „I.N.R.I“ von Bramly und Rheims Interesse auf sich gezogen, das in „aufwändig arrangierten Fotos und ausgesuchten Texten aus den Evangelien […] das Leben Jesu darstellt“ (Engelschalk, 2005, 80) und dabei „den aus der Kunstgeschichte bekannten Kanon der Ikonographie mit den stilistischen Mitteln der Mode- und Lifestyle-Fotografie“ mischt (Engelschalk, 2005; Burrichter/Gärtner, 2014, 68). Es gab auch Versuche einer produktiven Weiterführung im Rahmen kirchlicher Jugendarbeit (Heck/Kowertz, 2002; Engelschalk, 2005, 81; Wittke, 2004). Die kontrovers diskutierte Frage, ob und wenn ja, nach welchen Kriterien Fotografien als Kunst verstanden werden können (Engelschalk, 2005, 79), ist für religionspädagogische Zusammenhänge von eher untergeordnetem Interesse. Von Bedeutung aber ist, dass viele Fotos nach einer Auseinandersetzung verlangen, bei der auch das Medium Fotografie „sui generis“ zur Geltung kommt, indem die künstlerischen Ausdrucksformen genau wahrgenommen und gewürdigt werden – und nicht nur ein vermeintlich davon abzuhebender Inhalt. Dies sind sicherlich nicht nur jene Fotos, die Aufnahme in Kunstausstellungen finden, sondern auch andere Beispiele professioneller Fotografie (z.B. Werbe-, Industrie-, Mode-, Reise-, Natur-, Porträtfotografie und Bildjournalismus). Ein entsprechend genauer und kritischer Blick auf die ‚Machart‘ kann selbstverständlich auch bei der sogenannten Alltagsfotografie gewinnbringend sein (z.B. Urlaubs-, Familien-, Partyfotografie).
Medienethische Überlegungen spielen nicht nur bei der Bildauswahl eine Rolle, sondern die Fähigkeit zur medienethischen Reflexion ist auch ein Bildungsziel. Ein spezifisch religionspädagogischer Beitrag der Foto-Arbeit kann insbesondere darin gesehen werden, für bildethische Fragestellungen zu sensibilisieren und eine entsprechende Urteilskompetenz aufzubauen. In diesem Zusammenhang werden – gerade unter den Bedingungen digitaler Kommunikation – Aspekte relevant wie z.B. die Frage nach Wahrheit und Lüge, Stellvertretung und Fürsprache, Urheberrechten und dem Recht des Menschen, sein Geheimnis zu wahren. Bei der Thematisierung medienethischer Problemfälle stellt sich die Frage, welche Bilder man – auch in medienkritischer Absicht – zeigen sollte: Einerseits wird z.B. eine Auseinandersetzung mit Fotos von Folteropfern nur schwer möglich sein, wenn diese unbekannt sind, andererseits gilt es die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu schützen. Ähnliche Fragen stellen sich bei der Analyse von Werbeplakaten, bei denen zur Schau gestelltes Leid die Spendenbereitschaft erhöhen soll. Die Frage nach Bildwirkungen, die durch kritische Reflexion kaum oder gar nicht eingeholt werden können, stellt sich vor allem bei der Auseinandersetzung mit problematischen Schönheitsvorstellungen, bei Gewaltdarstellungen, Pornographie sowie bei Fotos, die Vorurteile gegenüber Menschen(-Gruppen) befeuern können.
Fotos können lebensweltliche Zugänge zu religionspädagogisch relevanten anthropologischen und ethischen Fragen herstellen. Einige Beispiele seien angedeutet. Fotos bieten aufgrund ihres nicht ungebrochen einlösbaren „Wirklichkeitsanspruch" einen guten Zugang zur Frage nach Wahrnehmung und Wirklichkeit. Auch das Thema Erinnerung kann anhand einer Auseinandersetzung mit Fotos erschlossen werden, denkbare Aspekte sind öffentliche und private ,Erinnerungspolitik‘. Darüber hinaus können Fotos und analoge wie digitale Alben zur Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit führen. Sie können aber auch einen Zugang bieten zur Frage nach Sinn und Glück – besonders deutlich wird das bei Selfies, die fast immer einem „Happy-Life-Konzept“ (Reuter, 2014, 235) folgen. (Selbst-)Porträts bieten auch einen Zugang zur Identitätsthematik. Ähnlich einem Spiegel können sie Anlass sein, z.B. darüber nachzudenken, wie man sich selbst sieht, wie andere einen wahrnehmen und wie sich das Ich und der eigene Körper zueinander verhalten. Auch Fragen zu Schönheitsvorstellungen und Möglichkeiten der Selbstoptimierung werden damit aufgeworfen. Besonders interessant wird die Auseinandersetzung mit Fotos von der eigenen Person, weil zu den Differenzen zwischen innen und außen, Individuellem und Überindividuellem, eigenem und fremden Blick eine zeitliche Differenz eingetragen ist. Die vielen Bilder, die junge Menschen von sich in sozialen Netzwerken teilen, sind ambivalent: „Auf der einen Seite ist es in diesen digitalen Umgebungen möglich, sich in vielen unterschiedlichen Identitäten zu zeigen, zu inszenieren und sich auszuprobieren, auf der anderen Seite wird eine Art Selbstentäußerung zum täglichen Kommunikationsverhalten. Identitäten fragmentieren nicht nur, sie werden fluide und passen sich wie ein Chamäleon den jeweiligen Umgebungen an“ (Haberer, 2015, 108). Gerade die Bedeutung bildlicher Kommunikation in der medialen Peergroup-Kommunikation kann anschlussfähig sein für ein Nachdenken über den Zusammenhang von Identität und Sozialität, die Notwendigkeit des Inszenierens und des Agierens in Rollen, dem Wunsch nach Authentizität und nach Aufmerksamkeit, den Strategien des Ichs, sich zu zeigen und sich zu verbergen, die Sehnsucht danach, ‚angeschaut‘ und ‚gelikt‘ zu werden, und die Verletzlichkeit der Menschen, die danach streben.
Dass zur hermeneutischen Kompetenz auch das Erschließen von Bildern gehört, gilt inzwischen auch in der Religionspädagogik als Konsens. Daher wird in Lehr- und Bildungsplänen für den evangelischen und katholischen Religionsunterricht auch darauf geachtet, dass entsprechende Kompetenzen aufgebaut und eingeübt werden. Eine Auseinandersetzung mit „Bildkompetenz“, „visuelle[r] Kompetenz“ bzw. „visual literacy“ wird in unterschiedlichen Disziplinen aktuell vorangetrieben und bildet momentan ein dynamisches Forschungsfeld. Holzbrecher weist zu Recht auf den Beitrag der Fotopädagogik zur Medienkompetenz hin: Kinder und Jugendliche werden mit der Technik des Fotografierens und Bearbeitens vertraut (Holzbrecher, 2004, 11). Vor allem aber erwerben sie semantische Kompetenz, also die Fähigkeit, Fotos zu deuten und zu bewerten – und dabei zu berücksichtigen, dass die eigene Wahrnehmung immer auch kulturbedingt ist (Holzbrecher, 2007, 49). Darüber hinaus zielt diese auch auf „analytisch-reflexive Kompetenz“ und damit auf einen kritischen Blick auf den Einfluss von Fotos auf die Konstruktion von „Welt-Bildern“ und ihre Instrumentalisierung zur Durchsetzung politischer und/oder ökonomischer Ziele (Holzbrecher, 2007). Nicht zuletzt sollen junge Menschen im Hinblick auf Fotografie „Gestaltungskompetenz“ erwerben, zu der es wesentlich gehört, eigene Interessen zu klären und angemessen zu berücksichtigen (Holzbrecher, 2004, 13). Im Hinblick auf religionspädagogische Bildungsvollzüge spielen vor allem die drei letztgenannten Kompetenzen eine Rolle. Inhaltlich legt sich dabei vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit der bildlichen Darstellung von Religion(en) und den durch Fotos transportierten Weltbildern nahe sowie ein Erproben der Möglichkeiten des „Selbstausdruck[s]“ (Niesyto, 2001) durch Fotografie.
3. Methodische Aspekte
3.1. Fotos erschließen
Die bei Adam genannten Methoden zum Umgang mit Fotos unterscheiden sich kaum von den allgemein in der Bilddidaktik verwendeten Methoden (Adam, 2010, 274f.). Speziell auf Fotografien zugeschnittene Modelle der Fotoerschließung wurden von religionspädagogischer Seite bislang noch nicht erarbeitet. Dabei stellt sich zum einen die Frage, ob sich anerkannte Erschließungswege von Bildern wie etwa das Fünf-Schritt-Modell von Lange (→ Bilder
Mit Pilarczyk und Mietzner lassen sich im Hinblick auf die Analyse von Fotos fünf Perspektiven unterscheiden, denen es sich auch in religionspädagogischen Bildungszusammenhängen nachzugehen lohnt:
- 1.die durch Ausschnittswahl und Bildgestaltung sichtbare Perspektive des Fotografen,
- 2.die „Perspektive der Abgebildeten“, die durch die „Blickbeziehungen und Körperhaltungen fotografisch aufgezeichnet“ wird,
- 3.die „Betrachtungsperspektive“,
- 4.die „Perspektiven derjenigen (der Personen oder/und) Institutionen“, die es verwenden, und
- 5.die „Perspektive eventueller Auftraggeber […], deren Intentionen umgesetzt werden sollten“ (Pilarczyk/Mietzner, 2003, 21f.).
Ebenfalls hilfreich ist das Verfahren, Fotos im Anschluss an das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun zu analysieren (Holzbrecher, 2004, 14; Autenrieth, 2015, 113f.).
Eine nicht rein werkimmanente Erschließung von Fotos erfordert eine Präsentation, die notwendige Kontextinformationen mitliefert. Insofern erweist es sich als Problem, dass es sich zwar bei Werken der bildenden Kunst eingebürgert hat, in einer Bildunterschrift Titel, Entstehungszeit, Künstlerin oder Künstler, Größe des Originals etc. anzugeben, bei Fotos oft aber höchstens über das Quellenverzeichnis herauszufinden ist, ob diese einem Urheber zuordenbar sind. Für eine genauere Analyse wäre auch wichtig, über den Zeitpunkt und den Ort der Aufnahme sowie den Verwendungszweck zu informieren (Pilarczyk/Mietzner, 2003, 29).
3.2. Arbeit mit Fotosammlungen
Die Arbeit mit Fotomappen bzw. -sammlungen spielte vor allem in den 70er und 80er Jahren in Theorie und Praxis der Religionspädagogik eine relativ wichtige Rolle (Adam, 2010, 274f.). In diesem Zusammenhang war vor allem die Methode der „Fotosprache“ („Photolangage“) von Bedeutung, bei der es darum geht „mit Hilfe von Fotos eigene Erfahrungen wahrzunehmen, zur Sprache zu bringen, vielleicht sogar einzuordnen“ (Adam, 2010, 272). Gerade für den Einstieg in ein Thema, aber auch am Beginn von Gruppenfindungsprozessen, wurden und werden gerne Sammlungen mit „anthropologischen“ bzw. mit „Problem“-Fotos eingesetzt, aus denen die Anwesenden Bilder auswählen und über die Kommunikation mit und über das Bild in einen inhaltlichen Austausch mit den anderen Gruppenmitgliedern kommen. Im Hinblick auf für religionspädagogische Zwecke zusammengestellte Sammlungen lässt sich kritisch anmerken, dass die hierfür ausgewählten Fotos nicht selten zu offensichtlich eine konkrete Aussageabsicht verfolgen und Betroffenheit erzeugen wollen und dadurch „keine freie Entscheidung“ und „keine verantwortliche Auseinandersetzung“ zulassen (Zilleßen, 1985, 103). Positiv gewendet wäre bei einer kritischen Sichtung von Fotomaterial darauf zu achten, dass diese anspruchsvoll, widerständig und bedeutungsoffen sind.
3.3. Aktive bzw. produktive Fotoarbeit
„Aktive Medienpädagogik“ gilt auch nach der ‚digitalen Revolution‘ noch als Königsweg der Medienpädagogik, an dessen bewährten Prinzipien (soziales, handelndes und exemplarisches Lernen sowie Gruppenarbeit) festzuhalten ist, der dabei aber auch an die neuen Bedingungen angepasst werden muss – z.B. indem bei der Gruppenarbeit auch auf Online-Kommunikation zurückgegriffen wird (Demmler/Rösch, 2012, 193). Aktive Fotopädagogik wird durch die Digitalfotografie deutlich erleichtert, da nun keine Kosten für Filme, Entwicklung und Abzüge mehr entstehen und dadurch die Kinder die Freiheit haben, viel auszuprobieren und durch Versuch und Irrtum zu lernen (Baer, 2004, 193f.). Auch die technische Entwicklung der Fotoapparate, mit denen sich ‚kinderleicht‘ technisch gute Fotos machen lassen, trägt dazu bei, dass man heutzutage Kindern in der Medienpädagogik in deutlich jüngeren Jahren zutraut, selbst zu fotografieren als früher (Loos/Schmolling, 2009, 61). Zudem kommt die schnelle Rückmeldung, die durch das Ansehen des Fotos direkt in der Kamera möglich wird, vielen Kindern und Jugendlichen entgegen. Weitere Vorteile sind, dass die Bilddaten schnell auf einen Computer überspielt und dort auf vielfältige Weise bearbeitet werden können (Baer, 2004, 194). Im Hinblick auf ‚aktive Fotoarbeit‘ in religionspädagogischen Zusammenhängen gibt es bislang nur einzelne Hinweise und Projektvorschläge (z.B. Reuter, 2005; Feininger, 2006, 238-242). Weitere Impulse für eine aktive Fotoarbeit in religiösen Bildungsprozessen lassen sich aus der allgemeinen Medienpädagogik gewinnen. Eine hilfreiche Übersicht über Methoden aktiver Fotoarbeit findet sich bei Baer, der Tipps gibt für einen spielerischen Umgang mit Fotos (z.B. auch durch Bearbeitungssoftware), das Herstellen von Spielen mit Foto-Elementen, verschiedene Formen der fotografischen Selbstpräsentation von Kindern, das Gestalten von Fotogeschichten (etwa mit Gummibären oder Playmobil) sowie für Fotoreportagen oder die Gestaltung von Stadtplänen mit Fotos (Baer, 2004, 197-200; Baer, o.J.). Möglichkeiten der Übertragung auf den religionspädagogischen Bereich liegen auf der Hand (z.B. Fotos von Darstellungen biblischer Geschichten mit Spielfiguren, bebilderte Ortspläne mit „religiösen Spuren“, Kartenspiele mit religiösen Motiven). Eine für den Religionsunterricht ertragreiche Variante aktiver Fotoarbeit ist, deutungsoffene und möglichst klischeefreie Fotos zu bestimmten Fragestellungen (etwa „Außenseiter“) von den Schülerinnen und Schülern machen und reflektieren zu lassen. Die ‚Lebenswelt‘ der Schülerinnen und Schüler lässt sich gut berücksichtigen, wenn diese selbst fotografische Einblicke gewähren und dabei bewusst steuern, was sie zeigen wollen (z.B. zu Themen wie „Was mir heilig ist“, „Orte der Freiheit“). Motivierend kann die Teilnahme an Medien- bzw. Fotowettbewerben sein (z.B. „Deutscher Jugendfotopreis“). Eine besondere Chance bieten Fotos, die dem „Selbstausdruck durch Medien“ (Niesyto, 2001) dienen. Zu Recht hat Neuß darauf hingewiesen, dass Jugendliche durch den „symbolischen Ausdruck“ der Produkte aktiver Medienarbeit etwas über sich selbst erfahren: „Mit dem hergestellten Medienprodukt […] stehen Meinungen, Gedanken, Erinnerungen oder Gefühle einer Person oder einer Gruppe in der Welt und ermöglichen auch ein aktives Verhalten oder eine reflexive Position ihm (nämlich dem Inhalt des Mediums, der die eigenen Gedanken ‚verkörpert‘) gegenüber“ (Neuß, 2004, 38). Dies kann in besonderer Weise für Fotos gelten, die junge Menschen von sich und den Menschen und Situationen machen, die ihnen wichtig sind. Daher scheint es lohnend, solche aktive Fotoarbeit nicht nur pädagogisch anzustoßen, sondern auch auf die Fotos Bezug zu nehmen, mit denen Kinder und Jugendliche täglich kommunizieren.
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