Deutsche Bibelgesellschaft

Kreatives Schreiben

(erstellt: Februar 2016)

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1. Was ist kreatives Schreiben?

Das Wort Kreativität kommt im „Deutschen Wörterbuch“ der Brüder Grimm noch gar nicht vor, sondern findet sich in den Begriffen Vorstellungsvermögen, Einbildungskraft, Phantasie oder Produktivität. Es geht auf das lateinische Verb creare (= hervorbringen, erschaffen, ins Leben rufen) zurück und eine präzise Begriffsbestimmung ist trotz einer umfassenden Aufarbeitung in unterschiedlichen Disziplinen kaum möglich (Hentig, 2000). Gemeint ist damit die Möglichkeit des Einzelnen, Neues aus dem Alten zu entwickeln, indem Transformationen im Denken, Empfinden oder Handeln möglich sind (Holm-Hadulla, 2010, 11). Das Verhältnis zwischen Begabung und Kreativität ist dabei noch nicht gelöst. Früher dachte man dabei sogar an göttliche Eingebung (Kaufman, 2014, 683). Der Begriff hat seinen Boom in den 1950er Jahren erlebt, als mit dem Slogan der Amerikaner im Kalten Krieg „Um als Nation zu überleben, muß das Individuum kreativ werden“ (Taylor, zitiert nach Brenner, 1994, 16) die Bedeutung von Kreativität im technologischen Fortschritt betont wurde. Hilfreich ist definitorisch immer noch die Definition von Carl R. Rogers in seinem Aufsatz Towards a Theory of Creativity, in dem er den Begriff definiert als „das handelnde Hervorbringen eines neuartigen, ungewöhnlichen Produkts, das aus der Beziehung zwischen der Einzigartigkeit eines Individuums einerseits und den Gegenständen, Ereignissen, Personen oder Umständen seiner Lebenswelt andererseits erwächst“ (Rogers, 1959, 71).

Kaspar H. Spinner, einer der Wegbereiter des kreativen Schreibens im Deutschunterricht, nimmt diese Definition auf und formuliert als Ziel kreativen Schreibens, dass „durch die Aktivierung der Imaginationskraft etwas Neues entsteht, zumindest eine neue Sicht auf Bekanntes realisiert werden kann“ (Spinner, 1993, 21). Dieses Neue kann aus dem kreativ Tätigen selbst kommen und vorwiegend assoziativ sein, es kann sich auf Gegenstände oder Texte seiner Umwelt beziehen oder in Auseinandersetzung mit einem personalen Gegenüber aktiv werden. Kreativität und damit kreatives Schreiben setzen eine gewisse Begabung (in Bezug auf Renzullis vgl. Rost, 2001, 954f.), Offenheit, ein Bewusstsein gegenüber neuen Erfahrungen, das „Fließenlassenkönnen“, Flexibilität, Fähigkeit zum Umstrukturieren, ein Vertrauen in die eigene Imaginationskraft und die Fähigkeit voraus, mit Konzepten der Wirklichkeit zu spielen. Stadien von kreativen Denk- oder Produktionsprozessen werden als Vorbereitung, Inkubation, Illumination (Aha-Erlebnis) und Verifikation beschrieben (Wallas, 1926 nach Tenorth/Tippelt, 2007, 423).

2. Kreatives Schreiben im Religionsunterricht

Kreatives Schreiben hat Einzug gehalten in kompetenzorientierte Schulbücher und → Lehrpläne. Schon in den ersten Konzeptpapieren zur Kompetenzorientierung (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht; → Bildungsstandards) gab es diverse Aufgabenformate zu den grundlegenden Kompetenzen kreativer Natur (Fischer/Elsenbast, 2006, 19f.), indem z.B. Briefe an die Angehörigen Verstorbener oder an ratsuchende Patinnen (Fischer/Elsenbast, 2006, 28; 32), ein Selbstgespräch eines Menschen im Mittelalter (Fischer/Elsenbast, 2006, 43) oder ein fiktives Interview (Fischer/Elsenbast, 2006, 70) entworfen werden sollte. Im Anschluss daran finden sich sowohl in den kompetenzorientierten Lehrplänen als auch stringent in den für deren Umsetzung entwickelten Schulbüchern didaktische Begründungen des kreativen Schreibens und kreative Aufgabenformate. Im Lehrplan für bayerische Gymnasien von 2009, Klasse 5, heißt es z.B.:

Lehrkräfte sind weiterhin nicht mehr nur in ihrer Rolle als Wissensvermittelnde gefragt, sondern haben noch mehr als bisher eine begleitende und unterstützende Funktion, unter anderem durch eine kreative Gestaltung der Unterrichtskultur sowie durch das Setzen inhaltlicher Impulse, die Schülerinnen und Schüler motivieren, selbständig Kompetenzen zu erwerben. Ein solches Lernen und Lehren fördert nicht nur ein ganzheitliches und mehrkanaliges Lernen, sondern es fordert und fördert auch religiöse Sprachfähigkeit. Sich im Gespräch, durch kreatives Schreiben, in Bildern, bei Exkursionen, im Spiel etc. über religiöse Fragen und Überzeugungen auszutauschen, diese zu diskutieren und zu überdenken, kann zwar nicht religiöse Handlungskompetenz garantieren, aber es könnten Bausteine sein, die zu ihrer Entwicklung beitragen (Hervorhebung von der Verfasserin, Bayerisches Staatsministerium, 2006, o.S.).

Ausgehend von einem weiten Bildungsbegriff, der über Wissensvermittlung hinausgeht, legt man heute auf die Bedeutung einer „kreativen“ Unterrichtskultur Wert und macht dabei deutlich, dass man religiöse Sprachfähigkeit auf unterschiedliche Art und Weise und eben auch durch kreatives Schreiben fördern kann.

Einige Schulbücher haben im Sinne einer Meta-Methodenkompetenz sogar eine „Methodenseite“ zum kreativen Schreiben aufgenommen. So bietet z.B. das Religionsbuch Ortswechsel 6, erschienen im Claudius Verlag, eine Seite, auf der kreatives Schreiben eingeleitet und erklärt wird, indem die Lernenden persönlich angesprochen, die Bedeutung der Methode für die Identitätsfindung veranschaulicht und die Verfahren an Beispielen erklärt werden. Dabei verweisen die Autorinnen und Autoren auch auf konkrete Aufgaben im Buch (Ortswechsel, 2013, 144).

3. Religionsdidaktische Begründungen

Kreatives Schreiben kennen Lehrende und Lernende aus dem Deutschunterricht. Dort spielen häufig Gedanken und Gefühle eine Rolle, wenn man über Themen schreibt, die persönlich sind oder in der Phantasie entfaltet werden. Während es dort darum geht, die Ausdruckfähigkeit zu schulen, beziehungsweise darum, dass „der dichterische Text (…) nicht zum letzten Zielpunkt der Einsicht, sondern zum anregenden Begleiter eigener schriftlicher Selbstverständigung und Ausdruckbereitschaft“ wird (Brenner, 1994, 9), stehen im Religionsunterricht auch andere Aspekte im Vordergrund, will man begründen, warum diese Verfahren gerade für den Religionsunterricht geeignet sind.

3.1. Theologische Begründung

Religiöse Sprache ist immer schon poetische und besonders auch metaphorische Sprache. Wer über Gott und die Sphäre des Heiligen sprechen will, kann dies nicht in direkter Weise tun. Er oder sie braucht Vergleiche und Bilder der Welt, um das Unsagbare in Worte zu bringen. So vollzieht sich ein Prozess der Übertragung (griech. meta-pherein) von einem semantischen Feld in ein anderes. Und auch wenn das Bild den Gegenstand nie vollständig erfassen kann, immer ein Rest an Unbestimmtheit bleiben muss, so vollzieht sich doch gerade in dieser Sprechweise ein Erkenntnis- und Kommunikationsgewinn. Die reichhaltigen Bilder für Gott wie Vater, Richter, Hirte etc. geben mannigfaltig Zeugnis von diesem Sprachprozess. So unbestreitbar diese Einsichten für die Sprache der Bibel oder auch des Gebets anerkannt wurden, so wenig wurde diese Medialität in ihrem Eigenwert gewürdigt (Zimmermann/Hellwig, 2011, 7).

Im Rahmen neuzeitlicher Theologie ist über weite Strecken vergessen worden, dass Dichtkunst (→ Erzählen) und → Dogmatik keine Gegensätze sind, sondern schon im Begriff der theologia die Poesie mitschwingt. Erst am Ende des letzten Jahrtausends wurde auch im Rahmen einer wissenschaftlichen Theologie die Bildhaftigkeit der Rede von Gott wieder neu gewürdigt und in diesem Sinne die Bedeutung von Erzählung und Übertragung aufgewertet, weil deutlich wurde, dass Reflexionsformen auch in der Bibel weniger in Begriffslogik und Argumentation, sondern aus kreativer Bearbeitung von Tradition in wirkmächtigen Bildern besteht. Gerade weil die poetische Sprache auch keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erhebt, weiß sie von Anfang an um ihre Grenzen und dient der gemeinsamen Verständigung auch über sonst dem Sprechen entzogene Erfahrungsbereiche. Sie ermöglicht aber auch eine Verdichtung von Lebens- und Gotteserfahrungen.

Um in den Sprachformen der Bibel heimisch zu werden, ist es aber notwendig, nicht nur „über“ sie zu sprechen, sondern sie auch nachzusprechen, umzusprechen und neu zu sprechen, damit die Bilder vertraut, die Erzählungen zu eigenen Master-Geschichten werden können. Eine Alphabetisierung in religiöser Sprache kann durch das kreative Schreiben z.B. entlang biblischer Vorlagen angeleitet werden (vgl. Zimmermann/Zimmermann, 2014).

3.2. Pädagogische Begründung

Der kreativ-experimentelle Umgang mit Sprache ist Teil einer langen Tradition. Seit der Antike finden sich Sprachspiele, wie z.B. das Akrostichon (vgl. Ps 119). Schreibspiele kommen im Barock vor und später auch in den literarischen Salons der Romantik (z.B. Reihum-Romane). Die Reformpädagogik, allen voran Freinet, entdeckte das freie und kreative Schreiben für die Schule, während im Dadaismus und im Surrealismus experimentelle Schreibtechniken wie Sprachcollagen oder Traumtexte vor allem das literarische Schaffen dominierten. „Kreatives Schreiben ist ein ganzheitliches Unterrichtsverfahren, das Kopf, Herz und Hand in den Auseinandersetzungsprozess integriert, der oft selbst von sinnhaften Anlässen angestoßen wird. Es aktiviert und fordert den ganzen Menschen mit seinen kognitiven, emotionalen und sozialen Kompetenzen“ (Sauter, 2008, 149). Die Schülerinnen und Schüler lernen sich dabei einerseits selbst kennen, bilden eigene Ansichten und Haltungen aus, entdecken tragfähige Sinn- und Hoffnungshorizonte, andererseits fördert der Austausch das gegenseitige tiefere Kennenlernen auch in Glaubensfragen. Durch die Übernahme von (literarischen) Rollen wird Empathiefähigkeit geschult und im Spielraum Literatur können im Schutz der Rolle (theologische) Positionen und Werthaltungen ausprobiert werden.

3.3. Religionsdidaktische Begründung

Kreatives Schreiben ist einer Aneignungsdidaktik verpflichtet, die die Schülerinnen und Schüler in ihrer Individualität und ihrer Persönlichkeit ernst nimmt. Gerade weil Glaube immer nur subjektiv wahrgenommen werden kann, ist es eine Chance, dass Kinder und Jugendliche beim kreativen Schreiben ihre religiösen Vorstellungen, ihre kritischen Gedanken und Fragen in ästhetische Gestaltungsformen zu fassen lernen. Das sind wertvolle Prozesse zur Entwicklung einer → religiösen Identität und Persönlichkeit. Der Gefahr, dass diese Methoden „gewissen Beliebigkeiten zu viel Raum“ geben (Sauter, 2008, 149), kann entgegengearbeitet werden, wenn wie beim → Theologisieren mit Kindern und → Theologisieren mit Jugendlichen nach der Phase der Produktion eine kommunikative Phase der Reflexion erfolgt, in der sich die Autorinnen und Autoren nach dem Schreibprozess austauschen, Kriterien der kritischen Bewertung verfügbar sind und wenn z.B. biblische beziehungsweise theologische Aspekte von den Lehrenden oder den Lernenden relativierend, in Frage stellend oder bestätigend eingebracht werden.

4. Prinzipien kreativen Schreibens

Kaspar H. Spinner nennt fünf Grundprinzipien, aus denen er Leitlinien der Didaktik kreativen Schreibens entfaltet. Diese können auch auf den Religionsunterricht appliziert werden: Irritation, Expression, Imagination, ästhetisches Wahrnehmen und Imitation. Während Spinner die ersten drei als Ziele ansieht, seien „ästhetisches Wahrnehmen“ und „Imitation“ gewissermaßen Werkzeuge (vgl. Spinner, 2005). Durch Irritation ist es möglich, aus dem Alltagsdenken herauszutreten und damit die Wahrnehmung zu relativieren und zu schärfen. In Jesu Verhalten und in seiner Verkündigung (Gleichnisse) lässt sich dieses Prinzip finden. Weil in eigene Schreibprodukte die Persönlichkeit des Schreibenden einfließt, bei der die konkrete Situation, die Befindlichkeit, die Gefühls- und Gedankenwelt eine Rolle spielen, werden die Wahrnehmung des Selbst und dessen Ausdruck (Expression) gefördert. Durch das Prinzip der Irritation wird die alltägliche Wahrnehmung überschritten. Damit können ungewöhnliche Vorstellungsräume eröffnet werden (Imagination), in denen Platz ist für Visionen, Fantasien, Ängste, neue Vorstellungen, Gegenbilder u.a. Grundvoraussetzung der individuellen Umsetzung im kreativen Schreibprozess ist oftmals ein ästhetisches Wahrnehmen des Vorgegebenen, etwa eines Textes, eines Bildes oder einer Struktur, was dann imitiert und dabei aber verändert, karikiert, in Frage gestellt etc. wird.

Becker-Mrotzek und Böttcher (2012) leiten von Spinners Prinzipien ausgehend sechs Methodengruppen des kreativen Schreibens ab: assoziative Verfahren, Schreibspiele, Schreiben nach Vorgaben, Regeln und Mustern, Schreiben zu und nach literarischen Texten, Schreiben zu Stimuli, Weiterschreiben an kreativen Texten. Diese sollen im Folgenden in Auswahl kurz vorgestellt und mit Beispielen für den Religionsunterricht veranschaulicht werden.

5. Kreatives Schreiben in der Praxis

5.1. Methodische Möglichkeiten

Während es auch denkbar wäre, die methodischen Möglichkeiten nach den Lernchancen beziehungsweise den oben genannten Prinzipien zu gliedern (so Sauter, 2008, 151f.) oder sie an Themen des Religionsunterrichts (biblische Texte, religiöse Grundfragen, religiöse Bilder oder Texte u.a., vgl. Zimmermann/Hellwig, 2011, 51-108) entlang darzustellen, sollen hier die Verfahren selbst als Strukturierungshilfe dienen.

5.1.1. Assoziative Schreibverfahren

Assoziative Schreibverfahren dienen der Hinführung, der Sammlung von Ideen und Gedanken und einer strukturierten Darstellung derselben in Anknüpfung an eigenes Wissen, eigene Glaubensvorstellung und Ähnliches. Hier bieten sich folgende Verfahren an:

  • Gedankenlandkarte: Wie in einer Mindmap werden Einfälle stichpunktartig notiert.
  • Elfchen: Die formale Vorgabe von elf Wörtern in fünf Zeilen angeordnet, nämlich 1. Zeile: ein Wort, 2. Zeile: zwei Wörter, 3. Zeile: drei Wörter; 4. Zeile: vier Wörter, 5. Zeile: ein Wort, muss eingehalten werden. Denkbar ist auch, eine inhaltliche Vorgabe zu ergänzen, z.B. zu biblischen Personen: 1. Zeile: Name, 2. Zeile: Eigenschaft, 3. Zeile: was sie/er tut, 4. Zeile: was dich an der Gestalt beschäftigt, 4. Zeile: eine Antwort (vgl. Sauter, 2008, 156).
  • Akrostichon: Ein Ausgangsbegriff wird senkrecht notiert, in der Waagerechten werden die Buchstaben assoziativ fortgesetzt.
  • Rondellgedicht: In acht Zeilen wiederholen sich die Verse/Zeilen nach der Regel: 1, 4, 7 sind gleich, ebenso 2 und 8. Nur Zeilen 3, 5, 6 sind singulär.
  • Haiku: Hier sind drei Zeilen mit 5, 7, 5 Silben zu verfassen, bei denen die Zeilenstruktur aber wichtig ist (keine Zeilensprünge!).
  • Schneeballgedicht: Hier wird die Anzahl der Wörter jeweils um eines pro Vers erhöht, um sie entweder mit einem Wort abzuschließen oder wieder gleichsam um je ein Wort pro Zeile/Vers zu reduzieren.
  • Sinnengedicht: Hier wird ein Begriff vorgegeben, bei dem je ein Vers auf einen der fünf Sinne bezogen ist: Gerechtigkeit klingt nach …, schmeckt nach …, riecht nach …, sieht aus wie …, fühlt sich an wie ….

5.1.2. Kreatives Schreiben zu Texten

Zentraler Bezugspunkt des Religionsunterrichts sind (biblische) Texte und Bilder. Das ist eine Sprach- und Bildwelt, die für heutige Lernende Jahrtausende entfernt ist. Deshalb ist ein Transfer nötig, um das Berichtete zu verstehen und mit dem eigenen Leben in Bezug zu bringen. Um auf Texte kreativ reagieren zu können, ist ein Textverständnis notwendig, das aber nicht unbedingt in einer traditionellen Textanalyse erworben werden muss. Methodisch bieten sich unterschiedliche Zugänge (ausgeführt und mit Beispielen versehen bei Zimmermann/Hellwig, 2011, 53-58) an, die nach der jeweiligen didaktischen Intention ausgewählt und appliziert werden müssen:

1. Im Zentrum soll eine Person/eine Rolle stehen. Diese kann ausgearbeitet werden,

  • indem die Person sich in der Ich-Form vorstellt,
  • indem man den Text aus der Perspektive einer Person nacherzählt (Zimmermann, 2012),
  • indem Briefe von und an Personen geschrieben werden,
  • indem die Personen Tagebuch schreiben,
  • indem sie einen inneren Monolog verfassen,
  • indem ein Traum dieser Person erfunden wird,
  • indem Randfiguren ausgearbeitet werden, die dann über die Person berichten.

2. Im Zentrum soll die Handlung stehen. Diese kann bearbeitet werden

  • indem die Handlung aus Stichworten, dem Erzählanfang, der Idee oder Ähnlichem antizipiert wird,
  • indem eine im Text nur angedeutete Leerstelle ausgearbeitet wird,
  • indem nach einem vorgegebenen Erzählmuster eine erweiterte Geschichte erfunden wird (z.B. modernes Gleichnis, vgl. Zimmermann, 2011b, zur Hioberzählung vgl. Zimmermann, 2011a),
  • indem man ein Textausschnitt in eine andere Textsorte, z.B. Zeitungsbericht, Interview, Fotostory umsetzt,
  • indem eine Erzählhaltung geändert wird (Ich-Erzähler, eine Person der Geschichte erzählt u.a.),
  • indem ein neuer Schluss erfunden wird,
  • indem man den Raum (Stadt, Ort, Landschaft) durch eine Rahmenerzählung veranschaulicht,
  • indem die Handlung aktualisiert wird (z.B. die Geschichte vom barmherzigen Samariter heute).

5.1.3. Kooperative Schreibverfahren

Eigentlich ist das kreative Schreiben auf Einzelarbeit angewiesen, die Produkte können dann aber in Partner- oder Gruppenarbeit reflektiert und überarbeitet werden. Dennoch ist es auch möglich, literarische Formen zu wählen, die auf Austausch und Kooperation angelegt sind: z.B. Dialog, E-Mail-Roman, Tanka, Renga u.a. (vgl. Zimmermann/Hellwig, 2011, 99-104). Hier steht neben der Gestaltungskompetenz auch die Förderung kommunikativer Kompetenz (Dialogfähigkeit und Urteilsfähigkeit in der Abstimmung hinsichtlich des Produkts) im Zentrum.

5.1.4. Kreatives Schreiben zu anderen Schreibanlässen

Kreatives Schreiben zu → Bildern (vgl. Zimmermann/Hellwig, 2011 und Sauter, 2008, 161f.) und zu → Musik (Sauter, 2008, 163f.) sind ebenso möglich, wie das Schreiben außerhalb des Klassenzimmers an anderen Lernorten sinnvoll Verwendung finden kann. Beim Thema Sterben/Tod kann man den Friedhof aufsuchen und dort kreative Bearbeitungsaufgaben stellen. Beim Besuch einer Kirche finden sich im Rahmen der Kirchenpädagogik viele Aufgabenstellungen aus dem kreativen Schreiben (z.B. eine Kirchenbank erzählt, ein Kirchenportal aus dem Mittelalter berichtet, die Bibel erzählt u.a.), und die fiktiven Begründungen von Architekten oder Künstlern oder Leserbriefe sind eine beliebte Methode, kreativ wichtige Inhalte zu Papier zu bringen (weitere Ideen vgl. Zimmermann/Hellwig, 2011, 104-108).

5.2. Leitlinien für die konkrete Praxis

Damit kreatives Schreiben in der Praxis gelingen kann, sind einige Voraussetzungen zu beachten (vgl. ausführlicher Zimmermann/Hellwig, 2011, 25-50). Am wichtigsten ist sicherlich der motivierende und für die Zielgruppe fordernde Schreibanlass. Hier lohnt der Blick in die Deutschdidaktik (z.B. Spinner, 1993; Schmitz, 2001; Mosler/Herholz, 2003; Leis, 2006, u.a.). Da Angst jegliche Form der → Kreativität blockiert, muss auf eine angstfreie Arbeitsatmosphäre geachtet werden. Unterstützt wird die Motivation durch Ermutigungen und eine niederschwellige Hinführung. Gerade bei den ersten Erfahrungen mit kreativem Schreiben ist die Würdigung der Produkte wichtig. Die Schülerinnen und Schüler geben in den Texten Persönliches preis, das darf auf keinen Fall abgewertet werden. Ein geeigneter Präsentationsrahmen beziehungsweise schulische Publikationsmöglichkeiten können die Wertschätzung unterstützen.

5.3. Beurteilungs- und Bewertungsverfahren

Beim kreativen Schreiben geht es vor allem darum, den Lernenden einen anderen als den analytischen Weg zur Auseinandersetzung mit religiösen Fragestellungen zu zeigen; außerdem möchte man sie dabei unterstützen, gute Texte zu schreiben. Erst danach folgt das Interesse des Lehrenden an einer → Bewertung. Beurteilung ist deshalb nicht gleich Bewertung, schließt diese aber nicht im Vorhinein aus. Sauter (2008, 153) dagegen lehnt eine Bewertung grundsätzlich ab. Hilfreich ist es z.B. bei Gedichten, die Schülerinnen und Schüler Produktionserläuterungen anfertigen zu lassen, die das Produkt und seinen Entstehungsprozess reflektieren. Damit wird die leichter zu bewertende reflexive Bewertungsdimension aufgenommen.

Wichtig für eine sinnvolle Bewertung ist natürlich, dass es im Vorhinein klare Kriterien der Bewertung gibt, wie z.B. Themenbezug, Klarheit der Aussage, formale Schlüssigkeit, Eigenständigkeit und Originalität. Dass die inhaltliche Leistung je nach Thema auch hinsichtlich theologischer Kriterien zugespitzt werden sollte, muss je nach Aufgabe im Sinne gedanklicher Durchdringung, Reflexion und Überprüfung, also der denkenden Rechenschaft über den christlichen Glauben, eingebracht werden. Mögliche Bewertungsbögen helfen zu einer möglichst großen Transparenz und Objektivität. Beispiele für das „Schreiben zu einer Text- bzw. Bildvorlage“, zu einem Gedicht und zur Bewertung von Produktionserläuterungen finden sich bei Zimmermann/Hellwig (2011, 113-124).

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