Deutsche Bibelgesellschaft

Bergpredigt (Mt 5-7), bibeldidaktisch, Primarstufe

(erstellt: Februar 2017)

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1. Lebensweltlicher Zugang

„F.: Warum lachst du? L.: ‚… und halte ihm auch die andere Backe hin …‘ (Lea lacht wieder und schüttelt den Kopf.)

L.: Ist doch komisch.

F.: Warum?

L.: Weiß nicht.

F.: Was meinst du zu dem Text?

L.: Na ja. – Machen nicht viele so.

F.: Warum nicht?

L.: Weil die immer nur an sich denken“ (Benk, 2006, 73).

Die 8-jährige Lea reagiert auf die Forderung, nach einem Schlag auch die andere Backe hinzuhalten, mit spontanem Lachen. Warum? Ist es Ungläubigkeit, Ratlosigkeit gegenüber einer als völlig unrealistisch empfundenen Zumutung, abgeklärter Spott über die Weltferne biblischer Texte? Im weiteren Gesprächsverlauf:

„F.: Was glaubst du, was macht der, […] dem man die andere Backe hinhält, wenn er auf die eine geschlagen hat?

L.: Dann schaut er erst mal ziemlich komisch. Nämlich das ist er einfach nicht gewohnt.

F.: Und dann?

L.: Und dann verteilt er vielleicht, - hm fragt der, entschuldigt er sich bei dem anderen. Nämlich dann merkt er’s auch irgendwie.

F.: Was merkt er?

L.: Dass man das eigentlich nicht machen soll oder so, das merkt man dann irgendwie“ (Benk, 2006, 80).

Im zweiten Schritt plausibilisiert Lea die Aufforderung Jesu: Sie ist so überraschend, dass sie beim Angreifer einen Gesinnungswandel hervorrufen kann. Hier wird deutlich: Schon Grundschulkinder können sich reflektiert mit einer derjenigen Fragen auseinandersetzen, die die Auslegung zur Bergpredigt in Kirche und Wissenschaft seit vielen Jahrhunderten stark prägt: die Frage nach der Erfüllbarkeit der Forderungen in den Antithesen. Damit ist jedoch nur ein Aspekt der Bergpredigt erfasst. Sie enthält neben ethischen Forderungen auch eschatologische Ausblicke, neben Anspruch auch Zuspruch.

2. Fragen und Anknüpfungspunkte

Neben der oben anzitierten Antithese bietet die Bergpredigt weitere Anknüpfungspunkte für Grundschulkinder: In der Mitte der Bergpredigt steht ein Gebet, das Vater-Unser (Mt 6,9-13), das die Frage aufwirft, was für ein Gott in der Bergpredigt zu uns spricht und wie wir zu ihm sprechen können. Was können wir uns unter dem „Reich Gottes“ vorstellen? Wie kommt es? Die Seligpreisungen (Mt 5,3-12) werfen die Frage nach dem Glück auf – hat Glück etwas mit Gott zu tun – und wenn ja, was? Licht und Salz (Mt 5,13-16) kennt jedes Kind. Wie lässt sich von hier aus ein metaphorisches Verständnis anbahnen? Die goldene Regel (Mt 7,12) ist Kindern in einer bestimmten „Wie-du-mir, so-ich-dir“-Lesart unmittelbar einsichtig.

Andere Vorstellungen sind recht weit von der kindlichen Lebenswelt entfernt: die Regelungen zu Ehebruch und Ehescheidung (Mt 5,27-32) sowie zum Schwören (Mt 5,33-37) und die Rede von der Verdammnis im Zusammenhang mit der Gerichtsvorstellung (Mt 7,13.19).

3. Biblisch-Theologische Klärungen

3.1. Zwischen Weisheit und Apokalyptik

„Makarismen waren im atl.-frühjüdischen Bereich zunächst vornehmlich in der weisheitlichen Ermahnung beheimatet (s. z.B. Sir 14,1f.20-27; 25,8f.). Mit der Rezeption der Gattung in der Apokalyptik trat das den Seliggepriesenen zugesprochene endzeitliche Heil in den Vordergrund. (z.B. 1Hen 58,2f.). Mt 5,3-12 (par Lk 20-23) setzt formgeschichtlich diese Entwicklung voraus und knüpft daran an“ (Konradt, 2015, 67-68).

Wie ist das griechische makarios der sogenannten Seligpreisungen zu übersetzen (Klaiber, 2015, 92-93)? „Selig“ könnte rein jenseitige, himmlische Seligkeit suggerieren; „glücklich“ dagegen rein diesseitige, machbare Zufriedenheit. „Glückselig“ wirkt (antiquiert und) emotional aufgeladen. Welche Übersetzung wird den sogenannten Seligpreisungen und der gesamten Bergpredigt am ehesten gerecht? Haben wir es in erster Linie mit einem eschatologisch-apokalyptischen Text zu tun, der menschliches Tun und menschliches Schicksal ganz am kommenden Reich Gottes, an seinem Willen, ausrichtet (die Vater-Unser-Bitten: „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden!“ Mt 6,10)? Oder geht es in erster Linie um praktische Fragen des besseren Zusammenlebens im Sinne der zeitlosen Weisheit Gottes (z.B. die „goldene Regel“ Mt 7,12)? Wahrscheinlich schwingen beide Facetten in der Bergpredigt mit.

3.2. Zwischen Zuspruch und Anspruch

Wie steht es um die Erfüllbarkeit der Forderungen aus der Bergpredigt? Und welche Konsequenzen beschreibt das Evangelium, wenn Menschen den Ansprüchen des matthäischen Jesus nicht gerecht werden? In welches Verhältnis setzt die Bergpredigt die Pole von Zuspruch und Anspruch? Die moderne Exegese ist sich einig darin, dass für das Matthäusevangelium Zuspruch und Anspruch Hand in Hand gehen. Die Gewichtung der beiden Pole fällt allerdings unterschiedlich aus. Sie hängt eng mit der Frage des Aufbaus der Bergpredigt zusammen. Georg Strecker sieht die Antithesen als inhaltliches Zentrum der Bergpredigt. Damit rückt der Anspruchscharakter der Rede in den Vordergrund. Ulrich Luz sieht das Vater-Unser als theologisches Zentrum der Bergpredigt. Damit gewinnt der Zuspruch an Gewicht. Denn wir können und dürfen Gott als unseren Vater ansprechen. Von Beginn an wird Gott als der Immanuel vorgestellt, der „Gott für uns“ (Mt 1,23). Gott begleitet uns auf unserem Weg, in unserem Bemühen, seinen Ansprüchen gerecht zu werden (Luz, 2008, 57-63). Die Radikalität insbesondere der Antithesen wird dadurch nicht geschmälert, aber sie ist getragen vom Zuspruch Gottes. Walter Klaiber versteht die Bergpredigt von den Seligpreisungen her und nimmt damit eine Zwischenposition ein (Klaiber, 2015, 82-93). Bereits die sogenannten Seligpreisungen spannen den Rahmen zwischen Zuspruch und Anspruch, zwischen Einlassbedingungen für das Reich Gottes oder Zusage geschenkten Glücks, auf. Denn sie sprechen einerseits Glück bzw. Seligkeit indikativisch für die Gegenwart zu und formulieren andererseits in der Anrede (z.B. „die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit“, die „Barmherzigen“) indirekte Aufforderungen, deren Erfüllung zukünftige Heilsgüter (z.B. „sie werden Gott sehen“) mit sich bringen.

3.3. Zwischen Christologie und Ethik

Ein Kernstück der Bergpredigt ist die Rede von der „besseren Gerechtigkeit“. Was ist damit gemeint? Die Frage hat es theologisch in sich. Denn ihre Beantwortung hat nicht nur Auswirkungen auf die Deutung der matthäischen Christologie und Ethik, sondern auch auf die Deutung seiner Soteriologie, also auf die Frage, wie Matthäus sich den Weg zum Heil oder Unheil vorstellt, und auf die Bestimmung des Verhältnisses von matthäischer Theologie und jüdischer Torafrömmigkeit. In der Exegese stehen sich ein „ethisches“ und ein „christologisches“ Verständnis der Wendung „bessere Gerechtigkeit“ gegenüber.

In der „ethischen“ Deutung erscheint Jesus als Tora-Lehrer und als ethisches Vorbild (Konradt, 2015, 76f.). Nachfolge Jesu heißt dann, ethisch so zu handeln wie Jesus (Vogel, 2015, 59). Als christustreu kann sich verstehen, wer tut, was Jesus zu tun aufgetragen hat – ohne auf den (Opfer-)Tod am Kreuz rekurrieren zu müssen. Offen in der Diskussion ist auch, ob die ethischen Forderungen Jesu in den Antithesen (besonders Mt 5,38-41) als „nicht praktikabler Idealismus“ oder als „dritter Weg“ zwischen Flucht und Gewalt angesichts von Unterdrückung zu deuten sind (Wink, 1988, 33-44). Im zweiten Fall lassen sie sich als gewaltfreie, verblüffende Handlungen verstehen, die den mächtigen Gegner zum Innehalten nötigen (Wink, 1988, 33-44). In der „christologischen“ Deutung erscheint Jesus als derjenige, der Gesetz und Propheten „erfüllt“ und damit die heilsgeschichtliche Wende zum Reich Gottes vollzogen hat (Deines, 2015, 54). Rettung erfolgt nicht durch das Halten der Tora, sondern dadurch, dass die Getauften Jesus als Gottes Messias bekennen. Die „Beurteilungskriterien“ im Endgericht fallen damit je nach Deutung unterschiedlich aus.

3.4. Zwischen Universalismus und Partikularismus

In der Einleitung zur Bergpredigt (Mt 5,1-2) heißt es, dass Jesus (sich vom Volk entfernte und) auf einen Berg stieg. Die Jünger traten zu ihm. Wen sieht das Evangelium somit als Adressatinnen und Adressaten der Bergpredigt? Nur die Jünger – also eine besondere, ausgewählte Gruppe? Oder auch das Volk, also alle – alle Christinnen und Christen oder alle Menschen? Die Auslegungsgeschichte zur Bergpredigt kennt alle drei Varianten: Die sogenannte „Zwei-Stufen-Ethik“ unterscheidet zwischen einer kleinen Gruppe „besonderer“ Christinnen und Christen (z.B. den Mönchen) und der großen Gruppe „gewöhnlicher“ Christen. Insbesondere die radikalen Forderungen der Antithesen richteten sich – so diese Deutung – nur an die kleine Gruppe. Kritische Stimmen zur Zwei-Stufen-Ethik verweisen u.a. auf Mt 7,28 und betonen, dass der Anspruch der Bergpredigt allen gelte – wie natürlich auch ihr Zuspruch. Mahatma Gandhi u.a. sahen bzw. sehen die Bergpredigt als ein Programm, an dem – wenn es allgemein befolgt würde – die Gesellschaft (im Hier und Jetzt) heil werden könnte.

4. Didaktische Überlegungen

Die Bergpredigt ist in der Regel einerseits Thema in der Grundschule, andererseits Thema in den Klassen 9/10. Die Thematisierung in der Sekundarstufe I (und gegebenenfalls II) entlastet den Religionsunterricht der Grundschule davon, die Bergpredigt „vollständig“ zu thematisieren. Dennoch muss sie auch in der Grundschule sowohl dem biblischen Text als auch den Kindern gerecht werden. An dieser Maßgabe orientieren sich die didaktischen Entscheidungen.

4.1. Moralerziehung oder ethische Bildung?

Die Bergpredigt ist ein ethischer Text. Welche Funktion können ethisch geprägte, biblische Texte im Zusammenhang von (schulischem) Religionsunterricht haben? Dienen sie in der Grundschule (allein) der Moralerziehung? Geht es also darum, dass die Kinder idealerweise die moralischen Regeln – hier dann also diejenigen der Bergpredigt – in ihrem Leben befolgen? Oder geht es (auch) darum, dass sie die Praxisregeln – etwa die „goldene Regel“ kritisch reflektieren und sich damit ethisch bilden? Hans Mendl plädiert für einen engen Zusammenhang von Moralerziehung und ethischer Bildung (Mendl, 2012, 13). Ethische Bildung setzt dabei „eine gewisse Distanz zu den in Frage stehenden Normen voraus, um eine selbstbestimmte Reflexion zu ermöglichen“ (Roose, 2013, 350). Von dieser Überlegung aus erweist sich die Eingangsszene als ein Moment ethischer Bildung, der gerade durch die Anstößigkeit der Antithese ermöglicht wird.

4.2. Feldrede oder Bergpredigt?

Andreas Benk plädiert für einen didaktischen Vorrang der Feldrede gegenüber der Bergpredigt: „Ihre größere Nähe zur Logienquelle und damit zum Ethos Jesu, ihre Kürze und schärfere Prägnanz, insbesondere aber die gegenüber der Bergpredigt konkreteren Formulierungen legen es nahe, für den Grundschulbereich der lukanischen Feldrede den Vorzug gegenüber der matthäischen Bergpredigt zu geben“ (Benk, 2006, 74). Die größere historische Nähe zur Logienquelle und zum Ethos des historischen Jesus sind meines Erachtens keine didaktischen Argumente, die die Textauswahl begründen könnten. Theologisch hat der historische Jesus keine höhere Dignität als der matthäische oder der lukanische Jesus. Die Argumente der Kürze und Prägnanz sowie der konkreteren Formulierungen sind bedenkenswert. Didaktisch stellt sich dann die Frage, ob z.B. über die Seligpreisungen auch metaphorisches Verständnis geschult werden soll (z.B. über die „Armen im Geist“ (Mt 5,3)) und ob die Rede in ihrer Gesamtstruktur Gegenstand des Unterrichts ist.

4.3. Einzelverse oder gesamte Rede?

„Wer sich die Mühe macht und Lehrpläne für die Grundschule verschiedener Bundesländer durchsieht, der wird feststellen, dass die Bergpredigt insgesamt oder geschlossene Teile aus ihr in den meisten Fällen dort nicht zu finden sind. Dennoch, in manchen Grundschullehrplänen werden Verse aus Mt 5-7 zitiert, ohne dass jedoch der biblische Kontext weitergehend berücksichtigt würde. So sind es die fast durchweg klassischen Themen in der Grundschule, wie ‚Gebet‘, ‚Glück‘, ‚Mein und Dein‘, ‚Frieden‘, ‚Schuld und Vergebung‘, ‚Gesunde und Behinderte‘, in denen Texte aus der Bergpredigt – sozusagen als biblische Belegstellen – vorgeschlagen werden“ (Ostermayer, 1998, 216).

Dieser Eindruck erhärtet sich bei einer Durchsicht von Religionsbüchern für die Grundschule. Im Religionsbuch Spuren lesen 3/4 kommen die Seligpreisungen nach Lk 7,20-21 unter der Überschrift „Jesus verkündet das Reich Gottes“ zu stehen. Die goldene Regel (Mt 7,12) antwortet auf die Frage: „Wie sollen wir leben?“, und das Vater-Unser (Mt 6,9-13) ist gerahmt durch die Bibelworte „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,14), „Liebt eure Feinde“ (Mt 5,44) und „Sorgt euch nicht um euer Leben“ (Mt 6,25).

Damit bleibt die Frage des Aufbaus der gesamten Rede (Konradt, 2015, 64f.) den Klassen 9/10 vorbehalten. Die Rahmung der Einzelverse erfolgt durch das Thema der jeweiligen Schulbuchseite und die zugeordneten Materialien. Umso folgenreicher ist dann die Entscheidung, welche Einzelverse aus der Bergpredigt ausgewählt und wie diese Einzelverse gerahmt werden.

4.4. Mit oder ohne Gericht?

Die Bergpredigt endet – wie alle matthäischen Reden – mit einem Ausblick auf das Endgericht. Dieses Endgericht hat einen doppelten Ausgang: Einige Menschen werden nach der Darstellung des Matthäusevangeliums gerettet, andere verdammt. Diese Gerichtsvorstellung ist für das Matthäusevangelium zentral (Mt 25). Sie ist eng mit der matthäischen Ethik verbunden und soll die Adressatinnen und Adressaten u.a. dazu „motivieren“, die ethischen Weisungen des Evangeliums ernst zu nehmen. Diese Art „schwarzer Pädagogik“ empfinden wir heute als anstößig. Was bedeutet das didaktisch? Eine Möglichkeit besteht darin, die Gerichtsvorstellung ganz wegzulassen. So verfährt z.B. auch die Kinderbibel von Rainer Oberthür, der Kindern insgesamt viel zutraut und zumutet. Falls die Gerichtsvorstellung doch thematisiert werden soll, kommt es meines Erachtens darauf an, sie im Sinne des ernsthaften Bemühens Gottes um die Menschen zu deuten und ein christologisches „Gegengewicht“ zu schaffen (siehe oben 3.3). Gott hat seinen Sohn zu uns geschickt, er ist bei uns „alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Das Gleichnis vom Haus auf dem Sand und auf dem Felsen (Mt 7,24-27) lässt sich meines Erachtens durchaus mit älteren Grundschulkindern thematisieren – eventuell in Verbindung mit dem englischen Märchen von den drei kleinen Schweinchen (Jacobs): Die ersten beiden Schweinchen bauen sich Hütten aus Stroh, die der Wolf umpustet, das dritte Schwein baut seine Hütte aus Stein. Sie hält dem bösen Wolf stand. Durch das Märchen wird deutlich, dass es beim Gericht nicht in erster Linie um die Vernichtung böser Menschen geht, sondern um die Vernichtung des Bösen, dem Menschen zum Opfer fallen können. Wer steht ihnen in dieser Situation bei?

4.5. Zuspruch ohne Anspruch?

„Bei den Seligpreisungen handelt es sich nicht um einen Tugendkatalog oder um moralische Appelle. Sie enthalten vielmehr die Zusage Jesu: Euer Leben kann sich zum Guten wenden, Gott ist auf eurer Seite, auch im Leid, im Unfrieden, in Hunger und Not“ (Lehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht an Grundschulen in Bayern, 1993, 11).

Wer so deutet, thematisiert den Zuspruch ohne einen ethischen Anspruch. Der aktuelle Grundschullehrplan für Bayern stellt die Seligpreisungen dagegen in den Kontext der Frage nach „gelingendem Leben“ (Freudenberger-Lötz, 2011, Lernbereich 9). Die dazugehörige Kompetenzerwartung lautet: Die Schülerinnen und Schüler „denken über eigene Vorstellungen von Erfolg, Leistung und Versagen nach und setzen sie in Beziehung zu biblischen Vorstellungen von gelingendem Leben“. Diese Kontextualisierung erlaubt es, die Seligpreisungen sowohl in ihrem Zuspruch (Jesus bzw. Gott sprechen uns gelingendes Leben zu) als auch in ihrem Anspruch (Jesus bzw. Gott fordern uns zu gelingendem Leben auf) zu thematisieren, was durchaus dem exegetischen Befund entspricht (siehe oben 3.2).

Grundsätzlich gilt: Macht man im Unterricht den Hoffnungsaspekt stark, so überwiegt der Zuspruch. Eine Verknüpfung etwa mit der goldenen Regel betont dagegen den (ethischen) Anspruch. Meines Erachtens sollten beide Aspekte im Zusammenhang mit der Bergpredigt thematisiert werden. Insofern bietet sich auch die Behandlung bestimmter Antithesen an. Gerade ihr provokanter Charakter kann didaktisch fruchtbar sein (siehe oben 1.).

4.6. Aktiv oder passiv? Präsentisch oder futurisch?

Der ethische Anspruch der Bergpredigt steht im Matthäusevangelium in einem eschatologischen Kontext (siehe oben 3.1). Das zeigt die Verbindung mit der Gerichtsbotschaft. Insgesamt geht es um das Reich Gottes. Die Art der Verknüpfung zwischen Ethik und Reich Gottes lässt sich unterschiedlich ausbuchstabieren: Können wir durch „gutes“ ethisches Verhalten, durch Nachfolge Jesu (siehe oben 3.3), das Reich Gottes im Hier und Jetzt ansatzweise verwirklichen (Anspruch)? Oder steht die gegenwärtige und zukünftige Durchsetzung des Reiches Gottes ganz in Gottes Hand (Zuspruch)? Können wir durch unser Verhalten beeinflussen, ob wir „hineinkommen“ (Anspruch), so dass die Seligpreisungen als „Einlassbedingungen für das Himmelreich“ zu verstehen sind (hier wäre dann wiederum die Gerichtsvorstellung konstitutiv)? Der ethische Anspruch der Bergpredigt lässt sich also nochmals unterschiedlich eschatologisch ausdeuten. Es steht im Ermessen der Lehrkraft, ob sie beide Spielarten des ethischen Anspruchs thematisieren möchte. Die Entscheidung wird auch davon abhängen, ob die Gerichtsvorstellung zur Sprache kommen soll.

4.7. Mit oder ohne explizite Einbettung in den Jesus-Kontext?

„Wir wollen, dass der Traum Jesu die Kinder so direkt wie möglich anspricht. Deshalb verzichten wir auf jede erzählerische Einrahmung und beginnen den Unterricht (ähnlich wie unsere Arbeit an den Psalmen) mit einem Satz an der Tafel. Wir brauchen dazu einen Satz, der ein Stück dieser Vision so elementar wie möglich ausspricht. Nicht alle Sätze der Seligpreisungen sind gleich elementar“ (Baldermann,1993, 21).

An der Tafel erscheinen dann die Sätze:

„Weinende werden lachen,

Hungernde werden satt,

Sanftmütige werden die Erde besitzen“ (Baldermann, 1993, 22).

Die Seligpreisungen erscheinen hier nicht explizit als Worte Jesu oder als Worte eines Evangelisten. Wer spricht, bleibt offen. Die Kinder sollen sich diese Worte zu eigen machen und sich fragen, für wen solche Sätze wichtig sein können. Der Zugang ist insofern existentiell-offen.

Die andere Möglichkeit besteht darin, die Seligpreisungen in ihrem biblischen Kontext in den Unterricht einzubringen. Das Religionsbuch Spuren lesen 3/4 bringt die Verse:

„Hungrige werden satt,

Traurige werden getröstet,

Blinde sehen,

Arme hören die gute Nachricht“ (Freudenberger-Lötz, 2011, 61).

unter der Überschrift: „Jesus verkündet das Reich Gottes“. Auf derselben Seite geht es um Jesu Taufe, seine Zeit in der Wüste und seine „Antrittspredigt“ (nach Lk 4). Die Seligpreisungen sind damit explizit als Worte Jesu ausgewiesen und in seinem Leben verortet. Anders als die anderen Texte sind sie aber kursiv gesetzt und werden nicht eigens eingeleitet. Das ermöglicht sowohl einen stärker historisch ausgerichteten Zugang über das Leben Jesu als auch einen stärker existentiellen Zugang à la Baldermann.

Bei anderen Teilen der Bergpredigt, etwa den Antithesen, ist eine explizite Einführung in den damaligen historischen Kontext auch für Kinder hilfreich. Mt 5,38-41 spiegelt dann nicht eine töricht erscheinende, duldende Haltung wider, sondern eine Anleitung zum Widerstand von Menschen, die eigentlich ohnmächtig vor ihren Gegnern stehen. Es geht um gewaltfreie, verblüffende Handlungen: Wer von einem Soldaten zum Hand- und Spanndienst für die vorgeschriebene Meile gezwungen wird, geht eine zweite mit, was den Soldaten in die Lage bringt, sein Gepäck zurück erbitten zu müssen, da es ihm verboten ist, den Dienst für eine zweite Meile zu fordern. Wer verschuldet ist, nur noch ein Gewand hat und vor Gericht gezerrt wird, zieht sich nackt aus, damit die Schande auf den Verursacher zurückfällt. Wer dem Schlagenden, der mit dem Handrücken der rechten Hand auf die rechte Wange schlägt, die andere hinhält, damit dieser mit der offenen Hand schlagen müsste, zeigt, dass er sich nicht entwürdigen lässt, weil der Schlagende ihn somit als Mensch anerkennen muss (Wink, 1988, 33-44). Dies ist nicht weit entfernt vom Verständnis des Kindes (siehe oben 1.), das zur Stelle sagt: „Dann schaut er erst mal ziemlich komisch“.

Literaturverzeichnis

  • Baldermann, Ingo, Gottes Reich – Hoffnung für Kinder. Entdeckungen mit Kindern in den Evangelien, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 1993.
  • Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hg.), LehrplanPLUS Grundschule. Lehrplan für die bayerische Grundschule. Evangelische Religionslehre, München 2014. Online unter: http://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/grundschule/3/evangelische-religionslehre, abgerufen am 08.08.2016.
  • Benk, Andreas, „Der hat ja gut reden, der ist ja nicht so krank oder so, wie wir“, in: Büttner, Gerhard/Schreiner, Martin (Hg.), „Man hat immer ein Stück Gott in sich“. Mit Kindern biblische Geschichten deuten. Teil 2: Neues Testament, Jahrbuch für Kindertheologie Sonderband, Stuttgart 2006, 73-84.
  • Deines, Roland, Gerechtigkeit, die zum Leben führt, in: Zeitschrift für Neues Testament 18 (2015) 36, 46-56.
  • Freudenberger-Lötz, Petra (Hg.), Spuren lesen. Religionsbuch für das 3./4. Schuljahr, Stuttgart u.a. 2011.
  • Jacobs, Joseph, Das Märchen von den drei kleinen Schweinchen. Online unter: http://www.maerchenstern.de/maerchen/die-drei-kleinen-schweinchen.php, abgerufen am 08.08.2016.
  • Klaiber, Walter, Das Matthäusevangelium. Teilband 1: Mt 1,1-16,20, Die Botschaft des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 2015.
  • Konradt, Matthias, Das Evangelium nach Matthäus, Das Neue Testament Deutsch 1, Göttingen 2015.
  • Lehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht an Grundschulen in Bayern, München 1993.
  • Luz, Ulrich, Die Jesusgeschichte des Matthäus, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2008.
  • Mendl, Hans, Ethische Bildung und Erziehung: Mythen – Zielebenen – Lernwege, in: Kahlert, Joachim/Multrus, Ute (Hg.), Ethik. Didaktik für die Grundschule, Berlin 2012, 9-23.
  • Oberthür, Rainer, Die Bibel für Kinder und alle im Haus, München 2004.
  • Ostermayer, Vera, Die Bergpredigt – (K)Ein Thema für Kinder in der Grundschule?, in: Feldmeier, Reinhard (Hg.), Salz der Erde. Zugänge zur Bergpredigt, Biblisch-theologische Schwerpunkte 14, Göttingen 1998, 216-233.
  • Roose, Hanna, Die Friedensbotschaft Jesu als Bildungsmotiv, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 65 (2013) 4, 341-352.
  • Vogel, Manuel, Die Ethik der „besseren“ Gerechtigkeit im Matthäusevangelium, in: Zeitschrift für Neues Testament 18 (2015) 36, 37-63.
  • Wink, Walter, Angesichts des Feindes. Der dritte Weg Jesu in Südafrika und anderswo, München 1988.

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