Bergpredigt (Mt 5-7), bibeldidaktisch, Primarstufe
(erstellt: Februar 2017)
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1. Lebensweltlicher Zugang
„F.: Warum lachst du? L.: ‚… und halte ihm auch die andere Backe hin …‘ (Lea lacht wieder und schüttelt den Kopf.)
L.: Ist doch komisch.
F.: Warum?
L.: Weiß nicht.
F.: Was meinst du zu dem Text?
L.: Na ja. – Machen nicht viele so.
F.: Warum nicht?
L.: Weil die immer nur an sich denken“ (Benk, 2006, 73).
Die 8-jährige Lea reagiert auf die Forderung, nach einem Schlag auch die andere Backe hinzuhalten, mit spontanem Lachen. Warum? Ist es Ungläubigkeit, Ratlosigkeit gegenüber einer als völlig unrealistisch empfundenen Zumutung, abgeklärter Spott über die Weltferne biblischer Texte? Im weiteren Gesprächsverlauf:
„F.: Was glaubst du, was macht der, […] dem man die andere Backe hinhält, wenn er auf die eine geschlagen hat?
L.: Dann schaut er erst mal ziemlich komisch. Nämlich das ist er einfach nicht gewohnt.
F.: Und dann?
L.: Und dann verteilt er vielleicht, - hm fragt der, entschuldigt er sich bei dem anderen. Nämlich dann merkt er’s auch irgendwie.
F.: Was merkt er?
L.: Dass man das eigentlich nicht machen soll oder so, das merkt man dann irgendwie“ (Benk, 2006, 80).
Im zweiten Schritt plausibilisiert Lea die Aufforderung Jesu: Sie ist so überraschend, dass sie beim Angreifer einen Gesinnungswandel hervorrufen kann. Hier wird deutlich: Schon Grundschulkinder können sich reflektiert mit einer derjenigen Fragen auseinandersetzen, die die Auslegung zur Bergpredigt in Kirche und Wissenschaft seit vielen Jahrhunderten stark prägt: die Frage nach der Erfüllbarkeit der Forderungen in den Antithesen. Damit ist jedoch nur ein Aspekt der Bergpredigt erfasst. Sie enthält neben ethischen Forderungen auch eschatologische Ausblicke, neben Anspruch auch Zuspruch.
2. Fragen und Anknüpfungspunkte
Neben der oben anzitierten Antithese bietet die Bergpredigt weitere Anknüpfungspunkte für Grundschulkinder: In der Mitte der Bergpredigt steht ein Gebet, das Vater-Unser (Mt 6,9-13
Andere Vorstellungen sind recht weit von der kindlichen Lebenswelt entfernt: die Regelungen zu Ehebruch und Ehescheidung (Mt 5,27-32
3. Biblisch-Theologische Klärungen
3.1. Zwischen Weisheit und Apokalyptik
„Makarismen waren im atl.-frühjüdischen Bereich zunächst vornehmlich in der weisheitlichen Ermahnung beheimatet (s. z.B. Sir 14,1f.20-27; 25,8f.). Mit der Rezeption der Gattung in der Apokalyptik trat das den Seliggepriesenen zugesprochene endzeitliche Heil in den Vordergrund. (z.B. 1Hen 58,2
Wie ist das griechische makarios der sogenannten Seligpreisungen zu übersetzen (Klaiber, 2015, 92-93)? „Selig“ könnte rein jenseitige, himmlische Seligkeit suggerieren; „glücklich“ dagegen rein diesseitige, machbare Zufriedenheit. „Glückselig“ wirkt (antiquiert und) emotional aufgeladen. Welche Übersetzung wird den sogenannten Seligpreisungen und der gesamten Bergpredigt am ehesten gerecht? Haben wir es in erster Linie mit einem eschatologisch-apokalyptischen Text zu tun, der menschliches Tun und menschliches Schicksal ganz am kommenden Reich Gottes, an seinem Willen, ausrichtet (die Vater-Unser-Bitten: „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden!“ Mt 6,10
3.2. Zwischen Zuspruch und Anspruch
Wie steht es um die Erfüllbarkeit der Forderungen aus der Bergpredigt? Und welche Konsequenzen beschreibt das Evangelium, wenn Menschen den Ansprüchen des matthäischen Jesus nicht gerecht werden? In welches Verhältnis setzt die Bergpredigt die Pole von Zuspruch und Anspruch? Die moderne Exegese ist sich einig darin, dass für das Matthäusevangelium Zuspruch und Anspruch Hand in Hand gehen. Die Gewichtung der beiden Pole fällt allerdings unterschiedlich aus. Sie hängt eng mit der Frage des Aufbaus der Bergpredigt zusammen. Georg Strecker sieht die Antithesen als inhaltliches Zentrum der Bergpredigt. Damit rückt der Anspruchscharakter der Rede in den Vordergrund. Ulrich Luz sieht das Vater-Unser als theologisches Zentrum der Bergpredigt. Damit gewinnt der Zuspruch an Gewicht. Denn wir können und dürfen Gott als unseren Vater ansprechen. Von Beginn an wird Gott als der Immanuel vorgestellt, der „Gott für uns“ (Mt 1,23
3.3. Zwischen Christologie und Ethik
Ein Kernstück der Bergpredigt ist die Rede von der „besseren Gerechtigkeit“. Was ist damit gemeint? Die Frage hat es theologisch in sich. Denn ihre Beantwortung hat nicht nur Auswirkungen auf die Deutung der matthäischen Christologie und Ethik, sondern auch auf die Deutung seiner Soteriologie, also auf die Frage, wie Matthäus sich den Weg zum Heil oder Unheil vorstellt, und auf die Bestimmung des Verhältnisses von matthäischer Theologie und jüdischer Torafrömmigkeit. In der Exegese stehen sich ein „ethisches“ und ein „christologisches“ Verständnis der Wendung „bessere Gerechtigkeit“ gegenüber.
In der „ethischen“ Deutung erscheint Jesus als Tora-Lehrer und als ethisches Vorbild (Konradt, 2015, 76f.). Nachfolge Jesu heißt dann, ethisch so zu handeln wie Jesus (Vogel, 2015, 59). Als christustreu kann sich verstehen, wer tut, was Jesus zu tun aufgetragen hat – ohne auf den (Opfer-)Tod am Kreuz rekurrieren zu müssen. Offen in der Diskussion ist auch, ob die ethischen Forderungen Jesu in den Antithesen (besonders Mt 5,38-41
3.4. Zwischen Universalismus und Partikularismus
In der Einleitung zur Bergpredigt (Mt 5,1-2
4. Didaktische Überlegungen
Die Bergpredigt ist in der Regel einerseits Thema in der Grundschule, andererseits Thema in den Klassen 9/10. Die Thematisierung in der Sekundarstufe I (und gegebenenfalls II) entlastet den Religionsunterricht der Grundschule davon, die Bergpredigt „vollständig“ zu thematisieren. Dennoch muss sie auch in der Grundschule sowohl dem biblischen Text als auch den Kindern gerecht werden. An dieser Maßgabe orientieren sich die didaktischen Entscheidungen.
4.1. Moralerziehung oder ethische Bildung?
Die Bergpredigt ist ein ethischer Text. Welche Funktion können ethisch geprägte, biblische Texte im Zusammenhang von (schulischem) Religionsunterricht haben? Dienen sie in der Grundschule (allein) der Moralerziehung? Geht es also darum, dass die Kinder idealerweise die moralischen Regeln – hier dann also diejenigen der Bergpredigt – in ihrem Leben befolgen? Oder geht es (auch) darum, dass sie die Praxisregeln – etwa die „goldene Regel“ kritisch reflektieren und sich damit ethisch bilden? Hans Mendl plädiert für einen engen Zusammenhang von Moralerziehung und ethischer Bildung (Mendl, 2012, 13). Ethische Bildung setzt dabei „eine gewisse Distanz zu den in Frage stehenden Normen voraus, um eine selbstbestimmte Reflexion zu ermöglichen“ (Roose, 2013, 350). Von dieser Überlegung aus erweist sich die Eingangsszene als ein Moment ethischer Bildung, der gerade durch die Anstößigkeit der Antithese ermöglicht wird.
4.2. Feldrede oder Bergpredigt?
Andreas Benk plädiert für einen didaktischen Vorrang der Feldrede gegenüber der Bergpredigt: „Ihre größere Nähe zur Logienquelle und damit zum Ethos Jesu, ihre Kürze und schärfere Prägnanz, insbesondere aber die gegenüber der Bergpredigt konkreteren Formulierungen legen es nahe, für den Grundschulbereich der lukanischen Feldrede den Vorzug gegenüber der matthäischen Bergpredigt zu geben“ (Benk, 2006, 74). Die größere historische Nähe zur Logienquelle und zum Ethos des historischen Jesus sind meines Erachtens keine didaktischen Argumente, die die Textauswahl begründen könnten. Theologisch hat der historische Jesus keine höhere Dignität als der matthäische oder der lukanische Jesus. Die Argumente der Kürze und Prägnanz sowie der konkreteren Formulierungen sind bedenkenswert. Didaktisch stellt sich dann die Frage, ob z.B. über die Seligpreisungen auch metaphorisches Verständnis geschult werden soll (z.B. über die „Armen im Geist“ (Mt 5,3)) und ob die Rede in ihrer Gesamtstruktur Gegenstand des Unterrichts ist.
4.3. Einzelverse oder gesamte Rede?
„Wer sich die Mühe macht und Lehrpläne für die Grundschule verschiedener Bundesländer durchsieht, der wird feststellen, dass die Bergpredigt insgesamt oder geschlossene Teile aus ihr in den meisten Fällen dort nicht zu finden sind. Dennoch, in manchen Grundschullehrplänen werden Verse aus Mt 5-7
Dieser Eindruck erhärtet sich bei einer Durchsicht von Religionsbüchern für die Grundschule. Im Religionsbuch Spuren lesen 3/4 kommen die Seligpreisungen nach Lk 7,20-21
Damit bleibt die Frage des Aufbaus der gesamten Rede (Konradt, 2015, 64f.) den Klassen 9/10 vorbehalten. Die Rahmung der Einzelverse erfolgt durch das Thema der jeweiligen Schulbuchseite und die zugeordneten Materialien. Umso folgenreicher ist dann die Entscheidung, welche Einzelverse aus der Bergpredigt ausgewählt und wie diese Einzelverse gerahmt werden.
4.4. Mit oder ohne Gericht?
Die Bergpredigt endet – wie alle matthäischen Reden – mit einem Ausblick auf das Endgericht. Dieses Endgericht hat einen doppelten Ausgang: Einige Menschen werden nach der Darstellung des Matthäusevangeliums gerettet, andere verdammt. Diese Gerichtsvorstellung ist für das Matthäusevangelium zentral (Mt 25
4.5. Zuspruch ohne Anspruch?
„Bei den Seligpreisungen handelt es sich nicht um einen Tugendkatalog oder um moralische Appelle. Sie enthalten vielmehr die Zusage Jesu: Euer Leben kann sich zum Guten wenden, Gott ist auf eurer Seite, auch im Leid, im Unfrieden, in Hunger und Not“ (Lehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht an Grundschulen in Bayern, 1993, 11).
Wer so deutet, thematisiert den Zuspruch ohne einen ethischen Anspruch. Der aktuelle Grundschullehrplan für Bayern stellt die Seligpreisungen dagegen in den Kontext der Frage nach „gelingendem Leben“ (Freudenberger-Lötz, 2011, Lernbereich 9). Die dazugehörige Kompetenzerwartung lautet: Die Schülerinnen und Schüler „denken über eigene Vorstellungen von Erfolg, Leistung und Versagen nach und setzen sie in Beziehung zu biblischen Vorstellungen von gelingendem Leben“. Diese Kontextualisierung erlaubt es, die Seligpreisungen sowohl in ihrem Zuspruch (Jesus bzw. Gott sprechen uns gelingendes Leben zu) als auch in ihrem Anspruch (Jesus bzw. Gott fordern uns zu gelingendem Leben auf) zu thematisieren, was durchaus dem exegetischen Befund entspricht (siehe oben 3.2).
Grundsätzlich gilt: Macht man im Unterricht den Hoffnungsaspekt stark, so überwiegt der Zuspruch. Eine Verknüpfung etwa mit der goldenen Regel betont dagegen den (ethischen) Anspruch. Meines Erachtens sollten beide Aspekte im Zusammenhang mit der Bergpredigt thematisiert werden. Insofern bietet sich auch die Behandlung bestimmter Antithesen an. Gerade ihr provokanter Charakter kann didaktisch fruchtbar sein (siehe oben 1.).
4.6. Aktiv oder passiv? Präsentisch oder futurisch?
Der ethische Anspruch der Bergpredigt steht im Matthäusevangelium in einem eschatologischen Kontext (siehe oben 3.1). Das zeigt die Verbindung mit der Gerichtsbotschaft. Insgesamt geht es um das Reich Gottes. Die Art der Verknüpfung zwischen Ethik und Reich Gottes lässt sich unterschiedlich ausbuchstabieren: Können wir durch „gutes“ ethisches Verhalten, durch Nachfolge Jesu (siehe oben 3.3), das Reich Gottes im Hier und Jetzt ansatzweise verwirklichen (Anspruch)? Oder steht die gegenwärtige und zukünftige Durchsetzung des Reiches Gottes ganz in Gottes Hand (Zuspruch)? Können wir durch unser Verhalten beeinflussen, ob wir „hineinkommen“ (Anspruch), so dass die Seligpreisungen als „Einlassbedingungen für das Himmelreich“ zu verstehen sind (hier wäre dann wiederum die Gerichtsvorstellung konstitutiv)? Der ethische Anspruch der Bergpredigt lässt sich also nochmals unterschiedlich eschatologisch ausdeuten. Es steht im Ermessen der Lehrkraft, ob sie beide Spielarten des ethischen Anspruchs thematisieren möchte. Die Entscheidung wird auch davon abhängen, ob die Gerichtsvorstellung zur Sprache kommen soll.
4.7. Mit oder ohne explizite Einbettung in den Jesus-Kontext?
„Wir wollen, dass der Traum Jesu die Kinder so direkt wie möglich anspricht. Deshalb verzichten wir auf jede erzählerische Einrahmung und beginnen den Unterricht (ähnlich wie unsere Arbeit an den Psalmen) mit einem Satz an der Tafel. Wir brauchen dazu einen Satz, der ein Stück dieser Vision so elementar wie möglich ausspricht. Nicht alle Sätze der Seligpreisungen sind gleich elementar“ (Baldermann,1993, 21).
An der Tafel erscheinen dann die Sätze:
„Weinende werden lachen,
Hungernde werden satt,
Sanftmütige werden die Erde besitzen“ (Baldermann, 1993, 22).
Die Seligpreisungen erscheinen hier nicht explizit als Worte Jesu oder als Worte eines Evangelisten. Wer spricht, bleibt offen. Die Kinder sollen sich diese Worte zu eigen machen und sich fragen, für wen solche Sätze wichtig sein können. Der Zugang ist insofern existentiell-offen.
Die andere Möglichkeit besteht darin, die Seligpreisungen in ihrem biblischen Kontext in den Unterricht einzubringen. Das Religionsbuch Spuren lesen 3/4 bringt die Verse:
„Hungrige werden satt,
Traurige werden getröstet,
Blinde sehen,
Arme hören die gute Nachricht“ (Freudenberger-Lötz, 2011, 61).
unter der Überschrift: „Jesus verkündet das Reich Gottes“. Auf derselben Seite geht es um Jesu Taufe, seine Zeit in der Wüste und seine „Antrittspredigt“ (nach Lk 4
Bei anderen Teilen der Bergpredigt, etwa den Antithesen, ist eine explizite Einführung in den damaligen historischen Kontext auch für Kinder hilfreich. Mt 5,38-41
Literaturverzeichnis
- Baldermann, Ingo, Gottes Reich – Hoffnung für Kinder. Entdeckungen mit Kindern in den Evangelien, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 1993.
- Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft
und Kunst (Hg.), LehrplanPLUS Grundschule. Lehrplan für die bayerische
Grundschule. Evangelische Religionslehre, München 2014. Online unter: http://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/grundschule/3/evangelische-religionslehre
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- Deines, Roland, Gerechtigkeit, die zum Leben führt, in: Zeitschrift für Neues Testament 18 (2015) 36, 46-56.
- Freudenberger-Lötz, Petra (Hg.), Spuren lesen. Religionsbuch für das 3./4. Schuljahr, Stuttgart u.a. 2011.
- Jacobs, Joseph, Das Märchen von den drei kleinen Schweinchen. Online unter: http://www.maerchenstern.de/maerchen/die-drei-kleinen-schweinchen.php
, abgerufen am 08.08.2016. - Klaiber, Walter, Das Matthäusevangelium. Teilband 1: Mt 1,1-16,20, Die Botschaft des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 2015.
- Konradt, Matthias, Das Evangelium nach Matthäus, Das Neue Testament Deutsch 1, Göttingen 2015.
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- Vogel, Manuel, Die Ethik der „besseren“ Gerechtigkeit im Matthäusevangelium, in: Zeitschrift für Neues Testament 18 (2015) 36, 37-63.
- Wink, Walter, Angesichts des Feindes. Der dritte Weg Jesu in Südafrika und anderswo, München 1988.
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