Galaterbrief, bibeldidaktisch, Sekundarstufe
(erstellt: Februar 2019)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Galaterbrief_bibeldidaktisch_Sekundarstufe.200587
1. Grundsätzliches
1.1. Der Galaterbrief im Religionsunterricht
Ein bibeldidaktischer Artikel über den Galaterbrief überrascht vielleicht. Niemand würde heute (wie noch Lähnemann, 2003, 286-293) zur Illustration bibeldidaktischer Grundfragen ausgerechnet diesen als Beispiel wählen. Wenn er im Religionsunterricht begegnet, dann in Form einzelner Verse als Belege für bestimmte Anliegen oder in Aufnahme einzelner erzählender Passagen des Briefes. Z.B. wird Gal 3,28
1.2. Chancen einer Arbeit mit Paulusbriefen als Briefen
Gegenüber der beschriebenen unterrichtlichen Praxis können einige Einsichten zumindest nachdenklich stimmen: Die authentischen Paulusbriefe sind die ältesten bekannten Texte des Christentums. Sie eröffnen Einblicke in Fragen und Positionen der Gläubigen in dieser Frühzeit und sind damit Dokumente der Identitätsfindung des Christentums – aus einer Zeit, die noch nicht einmal die Bezeichnung „Christ“ kannte (Karsch/Rasch, 2013, 368). Sie sind die einzigen Texte des Neuen Testaments mit einem identifizierbaren Verfasser, auch die einzigen Zeugnisse einer Begegnung mit dem auferstandenen Christus aus erster Hand (Zeigan, 2016, 218-220). Schließlich sind sie bis heute immer wieder wichtiger Anstoß für gegenwärtiges christliches Denken. Um all diese Impulse auch für den Religionsunterricht wahrnehmen zu können, ist ein Blick auf die Briefe als Briefe mindestens hilfreich, wenn nicht nötig (Jeska, 2008).
1.3. Herausforderungen für Grundschule und Sekundarstufe
Die Paulusbriefe sind durch ihre Sprachgestalt sperriger als erzählende Passagen der Bibel. Außerdem stellen sie nur einen Teil der Kommunikation zwischen Paulus und seinen Gemeinden dar, für ihr Verständnis sind also historische Hintergrundinformationen nötig. Beides ist schon für Lehrkräfte herausfordernd, für Schülerinnen und Schüler erst recht (Jeska, 2011, 77).
So überrascht es nicht, dass sich kaum unterrichtsbezogene Vorschläge für eine Behandlung der Paulusbriefe in der Grundschule finden – in Schulbüchern seit einer über 20 Jahre alten Einheit, die u.a. den Römerbrief aufnahm (Steinwede, 1996, 84-89; Steinwede, 1997, 250-266), überhaupt nicht mehr. Kurzfassungen einiger Paulusbriefe, u.a. des Galaterbriefs, und Anregungen zu einem darauf bezogenen Paulus-Portfolio bietet die Grundschul-Bibel (Wiemer, 2014a, 272-283; Wiemer, 2014b, 211-216; zu Paulusbriefen in Kinderbibeln vgl. Korneck, 2012, 132;136-140). Meist aber wird Paulus in der Grundschule, wenn überhaupt, nach Erzählmotiven der Apg thematisiert (vgl. mit etlichen Impulsen für einen Einbezug auch der Briefe Cebulj, 2016).
Der weitere Artikel konzentriert sich daher auf die Sekundarstufe. Da der Galaterbrief auch dort kein typischer Unterrichtsgegenstand ist, setzen die Überlegungen mit einer exegetischen Skizze ein (ausführlicher: Sänger, 2016; detailliert: Wiemer, 2017a, 18-201). Die Frage nach den Elementaren Wahrheiten steht hingegen am Ende, um den Artikel mit dem Blick auf mögliche individuelle Ergebnisse eines entsprechenden Unterrichts abzurunden.
2. Elementare Strukturen
2.1. Situation des Galaterbriefs
Der Brief enthält keine konkreten Informationen zur Situation des Paulus oder zu Einzelpersonen in der Gemeinde, weshalb beide nur mit einem gewissen Spielraum zu bestimmen sind. Die Adressaten könnten in der Landschaft Galatien, also der Gegend um das heutige Ankara, oder weiter südlich in den größeren Städten der römischen Provinz Galatien zu suchen sein (Apg 13-14
2.2. Anliegen des Galaterbriefs
Paulus wendet sich gegen Forderungen judenchristlicher Missionare, die von nichtjüdischen galatischen Gemeindegliedern als Konsequenz des Glaubens an Jesus Christus den Übertritt zum Judentum verlangten. Sie dürften mit dem Bund Gottes mit dem Volk Israel bzw. Abraham argumentiert haben. Für Paulus hingegen entscheidet sich alles am Glauben an Jesus Christus, mit dessen Auferstehung die neue Schöpfung angebrochen ist (Gal 6,15
2.3. Rhetorik des Galaterbriefs
Diese Linie verficht Paulus in scharfer Konfrontation mit seinen Gegnern. Nur in diesem Brief verzichtet er auf einen Dank oder ein Gotteslob für die Gemeinde – stattdessen setzt er mit Verwunderung über die Entwicklung in Galatien und einem doppelten Fluch über seine Gegner ein (Gal 1,6-9
2.4. Theologische Akzente des Galaterbriefs
Zunächst untermauert Paulus in Gal 1-2
3. Elementare Zugänge
3.1. Interessen der Jugendlichen
Für eine Ansetzung einer Unterrichtseinheit zum Galaterbrief in der 7. Klasse spricht u.a., dass sich hier in vielen Bildungs- und Lehrplänen Bezugnahmen auf Paulus finden und dass davor die Antike Thema im Fach Geschichte war. In diesem Alter gewinnt eigenes Fragen nach Orientierung und Identität an Gewicht (Woyke, 2016, 2.2). Damit verbunden verliert die Bibel an Ansehen, wird aber anfangs der 7. Klasse noch einigermaßen akzeptiert (Böhm/Schnitzler, 2008, 107). In diesem Schnittfeld ist das profilierte, fast erschreckend selbstgewisse Eintreten des Paulus für seine Sicht einer christlichen Identität gut positioniert: Der Brief bietet Anschlüsse für die Fragen der Jugendlichen und fordert sie zu eigener Positionierung auf. Seine Dialogizität bietet einen anderen Eindruck von der Bibel als deren Erzählungen und fördert einen bewussten eigenen, auch kritischen Umgang mit ihr. Auch im Rahmen der Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden bzw. Firmlingen könnte eine Beschäftigung mit dem Brief interessant sein.
3.2. Den Brief als Brief wahrnehmen
Um die Chancen der Arbeit mit einem Brief auszunutzen, ist es hilfreich, die Schülerinnen und Schüler die Perspektive der galatischen Gemeinden einnehmen zu lassen. Sie stehen vor der Wahl, entweder Paulus oder seinen Gegnern zu folgen, sind also unmittelbar angesprochen und zugleich aufgefordert zu eigener Reaktion. So bietet der Brief geradezu eine Steilvorlage für eine rezeptionsästhetische, also am Verständnis der Leserinnen und Leser orientierte Bibeldidaktik (Fricke, 2012; → Bibeldidaktik, Grundfragen
4. Elementare Erfahrungen
4.1. Jugendliche Akzentuierung eigener Glaubensvorstellungen
Die Frage nach der Verbindung eigener Erfahrungen mit der biblischen Überlieferung ist wohl entscheidend für das nachlassende Interesse an der Bibel im Jugendalter (Bosold, 2013, 631): Für die Überprüfung und Entwicklung eigener Glaubenshaltungen ist es wichtig, Distanz gegenüber Autoritäten einnehmen zu können, die irgendwie zu wissen scheinen, was man oder frau glauben soll. Dass Jugendlichen die gelebte Toleranz im Umgang mit Freundinnen und Freunden anderer oder keiner religiöser Orientierung wichtig ist, verstärkt ihre Skepsis gegenüber Instanzen, die für ein definiertes konfessionelles Profil stehen (Calmbach/Borgstedt/Borchard/Thomas/Flaig, 2016, 335-376; → Religiosität, Jugendliche
4.2. Selbstfindung des Christentums
In dieser Konstellation ist es wichtig, den Galaterbrief nicht als kanonische Autorität einzuspielen, sondern als Diskussionsbeitrag in seiner ursprünglichen, historisch offenen Situation wahrzunehmen (siehe oben 3.2): Zur Debatte steht die Frage, ob und wie sich eine christliche Identität beschreiben lässt. Paulus als Figur kann dabei zugleich faszinieren und abstoßen: Interessant ist seine Jesusbegegnung als Quelle seiner Selbstgewissheit, zumal in Form des Berichts Gal 1,15
5. Elementare Lernwege
Über die Frage nach den Zugängen und Erfahrungen wurden verschiedene Punkte identifiziert, an denen eine Auseinandersetzung mit dem Galaterbrief interessant erscheint. Um die Verbindung des eigenen Fragens mit den Positionen des Briefes auch methodisch zu akzentuieren, empfehlen sich Arbeitsformen, die einerseits empathischen Nachvollzug, andererseits eigene Stellungnahme fordern und fördern. Mit anderen Worten: Die Begegnung mit dem Galaterbrief ist Impuls für ein Theologisieren mit Jugendlichen (→ Jugendtheologie
5.1. Empathischer Nachvollzug
Die Einfühlung in die galatische Situation kann durch Erzählungen gefördert werden. Prinz (2008, 87-102) gewinnt konkrete Aspekte dafür durch Anschluss an Apg 13-14
Zeit und Situation in Galatien können durch Bildmaterial wie Fotografien von Ausgrabungen oder Rekonstruktionszeichnungen z.B. aus Welt und Umwelt der Bibel (Bauer/Hecht/Kaiser, 2001) oder einschlägigen Reiseführern (Bull, 2012) illustriert werden. Einen hilf- und detailreichen Einblick in eine hellenistische Stadt eröffnet eine Korinth-Zeichnung (Katholisches Bibelwerk e.V., 2003; als Folie in Lamp/Meurer, 1999, sowie bei Rupp, 2008, 28).
Auf der anderen Seite ist eine Annäherung an die Figur des Paulus wichtig. Eine im Raum präsente Zeichnung als Projektionsfläche für verschiedene Aspekte kann hierfür hilfreich sein (Merkel, 2011). Eigene Empathieleistungen können auch in Form eines Interviews Ausdruck finden: Zunächst stellen die Schülerinnen und Schüler eigene Fragen an Paulus, z.B. nach der Begegnung mit dem provokanten Einstieg des Briefs (Gal 1,1-9
Plan- und Rollenspiele (→ Planspiel
5.2. Eigene Stellungnahme
Die zuletzt genannten methodischen Möglichkeiten setzen starke Impulse für die Formulierung einer eigenen Meinung nach dem Nachvollzug einer vorgegebenen Rolle. Dazu sollte zumal bei diesem Thema durchgängig eingeladen werden, z.B. indem die Ergebnissicherung jeder Unterrichtsstunde auch auffordert, eine eigenen Einschätzung oder offene Fragen zu formulieren.
Gefördert wird diese Perspektive durch die Akzentuierung offener Diskussionen, durch Positionierungen und ähnliches deutlich. Unterstreichen lässt sie sich durch einen Abschluss der Einheit, in dem die Klasse als Kanonkommission darüber entscheidet, ob der Galaterbrief Teil der Bibel sein soll – als Arbeitsauftrag kann die Fiktion dienen, dass die Kirche die Bibel kürzen möchte und die Klasse um eine Expertise über den Galaterbrief bittet. Ein anderes mögliches Ende der Einheit besteht darin, die Schülerinnen und Schüler individuell einen eigenen Brief an Paulus bzw. nach Wahl an die Galater schreiben zu lassen (siehe unten 6.).
6. Elementare Wahrheiten
„Lieber Paulus, ich habe deinen Galaterbrief gelesen. Ich fand es sehr gut wie du dich für die Menschen eingesetzt hast, ebenfalls fand ich den Galaterbrief sehr interessant und spannend. In der Zeit, in der ich lebe, ist manches anders als bei dir. Also bei uns gibt es gar nicht mehr so viele Menschen, die so arg glauben, meistens glauben wir in Ruhe an Gott oder Jesus. Wenn ich dir eine Frage stellen darf: Wie wichtig ist dir Gott? Warum hast du dein Leben riskiert für Gott?“ Dieser Brief einer Siebtklässlerin (die kursiven Passagen stammen von ihr) zeigt am Ende einer Unterrichtseinheit, dass und wie Wahrnehmungen des Galaterbriefs mit eigenen Fragen und Klärungen verbunden werden können. Dazu gehört zentral die Frage nach der Bedeutung des Glaubens für die eigene Identität. Die zitierte Schülerin erkennt eine Differenz zwischen der eigenen Wahrnehmung und der paulinischen Position. Hierin wirken Impulse aus dem oben (5.1) skizzierten Planspiel zum Apostelkonvent nach: Die Lerngruppe hatte dabei entdeckt, dass die heutige Lösung – jede und jeder solle glauben, was sie oder er will – in der damaligen Situation nicht funktionieren konnte, was ein eigenes Fragen nach der Zusammengehörigkeit in der Gemeinde in Gang setzte (Wiemer, 2018, 148-151). Bei der Suche nach einer Lösung dieses Problems wurden auch intertextuelle Bezüge für die Jugendlichen plötzlich interessant: Warum ist die Beschneidung eigentlich so wichtig? Sie vollzogen also zunehmend auch die Argumentationen der verschiedenen Positionen nach, um sich differenziert mit ihnen auseinander setzen zu können. Auf eine ähnliche didaktische Konstellation zielt der Vorschlag von Zeigan (2016, 221-223), die Schlüsselbegriffe der Kernthese Gal 2,16
Literaturverzeichnis
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