Geburtsgeschichten Jesu / Weihnachten, bibeldidaktisch
(erstellt: Februar 2020)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/200771/
Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Geburtsgeschichten_Jesu_Weihnachten_bibeldidaktisch.200771
Die Weihnachtsgeschichte ist eine zentrale und zugleich komplexe Thematik im Religionsunterricht, da sich hier verschiedene Erzählungen und theologische Motive und verschiedene Erfahrungsebenen der Lebenswirklichkeit (religiöse, kulturelle und kommerzielle) überlagern, zu denen die einzelnen Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichem Maß Zugänge haben (Benz, 2014 505).
1. Elementare Erfahrungen
Wohl kein anderer biblischer Text ist im kulturellen Gedächtnis unserer Gesellschaft so präsent wie die Geburtsgeschichten Jesu nach Lukas (1-2
Weihnachten findet heute weniger in der Kirche, sondern vor allem im Raum der Familie statt, auch wieder bei vielen Jugendlichen. Dabei tritt aber die Geburt Jesu zugunsten einer von Stimmungen geprägten „Festreligion“ zurück. Die Popularität des Weihnachtsfestes mit Lichtern, Liedern, der Krippe und Geschenken spiegelt die Sehnsucht nach persönlicher Erfahrung der Nähe und Zuwendung Gottes sowie allgemein nach Geborgenheit, Heil und Frieden (Morgenroth, 2002, 11f.; Harz, 2005, 28). Die Advents- und Weihnachtszeit bietet so einen guten Anlass, das Potential der Geburtsgeschichten als verdichtete Christusverkündigung lebendig werden zu lassen (Strube, 2018, 161).
2. Elementare Strukturen
Erzählungen über Geburt und Kindheit Jesu finden sich nur in den Evangelien nach Matthäus (1,18-2,23
Auch spätere apokryphe Evangelien erzählen von Geburt und Kindheit Jesu, wobei vor allem das Kindheitsevangelium des Thomas und das Protoevangelium des Jakobus in der Volksfrömmigkeit eine breite Wirkung entfaltet haben.
2.1. Zentrale Motive der Geburtsgeschichten
2.1.1. Jungfrauengeburt und Gottessohnschaft Jesu
Erzählungen wunderbarer Geburten, die die Geburt auf Gottes Eingreifen zurückführen, finden sich mehrfach im AT, um die Besonderheit der Personen herauszustellen (z.B. Isaak: Gen 17-21
Diese Charakterisierung Marias greift die Verheißung Jesajas an König Ahas auf (Jes 7,14
Die Prädikation „Sohn Gottes“ ist eines der ältesten christlichen Bekenntnisse, das in den Texten des NT eine Entwicklung durchläuft: Von der Auferstehung an bei Paulus (Röm 1,3
2.1.2. Davidsohnschaft Jesu und Geburt in Betlehem
Unter den bedrückenden Verhältnissen des ersten Jahrhunderts gewann die Erwartung eines königlichen, machtvollen Messias aus dem Königsgeschlecht Davids, der als bevollmächtigter Repräsentant Gottes dessen Herrschaft in der Welt aufrichtet, an Intensität (Schreiber, 2010, 24). Um Jesus als diesen auszuweisen, betonen Mt und Lk seine davidische Herkunft (Mt 1,6-17.26
2.2. Die Geburtsgeschichte nach Matthäus (Mt 1,18 - 2,23)
2.2.1. Leitlinien der Geburtsgeschichte
Matthäus stellt der Geburtsgeschichte eine programmatische Überschrift und einen „Stammbaum“ Jesu voraus (1,1-17
In allen drei Episoden der Geburtsgeschichte (Geburtsankündigung an Josef: 1,18-25
Der Geburtsankündigung Jesu durch den Engel des Herrn (Mt 1,20-23
2.2.2. Huldigung der Magier (2,1-12)
Im Zentrum der Komposition steht das Auftreten der Magier (magoi), Vertreter der orientalischen Wissenschaftselite, die sich durch den Stern von Gott führen lassen und als erste Jesus verehren (2,1-12
Die Proskynese, die kniefällige Verehrung der Magier vor Jesus stellt ihn als Herrscher heraus, dem entsprechend die kostbarsten Geschenke dargebracht werden. Diese verweisen auf Jesu Königswürde (Gold) und seine göttliche Würde (Weihrauch) sowie auf seinen Tod (Myrrhe zur Totensalbung). Auch der Titel „König der Juden“ und das Erschrecken von „ganz Jerusalem“ weisen auf Jesu Kreuzigung als „König der Juden“ voraus (27,11.29.37
2.2.3. Bedrohung und Errettung des Kindes (2,13-23)
Die Bedrohung des Kindes und seine durch Gottes Eingreifen erfolgte Rettung ist ein gebräuchliches Motiv in der hellenistischen wie jüdischen Literatur, so bei Romulus, Nero, Kyros sowie bei Abraham in späteren jüdischen Legenden (Kaiser, 2010, 42f.; Kügler, 2010, 29). Besonders enge Verbindungen gibt es zur Erzählung von der Gefährdung und Rettung des kleinen Mose (Ex 2,1-10
2.3. Die Geburtsgeschichte nach Lukas (Lk 1 - 2)
2.3.1. Komposition der Kindheitsgeschichte (Lk 1 - 2)
Lukas parallelisiert die Geburtsgeschichten Johannes des Täufers und Jesu miteinander, indem sich die verschiedenen Szenen beider Erzählstränge abwechseln (kompositionelles Diptychon). Die Dominanz liegt dabei eindeutig auf Jesus, dessen Geburt durch zwei Loblieder (Engel: 2,10-14
2.3.2. Geburtsankündigung an Maria
Die Geburtsankündigungen Johannes des Täufers und Jesu illustrieren den allein von Gott initiierten Neuanfang und stellen zugleich die theologische Vorrangstellung Jesu heraus. Dies zeigen seine Entstehung durch den Heiligen Geist und die messianologische Prädikationen „Sohn des Höchsten“, „Thron seines Vaters David“, „König über das Haus Jakob in Ewigkeit“ (1,32
2.3.3. Magnifikat (Lk 1,46-56)
Die Begegnung Marias mit Elisabet mündet in ein Loblied auf Gott, der sich in Jesu Geburt gemäß seiner Verheißung seinem Volk heilsentscheidend neu zuwendet (1,54
2.3.4. Geburt Jesu und Verkündigung der Engel
Den erzählerischen Höhepunkt bildet die Episode Lk 2,1-20
Der wahren Hoheit Jesu als „Sohn Davids“ setzt Lukas kontrastiv die Niedrigkeit seiner Geburt entgegen und erweitert so die traditionelle Messiasvorstellung. Entsprechend sind sozial niedrigstehende und marginalisierte Hirten die ersten Adressaten der frohen Botschaft, analog zur Zuwendung Jesu zu Unterdrückten und Marginalisierten. Zugleich assoziieren die Hirten David, der in Betlehem die Schafe hütete, aber von Gott erwählt und durch Samuel zum König gesalbt wurde (1 Sam 16
Die Engelsverkündigung an die Hirten (2,10-14
Die Prädikationen Jesu greifen zugleich alttestamentliche Traditionen auf. „Retter“ evoziert Rettergestalten (z.B. Ri 3,9
2.4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Geburtsgeschichten
2.4.1. Gemeinsamkeiten
Gemeinsamkeiten zwischen Mt 1,18-2,23
2.4.2. Unterschiede
Matthäus und Lukas gestalten die zentralen christologischen Motive in unterschiedlichen Erzählungen mit je eigenen theologischen Akzenten aus.
Nach Matthäus erfolgt die Geburtsankündigung durch einen Engel an Josef, bei Lukas an Maria. Nach ihm wohnen Maria und Josef in Nazaret und gehen erst aufgrund des kaiserlichen Erlasses nach Betlehem, das nach Matthäus der ursprüngliche Wohnort der Familie ist.
Lukas illustriert die heilsgeschichtliche Bedeutung der Geburt Jesu durch die Parallelisierung seiner Geburtsgeschichte mit der des Johannes und durch hymnische prophetische Lieder. Matthäus deutet das Geschehen durch Erfüllungszitate im Einklang mit der Schrift und verweist durch die Flucht nach Ägypten und den Kindermord des Herodes auf die zentrale Rettungserfahrung Israels, den Exodus aus Ägypten. Er zeichnet Jesus als „König der Juden“ in Opposition zu König Herodes, wogegen Lukas ihn als „Retter“ und „Herr“ als Kontrastfigur zu Kaiser Augustus darstellt. Während bei ihm sozial niedrige Hirten die Erstadressaten der frohen Botschaft sind, was wie das Magnifikat die besondere Zuwendung Gottes zu Armen und Deklassierten verdeutlicht, sind es bei Matthäus Magier „vom Osten“, was auf die Öffnung für Nichtjuden verweist.
3. Elementare Wahrheiten
Aufgrund der großen Popularität des Weihnachtsfestes bei immer geringerer Verwurzelung in der christlichen Tradition ist der Frage nach der existentiellen Relevanz der Geburtsgeschichten Jesu im eigenen Leben nachzugehen. Diese wollen als narrative Christologie, als „Evangelium in Kurzfassung“ (Böttrich, 2001, 45) die zentrale Bedeutung Jesu für die Menschen herausstellen und das Bekenntnis zu ihm als dem verheißenen Messias bestätigen, veranschaulichen und entfalten. Beide Evangelisten zeigen auf, dass mit der Geburt Jesu das Heil schaffende Wirken Gottes für alle Menschen, auch außerhalb der Norm, erfahrbar ist. Sie stellen die heilvolle Herrschaft Gottes als Kontrastgesellschaft zu den Gewaltherrschaften der Welt dar, die durch Herodes (Mt) bzw. Augustus (Lk) repräsentiert werden, und stellen so aktuelle Gesellschaftshierarchie und Machtpolitik in Frage (Strube, 2018, 163). Sie zeigen, dass Gott ganz Mensch geworden ist, um die Sehnsucht der Menschen nach Befreiung von Unterdrückung, nach Frieden und Heil zu erfüllen und geben so Perspektiven für eine neue Orientierung in der Welt zum gemeinsamen guten Leben (Schobert, 2010, 93). Indem sie illustrieren, dass Gott in Jesus auf die Sehnsucht nach Anerkennung und sozialer Gerechtigkeit eingeht, können sie Schüler und Schülerinnen anregen, analogen Erfahrungen in ihrem Leben nachzuspüren und darauf zu vertrauen, dass Gott sie in ihren ambivalenten Lebenssituationen wahrnimmt, was neue Hoffnungsperspektiven grundlegen kann.
Lukas, dessen Gemeinde innerhalb des Imperium Romanum ihren Ort finden musste, stellt Jesus aus nachösterlicher Perspektive als wahren Retter der Welt vor Augen, dessen ewige Herrschaft universales Heil und Frieden impliziert und sich so grundlegend von der irdischer Machthaber unterscheidet (Schreiber, 2010, 25; Dormeyer, 2018, 195). Durch die Betonung der Zuwendung Gottes zu sozial Deklassierten, die dem Kern der Verkündigung und des Wirkens Jesu entspricht, kann Lukas auch heute Menschen in Unterdrückung und auf der Schattenseite des Lebens ermutigen und ihnen eine Hoffnungsperspektive geben. Zugleich regt er dazu an, Macht- und Unrechtstrukturen zu hinterfragen und sich für die Verwirklichung von Frieden und sozialer Gerechtigkeit einzusetzen.
Die Erzählungen konfrontieren Menschen aller Zeiten mit der Frage, wie sie zu Jesus stehen. Sie regen dazu an, nachzuspüren, was es für uns bedeutet, wenn wir Jesus als „Sohn Gottes“ bekennen und dem nachzugehen, was es bedeutet, dass Gott sich in Jesu Geburt voll und ganz mit den Menschen solidarisiert hat. Damit können so eine tiefere Gottesbeziehung eröffnen. Zugleich stellen sie vor die kognitive Herausforderung, den zentralen Glaubenssatz, dass Gott schon immer da ist, damit zu verbinden, dass er zugleich als Mensch wieder neu „geboren“ wird. Sie geben Impulse, der „Geburt“ Gottes im eigenen Leben nachzugehen, auch wenn dies für heutige, naturwissenschaftlich geprägte Menschen ein eher befremdlicher Gedanke ist. Es geht darum, diese Aussage metaphorisch zu verstehen. Gott kommt zu uns, noch bevor wir uns zu ihm auf den Weg machen. Menschen haben in der Begegnung mit Jesus erfahren, dass Gott in ihm ganz präsent ist. Wenn wir ernst nehmen, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist, kann uns dies zu mehr Menschlichkeit anspornen; es kann die eigene Selbstwahrnehmung sowie die Sicht auf die Mitmenschen und den Umgang mit ihnen ändern.
4. Elementare Zugänge
Trotz der Beliebtheit des Weihnachtsfestes haben Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer unterschiedlichen religiösen Sozialisation eine sehr heterogene Kenntnis seines christlichen Hintergrunds. Viele nehmen den religiösen Ursprung zahlreicher Weihnachtsbräuche nicht mehr wahr (Benz, 2014, 505). Der Religionsunterricht hat die Aufgabe, die Weihnachtssymbole anhand der Beschäftigung mit den Texten mit biblisch-theologischen Aspekten zu verbinden. Eine Schwierigkeit könnte darin liegen, dass die Schüler und Schülerinnen aufgrund der (vermeintlich) großen Bekanntheit der Weihnachtsgeschichte wenig motiviert sind, sich nochmals intensiv mit ihr zu beschäftigen.
Bei Schülerinnen und Schülern der Grundschule gehört die Geburtsgeschichte Jesu zu den beliebtesten Erzählungen der Bibel. In Spannung zur inhaltlichen Bekanntheit erkennen viele Kinder und Jugendliche aber keinen Bezug der Geschichte zu ihrem Leben (Hanisch/Bucher, 2002, 109; Lütze, 2018, 240). Dies erfordert, ihre Inhalte mit der Lebens- und Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler zu verbinden, um ihnen zu ermöglichen, darüber nachzudenken, inwieweit sie für ihr Leben relevant sein kann. Vor allem in der Kindheitsgeschichte des Lukas finden sich Berührungspunkte zu existentiell bedeutsamen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler, so z.B. die Bewertung nach sozialem Status, Ausgrenzung und Sehnsucht nach Anerkennung. Hier kann die Erzählung mit den Hirten als Identifikationsfiguren und dem Magnifikat als Gegenstimme eingebracht werden.
Da der realistische Erzählstil der Geburtsgeschichten die Gefahr eines historischen Missverstehens bedingt, geht es darum, den Schülerinnen und Schülern die Erkenntnis zu ermöglichen, dass die Geschichten als erzählte Theologie zentrale Aussagen über das Wesen Jesu und seine Bedeutung für die Menschen vermitteln. Insbesondere Grundschulkinder, die Sachverhalte in spezifisch anderer Weise als Erwachsene rezipieren, verstehen Geschichten meist wörtlich, anders als nach bibelwissenschaftlichen Erkenntnissen und binden die theologische Wahrheit einer Geschichte an ihre historische Wahrheit. Allerdings finden sich bei Laien wie bei wissenschaftlichen Exegeten mehrere Lesarten. Zudem entwickeln Kindern bereichsspezifische Fähigkeiten, wobei neben dem kognitiven Entwicklungsstand auch die religiöse Sozialisation und familiäre Bildung und Einstellungen großen Einfluss auf die Bereitschaft und die Fähigkeit haben, sich mit biblischen Texten auseinanderzusetzen. Studien zur Kindertheologie belegen, „dass Kinder schon in einem sehr frühen Alter fähig sind, Glaubensbilder und Metaphern zu produzieren und theologische Einsichten zu formulieren“ (Büttner/Schreiner, 2006, 7; Schlag, 2018, 13f.).
Dies legt im Unterricht ein konstruktivistisch orientiertes Vorgehen nahe, das die Deutungen der Kinder ernst nimmt und miteinander ins Gespräch bringt, um weiterführende theologische Reflexionsprozesse zu fördern. Dabei ist die Prägung der Wahrnehmung durch Krippenfeiern, Weihnachtslieder etc. als Rezeptionskontext der Schülerinnen und Schüler ernst zu nehmen. Zugleich ist ihnen Raum zu geben, nachzuspüren und ins Gespräch einzubringen, welche Botschaft der Weihnachtsgeschichte für sie in ihrem Leben bedeutsam ist (z.B. etwas Kleines kann Großes bewirken),
Eine Herausforderung für kindliche Konstruktionsleistung ist es, die Figuren Jesuskind, Christkind und Weihnachtsmann voneinander abzugrenzen. Hier können eine tiefere Betrachtung der Geschichten und weiterführende Impulse ein angemessenes Verständnis ermöglichen (Benz, 2014, 507). Da für viele Kinder historisch-kritische Zugänge eine kognitive Überforderung darstellen, bietet es sich an, sie durch eine Rahmenerzählung mit Identifikationsangeboten in die Lebenssituation der Menschen unter römischer Herrschaft einzuführen.
Eine kognitive Herausforderung für Schülerinnen und Schüler ist die Rede von Jesus als Sohn Gottes. Hier ist bedeutsam, dass sich an verschiedenen Stellen des NT unterschiedliche theologische Vorstellungen von Gottessohnschaft finden, die im Unterricht zur Sprache gebracht werden können. Dies kann die Erkenntnis auslösen, dass „Sohn Gottes“ eine Metapher ist, die auf verschiedene Weise gefüllt werden kann. Die „Jungfrauengeburt“ birgt gerade bei Jugendlichen, die von einem naturwissenschaftlichen Verständnis geprägt sind und bei denen die eigene Sexualität an Bedeutung gewinnt, die Gefahr, dass die biblische Geschichte insgesamt als unglaubwürdig angesehen wird. Wichtig ist, dass ihre Vorbehalte zur Sprache kommen und mit Hilfe weiterer Texte diskutiert werden, damit ihnen bewusst werden kann, dass dies keine biologische Aussage über Maria, sondern eine metaphorische Wesensaussage über Jesus darstellt.
5. Elementare Lernwege
Um durch gängige Krippendarstellungen geförderte Fehlverknüpfungen aufzulösen, ist zwischen den unterschiedlichen Erzählsträngen bei Lukas und Matthäus zu differenzieren. Beide Geburtsgeschichten sind theologisch fundiert zu erschließen, evtl. in „Forscherteams“, und mit gängigen Darstellungen in Krippenspielen, Weihnachtsliedern und Brauchtum (z.B. Sternsinger) zu vergleichen, was überraschende Entdeckungen auslösen kann. Durch den Vergleich beider Geburtsgeschichten kann den Schülerinnen und Schülern deutlich werden, dass es jeweils darum geht, zentrale Aussagen über Jesus plastisch darzustellen. Ziel ist, dass sie erkennen, dass es sich lohnt, über die Geschichten nachzudenken und Bezüge zu ihrem eigenen Leben zu entdecken.
5.1. Die Geburtsgeschichte nach Lukas (Lk 1 - 2)
5.1.1. Symboldidaktische Erschließung
Entsprechend den vielen Lichtern in der Weihnachtszeit ermöglicht eine Annäherung über die Licht-Dunkel-Symbolik (→ Symboldidaktik
Wichtig ist es, durch theologische Gespräche tiefergehende Denkprozesse anzuregen (→ Kindertheologie
5.1.2. Durch Identifikationsangebote die Relevanz erfahrbar machen
Wie in der Erzählung sollte im Unterricht der Fokus auf der Engelsbotschaft an die Hirten liegen. Die soziale Situation der Hirten zurzeit Jesu als arme und oft verachtete Bevölkerungsgruppe kann herausgearbeitet und mit Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler von mangelnder Wertschätzung, Ausgrenzung oder Ablehnung verbunden werden. Dazu bietet es sich an, dass die Schülerinnen und Schüler die Erzählung aus der Perspektive der Hirten wahrnehmen und nachspüren, welche Gefühle und Gedanken diese bei ihnen auslöst. Weiter kann der Frage nachgegangen werden, was diese Botschaft für heutige Menschen auf der Schattenseite des Lebens bedeutet.
In der Sekundarstufe ist es lohnend, den gesellschaftskritischen Aspekt zu verstärken und das Magnifikat als Befreiungslied zu aktualisieren, d.h. es in Kontexte zu übersetzen, in denen Menschen heute unterdrückt sind. Die Erkenntnis, dass Gott auf der Seite der Armen und Unterdrückten steht und ihnen Kraft gibt, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren, kann in einen Austausch darüber münden, auf welche Weise dies heute geschehen kann und zum Engagement für soziale Gerechtigkeit anregen.
5.1.3. Die Erzählung vom Wirken Jesu her erschließen
Die Engelsbotschaft mit den zentralen theologischen Prädikaten Jesu mündet in die Frage, inwiefern Jesus „Retter“ und „Messias“ ist. Dabei ist es wichtig, an heilvolle Erfahrungen anzuknüpfen, die Menschen mit Jesus gemacht haben: Kranke, Behinderte und als Sünder Stigmatisierte, Jesu Mahlgemeinschaften und seine Reich Gottes-Verkündigung, dass Gott das Heil aller Menschen will. Es ist sinnvoll, die Weihnachtsgeschichte nicht isoliert als Fest im Kirchenjahr zu behandeln, sondern zunächst die Jesu Reich Gottes-Botschaft und Wirken zur Sprache zu bringen und im Anschluss daran die Geburtsgeschichte als Verdichtung und Vertiefung von Jesu Botschaft und Heilswirken einzubringen.
5.1.4. Die Erzählung in den historischen Kontext einordnen
Wenn die Schülerinnen und Schüler zu einem historisch-kritischen Verständnis in der Lage sind, kann die Geburtsgeschichte als Gegenentwurf zur Herrscherpropaganda der römischen Kaiser herausgearbeitet werden. Dabei gibt das Einbeziehen weiterer Texte und Materialien nähere Aufschlüsse, z.B. die Kalenderinschrift von Priene über Kaiser Augustus im Vergleich mit der Engelsbotschaft. Die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Intention Lukas durch seine Gestaltung verfolgte, kann zur Erkenntnis führen, dass er Jesus entgegen dem Augenschein als wahren Retter und Herrn herausstellen will. Dazu können weitere Bibeltexte aus dem Neuen wie Alten Testament einbezogen werden.
5.2. Die Geburtsgeschichte nach Matthäus (Mt 1 - 2)
5.2.1. Verbindung mit dem Brauch des Schenkens
Ein Zugang für Kinder der Primarstufe ist die Frage, was Weihnachten mit Geschenken zu tun hat. Hier werden die Geschenke der Sterndeuter zur Sprache kommen; wichtig ist aber, dies theologisch zu vertiefen, z.B. indem die Schülerinnen und Schüler überlegen, wie es ist, Jesus als Geschenk Gottes anzusehen. Dies kann mit der Frage verbunden werden, inwieweit Jesus die Menschen beschenkte, wobei Erzählungen aus dem Leben Jesu einzubeziehen sind (Benz, 2014, 509;511).
5.2.2. Symboldidaktische Erschließung
Möglich ist ein Zugang über das Symbol „Stern“, ausgehend von Assoziationen der Schülerinnen und Schüler, die ihnen bewusst machen kann, dass ein Stern vielfältige Konnotationen besitzt und metaphorisch verstanden werden kann. Mit Bezug auf die Bileamverheißung in Num 24,17
5.2.3. Jesus als Gegenfigur zu König Herodes
Ausgehend von der Frage, warum König Herodes Jesus töten wollte, können beide einander gegenübergestellt werden. Falls der Kindermord thematisiert wird, sollte der Fokus auf der Rettung Jesu liegen. Es bietet sich an, dass die Kinder die Perspektive armer und behinderter Menschen einnehmen und aus dieser Position das Verhalten König Herodes‘ sowie Jesu wahrnehmen, wobei auf das Wirken und die Reich Gottes-Botschaft des erwachsenen Jesus zurückgegriffen werden sollte. Dabei können sie Jesus – im Unterschied zum „schlechten König“ Herodes, der sich nicht um die Bedürfnisse der Menschen kümmerte – als „guten König“ erkennen (Buck, 2004, 67; Benz, 2014, 510f.).
5.3. Christologische Vertiefung
Eine tiefere theologische Erschließung wird angeregt, wenn die Schülerinnen und Schüler die jeweiligen Bilder von Jesus herausarbeiten und nachfragen, warum der Evangelist Jesus auf diese Weise schildert. Hilfreich ist, die Geburtsgeschichte in den jeweiligen biblischen Kontext einzuordnen und nach Leitlinien und gemeinsamen Motiven zu fragen. Durch das Präsentieren und Begründen der Ergebnisse und die Diskussion der verschiedenen Vorstellungen reflektieren die Schülerinnen und Schüler ihre Wahrnehmungen nochmals. Es geht darum, dass sie im Sinne des Theologisierens mit Kindern bzw. Jugendlichen durch Impulse und im Austausch untereinander zu eigenen Reflexionsprozessen angeregt werden.
Eine Herausforderung für Schülerinnen und Schüler ist, ob Jesus der Sohn Gottes oder der Sohn Josefs ist. Tiefergehende christologische Reflexionsprozessen können dadurch angeregt, werden dass sie sich selbst Gedanken machen, sich positionieren (z.B. mit Hilfe von Positionsstühlen) und begründen, warum sie Jesus als „Sohn Gottes“ oder „Sohn Josefs“ sehen. Einige Schülerinnen und Schüler können zum Schluss kommen, dass Jesus beides zugleich ist, was sie begründen und in der Gruppe diskutieren (z.B. mit einem dritten Stuhl; Benz, 2014, 511). Wichtig ist, auf die Vielfalt der neutestamentlichen Erzählungen mit ihren unterschiedlichen Christusbildern einzugehen, damit die Schülerinnen und Schüler für sich ein vielfältiges und tragfähiges Bild von Jesus Christus entwickeln können (Schobert, 2010, 94).
Da auch der Koran Texte über Jesu Geburt enthält, können Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen religiösen Traditionen aufgegriffen und die theologische Bedeutung von Jesus im Christentum und Islam einander gegenübergestellt werden. Dies kann eine tiefere Reflexion des christlichen Verständnisses von Jesus Christus als Sohn Gottes anbahnen.
Literaturverzeichnis
- Benz, Sabine, Weihnachten, in: Büttner, Gerhard (Hg. u.a.), Handbuch Theologisieren mit Kindern, Stuttgart 2014, 505-512.
- Böttrich, Christfried, Themen des Neuen Testaments in der Grundschule. Ein Arbeitsbuch für Religionslehrerinnen und Religionslehrer, Stuttgart 2001.
- Bolz, Frank, Wieso hat Jesus einen Stern? Hintergründe der Weihnachtsgeschichten nach Lukas und Matthäus erforschen, in: Religion 5-10 (2013) 1, 22-24.
- Braunmühl, Susanna von, Lukas malt ein Krippenbild. Über die Entstehung der Weihnachtsgeschichte sprechen, in: Grundschule Religion 33 (2010), 10-13.
- Büttner, Gerhard (Hg. u.a.), Handbuch Theologisieren mit Kindern: Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart 2014.
- Büttner, Gerhard/Schreiner, Martin, „Kinder als Exeget/innen“ – Zuspruch für eine kindertheologische Bibeldidaktik, in: Büttner, Gerhard/Schreiner, Martin (Hg.), „Man hat immer ein Stück Gott in sich“. Mit Kindern biblische Geschichten deuten, Jahrbuch für Kindertheologie Sonderband, Teil 2: Neues Testament, Stuttgart 2006, 7-15.
- Bunker, Michael, Von Geschichten und Geschenken – Wie sich Kinder das Verhältnis von Jesus und dem Christkind vorstellen, in: „Sehen kann man ihn ja, aber anfassen…?. Zugänge zur Christologie von Kindern, Jahrbuch für Kindertheologie 7, Stuttgart 2008, 36-47.
- Dormeyer, Detlef, Das Lukasevangelium, in: Zimmermann, Mirjam/Zimmermann, Ruben (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 2. revid. u. erw. Aufl. 2018, 191-199.
- Dormeyer, Detlef, Das Lukasevangelium. Neu übersetzt und kommentiert, Stuttgart 2011.
- Eisele, Wilfried, Das Evangelium nach Lukas, in: Theobald, Michael (Hg.), Stuttgarter Neues Testament, Stuttgart 2018.
- Hanisch, Helmut/Bucher, Anton, Da waren die Netze randvoll. Was Kinder von der Bibel wissen, Göttingen 2002.
- Hartz, Frieder, Dem Weihnachtschristentum auf der Spur. Theologischer Zugang zum konkurrenzlos bedeutendsten Fest im Jahreskreis, in: Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für evangelische Bildungsarbeit 4 (2005).
- Hilger, Georg, Kinder, ihr Theologisieren und ihre religiöse Entwicklung, in: Hilger, Georg/Ritter, Werner (Hg.), Religionsdidaktik Grundschule. Handbuch für die Praxis des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts, München (Kösel) 2006, 92-106.
- Kaiser, Helga, Erzählungen von verfolgten und geretteten Herrscherkindern, in: Kath. Bibelwerk Stuttgart (Hg.), Welt und Umwelt der Bibel 58 (2010) 4, 42-43.
- Klaiber, Walter, Das Matthäusevangelium. Teilband 1. Mt 1,1 - 16,20, Neukirchen-Vluyn 2015.
- Konrad, Matthias, Das Evangelium nach Matthäus, NTD Bd. 1, Göttingen 2014.
- Kügler, Joachim, Geboren aus dem Tau des Himmels. Das göttliche Kind im Alten Testament, in: Welt und Umwelt der Bibel (2010) 4, Kindgötter und Gotteskind, 27-31.
- Lütze, Frank M., Die Lichterkrippe als Bekenntnis. Beobachtungen zu Weihnachtswissen und -deutungen ostdeutscher Jugendlicher, in: Roose,Hanna/Büttner, Gerhard/Schlag, Thomas (Hg.), „Es ist schwer einzuschätzen, wo man steht“. Jugend und Bibel, Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheologie Bd. 2, 2018, 132-141.
- Morgenroth, Matthias, Weihnachts-Christentum. Moderner Religiosität auf der Spur, Gütersloh 2002.
- Müller, Peter, Kindheitserzählungen nach Lukas und Matthäus, in: Lachmann, Rainer/Adam, Gottfried/Reents, Christine, Elementare Bibeltexte. Exegetisch – systematisch – didaktisch, Göttingen 2. Aufl. 2005, 243-253.
- Müller-Friese, Anita, Jesus (Christus), in: Büttner, Gerhard (Hg. u.a.), Handbuch Theologisieren mit Kindern: Einführung - Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart 2014, 310-320.
- Poplutz, Uta, Eine universale Jesusgeschichte. Das Matthäusevangelium, 2. überarb. Aufl. 2016.
- Reiß, Annike/Freudenberger-Lötz, Petra, Didaktik des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen, Stuttgart 2012.
- Roose, Hanna, Jesus Christus, bibeldidaktisch, Grundschule (2015), in: Das wissenschaftlich-religionspädagogische Lexikon im Internet www.wirelex.de
, (https://doi.org/10.23768/wirelex.Jesus_Christus_bibeldidaktisch_Grundschule.100043 , PDF vom 20.09.2018). - Schambeck, Mirjam, Biblische Facetten. 20 Schlüsseltexte für Schule und Gemeinde, Ostfildern 2017.
- Schlag, Thomas, Jugendtheologie und Bibel – hermeneutische Überlegungen im Horizont digitaler Lebens- und Kommunikationskulturen junger Menschen, in: Roose,Hanna/Büttner, Gerhard/Schlag, Thomas (Hg.), „Es ist schwer einzuschätzen, wo man steht“. Jugend und Bibel, Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheologie Bd. 2, 2018, 12-18.
- Schoberth, Ingrid, Der historische Jesus in religiösen Bildungsprozessen?, in: Schoberth, Ingrid/Kowaltschuk, Ina (Hg.), Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Christologie im Religionsunterricht, Münster 2010, 83-94.
- Schreiber, Stefan, Der jüdische Messias in Windeln, in: Welt und Umwelt der Bibel 4 (2010), Kindgötter und Gotteskind, 24-25.
- Strotmann, Angelika, Der historische Jesus: eine Einführung, Paderborn 2. aktual. Aufl. 2015.
- Strube, Sonja A., Weihnachts- und Kindheitsgeschichten Jesu, in: Zimmermann, Mirjam/Zimmermann, Ruben (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 2. rev. u. erw. Aufl. 2018, 160-165.
- Venetz, Herrmann-Josef, Der Evangelist des Alltags: Streifzüge durch das Lukasevangelium, Freiburg/Schweiz 2000.
- Wolter, Michael, Das Lukasevangelium, Handbuch zum Neuen Testament Bd. 5, Tübingen 2008.
- Zimmermann, Mirjam/Zimmermann, Ruben, Ist die Bibel wahr?, in: Zimmermann, Mirjam/Zimmermann, Ruben (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 2. rev. u. erw. Aufl. 2018, 735-739.
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download: