Jakob, bibeldidaktisch, Sekundarstufe
(erstellt: Februar 2017)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Jakob_bibeldidaktisch_Sekundarstufe.100265
Wohl keiner der Erzväter ist so zwiespältig wie Jakob. Als Sohn Isaaks und Rebekkas gehört er zu den Gründungsfiguren Israels; ja von ihm, dem Gottesstreiter (= Israel) bezieht Israel sogar seinen Namen. Die biblischen Texte, die von Gen 25,19
Die Schlüsselstelle des Jakobszyklus schlechthin stellt die Erzählung in Gen 32,23-33
Um die Bedeutung von Gen 32,23-33
1. Verortung des Jakobskampfes im Jakobszyklus – Intertextuelle Beobachtungen
Der Fluss Jabbok, der in Gen 32,23-33
Nach der wechselvollen Geschichte, die gezeichnet war von Betrug und Segen, kehrt Jakob wieder an den Jabbok zurück, als er endgültig heimatlichen Boden betreten will. Die Bedrohung durch seinen Schwiegervater Laban kann er zwar durch einen Versöhnungsvertrag entschärfen; sie sitzt ihm aber trotzdem noch im Nacken. Dazu kommt, dass ihm jetzt Esau, der betrogene Bruder, endgültig vor Augen steht. Jakob lässt Boten mit Geschenken zu ihm schicken, um ihn zu besänftigen. Und dennoch bleibt die Ungewissheit, ob der Übergang in das vertraute Land scheitert oder gelingt.
2. Die literarische Gebrochenheit als Spiegel menschlicher Brüche
Diese durch den Kontext gezeichnete Übergangssituation wird für Jakob und seine Sippe zur Entscheidungssituation über Leben und Tod, über Zukunft und Verderben und als solche gestaltet sie der Text auch literarisch aus. Das Wechselspiel von Betrug und Segen und damit auch von menschlicher Geschichte und der Geschichte Gottes verdichtet sich in Gen 32,23-33
2.1. Textaufbau und seine Brüche
Gen 32,23-33
Die zahlreichen Brüche und Doppelungen in dem kurzen Text ziehen eine Reihe von sogenannten „Leerstellen“ nach sich, also von Aussagen, die der Text selbst nicht ausgestaltet, die für die logische Abfolge der Erzählung aber vom Lesenden (unbewusst) gefüllt werden müssen.
Z.B. stellt sich mit V. 25 die Frage, wer dieser Jemand ist, der so unvorbereitet an Jakob herantritt und mit ihm kämpft. Oder mit V. 27 ist zu fragen, warum der Andere vor der Morgenröte Angst hat, und warum Jakob ausgerechnet den Segen als Bedingung für das Ablassen von ihm diktiert. Wie kann dieser unbekannte Kämpfer etwas über Jakobs Zukunft wissen und ihn Gottesstreiter nennen (V. 29)? Was erlaubt Jakob, den Kampf als Gotteskampf zu interpretieren und die Begegnung mit dem unbekannten Kämpfer als Sehen Gottes von Angesicht zu Angesicht zu deuten? Wie konnte dieser Unbekannte nach dem Segen so plötzlich verschwinden?
Nicht selten werden diese Leerstellen zu produktiven Orten, um auch die eigenen Geschichten, Deutungen und Erfahrungen in den Text hineinzulegen. Dass dieses Hineinverweben bewusst und nicht unreflektiert geschieht, markiert den Unterschied zwischen einer nicht hilfreichen Eisegese und einer aktualisierenden exegetischen Verheutigung (Schöttler, 2006, 13-33). Im Folgenden geht es deshalb darum, die Leserwelt ausdrücklich mit der Textwelt und ihren Leerstellen ins Gespräch zu bringen.
3. Leerstellen als „Füllbecken“ menschlicher Geschichten
Die Bibelstelle erhält ihre Brisanz vor allem dadurch, dass im Erzählduktus lange Zeit im Dunkeln bleibt, wer dieser „Jemand“ ist, der gleichsam aus dem Nichts kommt und sich in der Nacht an Jakob heranmacht, um mit ihm zu kämpfen.
3.1. Lebenskämpfe
Diese vom Text eröffnete Leerstelle wurde sowohl in der Bild – als auch in der Erzähltradition reich gefüllt. Diese „Füllungen“ knüpften zwar einerseits an die Deutung Jakobs in V. 31
3.2. Glaubenskämpfe
Noch brisanter werden diese Fragestellungen, wenn sie nicht nur auf die Lebensläufe im Allgemeinen hin formuliert werden, sondern Gott als Angreifer deutlich wird. Damit tritt die ganze Schärfe auf den Plan, die die Jakobsgeschichte insgesamt durchzieht: Gott ist einmal der Gott des Lebens und der Gerechtigkeit, dann wieder scheint er gerade dem Betrug Recht zu geben und seinen Segen über dem Listigen auszuschütten. In Gen 32,23-33
3.3. Versöhnt mit sich, den anderen und Gott
Jakob gibt nun zum ersten Mal in der erzählten Geschichte zu, dass er betrogen hat. Er tut dies, indem er dem Gegner seinen Namen nennt: Jakob = Betrüger. Erst daraufhin gibt ihm der unbekannte Kämpfer einen neuen Namen, setzt ihn als Ur-Vater des Volkes Israel ein und segnet ihn. Die Erzählungen über Jakob nach Gen 32,23-33
3.4. Chronologie als Biographie
Die Bearbeitung einer anderen Leerstelle kann ebenfalls helfen, die Jakobserzählung nicht nur als bloße Literatur, sondern als „Lebensgeschichte“ zu lesen. Im Kampf Jakobs mit dem Unbekannten spielen die Zeitangaben eine besondere Rolle. Nach Gen 32,25
In der Jakobserzählung kommt dabei der Morgendämmerung eine richtungsweisende Rolle zu. In der älteren Exegese wurde der Gegner als „Flussdämon“ identifiziert, dessen Macht und Einfluss mit der Morgenröte schwindet (Seebass, 1999, 395). Biblisch fundierter ist der intertextuelle Vergleich, mit dem der Morgen als Zeit des Eingreifens JHWHs konnotiert wird und damit als Zeit der Rettung und Befreiung gilt (Ex 14,24
4. Exegetische Einzelheiten
Um diese Füllungen der Jakobsgeschichte mit den eigenen Lebensgeschichten nicht am Text vorbei, sondern dessen Verheißungen aufnehmend und aktualisierend leisten zu können, ist es wichtig, über exegetische Einzelheiten Bescheid zu wissen.
Das Verb „ringen“ (abaq): Mit ihm wird in Gen 32,23-33
Der Name Israel: Im V. 29
Der Segen: Im Jakobskampf ist der Segen, den der Angreifer Jakob gibt, von zentraler Bedeutung. Er ist unmittelbar mit dem neuen Namen Israel verbunden. Weil Jakob den Kampf gekämpft und ihn ausgehalten hat – und zwar sowohl mit den Menschen (Esau und Laban), mit sich (V. 28a
Peniel: Der Ort des Kampfes und des Segens wird für Jakob zum Ort, an dem er Gott von Angesicht zu Angesicht begegnet. Dieses Wortspiel, das im Hebräischen auch durch die Klangähnlichkeit unterstrichen wird (hebräisch panim = Angesicht; hebräisch Peni-El), wird in Gen 32,31
Speisesitte: Die Erzählung vom Jakobskampf schließt mit der Bemerkung, dass seitdem in Israel auf die Verspeisung des Hüftmuskelnerves verzichtet werde. Dieses Gebot ist im AT singulär (Pola, 2014, 192).
5. Wenn Gott an den Menschen herantritt, bleibt nichts, wie es war
Die Erzählung vom Jakobskampf gehört damit zu den herausforderndsten biblischen Texten überhaupt. Sie provoziert nicht nur das theologische Sprechen über Gott, sondern zeigt auf ungeschönte Weise, mit welchen Abgründen der Mensch behaftet ist. Dass der Mensch trotz aller eingeschliffenen Lebensmechanismen nicht auf sie fixiert bleiben muss, sondern neu beginnen und damit neue Lebensradien beschreiten kann, kann sozusagen als horizontale Lesart des Jakobskampfes gelten. Dass Gott nicht locker lässt, auf allen (un-)möglichen Wegen immer wieder neu an den Menschen herantritt, um ihn zum Leben hin zu bewegen, ist die theologische Verheißung des Kampfes am Jabbok. Dass diese Zusage nicht nur für Jakob gilt, sondern an ihm für alle Leserinnen und Leser erzählt wird, macht die Heilsbotschaft aus, die auch heute noch entdeckt werden will.
6. Didaktische Ideen und Lernwege
Um die Vielfältigkeit der Jakobserzählungen und besonders des Jakobskampfes auch didaktisch einzuholen, bieten sich ganz unterschiedliche Lernwege an.
6.1. Auseinandersetzung mit Werken der bildenden Kunst
Schon weiter oben wurde auf die reiche Wirkungsgeschichte hingewiesen, die der Jakobskampf in der bildenden Kunst erzeugte. Die Auseinandersetzung mit Bildern aus unterschiedlichen Epochen und mit unterschiedlichen Akzentsetzungen erlaubt, die Akzentuierungen in der Jakobsgeschichte deutlicher wahrzunehmen und sich mit ihnen zu beschäftigen.
6.2. Sprechmotette
Der Jakobskampf nennt zwar nur wenige Protagonisten, doch kommen in ihm viele Stimmen, explizite und innere, vor. Solche können sein: Die inneren Vorgänge in Jakob, bevor er in der Nacht aufsteht und seine Familie und seine Habe über die Furt setzt; Bewegungen, die sich in Jakob selbst abspielen, als er allein am Ufer zurückbleibt; was in Jakob vorgeht, als dieser Jemand auftritt und mit ihm zu kämpfen beginnt; aber auch was den Unbekannten motiviert, was er will, ist mit solchen inneren Stimmen vergleichbar. Auch die Frauen und Kinder, der gesamte Clan samt Sklaven und Knechten, die in V. 23
In der Sprechmotette werden diese Stimmen laut, hören aufeinander, überschlagen sich, bringen die Dramaturgie zum Ausdruck, die den Jakobskampf bestimmt und versinnbilden so, was das innerste Gefüge von Gen 32,23-33
6.3. Textorientierte Lernwege
Der Jakobskampf mit seinen vielen Leerstellen lädt ein, diese, ähnlich wie in der Sprechmotette, bewusst zu füllen, indem die Schülerinnen und Schüler eingeladen werden, Textpassagen weiter zu schreiben. Dazu bieten sich an:
V. 25
V. 27a
V. 27c
V. 30
Die Lernwege, die je nach Lerngruppe und Fokus des Unterrichtssettings zu wählen sind, können beitragen, dass die Schülerinnen und Schüler den Text nicht als fremde, irrelevante Welt abtun müssen, sondern in den alten Texten auch ihre eigenen Themen aufspüren können.
Literaturverzeichnis
- Pola, Thomas, "Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt". Form und Inhalt von Gen 32,23-33, in: Theologische Beiträge 45 (2014) 3/4, 187-205.
- Schambeck, Mirjam, Biblische Facetten. 20 Schlüsseltexte für Schule und Gemeinde, Ostfildern 2017.
- Schambeck, Mirjam/Kropač, Ulrich, Eine (un-)heilvolle Begegnung: Dekonstruktive Bibelarbeit an Gen 32,23-33, in: Katechetische Blätter 128 (2003) 5, 376-382.
- Schöttler, Heinz-Günther, "Die göttlichen Werke wachsen, indem sie gelesen werden" (Gregor der Große), in: Schöttler, Heinz-Günther (Hg.), "Der Leser begreife!" Vom Umgang mit der Fiktionalität biblischer Texte, Biblische Perspektiven für Verkündigung und Unterricht, Berlin u.a. 2006,13-33.
- Seebass, Horst, Genesis II/2. Vätergeschichte II (23,1-36,43), Neukirchen-Vluyn 1999.
- Taschner, Johannes, Verheißung und Erfüllung in der Jakoberzählung (Gen 25,19-33,17). Eine Analyse ihres Spannungsbogens, Freiburg i. Br. u.a. 2000.
- Theuer, Gabriele, Jakob und Rahel, in: Zimmermann, Mirjam/Zimmermann, Ruben (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 2013, 296-300.
- Weimar, Peter, Beobachtungen zur Analyse von Gen 32,23-33, in: Biblische Notizen 49 (1989) 1, 58-94.
Abbildungsverzeichnis
- Die Verortung des Jakobskampfes im Jakobszyklus © bei der Autorin
- Textaufbau von Gen 32,23-33 © bei der Autorin
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