Pfingstgeschichte, bibeldidaktisch (Primar- und Sekundarstufe)
(erstellt: Februar 2021)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Pfingstgeschichte_bibeldidaktisch_Primar_und_Sekundarstufe.200861
1. Elementare Strukturen
Welche grundlegenden inhaltlichen Elemente der Pfingstgeschichte sind aus fachwissenschaftlicher Sicht im Blick auf Kinder und Jugendliche relevant?
1.1. Inhalt und Aufbau
Die Pfingstgeschichte steht im ersten Hauptteil (Apg 1,1-12,25
Die Darstellung gliedert sich in zwei Teile: Die Ausgießung des Geistes an Pfingsten mit dem Sprachenwunder (Apg 2, 1-13
1.2. Der Begriff Pfingsten
Der Begriff Pfingsten geht auf das griechische Wort pentēkostē zurück und bedeutet „der 50. (Tag)“. Die Wurzeln dieses Festes liegen im jüdischen Wochenfest Schawuot, das als Fest der Weizenernte am 50. Tag nach dem Passa mit einer Darbringung von Erntegaben im Jerusalemer Tempel gefeiert wurde. Nach Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. wird Schawuot mit der Gesetzgebung am Sinai verknüpft und seitdem als Fest des Geschenkes der Tora gefeiert (Weiser, 2011, 166). Innerhalb des sich neu formierenden Christentums wird Pfingsten zunächst nicht als eigenständiges Fest gefeiert. Erst im 4 Jh. etabliert sich der 50. Tag nach Ostern als Fest der Sendung des Heiligen Geistes.
1.3. Entstehung, Historizität und Erzählintention des Textes
Die narrative Struktur des Textes und die fehlenden außerlukanischen Quellen erschweren die Suche nach einem historischen Kern der Pfingstgeschichte. In der Fachwissenschaft wird daher kontrovers diskutiert, welche Teile der Erzählung aus der Feder des Lukas stammen, welche Quellen er verwendete und was auf historischen Erinnerungen fußt.
Relative Einigkeit besteht darin, dass der Erzählung ein Bericht von der Massenekstase der ersten Jünger in einem Haus in Jerusalem zugrunde liegen könnte (Pesch, 2005, 108; Gebauer, 2014, 38; Eckey, 2000, 69). Auch die besondere Stellung des Petrus in der Urgemeinde und die hinter der Pfingstpredigt liegende Botschaft sind historisch plausibel. Selbst das jüdische Schawuot-Fest wird als Datum des ersten öffentlichen Auftretens der Jünger in der Forschung vereinzelt für möglich gehalten (Eckey, 2000, 80; Roloff, 1981, 39).
Sehr unterschiedlich sind aber die Ansichten darüber, ob die Glossolalie, also das unverständliche, ekstatische Reden, und das Sprachenwunder, das bewirkt, dass alle Anwesenden die Jünger in ihrer Muttersprache verstehen, zum Traditionsgut gehörten, oder ob beide Erzählelemente erst von Lukas mit dem Pfingstgeschehen verknüpft wurden (Lüdemann, 1987, 47-49; Pesch, 2005, 99-101; Haacker, 2019, 52). Auch über den Ursprung der Theophaniemotive (→ Epiphanie, AT
Die Predigt des Petrus (Apg 2,14-41
Fest steht: Die Pfingstgeschichte ist sprachlich und stilistisch stark lukanisch geprägt. Lukas erzählt zu Beginn der Apg in einem bewusst komponierten Text, wie er sich die Entstehung der messianischen Gemeinschaft rückblickend vorstellt. Der Erzählzusammenhang spiegelt die Intention des Lukas wider, die Entstehung der „Kirche“ mit der Verheißung Jesu aus Apg 1,8
2. Elementare Zugänge
2.1. Pfingsten – das unbekannte Fest
Welches Vorwissen haben Kinder und Jugendliche möglicherweise zu Pfingsten und welche Hinweise geben Studien zur Bedeutung des Pfingsttextes für sie?
Pfingsten ist nach Ostern und Weihnachten das drittwichtigste christliche Fest. Dennoch haben große Teile der Bevölkerung nur eine sehr vage Vorstellung davon, warum dieses Fest gefeiert wird. Während zwischen 80 und 90% der Befragten die Bedeutung von Weihnachten und Ostern kennen, wissen dies bei Pfingsten nur etwa 50% (Emnid, siehe Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, 2012).
Diese Diskrepanz spiegeln auch Untersuchungen zum Bibelwissen von Kindern und Jugendlichen wider. In einer Untersuchung gaben 28% der Befragten aus der 6. und 7. Klasse an, die Pfingstgeschichte zu kennen. Damit erreicht sie nur Platz 15 von 18. Die Arche Noah, die Kreuzigung, die Auferstehung oder die Geburt Jesu kennen dagegen über 90% der Jugendlichen (Kammeyer/Büttner, 2011, 17). Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kommen Hanisch/Bucher auch für die 4. Klasse. Mit 5,2% kennt nur jedes achtzehnte Kind die Pfingstgeschichte. Bei den Lieblingsgeschichten ist Pfingsten mit 0,4% zwischen Jesus und der Ehebrecherin und Daniel in der Löwengrube zu finden (Hansch/Bucher, 2002, 24;40). In der Untersuchung von Gennerich und Zimmermann geben zwar 21% der befragten Jugendlichen an, die Geschichte zu einem vorgegebenen Bild nacherzählen zu können, dennoch können nur 11% einer bildlichen Darstellung der Apostel mit Feuerzungen über den Köpfen die richtige Überschrift zuordnen. Bei den für sie wichtigen Geschichten nennen nur 0,9% der Jugendlichen die Pfingstgeschichte (Gennerich/Zimmermann, 2020, 99;115).
Die Untersuchungen machen eins deutlich: Mit großer Wahrscheinlichkeit haben viele Grundschulkinder kein Vorwissen zur Pfingstgeschichte, und auch in der Sekundarstufe 1 ist davon auszugehen, dass die Pfingstgeschichte für die meisten unbekannt ist. Dies mag angesichts der Tatsache, dass Pfingsten in den Kerncurricula meist nur als Teilaspekt des Themas Kirchenjahr auftaucht, und auch in Schulbüchern oft ausgeklammert wird, für viele Lehrenden keine große Überraschung sein. Darüber hinaus zeigen die Untersuchungen, dass der Inhalt der Geschichte wenig Relevanz für die Lernenden besitzt. Vielleicht erklärt dies, warum auch Erwachsene hier nicht auskunftsfähig sind, selbst wenn sie in ihrer Schulzeit die Pfingstgeschichte kennengelernt haben.
2.2. Wie Kinder und Jugendliche die Pfingstgeschichte lesen
Kommt es zu einer (Erst-) Begegnung zwischen Pfingsttext und Lernenden, welche Deutungen sind dann zu erwarten?
Hier können Untersuchungen aus der Kindertheologie wichtige Hinweise geben.
Die Studie von Gerth zeigt, dass Schülerinnen und Schüler der Grundschule die Pfingstgeschichte grundsätzlich anders hören, werten und deuten als die der Sekundarstufe 1. Viertklässler setzen sich unmittelbar mit der Geschichte auseinander, können sich problemlos in die Jünger hineinversetzen und deren Veränderung nachvollziehen. Das Wirken des Heiligen Geistes wird von ihnen in der Geschichte meist nicht in Frage gestellt und direkt mit den ungewöhnlichen Naturphänomenen oder der Veränderung der Jünger verknüpft (Gerth, 2011, 288-300). Zu beachten ist hier, dass analog zu den entwicklungspsychologischen Stufenmodellen von Oser/Gmünder oder Fowler (→ Entwicklungspsychologie
Die Jugendlichen drücken eine große Distanz zur Geschichte aus. Sie besitzt keine Relevanz für ihr Leben und Erleben. Eine Identifikation mit den Jüngern fällt ihnen schwer. Für sie steht die Frage nach dem tatsächlichen Geschehen und einer Erklärung der Phänomene im Zentrum des Interesses. Das Sprachenwunder fasziniert sie und wird ganz unterschiedlich gedeutet. Die Jugendlichen lesen die Geschichte als Science-Fiction, als Gruselgeschichte oder als Werbetext für das Christentum. Das Wirken des Heiligen Geistes wird daher als Trick, Erfindung oder didaktischer Kniff des Lukas verstanden (Gerth, 2011, 313-316).
3. Elementare Erfahrungen
Welche Erfahrungen aus dem Pfingsttext sind für Kinder und Jugendliche nachvollziehbar und wie passt das zu den Erfahrungen, die zur Entstehung des Textes geführt haben?
3.1. Dieselbe Sprache sprechen – Gemeinschaft
Die Apostelgeschichte erzählt, aus der Sicht des Lukas, von den (geistgewirkten) Erfahrungen der ersten „Christen“. Die Motive und Schilderungen, die Lukas für das Wirken des Geistes verwendet, ähneln der Bildsprache für Theophanien im AT (→ Epiphanie, AT
3.2. Begeisterung und Mut
Die Erfahrung, sich für etwas zu begeistern und sprichwörtlich Feuer und Flamme zu sein, kennen die Schülerinnen und Schüler. Während Grundschulkinder wohl eher die übersprudelnde Begeisterung nachvollziehen können, die dafür sorgt, dass man etwas besonders Wichtiges einfach nicht für sich behalten kann, ist für die Jugendlichen wahrscheinlich auch die Erfahrung einsichtig, dass es Mut (und vielleicht eine besondere Kraft) braucht, öffentlich etwas Unangenehmes auszusprechen. Hier knüpft die Frage an, was Jugendliche heute bewegt und wofür sie auf die Straße gehen würden.
3.3. Spirituelle Erfahrungen
Ein Blick auf Untersuchungen zu spirituellen Erfahrungen von Jugendlichen zeigt Erstaunliches. Laut einer Studie der Uni Tübingen geben dreiviertel der Jugendlichen an, in ihrem Alltag zu beten (Schweitzer, 2018, 21). Streib verweist darauf, dass ca. 12-15 % der Jugendlichen von sich selbst behaupten, spirituell zu sein und zeigt auf, dass diese Selbsteinschätzung auch mit mystischen Erfahrungen zusammenhängt (Streib, 2017, 21-25). In diesem Kontext ist auch die wachsende Zahl der Pfingstgemeinden und charismatischen Bewegungen zu beachten. Zwar ist die Zahl der Gemeindemitglieder mit ca. 300.000 in Deutschland überschaubar, doch weltweit machen die Pfingstkirchen ca. ein Viertel der Christen aus. Schülerinnen und Schüler mit einem pfingstkirchlichen Hintergrund bringen möglicherweise ganz eigene Erfahrungen in den Unterricht ein.
4. Elementare Wahrheiten und Fragen
Welche Glaubens- und Wahrheitsfragen können bei der Thematisierung der Pfingstgeschichte aufbrechen?
4.1. Fragen nach dem Wirken Gottes
Die Pfingstgeschichte schildert sehr bildhaft das Wirken Gottes durch seinen Geist. Für Schülerinnen und Schüler ist diese unmittelbare Erfahrbarkeit des Heilshandeln Gottes fragwürdig und lässt sich weiter zuspitzen in der Frage: (Wie) kann Gott in unserem Alltag erfahren werden? Kann er durch seinen Geist in der Gemeinde wirken? Hier bricht eine der grundlegenden Fragen des Religionsunterrichts auf, nämlich die nach dem Gottesbild der Schülerinnen und Schüler. Wie lässt sich erklären, dass das für uns so merkwürdig anmutende Geschehen Ausdruck von Gottes Wirken sein soll?
4.2. Fragen nach dem Wahrheitsgehalt der Geschichte
Jugendliche fragen vor allem nach dem historischen Wahrheitsanspruch der Geschichte. Ist das, was Lukas hier beschreibt wirklich passiert oder liegt dem Text eine andere Auffassung von Wirklichkeit zugrunde, die nicht als historischer Bericht verstanden werden kann (siehe 1.3)? Gennerich und Zimmermann machen in ihrer Studie deutlich, dass für Jugendliche die Frage nach dem Wahrheitsanspruch einer Geschichte viel mehr umfasst als nur die Frage nach dessen Historizität. Es geht auch um einen lebensweltlichen Anwendungsbezug der Texte (Gennerich/Zimmermann, 2020, 197).
4.3. Fragen nach der Bedeutung von Kirche und Glauben
Schließlich wirft die Pfingstgeschichte, durch das in ihr transportierte Bild der ersten Gemeinde, die Frage auf nach dem Bild, das die Schülerinnen und Schüler von Kirche und Gemeinde haben. Was verbinden sie mit Kirche? Welche Bedeutung hat Kirche in ihrem Alltag? Wirkt der Heilige Geist, wie Lukas dies schildert, als Motor der Heilsgeschichte (Schnelle, 2016, 479) tatsächlich bis heute in der Kirche und wie geisterfüllt sind ihre Mitglieder heute?
5. Elementare Wege
Welche Lernarrangements ergeben sich aus den bisherigen Schritten der Elementarisierung?
5.1. Theologisieren über das Wirken des Heiligen Geistes
Die Pfingstgeschichte zeigt: Geist-Erfahrungen lassen sich nicht genau beschreiben und festmachen. Lukas verwendet daher Bilder. Er spricht von einem Brausen, wie von einem Sturm und von Zungen, wie von Feuer. Das, was hier geschieht, ist aber nicht genauer beschreibbar. Beobachtbar sind nur die Folgen. Schon bei Lukas ist das Geschehen offen für Interpretationen. Das begeisterte und begeisternde Auftreten der Jünger kann ein Zeichen für das Wirken Gottes sein. Der Vorwurf „die sind betrunken“ zeigt aber, dass es auch eine ganz andere Erklärung geben könnte, und öffnet den Text für gemeinsames Theologisieren! Nimmt man die Pfingstgeschichte in ihrer Vielschichtigkeit in den Blick, so bietet sie zahlreiche Möglichkeiten, mit den Schülerinnen und Schüler über ihren Glauben und ihre Vorstellungen von Gott, Gemeinschaft und Kirche ins Gespräch zu kommen. Wichtig dabei ist, die Verstehensvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen im Blick zu behalten (siehe 2.2). Eine Orientierung zum Setting theologischer Gespräche mit Kindern geben Artikel aus den Jahrbüchern für Kindertheologie (Freudenberger-Lötz/Schreiner, 2004,109-117; Orth/Gerth, 2008, 123-136). Ideen zum Theologisieren mit Jugendlichen bietet der Sammelband KU Praxis - Heiliger Geist (Gäfgen-Track/Haeske/Löhmannsröben, 2015).
5.2. Die Pfingstsymbole erschließen und erfahren
Über die Pfingstsymbole Wind und Feuer ist eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit der Pfingstgeschichte anhand der vier Aneignungswege nach Schweiker möglich. Ideen dazu finden sich beispielsweise in den „Arbeitshilfen Religion inklusiv“ (Schweiker, 2014), in dem Band „Religion unterrichten in konfessionell-gemischten Lerngruppen“ (Felber/Weißenfeldt, 2017, 56-66) oder den „Arbeitshilfen inklusive Konfirmandenarbeit“ (Munk/Schaaf, 2019).
5.3. Motivation, Erneuerung, Veränderung
Gerade jüngere Kinder finden über die Thematisierung der Gefühle der Jünger einen guten Zugang zur Geschichte und zum Wirken des Heiligen Geistes (Gerth, 2011, 296f.). Dies nutzen zahlreiche Schulbücher und didaktische Materialien (z.B. Konevic/Paul, 2009, 24-29; Peters, 2015, 24-27; Kuhl, 1994). Für Jugendliche eignet sich hier beispielsweise die DVD „Spirit – Gottes Geist verändert Menschen“ oder ein Unterrichtsvorschlag aus dem Material „Das Kirchenjahr im Religionsunterricht“ (Heger/Stark/Schorz, 2009, 93-104).
5.4. Gemeinschaft und Entstehung der Kirche
Die unter 3.1 und 4.3 herausgearbeiteten elementaren Zugänge und Fragen werden in vielen Unterrichtsideen zum Thema Pfingsten aufgegriffen. Ein exemplarisches Beispiel für die Grundschule findet sich in den „Arbeitshilfen Religion Neu Grundschule – Feste im Kirchenjahr“ (Hauser/Hermann, 2014, 183-214). Mehrere Ideen für die Sek 1 bietet die Zeitschrift Zeitsprung (AKD 2018).
5.5. Der Wahrheitsanspruch der Pfingstgeschichte
Die Jugendlichen zeigen ein feines Gespür für die Differenz zwischen Wahrheit und Wirklichkeit des Textes (siehe 2.2; 4.2). Einige halten den Text zwar für historisch unplausibel, würdigen aber den didaktischen Kniff des Lukas so die Ausbreitung der messianischen Bewegung zu erklären. Ein Achtklässler fasst das stark verkürzt so zusammen: „Man weiß ja nicht, ob die Geschichte wahr ist. Dazu erfunden ist sicherlich der Heiligen Geist. Aber wenn wir eine eigene Geschichte dazu machen müssten, würde ich das auch so schreiben. Weil es spannender klingt. Denn es ist ja langweilig, wenn da irgendwelche rumgezogen sind und gesagt haben ‚tretet dieser Religion bei‘“ (Gerth, 2011, 279). Hier lässt sich anknüpfen, um im Sinne von Zimmermann und Zimmermann das eng begrenzte Wahrheitsverständnis der Lernenden zu entgrenzen, indem ein kumulatives Verständnis von Wahrheit in der Bibel angeregt wird (Zimmermann/ Zimmermann, 2018, 736).
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