Deutsche Bibelgesellschaft

Erinnerung/Erinnerungslernen

Schlagworte: Erinnerungskultur, Gedenken, remembrance, memory

(erstellt: Januar 2015)

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1. Hinführung

Die Begriffe Erinnerung und Erinnerungslernen werden im deutschen Sprachraum im Kontext von Bildungsprozessen fast ausschließlich im Zusammenhang mit dem historischen und gesellschaftlichen Gedenken an die Katastrophe des Holocaust (der Schoah; → Auschwitz/Auschwitz-Gedenken) verwendet, meist im inklusiven Sinn, sodass der Mord an anderen Bevölkerungsgruppen in der NS-Zeit mit gemeint ist. Erinnerung an diese Menschheitsverbrechen ist niemals eine ausschließlich rückwärts, in die Vergangenheit gewandte Bewegung, die zwar die Voraussetzung für Gedenken und Lernen ist und im Blick auf die Würde der Opfer ihre eigene Bedeutung hat. Der Lernprozess zielt jedoch immer auch auf eine Aktualisierung, eine Verbindung mit der Gegenwart. Lernende (→ Lernende) sollen angesichts der vergangenen Ereignisse für gegenwärtige Prozesse in → Gesellschaft und Welt sensibilisiert werden, um analoge Mechanismen der Demütigung, Ausgrenzung, des Hasses und der Gewalt zwischen Volksgruppen verstehen, kritisch bewerten und im Idealfall bekämpfen zu können.

Diese doppelte Bewegung – vergangenheits- und zugleich gegenwarts- beziehungsweise zukunftsorientiert – führt Erinnerung und Erinnerungslernen in die unmittelbare Nähe von religiösen Lehr-Lernprozessen im Horizont der jüdischen und christlichen Tradition, die von einer analogen Bewegung bestimmt sind: dem Blick zurück auf Bibel und Tradition, insbesondere auf die Geschichte des Leidens – und gleichzeitig dem Blick nach vorn, in Gegenwart und Zukunft des Zusammenlebens der Menschen. Aus diesem Grunde sind religiöse Lehr-Lernprozesse besonders ‚erinnerungssensibel‘.

2. Erinnerung als theologische Basiskategorie

Religiöses Lernen in der Tradition der Bibel erfolgt stets als Erinnerung an biblische Geschichten und Erzählungen von Menschen, die aus der Beziehung zu Gott (→ Gott) lebten beziehungsweise ihre Welt, Wirklichkeit und Erlebnisse im Horizont der Gottesbeziehung deuteten (vgl. Greve, 1999). Diese Erfahrungen und Deutungen schlugen sich in den Texten der Bibel nieder. Biblisches Lernen (→ Bibeldidaktik, Grundfragen) in Judentum und Christentum – vermutlich auch der Umgang mit schriftlichen Traditionen in anderen Religionen – ist demnach immer Erinnerungslernen, da durch die Erzählungen (→ Erzählen) und Deutungen den Lernenden von heute Muster angeboten werden, wie sie ihre Welt und ihre eigenen Erlebnisse interpretieren und neu verstehen können.

Prägnantes Beispiel dafür ist die wichtigste ‚Erziehungsinstanz‘ des Judentums (→ Judentum; → Religiöse Erziehung im Judentum), der jüdische Kalender, in den Kinder von klein an eingeschrieben werden und dessen Rhythmen und Feste eminent erinnerungsbezogen sind (Demsky, 2007). An Pessach beispielsweise steht die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten so sehr im Mittelpunkt der Erzählungen und Riten, dass sich die Feiernden voll und ganz mit dem Exodusgeschehen identifizieren, so, als wären sie selbst in Ägypten versklavt gewesen und aus der Sklaverei von Gott befreit worden. Individuelle und kollektive Erinnerung verschmelzen, beide wirken identitätsbildend – als persönliche ebenso wie als soziale Identität (im Sinne von Zugehörigkeit).

Christliche Erinnerung macht sich an den Erzählungen über Leben, Botschaft und Schicksal des Jesus von Nazareth (→ Christus) fest. Auch hier deuten die neutestamentlichen Geschichten Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi (→ Passion und Auferstehung, bibeldidaktisch, Grundschule; → Passion und Auferstehung, bibeldidaktisch, Sekundarstufe) so, dass sie zum umfassenden Interpretations- und Verständnisrahmen der Glaubenden werden können. Traditionelles religiöses Lernen in Katechese (→ Katechetik), Predigt und christlichem Unterweisen ist demnach Deutungslernen im Kontext von Erinnerung.

Erinnerung als (religiöse) Deutung und Bedeutung von historischen Ereignissen im Spannungsfeld von (Kirchen-)Geschichte (→ Kirchengeschichte) und Gegenwart unterscheidet sich zentral von geschichtswissenschaftlich basierter Historiographie, die versucht, möglichst genaue Rekonstruktionen der historischen Sachverhalte zu gewährleisten (Yerushalmi, 1988). Beide Größen, Erinnerung und Geschichte, sind in einem dialektischen Verhältnis zu sehen: (Religiöse) Erinnerung braucht historisch-kritische Reflexion, Historiographie braucht deutende Orientierung.

Der Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz hat in Abgrenzung zu griechisch-platonischem Erinnerungsdenken (z.B. Platons Anamnesis-Lehre) und dessen Wirkungsgeschichte unter Rückgriff auf biblisches Verständnis sowie auf jüdische Theologie (→ Theologie) und Philosophie (insbesondere Walter Benjamin) Erinnerung als zentrale theologische Kategorie restituiert (Metz, 1992a). Dabei ist vor allem das Gedenken der Leidenssituationen in der Menschheitsgeschichte als memoria passionis ein Schlüssel für theologische Geschichts- und Gegenwartsdeutung (Metz, 2006). Das Leiden in Vergangenheit und Gegenwart, in Auschwitz (→ Auschwitz/Auschwitzgedenken) und im ungerechten Leiden der Armen heute ist für eine leidsensible Theologie und Glaubensgemeinschaft zentraler Ort theologischer Erkenntnis (Petzel/Reck, 2003).

Aus der religiösen Pflicht zur Erinnerung folgt für heutige Kirche und → Gesellschaft das Desiderat einer „anamnetischen Kultur“ (Metz, 1992b), in dem der Ort und das Geschehen, für das der Name Auschwitz steht, einen Brennpunkt darstellt, um andere Situationen des Leidens, der Verfolgung und des Hasses deuten und bekämpfen zu können. Wichtig zu sehen ist, dass die religiöse Dimension des Gedenkens für den gesellschaftlichen Diskurs bislang viel zu wenig beachtet wurde (Boschki/Gerhards, 2010).

3. Erinnerung als gesellschaftliche, kultur- und bildungswissenschaftliche Kategorie

Im deutschen Sprachraum setzten sich im vergangenen Jahrzehnt die Begriffe „Kultur der Erinnerung“ oder „Erinnerungskultur“ als Termini für die Suche nach einem gesellschaftlich angemessenen Gedenken des Holocaust durch (Assmann, 2013 und 2006). Der Kulturbegriff deutet an, dass es nicht länger um ein Gedenken gehen kann, das von oben herab politisch-staatlich verordnet wird, z.B. an ‚Volkstrauertagen‘ und durch offizielle Gedenkfeiern, oder das in vorgegebenen Bildungsprogrammen zum Ausdruck kommt. Immer deutlicher wird, dass in multikulturellen und multireligiösen Zusammenhängen verschiedene Erinnerungstraditionen beziehungsweise Gedenkkulturen aufeinandertreffen und nicht selten im Widerspruch zueinander stehen (Leggewie, 2011; Welzer, 2007). In der Gesellschaft von heute, die in einem tiefgreifenden Transformationsprozess steht, der insbesondere durch die immer bedeutendere Stellung der neuen Kommunikationsformen und Medien (→ Medien) vorangetrieben wird, ist Erinnerung keineswegs ein monolithischer Block, nicht einmal innerhalb einer Nation oder sozialen, ethnischen, religiösen Gruppe (Frieden, 2014). Aufgrund der → Pluralisierung der Gesellschaft ist Erinnerung mehr denn je ein kontingentes und unabschließbares Geschehen, das von Generation zu Generation und zwischen den verschiedenen Gruppen immer wieder neu ausgehandelt und vor dem Hintergrund neuer Erfahrungen, insbesondere historisch-politischer und sozialer Entwicklungen, re-kontextualisiert wird beziehungsweise werden muss.

Erinnern ist eine individuelle und gleichzeitig eine kollektive Größe, die nicht unabhängig voneinander gedacht werden dürfen. Als individuelle Fähigkeit ist sie ein komplexer Konstruktionsprozess (Schacter, 1999, 71-121; Welzer, 2008), bei dem Wirklichkeit aufgrund von Vorerfahrungen, früheren Erinnerungen und deren Wiedergabe sowie aufgrund von sozialen Interaktionen gedeutet wird. Erinnerung ist Deutung, Konstruktion und Rekonstruktion von Vergangenem im sozialen Prozess („kollektives Gedächtnis“; Halbwachs, 1985), wobei der Diskurs- und Deutungsmacht im gesellschaftlich-politischen Prozess wesentliche Bedeutung zukommt und diese stets kritisch dekonstruiert werden muss. Kulturwissenschaftliche Forschungen hierzu haben sich in dem rasant wachsenden Zweig der „Cultural Memory Studies“ vereinigt (Überblick: Erll/Nünning, 2010), die Kultur- und Geschichtswissenschaft, soziale, politische, philosophische Gedächtnistheorien, psychologische, literatur- und medienwissenschaftliche Forschungen umgreifen.

Für die ‚Bildung‘ von individuellen und kollektiven Erinnerungen ist deren „emotionale Einbettung“ (Welzer, 2008, 125-151) entscheidend. Erinnert wird vor allem das, was mit Gefühlen, seien es positive oder negative, verbunden ist. Emotionen bewerten die Bedeutung von Ereignissen und sind selbst Gegenstand des Erinnerns, das heißt wir erinnern uns in erster Linie an die Gefühle, die wir mit bestimmten Ereignissen (individuell oder kollektiv) verbinden. Neben der emotionalen ist die reflexive Dimension für Bildungsprozesse entscheidend (Krause, 2014): Für Lernende geht es darum, die Kontingenz von überlieferten Erinnerungen als Deutungen und Konstruktionen ihrer Zeit zu verstehen, sie kritisch, insbesondere machtkritisch zu reflektieren und die Fähigkeit zu einer eigenen, selbstreflexiven und kritischen Erinnerungskultur auszubilden (Flierl/Müller, 2009).

4. Religionspädagogische Fokussierung

Wie oben erwähnt, hat religiöses Lernen eine besondere Nähe zu Erinnerungslernen im Allgemeinen ebenso wie im Blick auf den Holocaust, weshalb es seit den 1990er Jahren verstärkt zu Ansätzen einer ‚anamnetischen Religionspädagogik' gekommen ist (u.a. Wagensommer, 2009; Boschki, 2005; Petzold, 2001; Langer, 1997; Wermke, 1997). Sie versuchen, die Bedeutung des Lernens von Erinnerung im Feld religiöser Bildung (Religionsunterricht [→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch], Jugendarbeit [→ Jugendarbeit, evangelisch; → Jugendarbeit, katholisch], → Katechese beziehungsweise → Gemeindepädagogik, → Erwachsenen- und Seniorenbildung) zu konzeptualisieren. Die wichtigsten Leitlinien sind (auch Koerrenz, 2013):

– Überwältigungsverbot: Entgegen früherer, meist unreflektierter, emotionalisierender Schockpädagogik, mit deren Hilfe man meinte, Lernende an das Thema der Massenvernichtung heranführen zu können (z.B. durch Filme von KZ-Dokumenten mit Leichenbergen von Opfern), gilt das Überwältigungsverbot. Lernenden muss stets die Möglichkeit gegeben werden, sich zu den Themen des Lernens in kritisch-reflexive Distanz zu setzen, um sich einen eigenen Zugang und Standpunkt zu verschaffen.

– Doppelte Subjektorientierung: Während sich die Orientierung an den → Subjekten als Ziel religiöser Bildung (→ religiöse Bildung) und Erziehung sowie „Subjektwerdung fördern“ als Maximen allen religionspädagogischen reflektierten Handelns (Schröder, 2012, 232-246) in der religionspädagogischen Theoriebildung weitgehend durchgesetzt haben, ist im Kontext des Erinnerungslernens eine zweite Subjekthaftigkeit ernst zu nehmen: die der historischen Personen, die nicht passive Objekte (z.B. nur „Opfer“), sondern Menschen einer bestimmten Tradition sind, aus konkreten Familien stammen und eine markante Biografie haben (Boschki/Schweitzer, 2003; Fuchs/Boschki/Frede-Wenger, 2001).

– Biografie- und Ortsorientierung: Aus diesem Grund ist es für die religionspädagogische Theorie und Praxis des Erinnerungslernens entscheidend, die historisch konkreten Menschen aufzuspüren, sich ihrer Lebensgeschichte zuzuwenden, den Erzählungen, Tagebüchern, Briefen oder Orten (Häuser, Stadtteile etc.), an denen sie gelebt, geliebt, gefeiert und geglaubt hatten. Die Geschichte einer einzelnen Person oder von Familien, die dem Holocaust zum Opfer fielen beziehungsweise ihm knapp entkommen konnten, ihre lokalen Lebens- und Leidensorte, können Lernende weit mehr sensibilisieren als die alleinige Konzentration auf Fakten (durch unbekannte Biografien ebenso durch große Namen wie Elie Wiesel). Hier verbindet sich religiöse Bildung mit der neueren Entwicklung der Gedenkstättenpädagogik, die auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden achtet, ihren Fragen, Blockaden, Zweifeln Aufmerksamkeit schenkt und ihnen eine aktive Rolle im Lernprozess einräumt (Thimm/Kößler/Ulrich, 2010).

– Der größere Kontext des jüdisch-christlichen Lernens: Das Verhältnis zwischen Christen und Juden ist aufgrund historischer und theologischer Bedingungen ein besonderes, weshalb beim Erinnerungslernen immer dieser größere theologische Horizont mitreflektiert werden muss. Christentum und Judentum haben eine besondere historische, theologische und soteriologische Interaktionsgeschichte, die von Jesus, dem Juden aus Nazareth, und seinen jüdischen Jüngern bis zur bleibenden heilsgeschichtlichen Bedeutung des → Judentums reicht. Erinnerungslernen im Blick auf den Holocaust schreibt sich deshalb in die Theorie und Praxis christlich-jüdischen Lernens ein, die von Initiativen wie dem „Freiburger Lernprozess Christen-Juden“ (unter anderem Biemer/Biesinger/Fiedler, 1984) auf eine völlig neue Grundlage gestellt wurden.

– Antisemitismus-Bekämpfung: Aus diesem Grund kann sich religiöse Bildung nicht neutral zu Themen der Erinnerung verhalten, sondern muss nicht nur aus allgemein menschlichen, sondern gerade aus theologischen Motivationen heraus allen antijüdischen und judenfeindlichen Tendenzen eine klare Absage erteilen.

– Religiöse Bildung als Menschenrechtslernen: Im Zusammenhang mit erinnerungsgeleiteter → Religionspädagogik wird in besonderer Weise deutlich, dass religiöse Bildung auf den ganzen Menschen, auch in seinem politisch-gesellschaftlichen Kontext zielt. Erinnerungslernen trägt bei zur Sensibilisierung in Fragen der Menschenrechte, des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit, die nicht nur Juden, sondern alle ethnischen, religiösen und sozialen Gruppen betrifft (Schwendemann/Boschki, 2009).

– Ethische und selbstkritische Orientierung: Erinnerungslernen regt idealerweise in der Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen zur eigenen → ethischen Urteilsbildung an, die die Gegenwartsbedeutung erkennt und damit eine kritische Reflexion der heutigen Verhältnisse in Kirche und Gesellschaft sowie eine kritische Selbstreflexion in Gang setzt.

5. Beispiele religionsdidaktischer Realisierung

Religionslehrerinnen und -lehrer sind oft Akteure schulischer Lehr-Lernprozesse im Kontext der Holocaust-Erinnerung. Auch Kirchengemeinden oder kirchliche Institutionen auf übergeordneter Ebene (z.B. Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen = ACK, Verbände, Diözesen) sind bedeutende Trägerinnen der Erinnerungskultur im deutschsprachigen Raum, wobei eine Fülle von Aktivitäten zu verzeichnen ist. Bei den didaktischen Entwürfen werden idealerweise theologische, allgemeinpädagogische und religionspädagogische Reflexionen zugrunde gelegt. Nur einige wenige Beispiele sollen hier genannt werden:

– Interdisziplinäre, fächerübergreifende Gedenkaktionen: Häufig werden schulische Unternehmungen (z.B. zum 9. November oder 27. Januar; Theaterstücke, Gedenkstunden, Gedenkstättenbesuche) in Kooperation verschiedener Fächer durchgeführt. Religiöses Erinnerungslernen erfolgt nicht isoliert, sondern verbindet sich in Theorie und Praxis mit historischer, politischer oder → ästhetischer Bildung, was in schulischen Lernprozessen eine enge, fächerübergreifende Herangehensweise bedeutet. In manchen Schulen werden schulinterne Curricula zu diesem Thema entworfen und erfolgen genaue Abstimmungen zwischen den Fächern sowie über die Jahrgangsstufen hinweg, was das Gefühl der Übersättigung zum Thema Holocaust auf Seiten der Schülerinnen und Schüler vermeiden hilft.

– Biografieorientierte Gedenkveranstaltungen: Selbst bei kommunalen Gedenkveranstaltungen sind oft kirchliche Kreise wesentlich beteiligt, oft auch Schülerinnen und Schüler aus dem Religionsunterricht. Dabei ist auffällig, dass in den vergangenen Jahren immer stärker auf konkrete Biografien von Opfern Wert gelegt wird. Sie werden im Kontext der Veranstaltung erzählt, zum Teil von Jugendlichen im Vorfeld selbstständig recherchiert und bisweilen durch öffentlichkeitswirksame Aktionen (Ausstellungen, Websites, → Stolpersteinverlegung etc.) von den Lernenden selbst bekannt gemacht.

– Kreativer Umgang mit Erinnerung. Jugendgruppen, die sich in ökumenischer Zusammensetzung um das Schicksal der jüdischen Gemeinden in der NS-Zeit kümmern, haben (wie beispielsweise im badischen Raum) Gedenksteine in allen Gemeinden, aus denen Juden im Nationalsozialismus deportiert wurden, künstlerisch gestaltet und aufgestellt sowie ein zweites Exemplar an einer zentralen Gedenkstätte errichtet, wobei sie gleichzeitig die Namen aller Deportierten und deren Biografien erarbeitet hatten.

– Zeugnisse der Zeitzeugen: Da die Zeitzeugen (→ Zeitzeugenbefragung) immer weniger werden, gewinnen deren Zeugnisse an Bedeutung. In kirchlichen Jugendgruppen ebenso wie im Religionsunterricht werden deren Tagebücher oder Autobiografien (z.B. „Die Nacht“ von Elie Wiesel oder Videodokumente) gelesen und wahrgenommen, ihr Zugang zur Gottesfrage angesichts von Auschwitz diskutiert und Konsequenzen für Kirche und Gesellschaft heute gezogen.

Während die Liste um ein Vielfaches verlängerbar wäre, wird deutlich, dass solche Beispiele impulsgebend für Nachahmerprojekte sein können. Indes sind empirische Bestandsaufnahmen der Erinnerungspraxis im Kontext religiöser Bildung sowie Evaluationsstudien zu den Wirkungen von Erinnerungslernen im Religionsunterricht ein dringendes Desiderat.

Literaturverzeichnis

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