Geschichtsbewusstsein
Schlagworte: Bewusstsein, historisches
(erstellt: Januar 2015)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Geschichtsbewusstsein.100050
Wenn man die Bedeutung des historischen Bewusstseins in Bezug auf das religiöse Lernen (→ Bildung, religiöse
Andererseits inhäriert nicht nur dem Religiösen und der Religiosität eine (im Falle des Christentums doppelte) historische Dimension, sondern auch das historische Denken respektive das Geschichtsbewusstsein besitzen eine religiöse Dimension, insofern historische Aussagen Bedeutungszumessungen in der Zeit darstellen, die sich
- 1.auf kulturelle Ausdrucksformen des Religiösen in der Vergangenheit beziehen können,
- 2.die Religiosität als Interpretament für die Deutung vergangener Sachverhalte verwenden können und
- 3.bei denen Religiosität als Wertungsparameter für die Zumessung von Bedeutung vergangenen Geschehens für die Gegenwart Anwendung finden kann.
1. Geistes- und Geschichtswissenschaft
Eine zentrale Rolle spielt das Geschichtsbewusstsein vor allem in der Didaktik der Geschichte, die sich seit Beginn der 1970er Jahre als Wissenschaft vom „Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft“ (Jeismann, 1977, 12) definiert, das sie in theoretischer, empirischer und pragmatischer Hinsicht zu erforschen sucht. Bevor das Geschichtsbewusstsein die Rolle der zentralen Kategorie dieser Teildisziplin der Geschichtswissenschaft gewinnen konnte, hatte sie freilich bereits ein beträchtliches Vorleben. Denn historisches Bewusstsein ist ein im alltäglichen Sprachgebrauch wenig präziser Begriff, der nicht selten mit der Verfügbarkeit über möglichst umfangreiche historische Wissensbestände gleichgesetzt wird oder aber mit dem Bewusstsein, dass Zeit eine grundlegende Dimension menschlicher Existenz ist (Augustinus).
In dieser zweiten Hinsicht etablierten vor allem die Geisteswissenschaften das historische Bewusstsein in ihrer wissenschaftlichen Terminologie. Allen voran Wilhelm Dilthey, der in Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften seiner Zeit, die das Äußere des Lebens zu erkunden und in gesetzmäßigen Systemen zu erfassen suchten, hervorhob, dass der Mensch die äußeren Erscheinungen seiner Existenz stets nur als Anschauung erfassen und verstehend verarbeiten könne. Für diesen Prozess, der keineswegs in reflektierter Form vonstattengehen muss, prägte er den Begriff des Bewusstseins. Insofern dieses sich auf Erscheinungen der (vorbiographischen) Vergangenheit bezieht, ist die Rede vom historischen Bewusstsein oder von Geschichtsbewusstsein. Darin werden die → Erfahrungen
Insofern Dilthey die Gesamtheit des Lebens zum Gegenstand der Geisteswissenschaften erklärte, erhob er zugleich das Insgesamt der menschlichen Lebensäußerungen in der Vergangenheit zum Gegenstand der Geschichte. Und der Erfahrungsraum der Geschichte, in dem sich das Bewusstsein oder der Geist der Menschheit widerspiegelt, gewinnt für alle geisteswissenschaftliche Betrachtung eine besondere Bedeutung, denn „von allem, was die Welt enthält, ist das, was wir ‚Geschichte‘ nennen, dem Menschen am nächsten. Denn es ist einerseits sein Schicksal, andererseits und besonders sein eigens Werk“ (Litt, 1942, 3).
Das historische Denken bewegt sich folglich in einem verwobenen Geflecht von historischer Bedingtheit und gegenwärtigen Möglichkeiten historischer Re-Konstruktion, wenn es aus dem Sinnverstehen der Vergangenheit neuen Sinn für auf Zukunft gerichtetes Handeln zu generieren sucht (Sinnbildung über Zeiterfahrung). Auf diesem Wege vermittelt es zwischen den Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Im Rahmen der neueren Geschichtstheorie, die das geisteswissenschaftliche Fundament verlassen hat und sich auf dem Boden der jüngeren Kulturwissenschaft(en) bewegt, dominiert das narrative Erklärungsmodell (Rüsen, 2013, 130), das nur sporadisch in Zweifel gezogen wird (Gerber, 2012). Demnach ist die Narration das grundlegende Strukturprinzip historischen Denkens, insofern Veränderungen in der Zeit sich ausschließlich erzählend erklären lassen (Danto, 1974, 230f.; → Geschichtserzählung
Wer beispielsweise die Geschichte der „Reformation“ (→ Reformation
2. Geschichtsbewusstsein und historisches Lernen
Im Zuge des Historismus, der während des 19. Jahrhunderts eine positivistische Wendung nahm, verlor die Geschichtswissenschaft ihre ursprüngliche Verbindung zur Theorie und zur Didaktik der Geschichte weitgehend, während in der geisteswissenschaftlichen → Pädagogik
Auf diese Position rekurrierend, wird das „Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft“ zum Ausgangs- und Zielpunkt historischen Lernens. Dabei verdient der Zusatz „in der Gesellschaft“ insofern Beachtung, als das Bewusstsein des Individuums immer bereits von geschichtskulturellen (→ Vergegenwärtigung, kirchengeschichtsdidiaktisch
Historisches Bewusstsein ist mithin nicht das Produkt historischen Denkens, sondern der Modus, in dem dieses Denken sich vollzieht. Im Rahmen von Geschichtstheorie und analytischer Philosophie sind seit dem 19. Jahrhundert immer wieder Versuche unternommen worden, diesen Prozess erkenntnistheoretisch zu klären. Darüber entwickelte sich zum einen die historische Methode (Heuristik, Kritik, Interpretation, Darstellung), zum anderen die Historik, die sich mit Grundfragen der historischen Erkenntnis befasst und dabei den Horizont ihrer fachlichen Ausprägung überschreitet. So nimmt sie in der Variante von Rüsen keine dezisionistische Trennung von lebensweltlichem und wissenschaftlichem Zugriff auf Vergangenheit/Geschichte vor, sondern geht von fließenden Übergängen aus, bei denen vor allem die Elaboriertheit des methodischen Zugriffs graduelle Unterschiede zwischen akademischem und alltäglichem Umgang mit Vergangenheit/Geschichte begründet. Eine solche Historik beschreibt den historischen Erkenntnisprozess – infolge eines weit gefassten Lernbegriffs – als historisches Lernen, das im geschichtsdidaktischen Duktus synonym zum historischen Bewusstsein verstanden wird. Im Zuge der PISA-Debatte konnten Kompetenzmodelle (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht
3. Historische Dimension religiösen Lernens
Es wurde bereits darauf hingewiesen, wie eng historisches und religiöses Lernen miteinander verwoben sind, weil das Glaubensgut, auf das sich religiöses Lernen bezieht, in der Zeit entstanden ist – unabhängig davon, ob es sich dabei um die lehramtlichen Verkündigungen beziehungsweise die traditionelle → Dogmatik
So besitzt nicht nur das historische Lernen eine religiöse Dimension (s.o.), sondern zugleich das religiöse eine historische. Nicht nur immanente Sachverhalte, auf die religiöses Lernen sich bezieht, bedürfen der historischen Reflexion, um sie in ihrer Zeitgebundenheit und damit als in der Zeit veränderliche Größen zu erkennen. Es erfordert historisches Denken, um zu erkennen, wie sich der neutestamentliche Kanon in einer langwierigen Entwicklung herausgebildet hat oder warum das Nicaeno-Constantinopolitanum erst am Ende des vierten Jahrhunderts seine vorläufig endgültige Form angenommen hat. Sind sie deshalb als Glaubensdokumente weniger wert? Während Historikerinnen und Historiker an dieser Stelle vornehmlich auf die Veränderlichkeit in der Zeit hinweisen würden, werden Theologinnen und Theologen auf die Gemeinschaft stiftende und → Wahrheit
Nicht in dem Sinne, dass letzte Wahrheiten gelernt und religiöse Überzeugungen vermittelt werden sollten. Aber die „Unausweichlichkeit der Wahrheitsfrage“ (Ratzinger, 2004, 180f.) ist es, was die Eigentümlichkeit religiösen Lernens ausmacht. Zwar können sich auch Historikerinnen und Historiker letztlich nicht der Frage nach den „letzten“ Wahrheiten entziehen, weil ihre Urteile, vor allem bezüglich der Orientierung durch Geschichte, sich auf ihr Verständnis davon beziehen. Religiöse Lehr-Lernprozesse zielen auf das Ringen um Wahrheit ab, Religiosität tangiert wie der Glaube das feste Vertrauen auf das, was man nicht sieht (Hebr 11,1
Literaturverzeichnis
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