Geschichtsvorstellungen
Schlagworte: Geschichtsvorstellung, Kinder; Geschichtsvorstellungen, Jugendliche
(erstellt: Januar 2015)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Geschichtsvorstellungen.100052
Im Kontext situierter Didaktiken gilt Erinnern (→ Erinnerung/Erinnerungslernen
1. Verständnis von Historischem
Christian Noack bietet ein differenziertes Stufenmodell für die Entwicklung eines historischen Verständnisses (Noack, 1994). Demnach bindet sich das Kind auf der intuitiv-projektiven Stufe affektiv an einzelne historische Ereignisse oder Personen. Historisches wird dezidiert egozentrisch wahrgenommen und die Erzählung von Historischem hat märchenhafte Züge. Geschichte ist noch kein entlang der Zeit organisiertes Geschehen, sondern eine situativ motivierte Konstruktion einzelner Episoden. Auf der konkret-narrativen Stufe erschließen Kinder Vergangenes, indem sie sich mit historischen Personen identifizieren. In der Regel sind es außergewöhnliche Leistungen, die zur Identifikation anregen. Deren (Re-)Konstruktion erfolgt narrativ, das heißt sie genügt den Anforderungen einer → Erzählung
Mit dem Modell Noacks sind die Kriterien beschrieben, nach welchen Kinder und Jugendliche Historisches (re-)konstruieren. Wann sich jemand auf welcher Stufe befindet, kann von Fall zu Fall stark variieren. In einer englischen Studie (Lee/Dickinson/Ashby, 1997), die nach Gründen fragte, warum Kaiser Claudius trotz der Warnungen aus seinem Umfeld Britannien erobern wollte, nannten Achtjährige vor allem persönliche Gründe und Wünsche des Kaisers. Das entspricht der Rationalität der konkret-narrativen Stufe. Die 14-Jährigen in der Studie waren dagegen in der Lage, verschiedene Gründe zu nennen, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Situation ergaben. Derartige (Re-)Konstruktionen finden sich auf der kritisch-reflektierenden Stufe. Gemäß der Analyse einer anderen Aufgabe derselben Studie (Lee/Ashby, 2000) begriffen zehnjährige Kinder Geschichte als Folge realer Ereignisse, so dass sie keine unterschiedlichen Deutungen für dasselbe Ereignis akzeptieren konnten. Das ist typisch für die konventionell-affirmative Stufe. Mit 14 Jahren begriffen die Befragten, dass unterschiedliche Deutungen für unterschiedliche Perspektiven auf dasselbe historische Ereignis stehen. In der Folge ist Geschichte für sie etwas Konstruktives, wie es typisch ist für die kritisch-reflektierende Stufe. Fasst man beide Studien zusammen, lässt sich feststellen, dass die meisten Kinder der Grundschule Historisches gemäß der konkret-narrativen Stufe (re-)konstruieren. Am Ende der Grundschule und zu Beginn der Sekundarstufe I herrschen dann konventionell-affektive (Re-)Konstruktionen vor. In der zweiten Hälfte der Sekundarstufe II ereignet sich dann der Übergang auf die kritisch-reflektierende Stufe.
Diese Zuordnung wird gestützt durch qualitative Studien Carlos Kölbls (Kölbl, 2004; Kölbl/Straub, 2001). Demnach beherrschen die meisten Kinder in der Grundschule die basalen historischen Kategorien von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wobei insbesondere die Vergangenheit häufig differenziert wird in die Zeit dessen, was man selbst noch erlebt hat, und in eine Zeit jenseits dieses eigenen Erlebens. Gelten am Beginn der Grundschulzeit historische Kenntnisse als Fakten, betonen gegen Ende der Grundschulzeit Kinder immer häufiger den hypothetisch-konstruktiven Charakter von Geschichte. Auch wird Geschichte vermehrt als kontinuierliche Entwicklung begriffen und kompetentere Kinder ziehen zur Erklärung historischer Phänomene Analogieschlüsse zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit. Jugendliche dagegen nehmen Aussagen über die Vergangenheit nicht einfach hin, sondern prüfen diese kritisch anhand zeitgenössischer Quellen oder historiographischer Darstellungen. Dabei ist den meisten Jugendlichen bewusst, dass Vergangenheit selektiv erinnert und dokumentiert wird und dass Geschichte selbst bereits ein spezifisches Arrangement und eine Deutung dieser erinnerten Vergangenheit darstellt. Diese Jugendlichen (re-)konstruieren Historisches damit entlang der Kriterien der kritisch-reflektierenden Stufe.
Kritischer beurteilt Bodo von Borries die (Re-)Konstruktion von Historischem bei 15-jährigen Jugendlichen: „Die befragten Jugendlichen in Europa sind nicht fähig und/oder nicht willens, sich in eine ihnen fremde Zeit hineinzuversetzen und aus dieser hypothetisch zu argumentieren und probeweise zu handeln“ (Borries, 1999, 196). Demnach werden Personen aus der Vergangenheit moderne Denk- und Verhaltensmuster zugeschrieben und historische Entscheidungssituationen nach modernen Wertmaßstäben gelöst – wie es in vielen Milieus auf der konventionell-affektiven Stufe üblich ist. Allerdings könnte sich der Widerspruch zu den Befunden Kölbls durch die Erhebungsform beider Studien erklären. Im Fragebogen von Borries‘ reagieren die Jugendlichen intuitiv auf die Items, in den Gruppendiskussionen Kölbls findet dagegen eine intensive Auseinandersetzung mit der verhandelten Sache statt. Demnach würde 14- bis 15-jährigen Jugendlichen das Bewusstsein für die kulturelle Differenz in verschiedenen historischen Epochen nicht intuitiv zur Verfügung stehen, ließe sich aber in einer intensiven Auseinandersetzung aktivieren.
Im Kontext situativer Didaktiken ist eine derartige Deutung beider Befunde stimmig, spielt in ihnen doch die Situation, in denen Historisches (re-)konstruiert wird, eine entscheidende Rolle. In dieser Einsicht liegt auch der zentrale Schlüssel zur Bedeutung von Noacks Modell für Prozesse religiösen Lernens an und mit historischen Begebenheiten: Das Modell beschreibt Kompetenzniveaus des Verständnisses von Historischem. Ob die Schülerinnen und Schüler in Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch
2. Erfahrung mit Historischem
Neben den Kriterien, gemäß denen Historisches (re-)konstruiert wird, prägen die konkreten Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen mit Vergangenem deren Geschichtsvorstellungen. Heutigen Schülerinnen und Schülern tritt Historisches vor allem medial vermittelt entgegen, nämlich in Spielfilmen, Fernsehdokumentationen, Computerspielen, Romanen etc.
Geschichte im Film (→ Film, kirchengeschichtsdidaktisch
Geschichte in der virtuellen Welt: PC-Spiele greifen ebenfalls funktional auf Historisches zurück, wobei dieses in der Regel die zentrale Spielidee illustriert. Mit dem Zweiten Weltkrieg bildet ein Ereignis der jüngeren Vergangenheit den häufigsten Rahmen für PC-Spiele (29%), gefolgt von Szenarien aus dem 20. Jahrhundert (ohne Zweiten Weltkrieg: 21%) und dem 19. Jahrhundert (11%). 4% der Spiele agieren epochenübergreifend (Schwarz, 2010). Die meisten dieser Spiele simulieren eine hohe historische Authentizität, welche sich vor allem auf Details der Darstellung und Hintergrundinformationen zur Rahmenhandlung bezieht (Pasternak, 2010, 31-40). Allerdings werden diese Informationen nur selten in einen größeren historischen Erzählstrang eingebunden, denn die geschichtlichen Ereignisse, auf die sich die Spiele beziehen, sind aus ihrem Kontext gelöst, um der Spielidee einen Rahmen zu geben. Außerdem kann es vorkommen, dass Details verschiedener Epochen zu einem Spielszenario komponiert werden, wie etwa der Gebrauch von Waffen. Weiterhin hängt der Ausgang der „historischen Ereignisse“, auf welchen ein Spiel beruht, vom Geschick der Spieler ab, was in der Regel zu anderen Geschichtsverläufen führt als sie die aus Quellen (→ Quellenarbeit, kirchengeschichtsdidaktisch
Folgerungen: Fasst man die bisherigen Befunde zusammen, werden Kinder und Jugendliche in ihrem medialen Umfeld vor allem mit Ereignissen des letzten Jahrhunderts konfrontiert, welche im Fall des öffentlichen Fernsehens aus einer nationalen Perspektive gewählt und zum Zweck der Konstruktion einer kollektiven Identität erzählt werden. Das stellt Jugendliche mit Migrationshintergrund vor eine besondere Herausforderung, denn sie müssen mit unterschiedlichen, national eingefärbten historischen Traditionen umgehen (Kölbl, 2009). Für den Umgang mit der NS-Zeit identifiziert Viola Georgi vier Typen der Konstruktion von Geschichte (Georgi, 2009). Der erste Typ identifiziert sich mit den Opfern des Holocaust (→ Auschwitz/Auschwitz-Gedenken
Religion in medialen Darstellungen unter historischer Perspektive: Abschließend soll noch ein kurzer Blick auf die Art und Weise gerichtet werden, wie Religion (→ Religion
3. Fazit
Verortet man religiöse Lernprozesse (→ Bildung, religiöse
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