Deutsche Bibelgesellschaft

Kirchengeschichtsdidaktik

Schlagworte: Didaktik der Kirchengeschichte; Kirchengeschichtsunterricht

(erstellt: Januar 2015)

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Die Thematisierung kirchengeschichtlicher Inhalte markiert ein elementares Lern- und damit Bildungsangebot (→ Bildung), das der Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch) seinen Schülerinnen und Schülern (→ Schülerinnen und Schüler) macht. Auch im Zusammenhang kirchlicher Erwachsenenbildung (→ Erwachsenenbildung) treffen kirchenhistorische Verortungen auf das Interesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

1. Verortungen

1.1. Religionsdidaktische Forschung

Forschungsfeld. Wenngleich die Aneignung von Wissen über Kirchengeschichte (→ Kirchengeschichte) einen wichtigen Aspekt entsprechender Lernprozesse ausmacht, so ist insbesondere danach zu fragen, inwiefern die Auseinandersetzung mit kirchengeschichtlicher Vergangenheit die lernenden → Subjekte in ihrer Lebensgestaltung unterstützen kann. Zudem bedarf es der Vergewisserung, dass die Thematisierung von Kirchengeschichte im Horizont religiöser Lernprozesse (vgl. König, 1996, 185) ein anderes Profil aufweisen muss als beispielsweise eine Beschäftigung mit ähnlichen Inhalten im Geschichtsunterricht. Diesen und weiteren Aspekten eines religiös konturierten Lernens an und mit der Vergangenheit widmet sich die so genannte „Kirchengeschichtsdidaktik“ (vgl. Dierk, 2005, 120-123). Bisweilen wird in religionsdidaktischen Forschungszusammenhängen auch der Terminus „Kirchengeschichtsunterricht“ verwendet: Diese Bezeichnung ist ungeeignet, da sie suggeriert, es handle sich um ein eigenständiges Unterrichtsfach (vgl. Lindner, 2007, 26f.).

Das, was unter „Kirchengeschichtsdidaktik“ verstanden wird, ist nicht zuletzt von der Definition des komplexen Zusammenhangs Kirchengeschichte abhängig. Im Interesse einer Subjektwerdung der Lernenden erweist es sich als sinnvoll, die Vergangenheit als eine Rückschau auf verschiedene Perspektiven zu verstehen, die Einblicke ermöglichen, wie Menschen den christlichen Glauben (→ Glaube) in Anspruch genommen haben (vgl. Beutel, 1997, 88), und Geschichte nicht auf Jahreszahlen und zugehörige Fakten zu reduzieren. Geschichtstheoretisch funktioniert Letzteres auch nicht: Vielmehr ist Kirchengeschichte das Ergebnis eines historiographischen Prozesses, der überlieferte Quellen (→ Quellenarbeit, kirchengeschichtsdidaktisch) mit einem spezifischen Interesse erforscht, interpretiert und somit eine perspektivische (Re-)Konstruktion vornimmt (vgl. Rüsen, 2004).

Forschungslinien. Die religionsdidaktische Forschung zum Umgang mit kirchengeschichtlichen Aspekten ist bis in die 2000er Jahre eher wenig ausgeprägt (eine Zusammenstellung zentraler Aufsätze bieten: Adam u.a., 2008). Peter Biehl auf evangelischer sowie Bernhard Jendorff und Godehard Ruppert auf katholischer Seite haben ab den 1980er Jahren diesen Inhaltsbereich des Religionsunterrichts forschungsrelevant vorangebracht, indem sie zum einen die jahrelang damit verknüpften apologetischen Tendenzen zugunsten ökumenischer Perspektiven (vgl. u.a. Biehl, 2002, 137; Jendorff, 1982, 45) ablösten. Zum anderen rückten sie die → Subjekte ins Zentrum der Kirchengeschichtsdidaktik; von deren Fragen ausgehend gilt es im Religionsunterricht, die kirchengeschichtliche Vergangenheit in den Blick zu nehmen und ihr kritisches Potenzial im Sinne einer „gefährlichen Erinnerung“ (Johann Baptist Metz) greifbar werden zu lassen (vgl. Ruppert, 1984). Wolfgang Hasberg wiederum lotet Möglichkeiten der Kooperation zwischen Geschichts- und Religionsunterricht aus (vgl. Hasberg, 1994).

In den letzten Jahren lässt sich ein zunehmendes Interesse an kirchengeschichtsdidaktischen Fragestellungen erkennen: Grundlegende Reflexionen finden sich insbesondere zu elementarisierenden (vgl. Dierk, 2005; → Elementarisierung) und biographischen Perspektiven (vgl. Lindner, 2007; Mendl, 2005; → Biografisches Lernen). Aber auch geschichtskulturelle (vgl. König, 2013; 2011), konstruktivistische (vgl. Büttner u.a., 2011; → Konstruktivistischer Religionsunterricht), alltagsgeschichtliche (vgl. Lindner/Riegel/Hoffmann, 2013), erinnerungskulturelle (vgl. Lindner, 2013a; Leimgruber, 2010; Noormann, 2009b) sowie unterrichtspraktisch-thematische Zusammenhänge (vgl. u.a. Noormann, 2012; 2009a; Lachmann/Gutschera/Thierfelder, 2003; Ruppert/Schwillus/Lindner, 2008) werden religionsdidaktisch erforscht.

1.2. Lernende und Kirchengeschichte

Eine Didaktik der Kirchengeschichte, die vom Subjekt her denkt, hat danach zu fragen, wie die Lernenden dem entsprechenden Inhaltsbereich gegenüber eingestellt sind, welche (Entwicklungs-)Voraussetzungen sie in Bezug auf die Beschäftigung mit historischen Inhalten mitbringen und inwiefern sie mit kirchengeschichtlichen Zusammenhängen außerhalb institutionalisierter → Lernorte in Kontakt kommen. Denn das Geschichtsbewusstsein (→ Geschichtsbewusstsein) als Fähigkeit, sich selbst zeitbewusst im Kontext vergangener Verläufe zu verorten und somit Zukunft vergangenheitsbewusst gestalten zu können (vgl. Breuer/Völkel, 2008, 125-130), prägt sich erst mit zunehmendem Alter aus.

Hinsichtlich der Geschichtsvorstellungen (→ Geschichtsvorstellungen) lässt sich feststellen, dass Menschen erst mit zunehmendem Lebensalter die Fähigkeit gewinnen, Historie in ihrer Vielschichtigkeit durchdringen und kritisch einordnen zu können (vgl. Riegel, 2013a). Auch zeigt sich, dass die Thematisierung von Kirchengeschichte im Religionsunterricht wenig beliebt ist (vgl. Lindner, 2011, 85-87; Lindner, 2007, 141-158). Dies hängt nicht selten damit zusammen, dass Schülerinnen und Schülern zu wenige Optionen geboten werden, dabei einen Bezug zu eigenen Fragen und damit zu ihrer individuellen Lebensgestaltung herzustellen. In → erwachsenenbildenden Zusammenhängen dagegen lässt sich ein größeres Interesse an der Auseinandersetzung mit kirchengeschichtlichen Fragen beobachten – unter anderem auch hinsichtlich der persönlichen biographischen Verrottung (→ Biografie/Lebensgeschichte/Lebenslauf).

Gleichwohl wachsen Heranwachsende nicht geschichtslos auf. Bisweilen bekunden sie sogar großes Interesse an der Vergangenheit – sei es an der eigenen familiären Geschichte oder im Rahmen von medialen Welten, wie Dokumentationen, Kinofilmen oder insbesondere Onlinespielen, in denen sie sich bewegen. In diesen Zusammenhängen werden ihnen Möglichkeiten geboten, sich in fremde vergangene Welten hineinzudenken und -leben; Optionen, die gerade bei Jugendlichen großen Anklang finden. Viele Schülerinnen und Schüler gewinnen aus diesen außerschulischen medialen Begegnungen mit (Kirchen-)Geschichte große Teile ihres historischen Wissens – nicht zuletzt versehen mit Ungereimtheiten und Stereotypisierungen (vgl. Riegel, 2013a, 22f.).

2. Kirchengeschichte thematisieren

Kirchengeschichte ist ein Inhaltsbereich neben vielen anderen, die im Kontext religiöser Lern- und Bildungsprozesse (→ Bildung, religiöse) thematisiert werden. Das heißt, die Beschäftigung damit sollte die Lernenden zu einer verantwortlichen Auseinandersetzung mit → Glaube und → Religion befähigen. Von diesem Fokus her lassen sich spezifische Begründungen sowie kirchengeschichtsdidaktische Anforderungen benennen.

2.1. Begründungen

Nicht zuletzt weil auch im Geschichtsunterricht kirchengeschichtliche Inhalte zur Geltung gebracht werden, stellt sich die Frage nach deren Bedeutung für religiöse Bildung. Während Geschichtsunterricht die Dimension des Religiösen (→ Religion) vornehmlich in den Blick nimmt, um Schülerinnen und Schüler zu befähigen, „Religionen und Kirchen als wirksame Kräfte zu erkennen, die historische Ereignisse, Strukturen und Prozesse […] geprägt und beeinflusst haben“ (Schönemann, 2000, 430), ist Religionsunterricht religiösen Lern- und Bildungsprozessen verpflichtet. Infolgedessen lassen sich spezifische Begründungen für die Thematisierung kirchengeschichtlicher Inhalte unter religionsdidaktischen Vorzeichen entfalten (vgl. Lindner, 2013b), die nicht nur für den Religionsunterricht, sondern auch für andere Orte religiösen Lernens gelten können.

Geschichtskulturelles Argument. Religiöses Lernen macht unter anderem mit religiösen Kultur- und Wissensbeständen vertraut und hilft den Lernenden dadurch, die in ihrem Lebensumfeld wahrnehmbare, religiös geprägte → (Geschichts-)Kultur zu verstehen und in Gebrauch zu nehmen. „Objektiv gesehen besteht Geschichtskultur aus jenen Handlungen und Objektivationen, die die heute lebenden Schüler und Erwachsenen umgeben. […] In ihr kann Geschichte berührt, gerochen, geschmeckt werden“ (Pandel, 2013, 165). Das Thematisieren kirchengeschichtlicher Aspekte befähigt die Lernenden „zu einer kompetenten, subjektiv gestalteten Teilhabe an der gegenwärtigen Religionskultur“ (König, 2012, 109) und Geschichtskultur, indem sie sich in ganzheitlicher Weise kirchenhistorische Kenntnisse aneignen und diese ausgehend von ihren eigenen Lebenszusammenhängen sowie den daraus resultierenden Fragen einordnend reflektieren. Der von gegenwärtigen Gegebenheiten ausgehende Blick zurück in die Vergangenheit eröffnet ihnen Einsichten in historisch-religiöse Zusammenhänge. Daraus resultiert im Idealfall ein besseres Verstehen der religiösen Prägung ihres eigenen kulturgeschichtlichen Umfeldes (→ Kulturpädagogik/KulturelleBildung/Arts education), was die Lernenden dahingehend motivieren kann, das persönliche Geprägtsein durch Religion und Kirchengeschichte zu ergründen und sich kulturell-religiös zu verorten.

Theologisches Argument. Die in der Kirchengeschichte tradierten Erfahrungen bilden einen Erinnerungsschatz, der bis heute konstituierend und prägend für die christliche Gemeinschaft ist. Vor diesem Hintergrund erweist sich ein Thematisieren kirchengeschichtlicher Inhalte als → theologisch geboten: Das erzählende Erinnern (→ Erinnerung/Erinnerungslernen) markiert einen unaufgebbaren Modus des Christentums, das als „Offenbarungsreligion […] nicht anders denn als Erinnerungsreligion zu denken [ist]. Erinnerung gehört zum Wesen“ (Markschies/Wolf, 2010, 11) dieser Religion, insofern die Anamnese des Christusereignisses den Urgrund der Gemeinschaft der Christen darstellt. Religiöse Lernarrangements müssen daher den Subjekten Zugang zum christlichen Erinnerungsspeicher ermöglichen und so Optionen der Vergegenwärtigung (→ Vergegenwärtigung, kirchengeschichtsdidiaktisch) eröffnen, wie Menschen die jüdisch-christliche Glaubensbotschaft wahrgenommen, interpretiert und gelebt haben. Dabei geht es neben identitätsbildender Rückschau auch um ein kritisches Anfragen der Gegenwart aus der Erinnerung heraus. Unter anderem ein Nicht-Vergessen des in der Kirchengeschichte kumulierten Leides kann helfen, das Heute aus christlichem Bewusstsein heraus kritisch wahrzunehmen und die Zukunft humaner zu gestalten.

Bildungstheoretisches Argument. Religiöse Deutungen von Wirklichkeit bleiben gegenwärtig zwar nicht unangefragt, gleichwohl prägen sie den Erfahrungsraum von Menschen. Insofern ist es eine bildungserforderliche Aufgabe (→ Bildung), sich mit diesem Deutungsmodus auseinanderzusetzen. Religionsunterricht und andere Orte religiösen Lernens können im Rahmen der Beschäftigung mit Kirchengeschichte Räume auftun, die Möglichkeiten bieten, diesen religiösen Deutungshorizont zu reflektieren, und für sich zu entscheiden, ob man diesen auch selbst in Anspruch nehmen will oder nicht (→ Bildung, religiöse). Durch kirchengeschichtliche Lernprozesse können sich die Lernenden gewissermaßen probehalber die religiöse Brille anderer Menschen aufsetzen, die Christsein gelebt haben. Dies wiederum bietet Einblicke in Motivationen und Möglichkeiten, Leben aus christlich-religiöser Weltdeutung heraus zu gestalten.

2.2. Anforderungen

Subjektorientierung. Kirchengeschichtsdidaktischer Ausgangs- und Zielpunkt müssen die lernenden → Subjekte sein. Daher wäre es problematisch, vor allem das Auswendiglernen historischer Inhalte ins Zentrum entsprechender Lernprozesse zu rücken. Vielmehr gilt es „zu berücksichtigen, welche Affinitäten die […] [Lernenden] in ihrer Lebenswelt hinsichtlich religiöser Tradition und geschichtlich Vorausliegendem besitzen und inwiefern die Beschäftigung mit kirchengeschichtlichen Inhalten einen Beitrag zur Bewältigung ihrer (religiösen) Lebensfragen, zur ‚Subjektwerdung‘ leisten kann“ (Lindner, 2013b, 16). Insofern stellt die Erfahrungs- und Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Teilnehmerinnen und Teilnehmer an → Erwachsenenbildungsangeboten einen entscheidenden Schlüssel dar, um die Vergangenheit zu erschließen.

Wissenschaftsorientierung. Die Thematisierung von Kirchengeschichte ist auf eine historiographisch fundierte Auseinandersetzung angewiesen (vgl. Ruppert, 2001b, 1046). Durch eine fachwissenschaftlich stimmige Erschließung des Vergangenen reichern die Lernenden ihr Verfügungswissen an und erwerben durch den Einblick in die (Re-)Konstruktivität jeglicher Historiographie die Fähigkeit, kirchengeschichtliche Darstellungen kritisch zu reflektieren. Sie sollen „Christliches verstehen“ (König, 2013, 209) können. Deshalb sind kirchengeschichtliche Lernprozesse nicht nur mittels überblicksartiger Geschichtszusammenfassungen oder detaillierter Einzeldarstellungen anzugehen, sondern auch in der Begegnung mit verschiedenen Quellen (→ Quellenarbeit, kirchengeschichtsdidaktisch): Anhand der Beschäftigung mit Briefauszügen, → Bildmaterial, Gegenständen, kirchengeschichtsträchtigen Orten (→ Orte, historische) etc. können in (re-)konstruierender Absicht Fragen der Gegenwart an historische Phänomene gerichtet werden (vgl. unter anderem Dierk, 2005, 359-378; Lindner, 2007, 259-264; Ruppert/Thierfelder, 1997, 320-323). Ein wichtiger Aspekt dieses selbstgesteuerten Lernens ist zunächst die Analyse der Quelle hinsichtlich ihres Entstehungskontextes und des zugänglichen Inhaltsgehaltes. Sodann gilt es, das Vergangene in seiner Zeitgebundenheit und historischen Bedeutung zu erfassen (Sachurteil) sowie eine Wertung der erarbeiteten Kirchengeschichte bezüglich ihrer Gegenwarts- und Zukunftsbedeutsamkeit aus Sicht der Lernenden vorzunehmen.

Thematisierungskriterien. Jahrelang wurde kirchengeschichtsdidaktisch diskutiert, welche Inhalte in religiösen Lernprozessen berücksichtigt werden sollten. Durch die verstärkte Perspektive auf die Subjekte und deren Kompetenzzuwachs (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht) ist die Inhaltsfrage in den Hintergrund getreten. → Lehr- und Bildungspläne für den Religionsunterricht fokussieren vornehmlich folgende kirchengeschichtlichen Themenkomplexe: → Christenverfolgungen und → Etablierung des Christentums als römische Staatsreligion, → Christianisierung der Germanen, → Kreuzzüge, → Hexenverfolgungen, → Reformation und → Gegenreformation, → Kirche und Nationalsozialismus,→ Kirche in der DDR. Unabhängig von diesem letztlich relativen Inhaltskanon erweisen sich hinsichtlich der Auswahl der zu thematisierenden Aspekte folgende Kriterien als hilfreich: ökumenische Ausrichtung, → regionalgeschichtliche Aspekte, alltagsgeschichtliche Perspektiven, unterreligiöse Dimensionen (→ Interreligiöses Lernen), helle und dunkle Seiten der Kirchengeschichte, Frauen und Männer, kleine Leute und zentrale Persönlichkeiten, Berücksichtigung der Opfer und „Verlierer“ von Kirchengeschichte (vgl. unter anderem Dierk, 2005, 274-283; 327-333; Ruppert/Thierfelder, 1997, 310-317).

Orientierungsermöglichung. Infolge der zunehmenden → Pluralität der Möglichkeiten ist das Orientierungsbedürfnis gestiegen – gerade bei Heranwachsenden. Zugleich werden Traditionen, die bei Lebensgestaltung leitend sein können, zwar nicht mehr unhinterfragt übernommen (vgl. Lindner, 2007, 164-176), dennoch greifen Individuen auf bestimmte traditionale Überlieferungen zurück; insbesondere, um diese als „Werkzeug für die Suche nach Antworten“ (Englert, 2013, 57) zu nutzen und den dadurch eröffneten Resonanzraum für die Gestaltung des eigenen, gemeinschaftsbezogenen Lebens zu aktualisieren. Kirchengeschichte überliefert verschiedene Anhaltspunkte, wie Leben allgemein und christliche → Religiosität (→ Religion) im Speziellen gestaltet werden kann, und eröffnet so auch Lernenden, die sich als nicht-christlich identifizieren, Orientierungspunkte. Im Rahmen kirchengeschichtlicher Lernprozesse müssen den Subjekten aufgrund ihres Orientierungsbedürfnisses immer auch Optionen angeboten werden, mit der Kirchengeschichte in einen hinterfragenden Dialog zu treten (vgl. Lindner, 2013b, 17). Dabei muss der Ausgang des Diskurses – Akzeptanz oder Ablehnung der durch die Kirchengeschichte übermittelten Handlungsoptionen – offen sein und in der Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Teilnehmerinnen und Teilnehmer liegen. Gleichwohl gilt es, die Lernenden zu einer begründeten Positionierung hinsichtlich des kirchengeschichtlich Tradierten herauszufordern – eine wichtige Grundlage für den individuellen Orientierungszuwachs.

Religiöse Selbstvergewisserung. Kirchengeschichtliches Lernen im Religionsunterricht oder in anderen Zusammenhängen soll einen Beitrag zu religiösem Lernen (→ Bildung, religiöse) leisten. Unter anderem bedeutet dies, dass die Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich zur Vergewisserung hinsichtlich der eigenen religiösen Weltsicht herausgefordert sehen. In einer → Gesellschaft, in der Religion nachweislich zwar nicht verschwindet, aber immer weniger Menschen fähig sind, diese in Anspruch zu nehmen, bedarf es entsprechender Optionen der Begegnung mit dem sowie der Erprobung des religiösen Weltzugangs. Dadurch werden die Subjekte in ihrer Allgemeinbildung gefördert, die nicht auf beispielsweise ökonomische oder naturwissenschaftliche Aspekte begrenzt werden kann. Die Beschäftigung mit der kirchengeschichtlichen Vergangenheit eröffnet einen entsprechenden Möglichkeitsraum: Der Blick „auf die Christen früher“ und insbesondere darauf, „wie sie mit ihrer spezifischen Situation mit den Problemen umgegangen sind“, bietet „Inspiration und Orientierung […], um heute, in einer ganz anderen Zeit, denselben Glauben zu leben“ (Schillebeeckx, 1994, 760; vgl. Englert, 2005, 177). Diese Rückschau auf die Kirchengeschichte trägt zum „Er-Innern“ – ein typisch jüdisch-christlicher Modus, der auch im gottesdienstlich-rituellen Aktualisieren eine bedeutende Rolle spielt – bei, das die „Teilhabe am kulturellen Gedächtnis, also eine eher gemeinschaftliche Partizipation an der Vergangenheit mit ihrer Relevanz für die Gegenwart“ (Leimgruber, 2010, 371; vgl. Breuer/Völkel, 2008, 133; Noormann, 2009b, 15-17) ermöglicht. Über eine rein historische Zugangsweise hinausgehend werden den Lernenden dadurch Optionen aufgetan, sich zusätzliche, sekundär vermittelte Erinnerungen aufzubauen und davon ausgehend ihre eigene Haltung zur christlichen Religion und Glaubenspraxis (→ Glaube) zu reflektieren. Die zum Teil eklatante „Andersartigkeit der Geschichte“ (König, 1995, 363), welche sich in christlich motivierten Lebensläufen zeigt, fordert diesen Selbstvergewisserungsprozess (vgl. Lindner, 2013a) geradezu ein. So können kirchengeschichtliche Lern- und Bildungsprozesse zu einer verantworteten Entscheidungsfindung der Subjekte hinsichtlich bestimmter Formen religiöser Selbst- und Wirklichkeitsdeutung und bezüglich der individuellen Glaubensentscheidung beitragen; ein wichtiger Aspekt bei der Anbahnung religiöser Kompetenz (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht).

Moralisierungsvermeidung. Die Beschäftigung mit Personen der Kirchengeschichte hat zweifelsohne wertebildendes (→ Wertebildung) Potenzial: In der Auseinandersetzung damit können Lernende kirchengeschichtlich tradierte Wertentscheidungen kennenlernen, kritisch reflektieren und hinsichtlich ihrer eigenen Werthaltungen weiterdenken (vgl. Mendl, 2002, 269). Problematisch jedoch ist es, wenn – wie nicht selten in Unterrichtsmodellen, aber auch Lehr- beziehungsweise Bildungsplanvorgaben zu finden – Kirchengeschichte primär auf ein Arsenal an Beispielen für Verhaltensweisen in moralischen Fragestellungen oder gar Dilemmasituationen (→ Dilemmageschichten) reduziert wird. Der kirchenhistorische Eigenwert und der Fokus des religiösen Lernens geraten dabei aus dem Blick. Ohne die Verortung des werthaltigen kirchengeschichtlichen Phänomens innerhalb seines historischen Kontextes ist kein stimmiger Nachvollzug möglich, warum in einer Situation wie gehandelt worden ist. Religiöse Lernprozesse sollten es daher vermeiden, Kirchengeschichte lediglich als „Aufhänger“ für moralische Lernprozesse zu instrumentalisieren (vgl. Lindner, 2013b, 18f.). Gleichwohl ist die wertebildende „eine von verschiedenen Perspektiven und Bedeutungsebenen, die durch Kirchengeschichte im Religionsunterricht“ (Dierk, 2005, 268) und an anderen Orten religiösen Lernens zur Geltung gebracht werden können.

2.3. Lernwege

Bei der Thematisierung von Kirchengeschichte kann auf verschiedenste Methoden (→ Methoden) und Medien (→ Medien) zurückgegriffen werden, die auch bei anderen Inhaltsbereichen religiösen Lernens zum Tragen kommen. Gleichwohl lassen sich aufgrund der historiographisch erforschten Inhalte spezifische Lernwege identifizieren, die kirchengeschichtsdidaktisch als besonders geeignet anzusehen sind.

Mittels Quellenarbeit (→ Quellenarbeit, kirchengeschichtsdidaktisch), die eine zentrale Grundlage historischer Forschung ist, können die Lernenden den Gegenstand ihres Lernens selbst erzeugen. Dadurch werden sie auch für die (Re-)Konstruktivität von → Kirchengeschichte sensibilisiert, die in Abhängigkeit von Forschungsfrage und Quellenbasis in je anderen Nuancierungen dargestellt wird. Im Religionsunterricht erweist sich das Arbeiten mit Quellen zwar als nicht ganz einfach, da Schülerinnen und Schüler dafür sowohl methodische als auch inhaltliche Vorkenntnisse benötigen und der Zeitaufwand hoch sein kann. Der dadurch mögliche authentische Zugriff auf Kirchengeschichte ist dennoch in seiner Bildungsbedeutsamkeit nicht zu unterschätzen.

Da Kirchengeschichte vornehmlich im narrativen Modus tradiert wird, kommt dem → Erzählen ein wichtiger kirchengeschichtsdidaktischer Stellenwert zu, der zugleich theologisch bedeutsam ist, da die Botschaft vom Reich Gottes ebenfalls auf erzählende Weitergabe angewiesen ist. Im narrativen Duktus ist Aktualisierung möglich. Deshalb sollten kirchengeschichtliche Lernprozesse den Lernenden in zweierlei Hinsicht den erzählenden Zugang offerieren: zum einen mittels eines Erzählens von Kirchengeschichte durch die Lehrenden – was jedoch nicht heißt, dass die Geschichtserzählung (→ Geschichtserzählung) zur permanenten Methode entsprechender Lernprozesse werden darf –, zum anderen in der Aufforderung an die Lernenden, selbst Kirchengeschichte zu erzählen und dadurch ihre narrative Kompetenz auszuprägen (vgl. Dierk, 2013).

Als erfahrungsgesättigte Summe von Lebensgeschichten bietet Kirchengeschichte viele Momente biographischer Verortung (vgl. Lindner, 2007; Mendl, 2005). Daher erweisen sich biographische Zugänge (→ Biografisches Lernen) als sehr geeignet, solange Vergangenheit dadurch nicht auf das Resultat großer Persönlichkeiten reduziert wird (vgl. Lindner, 2007, 108f.; 115f.). Neben einem Arbeiten an historischen Dilemmageschichten (→ Dilemmageschichten) (vgl. Englert, 2005; Riegel, 2013b) eignet sich die Zeitzeugenbefragung besonders: Im Sinne der geschichtswissenschaftlichen Methode Oral History (→ Zeitzeugenbefragung) interviewen die Lernenden dabei Menschen zu deren kirchenhistorischen Erlebnissen und Erfahrungen (vgl. Schwillus, 2013). Dadurch kann den Schülerinnen und Schülern beziehungsweise Teilnehmerinnen und Teilnehmern an erwachsenenbildenden Angeboten ihr eigenes Verstricktsein in Kirchengeschichte bewusst werden.

Motivierende kirchengeschichtliche Lerngelegenheiten ergeben sich durch Lernortwechsel (vgl. Ruppert/Schwillus/Lindner, 2008, 59-62). Wird den Lernenden Gelegenheit gegeben, Kirchengeschichte vor Ort (→ Orte, historische) in authentischen Kontexten zu vergegenwärtigen (→ Vergegenwärtigung, kirchengeschichtsdidiaktisch), kann dies zur Veranschaulichung und zum Aufbau eines intrinsischen Forscherdranges beitragen. Das Angebot reicht dabei von Sakralbauten, die kirchenpädagogisch (→ Kirchen[raum]pädagogik) erschlossen werden können, über die Erforschung von Wegkreuzen bis hin zu → Museumsbesuchen. Dabei gilt immer, dass den Lernenden zuerst Gelegenheit gegeben werden sollte, die „Vor-Ort-Geschichte“ selbst zu erkunden, bevor weitere Informationen zu deren besserem Verständnis beitragen.

Das Veranschaulichungsprinzip kommt auch bei der Erschließung kirchengeschichtlicher Aspekte über Literatur (vgl. Langenhorst, 2007, 50-59; → Kirchengeschichte, Literatur als didaktischer Zugang), Bilder (→ Bilder) und andere Kunstwerke, die auf Vergangenheit interpretierend rekurrieren, oder über das Medium Film (→ Film, kirchengeschichtsdidaktisch) zur Geltung. Hierbei ist es insbesondere wichtig, zusammen mit den Lernenden Kriterien zu definieren, die eine Unterscheidung zwischen Fiktion und kirchenhistorischem Bezug ermöglichen.

3. Perspektiven

Nach wie vor ist es eine bleibende kirchengeschichtsdidaktische Herausforderung, dafür zu sensibilisieren, dass die religionsunterrichtliche Thematisierung von Kirchengeschichte einen Beitrag zu religiösem Lernen und religiöser Bildung leistet. Ansonsten kann berechtigterweise die Frage gestellt werden, warum kirchengeschichtliche Inhalte überhaupt im Religionsunterricht zur Geltung gebracht werden sollen; kirchenhistorische Aspekte können schließlich auch im Geschichtsunterricht erschlossen werden. In der Fokussierung auf → religiöse Bildung liegt auch eine entscheidende Chance, bei den Lernenden ein Gespür für die spezifische Relevanz dieses Inhaltsbereichs anzubahnen.

Die bereits kirchengeschichtsdidaktisch reflektierten Kontexte Alltagsgeschichte und Geschichtskultur (vgl. Pandel, 2013, 161-178) besitzen noch in verschiedenster Hinsicht Potenzial, das es gerade bezüglich des Religionsunterrichts (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch) weiterzudenken gilt, nicht zuletzt, weil sich hier erstens große Nähen zu den Lebensfragen und -welten der Lernenden auftun und zweitens genuine Anknüpfungspunkte für Fragen zur Bedeutung von Religion im eigenen Alltag und Umfeld ergeben.

Auch in empirischer Hinsicht (→ Empirie) zeigen sich Desiderate: In der jüngeren Vergangenheit wurden kirchengeschichtsdidaktische Aspekte weder qualitativ noch quantitativ in eigenständigen Studien erforscht. Hilfreich wären beispielsweise Forschungen dazu, inwieweit das (Des-)Interesse an Kirchengeschichte mit dem Kirchenbild der Lernenden korreliert, inwiefern Schülerinnen und Schüler aus der Beschäftigung mit kirchengeschichtlichen Themen über inhaltliches Wissen hinausgehend Orientierungshilfen und Anstöße zu ihrer religiösen Selbstvergewisserung gewinnen oder von welchem Kirchengeschichtsverständnis her Lehrende Lernprozesse initiieren.

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