Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Februar 2020)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/200758/

1. Kontextualisierungen

Deutschland war nach dem Ersten Weltkrieg verunsichert: Das ehedem so selbstbewusste protestantische Bürgertum erlebte eine Erschütterung, die man sich grundlegender gar nicht vorstellen kann. Vor dem Krieg mehrheitlich von der Überlegenheit des deutschen Volkes überzeugt gewesen, musste es nun zur Kenntnis nehmen, dass der Erste Weltkrieg verloren war, dass der Kaiser, Schutzpatron der Protestanten, zugunsten einer Regierung ausgerechnet aus Sozialdemokratie und katholischer Zentrumspartei hatte abtreten müssen, dass sich in einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise Ersparnisse in Luft auflösen u.a. In dieser Zeit wurde das protestantische Bürgertum immer empfänglicher für Einflüsterungen der rassistischen völkischen Bewegung, die die beschriebenen Entwicklungen dem Wirken jüdischer Mächte zuschrieb. Auch die traditionell mit dem Bürgertum eng verbundene evangelische Kirche blieb von diesen ideologischen Auseinandersetzungen nicht unberührt. Insbesondere ab dem Jahre 1933 wurde hier ein Kampf um die äußere und innere Verfasstheit der Kirche geführt, der zeitweilig so heftig ausgetragen wurde, dass daran etliche Landeskirchen zerbrachen. Diese Auseinandersetzungen sind unter dem Begriff Kirchenkampf in die Geschichte eingegangen.

In der Gegenwart des 21. Jahrhunderts, die wiederum von zunehmender Verunsicherung geprägt ist und in der rassistische Ideologien an Popularität gewinnen, bietet eine Thematisierung des Kirchenkampfs im Religionsunterricht u.a. Lernmöglichkeiten für aktuelle Konfliktfelder. Nicht zuletzt kann der Abwehrkampf, der in den 1930er/-40er Jahren innerhalb der Landeskirchen geführt wurde, Möglichkeiten, aber auch Grenzen im Kampf gegen rassistische Bedrohungen aufzeigen.

2. Geschichte des Kirchenkampfs

2.1. Auf dem Weg zur Gleichschaltung

Das Einfallstor für die rassistische Ideologie der völkischen Bewegung in den deutschen Protestantismus stellte der 1921 von dem Berliner Studienrat Kurd Niedlich gegründete Bund für deutsche Kirche dar. Niedlich war überzeugt, dass sich das deutsche Volk nach der Kriegsniederlage kulturell und religiös erneuern müsse, um nicht unterzugehen. Unermüdlich stritt er fortan für eine Rückbesinnung auf die eigenen, germanischen Wurzeln. Interessanterweise lag sein besonderes Augenmerk dabei auf dem Religionsunterricht. Dass den deutschen Kindern bereits im Grundschulalter die Geschichten von Abraham, Josef u.a. begegneten, war für ihn wie 'Gift', das die Seelen der Kinder bereits in frühen Jahren verderbe. Niedlich trat dafür ein, diese Geschichten insbesondere durch deutsche Märchen zu ersetzen. Ebenso stritt er für eine rassistische Modifikation des Jesus-Bildes: Jesus sollte den Kindern fortan nicht als Jude begegnen, sondern als arischer Held, der furchtlos gegen das Judentum kämpfte und dafür auch zu sterben bereit war (vgl. Kühl-Freudenstein, 2003, 47f).

Um seinen völkischen Forderungen Gehör zu verschaffen und im Raum der Kirche Einfluss zu gewinnen, trat der Bund für deutsche Kirche in den 1920er Jahren immer wieder bei Kirchenwahlen an, hatte dabei aber nur mäßigen Erfolg. Das änderte sich erst Anfang der 1930er Jahre. Infolge der oben beschriebenen Verunsicherungen hatte sich seinerzeit auch im Raum der Kirche die Stimmung so verändert, dass völkische Gedanken diskutabel geworden waren. Und so schaffte es die von der NSDAP unterstützte Glaubensbewegung Deutsche Christen bei der preußischen Kirchenwahl am 13. November 1932 auf Anhieb, ca. ein Drittel der Sitze in den Kirchenparlamenten zu erobern. Der Bund für deutsche Kirche hatte, um das rechte Lager nicht zu spalten, in der Regel auf die Aufstellung eigener Listen verzichtet. Dieses sensationelle Ergebnis verschaffte dem völkischen Lager eine Basis für einen an den Grundsätzen der NS-Ideologie orientierten Umbau der evangelischen Kirche, dessen Tempo sich mit der Machtergreifung der NSDAP im Januar 1933 erheblich steigerte.

Im NS-Jargon wurde für diesen Umbau das aus dem Bereich der Elektrotechnik stammende Wort 'Gleichschaltung' verwendet. Im Sinne der NS-Ideologen sah diese Gleichschaltung im Wesentlichen dreierlei vor: 1. die Abschaffung demokratischer Strukturen zugunsten des Führerprinzips, 2. die Besetzung wichtiger Machtpositionen mit überzeugten Nationalsozialisten sowie 3. die Implementierung antijüdischer (→ Antijudaismus, Antisemitismus) Maßnahmen. Nach der NS-Machtergreifung konnte sich kein Verein in Deutschland diesem Gleichschaltungsdruck entziehen und so dauerte es nur eine kurze Zeit, bis dieser Druck auch innerhalb der evangelischen Kirche spürbar wurde.

Am ersten Aprilwochenende 1933 kamen die Deutschen Christen in Berlin zu ihrer ersten Reichstagung zusammen. Die Begrüßungsrede hielt Wilhelm Kube, seit 1928 Vorsitzender der NSDAP-Fraktion im Preußischen Landtag. Kube versicherte in seiner Rede, dass „die Preußische Landtagsfraktion der NSDAP rücksichtslos mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln … der Umstellung in unserem Volke auf dem Gebiet der Kirchenpolitik Rechnung tragen“ (Scholder, 1986, 367) werde – was von den Anwesenden mit stürmischem Beifall quittiert wurde. Kurz darauf wurde deutlich, was Kube unter einer solchen 'rücksichtslosen' Kirchenpolitik verstand, als nämlich der preußische Kultusminister Ende Juni 1933 einen NS-ergebenen Landgerichtsrat namens August Jäger zum preußischen Kirchenkommissar mit der Vollmacht ernannte, „für den Bereich sämtlicher evangelischen Landeskirchen Preußens … die erforderlichen Maßnahmen zu treffen“ (Scholder, 1986, 450). Gleich nach seiner Ernennung begann Jäger erwartungsgemäß, alle wesentlichen kirchlichen Leitungspositionen mit getreuen Nationalsozialisten zu besetzen. Um der Gleichschaltung einen Anschein der Legitimität zu geben, verfügte Jäger überdies kirchliche Neuwahlen in Preußen, die am 23.07.1933 stattfanden und – nach massiver Parteinahme der NSDAP – mit einem überwältigenden Sieg der Deutschen Christen endeten. Damit war die mit Abstand größte evangelische Landeskirche Deutschlands tatsächlich weitgehend 'gleichgeschaltet'.

Aber nicht nur Preußen war betroffen: Kurz nach der Gleichschaltung in Preußen wurden auch in etlichen anderen Landeskirchen sogenannte Kirchenkommissare eingesetzt. Und parallel dazu fanden Vorbereitungen für eine grundlegende Verfassungsänderung der Evangelischen Kirche statt, die in der Schaffung eines im deutschen Protestantismus völlig neuen Amtes gipfelten: in der eines 'Reichsbischofs', der quasi analog zum politischen 'Führer' nun die gesamte deutsche evangelische Kirche führen sollte. Auch dieser Prozess wurde in einem atemberaubenden Tempo durchgepeitscht, so dass bereits am (symbolträchtigen) 31.10.1933 der NS-treue Pfarrer Ludwig Müller im (nicht minder symbolträchtigen) Wittenberg auf einer 'Nationalsynode' zum Reichsbischof ernannt werden konnte. In diesem Moment, der als Abschluss der → Reformation Luthers (→ Luther, Martin) inszeniert wurde, hätte man leicht den Eindruck gewinnen können, dass die evangelische Kirche nun tatsächlich gleichgeschaltet worden sei. Davon allerdings konnte keine Rede sein.

2.2. Parallele Gegenentwicklungen

Obwohl gerade auch im Protestantismus im Allgemeinen und unter der protestantischen Pfarrerschaft im Besonderen der Aufstieg der Nationalsozialisten vielfach begrüßt worden war, wurde ein so massiver staatlicher Eingriff in die Kirche, und hier vor allem die von den Deutschen Christen geforderte Einführung eines kirchlichen Arierparagrafen, von überraschend vielen Pfarrern und Laien abgelehnt. Deren Unbehagen sollte sich in der Folgezeit auf ganz verschiedenen Ebenen manifestieren: auf organisatorischer, konfessorischer und juristischer Ebene.

Besonders wichtig war sicherlich die organisatorische Sammlung der oppositionellen kirchlichen Kräfte. Bereits im Mai 1933 wurde in Berlin von oppositionellen Geistlichen die Jungreformatorische Bewegung gegründet, die zwar – wenig überraschend – in ihrem ersten Aufruf den „neuen deutschen Staat“ mit „freudigem Ja“ begrüßte, dann aber bekannte: „Wir … lehnen … grundsätzlich die Ausschließung von Nichtariern aus der Kirche ab, denn sie beruht auf einer Verwechslung von Staat und Kirche. Der Staat hat zu richten; die Kirche hat zu retten“ (Denzler/Fabricius, 1988, 46). Das war ein klares Wort gegen den notorischen Rassismus (nicht nur) der Deutschen Christen, und es beeindruckt bis heute, dass dieser Aufruf binnen kürzester Zeit tausendfach unterschrieben wurde. Voller Hoffnung trat die Jungreformatorische Bewegung dann bei den preußischen Kirchenwahlen im Juli 1933 an, allerdings wurde sie im Vorfeld der Wahlen so massiv behindert, dass die Deutschen Christen – wie oben erwähnt – einen überwältigenden Sieg einfahren konnten. Bei den Jungreformatoren machte sich darauf eine resignierte Ratlosigkeit breit, die sich in der Erklärung manifestierte, fortan auf kirchenpolitische Aktivitäten zu verzichten.

Dabei blieb es nicht. Nachdem die nunmehr von Deutschen Christen (DC) dominierte preußische Generalsynode am 05.09.1933 die Einführung eines kirchlichen Arierparagrafen beschlossen hatte, kam es wenige Tage später zum nächsten Zusammenschluss, und zwar diesmal im Pfarrernotbund, der in seiner Verpflichtungserklärung ebenfalls bekannte: Ich bezeuge, dass „eine Verletzung des Bekenntnisstandes mit der Anwendung des Arier-Paragraphen im Raum der Kirche Christi geschaffen ist“ (Denzler/Fabricius, 1988, 83). Von Anfang an stand der Pfarrernotbund in engem Kontakt mit den Landeskirchen, deren Leitungen noch nicht von Reichsbischof Müller entmachtet und durch einen NS-Kirchenkommissar ersetzt worden waren. Angesichts des immer dreisteren Vorgehens der DC-Kirchenleitungen kamen Ende Mai 1934 die führenden Kräfte des Pfarrernotbundes und der 'intakten' Landeskirchen in Barmen, einem Vorort von Wuppertal, zu einem Treffen zusammen, das dem organisatorischen Zusammenschluss der oppositionellen kirchlichen Kräfte dienen sollte. Bei dieser mehrtägigen 'Freien Synode' wurde dann – trotz nicht unerheblicher Uneinigkeiten – nicht nur eine theologische Erklärung verfasst, die sich u.a. von der rassistischen Ideologie der Deutschen Christen abgrenzte. Darüber hinaus wurde in einem Rechtsgutachten festgestellt, dass das Reichskirchenregiment seinen Anspruch verwirkt habe, „rechtmäßige Leitung der Evangelischen Kirche zu sein“ (Scholder, 1988, 187). Nötig sei nunmehr, „die Bekennende Gemeinde zu sammeln und zu vertreten“ – was dann der Start für die Bildung einer parallelen Kirchenstruktur werden sollte, für die sich der Begriff Bekennende Kirche etablierte. Damit gab es seit Mitte 1934 in Deutschland nicht eine gleichgeschaltete, sondern zwei miteinander konkurrierende evangelische Kirchen. Das mag nun auf den ersten Blick gar nicht so ungewöhnlich erscheinen: Eine gewisse institutionelle Unübersichtlichkeit gehörte gleichsam zu den Grundmerkmalen des NS-Staates, zu einer – nach Bracher – von Hitler virtuos und „bewusst eingesetzte(n) Herrschaftstechnik“ (Bracher, 1976, 232). Bei näherem Hinsehen ist aber festzustellen, dass diese Unübersichtlichkeit in der evangelischen Kirche von Hitler keineswegs gewollt war. In einer Zeit, in der Hitler vieles durchsetzen konnte, war er mit seinem Vorgehen im Raum der evangelischen Kirche gescheitert.

Neben diesen organisatorischen Entwicklungen führte das Regiment der Deutschen Christen zu einem weiteren wichtigen Vorgang innerhalb der kirchlichen Opposition, und zwar zu einer Neubesinnung über das Wesen der Kirche. In der Jungen Kirche, dem Mitteilungsblatt der kirchlichen Opposition, hieß es, im evangelischen Kirchenvolk habe „eine tiefe Sehnsucht nach dem Wesentlichen Platz gegriffen. An vielen Orten haben sich Arbeitsgemeinschaften von Theologen und von Laien gebildet, welche die brennende Bekenntnisfrage erörtern“ (Junge Kirche, 1933, H. 8, 92). Tatsächlich wurden in Abgrenzung zu den Lehren der Deutschen Christen seinerzeit mehrfach Bekenntnisschriften formuliert, die teils bis heute von ihrer Gültigkeit nichts verloren haben. Den Anfang machte im August 1933 das Betheler Bekenntnis, besondere Bedeutung erlangte aber die Theologische Erklärung, die von den Delegierten auf der Freien Synode in Barmen verabschiedet worden war. In sechs Abschnitten, die als 'evangelische Wahrheiten' bezeichnet wurden, wurden die „die Kirchen verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der 'Deutschen Christen'“ (Denzler/Fabricius, 1988, 90) zurückgewiesen. So hieß es gleich in der ersten 'Wahrheit': „Jesus Christus … ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche … auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen“ (Denzler/Fabricius, 1988, 90). In klaren Worten wurde hier der Anspruch der Deutschen Christen zurückgewiesen, das Christentum mit der rassistischen NS-Ideologie zu vermengen. Noch deutlicher wurden die Verfasser der Erklärung in der fünften 'evangelischen Wahrheit'. „Wir verwerfen die falsche Lehre“, so hieß es dort, „als solle der Staat … die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen“ (Denzler/Fabricius, 1988, 90). Letztlich überrascht die Barmer Theologische Erklärung nicht nur durch den Mut zu klaren Worten, die im totalitären NS-Staat so selten wie gefährlich geworden waren. Es überrascht auch, dass sich hier so unterschiedliche theologische Lager wie Lutheraner und Reformierte angesichts einer zunehmend bedrohlichen Lage auf ein gemeinsames Bekenntnis haben einigen können. Nicht zu Unrecht wurde die Barmer Theologische Erklärung später „als das Bekenntnis unseres Jahrhunderts“ bezeichnet (Denzler/Fabricius, 1984, 61).

Eine weitere Ebene sei genannt, auf der die kirchliche Opposition seinerzeit Widerstand gegen das Vorgehen der Deutschen Christen leistete, und zwar auf juristischer Ebene. Als im Juni 1933 der kurz zuvor installierte NS-Kirchenkommissar für Preußen, August Jäger, die preußische Kirchenleitung für abgesetzt erklärte, entschlossen sich die entlassenen Kirchenführer beim Staatsgerichtshof in Leipzig Klage gegen das Land Preußen einzureichen – ein Schritt, der damals im gleichgeschalteten Deutschland ein enormes Aufsehen erregte (vgl. Scholder, 1986, 458). Zwar konnte die Klage bald zurückgezogen werden, als nämlich Jäger zurücktrat und die Kirchenkommissare abzog. Das Grundmuster aber blieb auch in der Folgezeit dasselbe: Auf die Gleichschaltungsmaßnahmen der DC-Kirchenleitungen, die sich dabei gerne auf sogenanntes revolutionäres Recht beriefen, reagierte die kirchliche Opposition mit Klageschriften, die oft von dem Leipziger Reichsgerichtsrat Wilhelm Flor verfasst wurden – nach Scholder „der eigentliche Gegenspieler der neuen Männer an der Spitze der Reichskirche“ (Scholder 1988, 42). Zu den Eigentümlichkeiten des Kirchenkampfes gehört es, dass die deutschen Gerichte sich erstaunlich oft die Auffassung der kirchlichen Opposition zu eigen und die Zwangsmaßnahmen der NS-Kirchenkommissare wieder rückgängig machten.

Exemplarisch sei hier kurz der Prozess erwähnt, den Martin Niemöller – seit 1931 Pfarrer in Berlin-Dahlem – führte. Niemöller war Leiter des Pfarrernotbundes und einer der führenden Köpfe der kirchlichen Opposition. Am 11.11.1933 war ihm von der deutschchristlichen Kirchenleitung jede weitere Amtsausübung untersagt worden. Es ist erstaunlich und sagt viel über die Rechtssicherheit im NS-Staat aus, wie oft diese Anordnung in den folgenden Wochen aufgehoben und dann wieder in Kraft gesetzt worden ist. Niemöller wenigstens verklagte seine Gemeinde auf Fortzahlung seines Gehalts, bekam zuerst vor dem Berliner Landgericht recht und gewann dann auch noch den Revisionsprozess vor dem Leipziger Reichsgericht. Wilhelm Niemöller, der Bruder Martin Niemöllers, fasste die Bedeutung des Urteils später wie folgt zusammen: „Die Gegenseite hatte also … bei der höchsten Instanz eine völlige Niederlage erlebt, der Reichskirchenregierung wurde in der letzten Instanz ein beschämendes Zeugnis für ihre Behandlung des Rechts ... ausgestellt“ (Niemöller, 1952, 17).

2.3. Antikirchliche Tendenzen

Die innerkirchlichen Auseinandersetzungen waren mit den oben beschriebenen Ereignissen nicht beendet. Ab Jahresmitte 1934 treten verstärkt antikirchliche Tendenzen seitens des NS-Regimes in den Vordergrund. Auch diese werden mit dem Begriff Kirchenkampf bezeichnet, haben aber einen ganz anderen Charakter. Tatsächlich sahen sich die evangelische und die katholische Kirche bald nach der 'Machtergreifung' mit einer Politik konfrontiert, die unter dem Begriff 'Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens' den gesellschaftlichen Einfluss der Kirchen massiv zurückzudrängen suchte. Das fing bereits Ende 1933 an, als die evangelischen Jugendverbände in die "Hitlerjugend" eingegliedert wurden, was faktisch das Ende der bis dahin blühenden evangelischen Jugendarbeit bedeutete. Bald darauf registrierten beide Kirchen eine ständig wachsende Zahl an Kirchenaustritten: Nachdem im Jahr der Machtergreifung ein Mehr an Eintritten verzeichnet worden war, stieg ab Jahresmitte 1934 die Zahl der Austritte in einem Maß, das bald auch die hohen Austrittszahlen aus den Zeiten der Weimarer Republik in den Schatten stellte. Dieser Prozess der Zurückdrängung kirchlichen Einflusses manifestierte sich auch in der Auflösung sogenannter Konfessionsschulen, in der Etablierung neu-heidnischer Riten, die die entsprechenden kirchlichen Angebote ersetzen sollten, u.a. (vgl. Vondung, 1971, 39f). Welches Schicksal den Kirchen im NS-Staat drohte, zeigte sich im sogenannten Warthegau, einem Gebiet im besetzten Polen, das nach Meier ein „Exerzierfeld nationalsozialistischer Volkstums- und Religionspolitik“ wurde. Dort wurde der Einfluss der Kirchen so weit beschnitten, bis ihnen nur noch „ein kümmerliches Dasein als Kultverein“ blieb (Meier, 1992, 216).

In den späteren Jahren des Zweiten Weltkrieges änderte sich diese Lage zwar und es war ein sukzessiv wachsendes Interesse an kirchlichen Angeboten zu beobachten. Festzuhalten ist jedoch, dass die Kirchen in der NS-Zeit in zunehmendem Maße um nicht weniger zu kämpfen hatten als um ihren institutionellen Fortbestand.

3. Religionsdidaktische Perspektiven

Mit Peter Biehl gilt, dass in Bezug auf die Thematisierung von Kirchengeschichte im Religionsunterricht (→ Kirchengeschichtsdidaktik) die „Ziele und Inhalte den Bedürfnissen und Interessen der Heranwachsenden und den gesellschaftlichen Erfordernissen und Konflikten entsprechen müssen“ (Biehl, 1973, 7). Welches Bedürfnis oder Interesse Heranwachsender aber soll sich im Thema Kirchenkampf wiederfinden? Breuer/Pirner entdecken in ihrem Aufsatz zu 'Kirche und Nationalsozialismus' gleich mehrere existentielle und gesellschaftliche Grundthemen, nämlich „Individualität/kulturelles Geprägtwerden, Umgang mit Minderheiten, Nächstenliebe/Gewalt, Wahrheit/Lüge, Umgang mit Schuld, Politik/Religion, Kirche, Loyalität/Widerstand“ (Breuer/Pirner, 2003, 320). Diese Aufzählung überrascht auf der einen Seite, weil in ihr das zentrale Thema des Kirchenkampfes, eben der Widerstand gegen den staatlich verordneten Rassismus, unerwähnt bleibt. Auf der anderen Seite überrascht sie nicht, weil sich die deutsche Religionspädagogik nur selten mit dem Thema → Rassismus beschäftigt. Genau in diesem Themenfeld müsste indes das Thema Kirchenkampf eingebettet sein, um sowohl der Sache, als auch den oben formulierten didaktischen Ansprüchen gerecht zu werden.

Ein zweiter Gedanke: Gerade bei kirchengeschichtlichen Themen werden unterrichtliche Zugänge über wesentliche Handlungsträger geschaffen. Beim Thema 'Kirchenkampf' ist dies in aller Regel → Dietrich Bonhoeffer, der sicherlich zu den eindrucksvollsten Theologen des 20. Jahrhunderts überhaupt gehört. Nur: So groß war Bonhoeffers Anteil am Kirchenkampf gar nicht. Nachdem er sich in den Anfangsmonaten prominent engagiert hatte, zog er sich bald zurück, um in Hinterpommern ein Predigerseminar zu leiten und schloss sich später dem militärischen (!) Widerstand gegen Hitler an. So wichtig beides war: Mit Kirchenkampf hat dies wenig zu tun. Der eigentliche führende Kopf des Kirchenkampfes war Martin Niemöller, der in den Lehrplänen und Schulbüchern indes oft nur am Rande thematisiert wird. Ist das so, weil man sich schwer tut mit einem Mann, der nicht von Anfang an NS-Gegner, sondern gar frühes NSDAP-Mitglied war? Ganz im Sinne → Biographischen Lernens sollten den Heranwachsenden auch gebrochene, widersprüchliche Personen präsentiert werden

Ein dritter Gedanke: Der Kirchenkampf war von so grundsätzlicher Natur, dass sich ihr kaum eine bzw. ein evangelische/-r Christin bzw. Christ hat entziehen können. In so gut wie jeder Gemeinde musste man sich positionieren, wie man es mit einem kirchlichen Arierparagrafen hält, ob man sich vor diesem Hintergrund eher der Bekennenden Kirche anschließen möchte, eher den Deutschen Christen oder ob man eher neutral bleibt. Gerade der Kirchenkampf bietet daher hervorragende Möglichkeiten zu analysieren, wie die Geschichte vor Ort (→ Regionalgeschichte, kirchengeschichtsdidaktisch) verlief und damit die 'große Geschichte' mit Zugängen 'von unten' zu ergänzen.

Ein vierter Gedanke: Die Geschichte des Kirchenkampfes läuft nicht selten Gefahr, sich auf die Darstellung des Handelns streitbarer Männer zu beschränken. Das hat sicherlich mit dem damaligen Pfarrdienstrecht zu tun, das Frauen vom Pfarrdienst und damit von den Positionen ausschloss, auf denen man öffentlichkeitswirksam agieren konnte. Eine solche Darstellung fällt aber nicht nur hinter den Ansprüchen einer Gendergerechtigkeit (→ Gender) zurück, sie entspricht auch nicht den historischen Abläufen. Schon lange ist bekannt, wie wichtig im Kirchenkampf das Handeln von Frauen war, auch wenn es eher im Hintergrund stattfand. Im Religionsunterricht sollte daher – trotz ungünstiger Quellensituation (→ Quellenarbeit, kirchengeschichtsdidaktisch) – auch die Rolle von Frauen thematisiert werden.

Ein letzter Gedanke: Die Darstellung des Kirchenkampfes in vorliegendem Artikel ließ einen wichtigen Aspekt des damaligen Geschehens unbelichtet: Der Protest der kirchlichen Opposition richtete sich wohl gegen die Übernahme rassistischen Gedankenguts in den Raum der Kirche. Gegen die rassistische Politik des NS-Staates im Allgemeinen aber blieben die Kirchenmänner damals – bis auf wenige Ausnahmen – seltsam stumm (vgl. Meier, 1992, 160f). Vergebens warteten jüdische Mitbürger, die zunehmend drangsaliert und entrechtet wurden, auf ein solidarisches Wort der Kirchen. Ähnlich stumm blieben die Kirchenleitungen, als sich der NS-Terror zunehmend auch gegen sogenannte Judenchristen richtete (vgl. Denzler/Fabricius, 1986, 149). Ein Unterricht zum Thema Kirchenkampf wird diesen Teil des Geschehens gebührend berücksichtigen – zumal dieses in einem bewegenden Gedicht von Martin Niemöller thematisiert wird, das zu den eindrücklichsten Dokumenten des Kirchenkampfes gehört:

Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

Literaturverzeichnis

  • Biehl, Peter, Kirchengeschichte und themenorientierter Religionsunterricht, in: Biehl, Peter (Hg. u.a.), Kirchengeschichte und Religionsunterricht, Stuttgart/München 1973, 7-23.
  • Bracher, Karl D., Die deutsche Diktatur. Entstehung – Struktur – Folgen des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1976.
  • Breuer, Thomas/Pirner, Manfred, Nationalsozialismus, in: Lachmann, Rainer/Gutschjera, Herbert/Thierfelder, Jörg (Hg.), Kirchengeschichtliche Grundthemen(= TLL 3), Göttingen 2003, 238-251.
  • Denzler, Georg/Fabricius, Volker, Die Kirchen im Dritten Reich. Christen und Nazis Hand in Hand?, Bd. 2: Dokumente, Frankfurt a. M. 1988.
  • Denzler, Georg/Fabricius, Volker, Die Kirchen im Dritten Reich. Christen und Nazis Hand in Hand?, Bd. 1: Darstellung, Frankfurt a. M. 1984.
  • Junge Kirche, Mitteilungsblatt der Jungreformatorischen Bewegung, Göttingen ab 1933.
  • Kühl-Freudenstein, Olaf, Evangelische Religionspädagogik und völkische Ideologie, Würzburg 2003.
  • Meier, Kurt, Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich, München 1992.
  • Niemöller, Wilhelm, Macht geht vor Recht. Der Prozess Martin Niemöller, München 1952.
  • Scholder, Klaus, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 2: Das Jahr der Ernüchterung 1934. Barmen und Rom, Frankfurt a. M./Berlin 1988.
  • Scholder, Klaus, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934, Frankfurt a. M./Berlin 1986.
  • Vondung, Klaus, Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus, Göttingen 1971.

PDF-Archiv

Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:

VG Wort Zählmarke
Deutsche Bibelgesellschaftv.4.26.9
Folgen Sie uns auf: