Geld
(erstellt: Februar 2020)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Geld.200751
1. Empirische Befunde
Als Geld wird wissenschaftlich oft all das verstanden, was eine Bewertungs-, Wertaufbewahrungs- und Tauschmittelfunktion ausübt (einleitend Weimer, 1994, 7; ausführlich dazu und zu vielen der folgenden Punkte Heller, 2020, i.V.; kürzer gefasst sowie mit Fokus auf systemtheoretische Überlegungen auch Heller, 2019a). Unterschiedliche Phänomene können so als Geld Verwendung finden. Historisch sind hier u.a. Äxte, Getreide, Gold, Kakaobohnen, Kaurischnecken, Menschen (Sklavinnen und Sklaven), Pelze, Rinder, Silber und Zigaretten zu erwähnen; dieses sogenannte Tauschgeld ist teils bereits für die Jungsteinzeit belegt. Mehrheitlich wird die Entstehung des Geldes dabei derart erklärt, dass damit der Tauschhandel erleichtert werden sollte; andere Theorien favorisieren u.a. eine Entwicklung aus religiösen Opfergaben heraus (grundlegend zum Geld in historischer Perspektive Ernst, 2006). Gegenwärtig sind insbesondere das maßgeblich von sogenannten Zentralbanken emittierte Münz- und Papiergeld sowie das mit diesen Geldformen korrelierende sogenannte Buchgeld – eine auf einer Kontobeziehung basierende Forderung gegen eine Bank – von Relevanz, wobei das Volumen des Buchgeldes um ein Vielfaches größer ist. So betrug im sogenannten Euroraum 2017 allein der Betrag des auf sogenannten Girokonten zugänglichen Buchgeldes 6.384 Milliarden Euro; dem standen 1.092 Milliarden Euro an Münz- und Papiergeld gegenüber (Deutsche Bundesbank, 2017, 56).
Wird der von Niklas Luhmann vorgelegten Systemtheorie gefolgt, dann ist Geld das Medium des Systems Wirtschaft. Mit Hilfe der im Geld vorhandenen Möglichkeit zu Bewertung, Wertaufbewahrung und Tausch wird die spezifische Aufgabe dieses Systems bearbeitet: die „Regulierung von Knappheiten zur Entproblematisierung künftiger Bedürfnisbefriedigung“ (Luhmann, 1988, 65) – und zugleich ihre „Erzeugung“ (Luhmann, 1988, 65). Denn Knappheit ist mit Luhmann stets „sozial konstituiert“ (Hedtke, 2014, 18), da jede und jeder „für seine Zukunft reservieren [möchte], was ein anderer schon gegenwärtig braucht“ (Luhmann, 1988, 64). Geld ist derart zunächst „Schmiermittel der Wirtschaft“ (Wildmann, 2015, 116) und stellt eine wichtige Voraussetzung arbeitsteiliger Gesellschaften dar (u.a. Ernst, 2006, 18). Es übt jedoch, basierend auf dieser Rolle, noch weitere, teils gegenläufige Funktionen aus. Zum Beispiel vermag es hier Gleichheit wie Ungleichheit, Frieden wie Unfrieden sowie Rationalität wie Irrationalität zu fördern. Es kann körperliche oder intellektuelle Defizite kompensieren, glücklich machen, den sogenannten Paarungserfolg verbessern, Beiträge zur Kontingenzbewältigung erbringen und neue Kontingenzerfahrungen generieren (zu einzelnen Punkten u.a. Halbmayr, 2018, 15-17; Schnaas, 2010, 63-74; grundlegend zum Geld in psychologischer Perspektive Jonas/Maier/Frey, 2007; zum Geld in soziologischer Perspektive Hedtke, 2014, 128-140). Nicht zuletzt ist es in der Lage, das Verlangen nach immer mehr Geld – wobei hier der Gelderwerb „jenseits jeder ‚Instrumentalität‘ zum eigenständigen ‚intrinsischen‘ Motiv wird“ (Wiswede, 2007, 161) – zu befriedigen; ein Verlangen, das es als sogenannter „selbstverstärken[der,] suchterregender“ (Wiswede, 2007, 161) Verstärker selbst erst bedingt, insofern es eine Sucht nach sich selbst zu erzeugen vermag. Geld weist damit, begründet in diesen Funktionen, eine immense Macht auf und greift, auch wenn Menschen aufgrund von sogenannten Mentalen-Buchhaltungs-, Endowment- oder Sunk-Cost-Effekten (ausführlich zu solchen Effekten Werth, 2010, 59-107) kaum dem Modell des sogenannten Homo oeconomicus entsprechen (grundlegend Rost, 2008), beständig über das Wirtschaftssystem „hinaus auf andere Systeme“ (Hörisch, 1996, 61). Zu nennen wären hier u.a. das Rechts-, Religions- und Wissenschaftssystem – schon allein indem diese Institutionen benötigen, die finanziert werden müssen. Diese Rolle des Geldes als „dominante[s], universale[s] Medium“ (Hedtke, 2014, 132) prägt auch unmittelbar den Alltag: „Wirtschaft durchdringt das menschliche Leben in einem ungeheuren Maße: Wir stehen morgens auf, verbringen einen großen Teil unserer Tageszeit ‚auf Arbeit‘, kaufen in der ‚übrig gebliebenen Freizeit‘ Dinge, die andere Menschen durch ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten erstellt haben, und nutzen die Nacht zur Erholung für unser wirtschaftliches Tun am nächsten Tag“ (Rost, 2008, 50). Dabei ist jedoch einer kulturpessimistischen Sicht zu widersprechen, der zufolge sich dieser Primat des Wirtschaftssystems und seines Mediums Geld erst in der Gegenwart verfestigt habe (u.a. Gutmann, 2015, 230f.). Vielmehr dürfte sich dies auch in der Geschichte verschiedentlich diagnostizieren lassen (so im Alten Orient; Fischer, 2006, 26f.), wobei es immer wieder auch Phasen gab, in denen entsprechende Systemübergriffe bereinigt wurden. Zum Beispiel lassen sich die mittelalterliche Kritik an der Simonie und die frühneuzeitliche Kritik am Ablasshandel in diesem Sinne interpretieren. Allerdings dürfte wiederum auch zutreffen, dass sich gegenwärtig in immer weiteren Lebensweltbereichen immer bessere – im Sinne von: die drei eingangs genannten Funktionen immer besser wahrnehmende (analog Ernst, 2006, 19) – Erscheinungsformen des Geldes durchsetzen (so das aktuelle, u.a. per Internetbanking verwendbare Buchgeld).
In dieser vom Geld bestimmen Wirklichkeit wuchsen und wachsen Kinder und Jugendliche auf. Werden aktuelle, für Deutschland repräsentative Studien der empirischen Kinder- und Jugendforschung eingesehen, zeigt sich, dass in den ersten beiden Lebensjahrzehnten viele Bedürfnisse entstehen, die sich ausschließlich oder zumindest besonders wirksam mit Hilfe des Weggebens – oder Behaltens – von Geld befriedigen lassen (im Vergleich zu Optionen wie Erpressung, Höflichkeit oder Raub, die ja auch erwogen werden könnten, um u.a. einen höheren Grad an der fortfahrend genannten Unabhängigkeit zu erreichen). Denn während beispielsweise 6- bis 14-jährige Kinder insbesondere Freundschaft, Familie, Vertrauen/Zuverlässigkeit, Geborgenheit oder Ehrlichkeit als wichtig erachten sowie im Vergleich Durchsetzungsfähigkeit oder Geld als unwichtig (GEOlino, 2014, 5-7), sind für 12- bis 25-jährige Jugendliche hingegen auch Unabhängigkeit, Lebensgenuss, Sicherheit oder ein hoher Lebensstandard und schließlich auch Geld an sich von hoher Bedeutsamkeit (Gensicke, 2015, 239, 245; Leven/Quenzel/Hurrelmann, 2015, 79f.; zur hohen Bedeutung von Geldgeschenken für Konfirmandinnen und Konfirmanden Schlag, 2009, 99f.). Bedingt wird diese zunehmende implizite/explizite Wertschätzung des Geldes durch entsprechende Sozialisations- und Erziehungsprozesse. Hierbei dürften, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Kaufentscheidungen in der Familie und die Zahlung von Taschengeld und Geldgeschenken an sie eine wichtige Rolle spielen – sowie weiterhin auch die Bedeutung des Geldes in den populären Medien. Denn in diesen ist es nicht nur ein wichtiges, oft aufgegriffenes Thema, sondern es gerät auch immer wieder nebenbei in den Blick (schon allein indem beispielsweise in einem Kinofilm etwas gekauft wird) und wird gerade derart als selbstverständlich kommuniziert. Dennoch ist festzuhalten, dass die derzeit in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen zumeist durchaus von Geburt an von der Macht des Geldes „ergriffen [und] grundlegend bestimmt“ (Rickers, 2002, 111) sind. Denn sie wachsen in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft auf, in der die Entwicklung, Produktion und Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen, die mit ihren Bedürfnissen bzw. entsprechenden Erfordernissen kongruieren, nur geschehen kann, weil das Geld die hierzu nötige Arbeitsteilung ermöglicht.
2. Fachwissenschaftlich-systematische Orientierungen
Als Geld genutzte Phänomene sind in der Bibel an zahlreichen Stellen im Blick (grundlegend zum Geld in exegetischer Perspektive Balz, 1999). Dabei spielen neben → Gold
Andererseits wird jedoch immer wieder klargestellt, dass Erwerb, Erhalt oder Vermehrung des Geldes nichts ist, was den Glauben (u.a. Dtn 8,12-18
Mit Blick auf die oben genannte Macht des Geldes stellt dies Christinnen und Christen vor weitreichende Herausforderungen. Die Kirchen- und Theologiegeschichte hat dabei verschiedene Interpretationen hervorgebracht, welche die radikale Position der Bibel zum Geld – sowie radikale biblische Imperative an sich – entschärfen. So ist dann beispielsweise die Bergpredigt (Mt 5-7
3. Historische Entwicklungen zum Thema/Begriff in der religionspädagogischen Diskussion
Von Ausnahmen abgesehen (so Martin Luthers Gegenüberstellung von Gott und Geld in der Erläuterung zum Ersten Gebot im Großen Katechismus; ausführlich dazu u.a. Ebeling, 1969; Marquardt, 1983) ist Geld an sich lange Zeit kaum ein Thema im theologischen Diskurs gewesen. Dies ändert sich erst Ende des 20. Jahrhunderts, als Falk Wagner – anschlussfähig insbesondere an die psychologisch, soziologisch und theologisch begründeten Gott-Geld- bzw. Religion-Kapitalismus-Antagonismen von Georg Simmel (Simmel, 1900), Walter Benjamin (Benjamin, 1986; verfasst vermutlich 1921) und Friedrich Delekat (u.a. Delekat, 1957) – seine Monografie „Geld oder Gott?“ vorlegt. Unter Nutzung einer Gottesdefinition Rudolf Bultmanns (Gott als „[a]lles bestimmende Wirklichkeit“; Bultmann, 1925, 129) attestiert er diese Allbestimmung bzw. Omnipräsenz und -potenz dem Geld (Wagner, 1984, u.a. 134f.). Wagner initiiert und beeinflusst damit weitere systematisch-theologische und theologisch-kulturhermeneutische Auseinandersetzungen mit dem Geld (u.a. Höhn, 1998; Klie, 2005; Ruster, 2000a; Halbmayr, 2018; auch Dierken, 2017; Halbmayr, 2009), welche von Auseinandersetzungen mit dem Kapitalismus (u.a. Duchrow, 2013; Segbers, 1999) als einer spezifischen geldbasierten Wirtschaftsform nochmals zu unterscheiden sind. Auch die um die Jahrtausendwende entstehende, überschaubare, überwiegend auf den Religionsunterricht fokussierte religionspädagogische Auseinandersetzung mit dem Geld wird durch Wagner geprägt, insofern auch hier, oft ebenfalls unter Nutzung der oben genannten Gottesbestimmung, ein Konkurrenzverhältnis des Geldes zu Gott gesehen wird (insbesondere Biehl, 2001; Cleiß, 1999; Rickers, 2001; Rickers, 2002; Ruster, 2000b; Sitzberger, 2003; teils auch Heller, 2020, i.V.). Insofern kann auch von einer „Anti-Geld-Didaktik der neueren Religionsdidaktik“ (Heller, 2020, i.V.) gesprochen werden, die vornehmlich auf dem durchaus zu bestätigenden (s.o.) Ergriffensein von Kindern und Jugendlichen von der Macht des Geldes sowie der biblischen Konkurrenzstellung des Geldes zu Gott beruht und u.a. darauf abzielt, Heranwachsende vor „geldbestimmter Wirklichkeit zu schützen“ (Biehl, 2001, 169). Nur vereinzelt existieren dabei noch weitere religionspädagogische Arbeiten, die beispielsweise die Konfirmandenarbeit in den Blick nehmen (Schlag, 2009).
4. Didaktische Perspektiven für Schule und Kirche
Als Phänomen, dem mit Omnipräsenz und -potenz immer wieder biblische Gottesattribute (u.a. Ps 139,9
Dabei kann Geld zum Beispiel im Religionsunterricht, abhängig von der jeweils verfolgten Konzeption (→ Fachdidaktische Konzeptionen
Ihren gemeinsamen Nenner finden all diese Thematisierungen damit darin, dass sie nicht bei einer unverbindlichen Religionskunde stehenbleiben. Genau dies entspricht auch der Aufgabenstellung eines konfessionellen, christlichen Religionsunterrichts. Denn zum Beispiel nochmals ausgehend von der Bergpredigt mit ihrer geldbezogenen Radikalität wird ein solcher stets danach zu befragen sein, ob es ihm auch gelingt, diesen Text als „‚Stoff‘, aus dem Wirklichkeit […] werden kann und soll“ (Ritter, 1998, 196), zum Tragen kommen zu lassen. Analog sind auch Schulen in christlicher Trägerschaft als solche gefordert, insbesondere dabei zum Beispiel nochmals die vielen Johannes den Täufer im Namen tragenden Schulen (s. entsprechende Schulen zum Beispiel in Bremen, Hoyerswerda, Lahnstein, Merseburg/Saale und Siersdorf), hat doch auch dieser, unterstrichen durch seinen Lebenswandel, u.a. verlangt, Bedürftigen zu helfen (Lk 3,11
5. Forschungsdesiderate und offene Fragen
Mit dem Geld sind für die Religionspädagogik zahlreiche Forschungsdesiderate und offene Fragen verbunden. So ist das entsprechende empirische Feld immer noch wenig abgeschritten: Religionspädagogische Studien, welche sich der Geldthematik widmen oder diese zumindest berühren, existieren kaum (als Ausnahme nochmals Schlag 2009, 99f.; auch Schweitzer/Bräuer/Boschki, 2017), so dass die Religionspädagogik darauf angewiesen ist, allgemeiner angelegte – und daher in ihrem spezifischen Ertrag begrenzte – Studien der empirischen Kinder- und Jugendforschung heranzuziehen (s.o.). Entsprechend ist auch wenig darüber bekannt, welche Wirkung ggf. bereits vorhandene geldbezogene religiöse Bildungsprozesse haben und ob und inwiefern u.a. Unterschiede zwischen konfessionell und nicht konfessionell gebundenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen hinsichtlich ihrer Sicht auf das Geld existieren. Sind zum Beispiel konfessionell gebundene Jugendliche freigiebiger und engagieren sich eher für nicht-monetäre Ziele? Oder ist dies gerade nicht der Fall? Auch die zwar verschiedentlich angemahnte (u.a. Rickers, 2002, 111), aber dennoch fortgeführte weitgehende religionspädagogische Missachtung des Themas Geld ist mit einem Fragezeichen zu versehen. Ist diese darin begründet, dass die Geldthematik als unwichtig, als banal angesehen wird? Oder liegt es daran, dass mit Versen wie Mt 6,24
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