Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Februar 2018)

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Wachsende Ungleichheit ist zu einem nicht mehr zu verdrängenden sozialen, gesellschaftlichen wie politischen Phänomen geworden, deren ökonomische und soziologische Hintergründe in den globalisierten Zusammenhängen spätmoderner Gesellschaften zunehmend ins Bewusstsein treten. Wahrscheinlich aber gibt es kaum einen Bereich gesellschaftlichen Lebens, der soviel mit Gleichheit und Ungleichheit zu tun hat, wie die Schule. Einerseits soll Schule doch der Ort sein, wo jenseits tradierter, kultureller, ökonomischer, religiöser oder auch sozialer Divergenzen formale Gleichheit der Lernbedingungen im Klassenraum hergestellt und je neu eingefordert wird. Wenn die Rede von Schule als „Moratorium des Lebensernstes“ (Dressler, 2004, 263) einen tieferen Sinn haben sollte, dann hier. Demnach ist es doch deren vornehmste Aufgabe, von allen Erfordernissen gesellschaftlicher Reproduktion zu entlasten und den Lernenden Gelegenheit zur Bildung geben, ohne unmittelbaren Verwertungszwang und Nutzenkalkül. Andererseits aber machen bereits ihre Selektions- und Allokationsfunktion auf den Niederschlag gesellschaftlicher Funktionalisierungsansprüche aufmerksam. Zudem zeigen die Debatten um Bildungsgerechtigkeit, um Gerechtigkeit und Chancengleichheit, wie sehr soziale und ökonomische Ungleichheiten sich schulisch niederschlagen. Mehr noch: zunehmend wächst die Sensibilität dafür, dass die unterrichtlichen Prozesse selber zu Ungleichheit der Lernenden beitragen – auch im Religionsunterricht (Grümme, 2016, 136-142). Offensichtlich birgt der Gleichheitsbegriff eine Dialektik, die zu klären vordringliche Aufgabe nicht zuletzt der Religionspädagogik sein sollte. Denn sich dieser Dialektik nicht (selbst)reflexiv zu vergewissern, machte sie ideologieanfällig. Dies wird durch neuere Debatten um Identität, → Diversity und Verschiedenheit dramatisch angeschärft, wie sie in den Kulturwissenschaften und in den Gender-, Migrations- und Inklusionsdiskursen vorangetrieben werden. Kann es sein, dass gerade im Bestreben Gleichheit herzustellen, Identitäten verletzt oder missachtet werden? Offensichtlich muss Gleichheit nicht allein gerechtigkeitstheoretisch, sie muss auch identitäts- und differenztheoretisch reflektiert werden. Doch welche Denkkategorien bieten sich dafür an?

Darum gilt es, sich zunächst des Gleichheitsbegriffs terminologisch zu vergewissern (1), um dann über die erforderliche Verhältnisbestimmung von Gleichheit, Gerechtigkeit und Differenz die religionspädagogische Relevanz von Gleichheit (3) sowie von Egalitäts- und Differenzfragen (4) bis in die Suche nach ihrer konzeptionellen Ausrichtung zu diskutieren (5).

1. Terminologische Klärungen

Gleichheit ist ein schillernder Begriff, ein „populäres, aber rätselhaftes“ (Dworkin, 2014, 7) Ideal. Er ist abzugrenzen von Identität, Ähnlichkeit und Verschiedenheit. Gleichheit ist zunächst und vor allem eine Beziehung zwischen mehreren Entitäten, die von einander verschieden sind. Gleich sind sie in einer bestimmten Hinsicht, im Blick auf andere Merkmale sind sie unterschiedlich. Ähnlich wären Entitäten, wenn es eine annähernde Übereinstimmung geben würde, identisch wären sie, wenn es eine volle Übereinstimmung in allen Merkmalen geben würde. Gleichheit bezeichnet also die „Ununterscheidbarkeit verschiedener Objekte in einer bestimmten Hinsicht, gemessen an einem bestimmten Standard. ‚Gleichheit’ liegt also zwischen ‚Identität’ (Ununterscheidbarkeit in jeder Hinsicht) und ‚Ähnlichkeit’ (Fast-Identität in einer bestimmten Hinsicht“ (Krebs, 2000, 10). Verschiedenheit ist demnach die Voraussetzung von Gleichheit, die nur in Relationen zu verstehen ist. Gleichheit ist kein absoluter Begriff, der losgelöst von anderen Verhältnissen bestimmbar wäre. Die „Equality-of-What-Debatte“ fragt danach, auf welchem Feld Gleichheit bedacht wird (der Ressourcen, der Grundgüter, Befähigung, Freiheit, etc.) (Krebs, 2000, 11-13). Fünf Gleichheitsprinzipien können differenziert werden: 1. Formale Gleichheit (Gleiches gleich, Ungleiches ungleich behandeln); 2. Proportionale Gleichheit (alle Personen im Verhältnis zu dem, was ihnen zukommt, gleich behandeln); 3. Moralische Gleichheit (Gleichwürdigkeit jeder Person; Behandlung der Personen als Gleiche); 4. Präsumption der Gleichheit (Gleichheit hat Vorrang von Ungleichheit) und 5. Verantwortungsprinzip (Maßstäbe egalitärer Verteilung werden autonom deliberativ entwickelt) (Gosepath, 2004, 117-199).

In dieser Relationalität eignet dem Gleichheitsbegriff somit eine deskriptive wie präskriptive Bedeutung: deskriptiv, als hier rein beschreibend ein Merkmal festgehalten wird (Beispiel: zwei Menschen bekommen das gleiche Gehalt); präskriptiv, als vor dem Hintergrund eines gesetzten normativen Maßstabes ein Urteil gefällt und eine Bewertung vorgenommen wird, wie mit den Menschen verfahren werden soll, die unter diese Norm fallen. Darin wird nun aber zugleich ein weiterer Aspekt erkennbar. Wenn alle Menschen das gleiche Gehalt erhalten, werden sie dies als unterschiedlich angemessen empfinden, je nach Lebenssituation, Leistung, Arbeit, Ausbildung, etc. So stellen sich unterschiedliche Vorstellungen über das angemessene Gehalt heraus. Daraus folgt nicht, dass Gleichheit als angestrebtes Ideal irrelevant ist. Aber es muss genauer bestimmt werden, „welche Art der Gleichheit letztendlich wichtig ist“ (Dworkin, 2014 , 7).

Damit wird jedoch ein geradezu intrinsischer Zusammenhang der Gleichheit mit einer anderen Kategorie sichtbar, ohne den sie nicht verständlich ist: die → Gerechtigkeit. Sie ermöglicht erst eine Spezifizierung im Gleichheitsbegriff. Andererseits aber ist erst durch die Gleichheit die Gerechtigkeit näher zu fassen. Jede Abweichung einer Gerechtigkeitstheorie vom Gleichheitspostulat wäre doch vor diesem Gleichheitsbegriff zu rechtfertigen. Gleichheit würde demnach begrifflich mit Gerechtigkeit zusammenhängen, weil ohne die Prinzipien der formalen und proportionalen Gleichheit Gerechtigkeit nicht zu bestimmen ist. Moralische Gleichheit stellt nach moderner Gerechtigkeitstheorie das entscheidende Prinzip distributiver Gerechtigkeit dar. Hat demnach, so die mögliche These, die Gleichheit als der „Inbegriff“ und „Prüfstein der Gerechtigkeit“ zu gelten (Gosepath, 2004, 113-210)?

Dem scheinen andere Gesichtspunkte entgegenzustehen. Es gibt offensichtlich Fälle, in denen Mitleid, Empathie im Vordergrund stehen und nicht das Prinzip der Gleichheit. Der Anblick eines leidenden Menschen ruft Mitgefühl und Solidarität hervor. Hier steht kein Gleichheitsnormativ als Bewertungsmaßstab zur Verfügung. Nicht ein abwägendes Prinzip, sondern der Einzelfall wird wichtig. Wie aber steht das Gleichheitsprinzip zu diesem Einzelfall? Gibt es nicht auch Fälle, in denen dezidierte Ungleichbehandlung gerecht sein kann? Erfordert dies gar den Bruch mit der Dominanz des Gleichheitstheorems? Offensichtlich gerät der Gleichheitsbegriff im Hinblick auf das Besondere und Partikulare an seinen Grenzen. Ein Differenzierungsbedarf wird offenkundig, der uns mitten in die „Warum-Gleichheit?-Debatte“ hineinführt (Gosepath 2004, 111).

2. Zwischen Egalitarismus, Non-Egalitarismus und egalitärer Differenz. Konzeptionelle Überlegungen

Im Wesentlichen geht es in dieser Debatte um den Streit zwischen Egalitaristen und Non-egalitaristen. Deren zentraler Ort sind die komplexen Diskussionen der Gerechtigkeitstheorien. Egalitaristen sind (losgelöst von inneren Differenzierungen, die mit philosophischen, weltanschaulichen und religiösen Hintergrundannahmen zu tun haben) der Auffassung, dass Gerechtigkeit nie ohne Vergleich und damit nie ohne einen Gleichheitsmaßstab auskommt (Gosepath, 2004, 110-114;447-460). Ronald Dworkin, John Rawls oder Jürgen Habermas haben mit unterschiedlicher Stoßrichtung eine gleichheitsbezogene Gerechtigkeitstheorie entwickelt (Grümme, 2014, 1).

Aber muss Gerechtigkeit immer am Maßstab der Gleichheit ausgerichtet sein? Für Martha Nussbaum steht eine Sockelgerechtigkeit, die mit der Gegebenheit bestimmter Güter zu tun hat, im Vordergrund, für Michael Walzer sind es bestimmte Sphären der Gerechtigkeit, die jeweils den Ausschlag für die Bestimmung von Gerechtigkeit geben, für den Libertarianismus Robert Nozicks ist es die Fokussierung auf negative Freiheit, für Charles Taylors Kommunitarismus bildet ein gemeinschaftlich geteiltes Leben den Inbegriff von Gerechtigkeit. Wie auch immer die Akzentsetzungen sind: Der Non-egalitarismus misst nicht dem Gleichheitsprinzip zentralen Wert zu, auch wenn Gleichheit durchaus als sekundäres Phänomen ins Spiel kommt. „Er versteht Gerechtigkeit vielmehr wesentlich über absolute Standards“ der exemplarisch genannten Art (Krebs, 2000, 30).

Im Rahmen einer kritischen Beurteilung spricht Vieles für diesen Nonegalitarismus. Ist es nicht zentral, so Harry Frankfurt, dass Menschen ein gutes Leben führen? Nicht formale Gleichheit an Chancen, an Ressourcenverteilungen, sondern substantielle Bestimmungen sind für ein moralisches Leben wichtig. „Es kommt darauf an, ob Menschen ein gutes Leben führen, und nicht, wie deren Leben relativ zu dem Leben anderer steht“ (Frankfurt, 2000, 41). Ist nicht ein solches formales Prinzip im Zusammenhang der Verteilungsgerechtigkeit mit der demütigenden Erfahrung verbunden, nicht als Subjekt mit Rechten und Würde, sondern nur als Empfänger gesehen zu werden (Margalit, 2012)? Im Gegensatz zu einer apriorisch-konstruktiv verfahrenden Gerechtigkeitstheorie in kantianischer Tradition rekonstruiert die Anerkennungstheorie Axel Honneths in bereits vorhandenen Anerkennungsbeziehungen und Strukturen jene Geltungsbedingungen und Kategorien von Gerechtigkeit, die „als Normen der wechselseitigen Wertschätzung und Rücksichtnahme immer schon wirksam sind“ (Honneth, 2010, 72). Sie will noch vor den gleichen Rechten der Subjekte deren Anerkennungsbeziehungen auf den Feldern des Privaten, des Rechts und der Gesellschaft würdigen und dies in unterschiedlichen Anerkennungsformen von Liebe, Respekt und Solidarität zur Geltung bringen. Die Ausrichtung am Maßstab formaler Gleichheit würde diese grundlegenden Anerkennungsformen und damit die je spezifischen identitätsstiftenden Lebensformen unterlaufen (Honneth, 2010).

Ein gravierender Vorteil einer non-egalitaristischen Position ist demnach die Möglichkeit, damit die jeweiligen Individuen in ihrer besonderen Situation als Subjekte mit eigener agency und eigenem Recht zu würdigen. So nimmt es nicht wunder, dass diese Position in den Identitätspolitiken eine große Rolle spielt, in denen es um die Rechte von Frauen, von Schwulen, von Behinderten geht. Denn strikte Gleichheit, so der Vorwurf, führe zu Gleichmacherei, Nivellierung und Uniformität und negiere Pluralität und Differenz. Sie führe zu einer Dementierung oder gar „Hierarchisierung von Unterschieden“. Sie fördere die Anpassung „an eine vorherrschende und eigentlich problematische ‚männliche’, ‚weiße’ oder ‚bürgerliche’ Norm“. So entstehe Ungleichheit und Herrschaft eher „aus der Unfähigkeit, Unterschiede zu erkennen, anzuerkennen und zu pflegen“ (Gosepath, 2004, 197) als aus fehlender Gleichheit. Genau dies aber bestreitet Nancy Fraser. In ihrer Auseinandersetzung über Gleichheit und Anerkennung mit Honneth wirft sie ihm eine kulturalistische Verengung vor (Fraser/Honneth, 2003). Wohl würdige er in seiner Anerkennungstheorie die verschiedenen Formen von Vielfalt und Differenz und sei darum im Kontext des Multikulturalismus durchaus aussagekräftig. Damit könne er das Ringen um die Identität unterschiedlicher sozialer und kultureller Bewegungen, von Schwulen und Lesben, von Minderheitengruppierungen bis hin zu religiösen Subkulturen, um → Gender, Queer und Multikulturalität reflexiv wie analytisch erfassen. Aber die für die Konstituierung von Differenz mitverantwortliche Frage von Gleichheit würde abgeschattet. Andererseits würde jedoch auch eine Fixierung auf eine rein egalitäre Distributionstheorie der Vielfältigkeit der gerechtigkeitsrelevanten Phänomene nicht gerecht werden. „Man führe sich den Fall des afroamerikanischen Wall Street Bankers vor Augen, den einfach kein Taxifahrer mitnehmen will. Um auch solche Fälle berücksichtigen zu können, muss eine Theorie der Gerechtigkeit über die Verteilung von Rechten und Gütern hinausgehen, um auch institutionalisierte Schemata kultureller Bewertung berücksichtigen zu können“ (Fraser, 2003, 52; Gomolla, 2014, 74-80). Eine gerechte Güterverteilung reicht nicht hin, um Effekte mangelnder Anerkennung auszugleichen. Nicht weniger problematisch jedoch ist die Reduzierung auf die gegenteilige Perspektive. Nicht jede Art ökonomischer Benachteiligung ist „ein Nebenprodukt mangelnder Anerkennung. Man führe sich nur den Fall eines sachkundigen, weißen und männlichen Industriearbeiters vor Augen, der deshalb arbeitslos wird, weil seine Fabrik infolge einer riskanten Firmenfusion geschlossen wird“ (Fraser, 2003, 53). Hier wird weniger mangelnde Anerkennung als vielmehr das systemische, auf Ungleichheit zentrierte Gefüge von kapitalistischen Akkumulationsprozessen wirksam, das eine reine Anerkennungstheorie nicht erfassen kann. Zudem hat Stefan Gosepath herausgearbeitet, dass der Gleichheitsgrundsatz die beste Grundlage ist für die Rechtfertigung und Bestimmung derjenigen Maßnahmen, um jede Person mit der ihr gebührenden Achtung und Respekt zu behandeln (Gosepath 2004, 98-107).

Damit kristallisiert sich eine eigentümliche Dialektik im Gleichheitsbegriff heraus. Er bleibt vor allem gerechtigkeitstheoretisch unverzichtbar. Doch muss er sensibel sein für Differenzen, für Pluralität. Egalität und Unterschiedlichkeit, Gleichheit und Differenz sind so zusammen zu denken, dass beide als Kategorien wirksam und in ihrer wechselseitigen hermeneutischen wie normativen Kraft zur Geltung kommen können. „Differenz ohne Gleichheit bedeutet gesellschaftlich Hierarchie, kulturell Entwertung, ökonomisch Ausbeutung. Gleichheit ohne Differenz bedeutet Assimilation, Anpassung, Gleichschaltung, Ausgrenzung von Anderen“ (Prengel, 2006, 184). Genau eine solche Spannung hat Annedore Prengel auf den Begriff „Egalitäre Differenz als gleiche → Freiheit“ (Prengel, 2014, 54) gebracht. Damit geht es ihr um die Begründung und Wahrung des Miteinander der Verschiedenen. Freiheit und Gleichheit, Ungleichheit und Differenz, vertikale Ungleichheit und horizontale Unterschiedlichkeit bezieht sie streng aufeinander. „Gleichheitsvorstellungen ohne Ausgrenzungen implizieren die Akzeptanz gleichwertiger Differenzen und gehen damit über die Gleichheitsvorstellungen, die nur Gleichartiges gelten und Abweichendes ausgrenzen, qualitativ hinaus. Gleichheit als Gleichwertigkeit des Differierenden stellt damit erst die Einlösung der mit dem universell formulierten, aber nur reduziert gemeinten Gleichheitsbegriff verbundenen Versprechungen dar“ (Prengel, 2006, 47; Walgenbach, 2014, 22). Differenz soll Kategorien der Gleichheit aufnehmen und von dort her verstehen. Anerkennung von Minderheiten wäre demnach beschränkt, würde sie sich nur auf den kulturellen, religiösen oder ethischen Status konzentrieren und die sozial-ökonomische Lebensverhältnisse außer Betracht lassen. Zugleich aber soll Gleichheit durch Kategorien der Differenz vor vereinheitlichenden, subsummierenden, also Heterogenität schwächenden Kategorien geschützt werden. Erst von dieser Öffnung des Gleichheitsbegriffs auf den Differenzbegriff wird damit eine Pädagogik der Vielfalt möglich (Prengel, 2006, 64-167).

3. Gleichheit: Herausforderung für eine gerechte Religionspädagogik

Es leuchtet intuitiv ein, dass diese Debatten um Gleichheit und Differenz eine nachgerade intrinsische Relevanz für die Religionspädagogik haben. Von einer Theologie der Gottesebenbildlichkeit her wird die axiomatische Bedeutung der Gleichheit jedes Menschen vor Gott als normativer Horizont religionspädagogischer Prozesse markiert, der zugleich für Fragen der Gerechtigkeit und für ein allgemeines Menschenrecht auf Bildung relevant ist (Schweitzer, 2011). Da jeder Mensch Abbild Gottes ist, liegt in jedem die gottgegebene Möglichkeit, sich auf Gott hin in Freiheit und Autonomie zu entfalten. Jeder hat das Recht auf Bildung, jeder nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Aus theologischer Perspektive muss es das Ziel von Bildungsanstrengungen sein, jeder und jedem diese Bildung zu ermöglichen und alles dafür zu tun, um Exklusionen, um soziale, kulturelle Benachteiligungen zu vermeiden und Ungleichheiten je nach den gegebenen Voraussetzungen auszugleichen. Es geht um die Beseitigung oder zumindest Abschwächung von Disparitäten, um Förderung und zugleich die kontextuelle Arbeit an den strukturellen Voraussetzungen dafür, dieses gleiche Recht auf Teilhabe zu realisieren (Schweitzer 2011, 34-38; Grümme 2012, 209-225).

Mit einer gewissen Ungleichzeitigkeit gegenüber pädagogischen wie theologisch-sozialethischen Diskursen hat vor diesem Hintergrund der theologischen Qualität des Gleichheitsbegriffs eine Debatte über Bildungsgerechtigkeit in der Religionspädagogik begonnen. Dabei werden analytisch-selbstreflexive, normative wie pädagogische Aspekte miteinander konstruktiv interdisziplinär vermittelt (Grümme/Schlag, 2016). Nicht zuletzt die Kindertheologie und der schulische Religionsunterricht bilden besondere Entdeckungs- wie Bewährungszusammenhänge.

So wäre etwa die Kindertheologie anzufragen, ob sie nicht eine bürgerliche Normalbiographie voraussetzt. Unterstellt nicht die Kindertheologie mit einem bestimmten Sprachvermögen, Reflexionsvermögen und Motivationshintergrund einen elaborierten Code und damit auch einen (bildungs-)bürgerlichen Habitus? Gerade weil sie sich vorwiegend im Gespräch und im Modus kognitiv-diskursiven Lernens vollzieht, kann die Kindertheologie ungewollt eine höchst verhängnisvolle Eigendynamik entwickeln. Was ist mit Kindern, die sich lediglich im restringierten Code äußern? Inwiefern können sie überhaupt das normative Potential von Kindertheologie erreichen, sprachlich artikulierte Reflexion über den Glauben und über Religion zu sein? Inwiefern wiederholt damit nicht die Kindertheologie jenen gesellschaftlichen Marginalisierungsprozess von Bildungsfernen, die durch ihren restringierten Code in ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe abgehängt werden, während sie die anderen dagegen privilegiert (Grümme, 2014, 11-24; Johnsen/Schweitzer, 2011, 33)? Diese Mittelschichtsorientierung wurde zudem für die Schule wie für das zunehmend verbreitete Phänomen der Kinderuniversitäten nachgewiesen (Johnsen/Schweitzer, 2011, 34; Lütze, 2011, 93-95)

Ebenfalls bei Lehrkräften ist bildungssoziologisch eine Verengung auf ein bildungsbürgerliches Milieu empirisch erhärtet. Problematisch daran ist, dass diese nicht kritisch-selbstreflexiv mit dem eigenen professionellen Handeln und den eigenen teacher beliefs vermittelt und so damit unreflektiert (religions-)unterrichtlich wirksam wird. „Durch spezifische, vor allem an den Normen der Mittelschicht orientierte, schulische Sprachkodes und Verkehrsformen und damit einhergehende sozial selektive Erwartungs-, Wertschätzungs- und Belohnungsstrukturen wurden in Schule und Unterricht vor allem Schüler benachteiligt, denen diese, zum Großteil in der familiären Sozialisation erworbenen bzw. ‚habitualisierten’, Sprach- und Umgangsformen fremd sind“ (Neumann/Becker u.a., 2014, 171). Sprache und Denkoperationen eines elaborierten Codes werden gepflegt, die nicht von vornherein deckungsgleich sind mit dem restringierten Code bildungsferner Schichten und Milieus. Demnach lässt sich von „institutioneller Diskriminierung“ sprechen, deren Brisanz gerade in ihrer Fundierung in den institutionalisierten Regeln, Routinen, didaktischen Praktiken und Leistungsbewertungen liegt (Brake/Büchner, 2012, 113; Grümme, 2015, 241-252; Unser, 2014, 17-26; Grümme, 2016, 125-138).

4. Gleichheit und Differenz

Wird mit solchen Debatten der Gleichheitsbegriff als Kategorie religionspädagogischer Selbstverständigungsprozesse bedeutsam, so fällt auf, dass dieser dort bislang eher zurückhaltend mit Identitäts- und Differenzfragen vermittelt ist. Markant wird dies auf den hochkomplexen religionspädagogischen Feldern der Inklusion, der pluralen Religion im Rahmen der Migrationsströme sowie des Geschlechts (Grümme, 2017, 171-358). Inklusion ist wahrscheinlich derzeit die größte Herausforderung für einen gerechten wie identitätsstiftenden Religionsunterricht (Pemsel-Maier/Schambeck, 2014; Pithan, 2015), während die Frage nach der Relevanz des Geschlechts für religiöse Lehr- und Lernprozesse wie für die Identitätskonstruktionen der Subjekte durch die Genderdebatte neue Dynamik gewonnen hat (Arzt/Jakobs/Knauth/Pithan, 2009). Vor kaum abzusehende Herausforderungen stellen insbesondere die Prozesse von Migration und Flucht das vertraute Design interreligiösen Lernens (Schambeck, 2013; Schweitzer, 2014). In all dem aber müsste die Religionspädagogik die soziale und pädagogische Konstruktion zentraler Kategorien reflektieren, wodurch bislang zumeist vernachlässigte Aspekte wie Diskursmacht, Hegemonie oder die Dialektik von Inklusion und Exklusion durch Verwendung bestimmter Begriffe bedacht würden (Grümme, 2017, 53-63).

Kurze Striche sollen diese Komplexität und damit die Grenze des Gleichheitsbegriffs andeuten:

Vor dem Hintergrund des aufgezeigten inneren Zusammenhangs von Gleichheitsfragen mit Gerechtigkeitsfragen wird eine solche Komplexität für die pädagogisch-didaktische Konturierung brisant. In Analogie zu einer gerechten Bildung einerseits und einer Bildung zur Gerechtigkeit im Religionsunterricht könnte man eine gleichheitsorientierte religiöse Bildung von einer religiösen Bildung zur Gleichheit unterscheiden. Religiöse Bildung soll an der Gleichheit aller orientiert und in diesem Sinne gerecht sein, soll aber zugleich die Lernenden mit Gleichheitsvorstellungen aus der Geschichte, Gegenwart und vor allem der jüdisch-christlichen Tradition vertraut machen (Grümme, 2014).

Wenn nun in diesem Zusammenhang behauptet wird, dass Migration und Geschlecht in spezifischer Weise massive Faktoren der Benachteiligung darstellen, so wäre Differenzierungsbedarf angebracht. Grundlegend festzuhalten ist die „ungeheure → Heterogenität“ (Brake/Büchner, 2012, 168), die mit der Verwendung des Begriffs des Migrationshintergrunds verbunden ist. Zwar bedarf es überdies inzwischen vornehmlich einer Jungen- als einer Mädchenförderung (Riegel, 2015, 15-21), weil „eher Jungen hinsichtlich ihres Bildungserfolgs als benachteiligt gelten müssen“ (Brake/Büchner, 2012, 197; Knauth, 2009, 72-94), zwar ist ein Migrationshintergrund nicht prinzipiell ein Indiz für Benachteiligung selber, da insbesondere Migranten aus Asien eine erhöhte Leistungsbereitschaft entwickeln und oft gute Noten haben (Schwarz/Weishaupt, 2014, 9-36; Dumont, 2014, 151-153). Dennoch zeigt sich eine Überlagerung von sozio-ökonomischen mit kulturellen und genderbezogenen Variablen insbesondere bei Migrantinnen. So sind Bildungsanstrengungen von jungen Migrantinnen oft in dem Willen begründet, sich von Elternhaus, Familie und überkommenen Traditionen zu emanzipieren und sich dadurch gegenüber den deutschstämmigen Mitschülerinnen und ihren zukünftigen Partnern zu profilieren. Darin aber sehen sich diese Migrantinnen vermehrt mit Vorurteilen von Lehrerinnen und Lehrern konfrontiert (Karaksagoglu/Neumann, 2011, 63-65). Insgesamt werden damit migrationsspezifische Diskriminierungen und geschlechterdifferente Bildungschancen offenbar (Brake/Büchner, 2012, 165-225; Diefenbach, 2011, 449-451). In diesem Zusammenhang ist das Herkunftsland wichtig. Doch lassen sich keine Unterschiede zwischen Kindern mit oder ohne Migrationshintergrund aufzeigen, sobald der sozioökonomische Status und die Leseleistung herausgenommen werden (Brake/Büchner, 2012, 179f.). Soziale Herkunft und Migrationshintergrund haben demnach ein relatives Eigengewicht wie sie zugleich zusammen mit der hoch relevanten Sprachkompetenz „kumulativ an dem Zustandekommen von migrationsbezogener Bildungsungleichheit beteiligt“ (Brake/Büchner, 2012, 189) sind.

Ähnlich differenziert sind die Einflüsse von Geschlecht und Gender zu sehen. So haben zwar Jungen im schulischen Bereich erheblich mehr Probleme als Mädchen, zugleich hat sich der relative schulische Bildungserfolg weder auf dem Feld der Hochschule noch auf dem Arbeitsmarkt niedergeschlagen (Brake/Büchner, 2012, 214f.). Aber weder die sog. Feminisierung des Lehrkörpers, die den Jungen angeblich die fehlenden motivationssteigernden Identifikationen versagt, noch biologische oder gendertheoretische Aspekte können die „Geschlechterdisparitäten im Bildungssystem“ erklären (Brake/Büchner, 2012, 224; vgl. Horstkemper/Tillmann, 2016, 77-79). Monokausale Muster versprechen mehr als sie einlösen. Dagegen ist davon auszugehen, dass institutionelle Faktoren, biologische Aspekte wie Doing-Gender-Prozesse ineinanderwirken (Brake/Büchner, 2012, 224). Von wesentlichem Einfluss vor allem auch für die Interdependenz mit Inklusionsfragen ist der Armutsfaktor. Nicht nur, dass neben Ein-Eltern-Familien und Zwei-Eltern-Familien mit drei und mehr Kindern auch Migrantenfamilien besonders armutsgefährdet sind. Diese Verbindung wirkt sich empirisch nachweisbar auf den Förderbedarf von Kindern und Jugendlichen aus. Angesichts dieser „facettenreichen Zusammenhänge erklärt sich, dass nicht nur Lern- und Verhaltensprobleme bis hin zu Schulversagen und Lernbehinderung im Kontext von armutsbedingter Deprivation überrepräsentiert auftreten, sondern auch, wenngleich in geringerem Ausmaß, körperliche, geistige und sinnesspezifische Behinderungen“ (Weiß, 2016, 420). Aber auch das Umgekehrte gilt: „Behinderungen und Beeinträchtigungen können zu Armut und sozialer Benachteiligung führen“ (Weiß, 2016, 420).

Gleichheitstheoretisch wird damit erkennbar, inwieweit der Referenzbereich des Gleichheitsbegriffs überschritten wird und zugleich das Ungenügen einer reinen Addition bestimmter Benachteiligungen beispielsweise von Migration und Behinderung „im Sinne einer ‚doppelten Behinderung‘“ aufgezeigt ist (Hedderich, 2016, 415; Halfmann, 2014).

5. Desiderate

Offensichtlich liegt es im Gefälle eines angemessenen Gleichheitsbegriffs, ethnokulturelle, religiös-plurale, genderbezogene, inklusionstheoretische und sozio-ökonomische Gerechtigkeit zusammen denken zu müssen. Die Pluralität von Religion, die migrationsbedingte Interreligiosität inklusiven Lernens, die nötige Sensibilität für Gendergerechtigkeit, aber eben auch die zunehmende Benachteiligung von Kindern aus sozialschwächeren Kontexten erfordern „eine Zusammenführung“ dieser fachdidaktischen Zugänge und Diskurse im Horizont einer Pädagogik der Vielfalt (Pithan, 2015; Arzt/Jakobs/Knauth/Pithan, 2009, 9-28; Jaboks, 2013, 117-134; Kammeyer, 2014, 30-33; Kammeyer, 2012, 198-206; Pemsel-Maier, 2014, 210). Daraus ergeben sich religionspädagogisch mindestens zwei Desiderate:

  1. 1.Wie wäre diese Wechselseitigkeit religionsdidaktisch im Rahmen der genannten Unterscheidung zwischen einer religiösen Bildung zur Gleichheit und einer gleichheitsorientierten religiösen Bildung zu operationalisieren?
  2. 2.Angesichts dieser wechselseitigen Belastungszusammenhänge von Armut, Behinderung, Geschlechtszugehörigkeit und Migration liegt für manche eine „intersektionale Betrachtungsweise“ (Weiß, 2016, 421) für die Religionspädagogik auf der Hand (Arzt/Jakobs/Knauth/Pithan, 2009, 9-28). Doch kann der Intersektionalitätsbegriff religionspädagogisch den semantischen Gehalt von Gleichheit so zur Sprache bringen, dass darin deren analytischer, normativer wie pädagogisch-didaktischer Horizont ebenso bedacht wird wie sein intrinsischer Konnex mit Identitätsfragen? Eine kritische religionspädagogische Analytik thematisch anschlussfähiger Begriffe wie Intersektionalität und Diversity bleibt hier skeptisch (Grümme, 2017, 77-89). Wäre stattdessen ein Konzept Aufgeklärter Heterogenität zu entfalten, um in dem skizzierten anspruchsvollen Sinne Gleichheit und Differenz, Ungleichheit und Unterschiedlichkeit religionspädagogisch denken und als bildungsrelevant ausweisen zu können (Grümme, 2017)? An diesem Problemüberschuss der Gleichheitsdebatte muss sich eine Religionspädagogik abarbeiten, die sich als öffentliche und kontextuelle Wissenschaft in die Suche nach einer angemessenen religiösen Bildung für alle einschalten will.

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