Deutsche Bibelgesellschaft

Langeweile

(erstellt: März 2023)

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1. Einleitung

Langeweile im Schulkontext zu thematisieren ist bisweilen brisant. Zwar zählt sie zu den zentralen Erfahrungswerten schulischen Alltags (Nett/Goetz/Hall, 2011, 55) und wird durch die Planung und Durchführung didaktischer Vermittlungsprozesse stets versucht zu vermeiden, gleichwohl überrascht die bislang noch geringe wissenschaftliche Berücksichtigung des weitverbreiteten Phänomens. In der deutschsprachigen Schul- und Unterrichtsforschung kommt Langeweile erst seit wenigen Jahren vermehrt wissenschaftlich in den Blick (Krannich/Götz, 2021; Götz/Krannich/Roos/Gogol, 2018; Schomäcker, 2011; Lohrmann, 2008; Götz/Frenzel, 2006).

Doch weshalb gibt es bislang nur wenige wissenschaftliche Betrachtungen des Phänomens? Die Brisanz der Thematisierung liegt in der Sache selbst begründet: Wird Unterricht als langweilig beschrieben, liegt ein negativ empfundener Umgang mit Zeit vor, der neben dem didaktischen Arrangement auch das professionelle Handeln der Lehrpersonen anfragt (Lohrmann/Haag/Götz, 2011). Obwohl Langeweile schularten- und fächerübergreifend auftritt, ist ihre Explikation weder unter Lehrpersonen noch unter Schülerinnen und Schülern opportun. Sie kann, missverstanden als Kritik an der Lehrperson, dazu führen, dass sich diese als unzureichend in ihrem Beruf wahrnimmt (Lohrmann, 2008, 17). Hinzukommt, dass Unterricht, wenn er als langweilig klassifiziert wird, seinem wesentlichen Ziel nicht nachkommt, nämlich Schülerinnen und Schüler für Lerngegenstände zu interessieren. Beide Gründe legen nahe, auf eine Thematisierung von Langeweile im Schulalltag zu verzichten und sie vielmehr als Teil schulischer Realität hinzunehmen (Breidenstein, 2006, 77). Die weitestgehende Tabuisierung der Langeweile in Schule und Unterricht bedingt ihre noch unzureichende Berücksichtigung im schulpädagogischen Diskurs (Breidenstein, 2006, 77 [Fußnote 9]). Auch die fachdidaktische Diskussion zum Religionsunterricht thematisiert Langeweile selten, und wenn, dann als etwas, das es durch einen am Alltag Lernender ausgerichteten Religionsunterricht und entsprechende Zugangsweise zu vermeiden gilt (Beuscher, 2009).

Um Langeweile für den religionspädagogischen Kontext zu erschließen, wird zuerst eine Begriffsbestimmung vorgenommen (2). Anschließend werden Forschungserkenntnisse aus philosophisch-systematischer, pädagogisch-didaktischer und psychologischer Perspektive aufgezeigt (3). Abschließend werden die Erkenntnisse religionspädagogisch gebündelt (4) und in einem Ausblick diskutiert (5).

2. Begriffsbestimmung

Was ist unter Langeweile zu verstehen? Langeweile kann aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven betrachtet werden, Auseinandersetzungen hierzu finden sich beispielsweise in der Literatur, Philosophie, Pädagogik, Theologie, Psychologie und Soziologie. Gleichwohl wird deutlich, dass sich keine einheitliche und knappe Definition vornehmen lässt, da Langeweile ein vages und vielfältiges Phänomen darstellt und mannigfaltige Ausdrucks- und Ausgestaltungsformen aufweist (Schomäcker, 2011, 27).

Etymologisch entstammt Langeweile der Zusammenrückung aus lange Weile und ist bereits im 14. Jahrhundert verzeichnet, erlangt ihre heutige Bedeutung allerdings erst im 18. Jahrhundert (Lessing, 1980, 28). Als inhaltliche Wegbereiterin für den Begriff kann die sogenannte Acedia, auch bekannt als Mönchskrankheit, gelten. Acedia (gr. für Trägheit) stellte als daemonium meridianum ein moralisches Laster der Mönche dar und befiel diese besonders um die Mittagszeit (Bellebaum, 1990, 25). Unter Acedia lassen sich sowohl geistig-seelische Symptome wie Lustlosigkeit, Unkonzentriertheit und Müdigkeit als auch auf körperlicher Ebene „eine den ganzen Körper befallende Schwere“ und Schläfrigkeit fassen (Jürgasch, 2021, 72). Acedia steht in ihrer ursprünglichen Bedeutung für Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit, allerdings kann sie auch Erschöpfung, Apathie, Überdruss sowie den „Zustand asketischer Unlust“ bedeuten, die die „vollständige Identifikation mit Gott“ erschwert (Bellebaum, 1990, 25).

In dieser Bedeutungstradition stehend wird Langeweile mit Eintönigkeit, Interessenlosigkeit, Schwermut, Unlust, Verdrossenheit und Trägheit in Verbindung gebracht (Bellebaum, 1990, 15). Langeweile als „Stillstand des Verlangens“ (Kingwell, 2021, 43) beschreibt ein spezifisches Verhältnis zur Welt, in dem sich das Subjekt von Ereignissen oder Dingen distanziert vorfindet und keinerlei Anziehung zu seiner Umwelt verspürt. Rückzug und ein Mangel an Verbundenheit bedingen die innere Abkopplung zu den umliegenden Erfahrungsbezügen und Ereignissen (Breidenstein, 2006, 70).

Langeweile kann anhand von den folgenden Wesensmerkmalen näher charakterisiert werden (Lohrmann, 2008, 16-19):

  • Zeitlicher Bezug: Als gegenwartsbezogene Emotion ist Langeweile „ohne Vergangenheit und Zukunft“ (Svendsen, 2002, 98) und verweist auf eine präsentische Erfahrung. Damit ist sie stets auf eine aktuelle Gegebenheit bezogen, d.h. dass weder Erinnerungen an oder Erwartungen auf Langweiliges das Erleben des Gefühls herbeiführen können.
  • Sach-/Sozialbezug: Langeweile kann als aufgabenbezogene Emotion betrachtet werden. In dieser Perspektive wird sie im Kontext einer bestimmten Situation, Aufgabe oder Tätigkeit konstruiert.
  • Valenz: Langeweile geht mit einer negativen Valenz einher. Das unangenehme Erleben des verlangsamten Zeitverlaufs wird durch die fehlende Kontrolle auf Seiten des erlebenden Subjekts bedingt (Levine, 1998, 70). Als aversive Emotion kann Langeweile im Lern- und Leistungskontext negative Auswirkungen auf die Lernmotivation, Informationsverarbeitung, Lernstrategien sowie Leistungen nehmen (Goetz/Hall/Krannich, 2019, 473).
  • Energetisierung: In der pädagogischen Psychologie wird Langeweile verstärkt als negative, deaktivierende Emotion betrachtet (Pekrun/Goetz/Titz/Perry, 2002, 97; Pekrun/Jerusalem, 1996, 13). Ferner kann sie eine geringe und zugleich hohe Arousalintensität aufweisen (Götz/Frenzel, 2006, 151; Pekrun/Goetz/Titz/Perry, 2002, 97).
  • Intensität und Dauer: Langeweile kann sich in der Intensität und in der Dauer des Erlebens je nach Situation und Person stark unterscheiden. Charakteristisch für das Gefühl ist die sich entwickelnde Intensität, die im Vergleich zu anderen Emotionen wie Angst nicht plötzlich auftritt, sondern sich ausbreitet und mit zunehmender Dauer sogar verstärkt (Pekrun/Frese, 1992, 186).

Zudem geht Langeweile mit verschiedenen äußeren Ausdrucksformen → Körpersprache einher. Neben aufgestützten Ellenbogen, welche die Schwere des Körpers abstützen, können auch die abgestützten Hände auf der Hüfte, Gähnen, der Blick ins Leere sowie der herabhängende Hals als Ausdruck des Phänomens gelten (Toohey, 2011, 35-41).

Ferner kann Langeweile in Abgrenzung zum Phänomen der Muße bestimmt werden. Beide prägt ein eigentümliches Zeitverhältnis, das für Bildungskontexte (→ Bildung) bedeutend sein kann. Während Muße als sinnerfüllte, zweckfreie Zeit mit einem hohen Qualitätsgehalt gelten kann, meint Langeweile vielmehr den schleppenden und hinhaltenden Zeitverlauf, der insbesondere Lernende in Distanz zu ihrer Umwelt versetzt (Gronover, 2022).

3. Perspektiven auf Langeweile

3.1. Systematisch-philosophische Überlegungen

Eine philosophische Annäherung an Langeweile kann mit Hilfe der phänomenologischen Bestimmungen Heideggers vorgenommen werden. In seiner Vorlesung „Grundbegriffe der Metaphysik“ vom Wintersemester 1929/30 sieht er die Ursache für Langeweile in der Zeitlichkeit menschlichen Daseins und systematisiert drei verschiedene Formen: das „Gelangweiltwerden von etwas“, das „Sichlangweilen bei etwas“ und das „es ist einem langweilig“ (Heidegger, 1983, 117-238).

Nach Heidegger liegt in der ersten Form der Langeweile ein bedrängendes Verhältnis zur Zeit vor, das an eine spezielle Situation oder bestimmte Gründe gebunden ist. Diese Form kann auch als situativ bezeichnet werden, da sie oftmals nicht lange anhält und durch Veränderung oder Intervention schnell wieder aufgelöst werden kann. „Gelangweiltwerden“ bedeutet „eine eigentümliche lähmende Betroffenheit vom zögernden Zeitverlauf und der Zeit überhaupt, eine Betroffenheit, die uns in ihrer Weise bedrängt“ (Heidegger, 1983, 148, Hervorhebung: im Original). Langeweile zeichnet sich demnach durch das „Hinhaltende und doch Leerlassende“ (Heidegger, 1983, 130, Hervorhebung: im Original)aus.Hingehalten wird der Mensch durch den zögernden Zeitverlauf, aus dem er mit einer Beschäftigung entkommen will und mit „flatternde[r] Unruhe“ die Zeit anzutreiben versucht (Heidegger, 1983, 197). Leergelassenheit zeigt sich darin, dass die vorhandenen Dinge keine Ablenkung bieten, den Menschen leer zurücklassen und ihn auf sich selbst zurückwerfen (Heidegger, 1983, 154f.).

Die zweite Form der Langeweile, das „Sichlangweilen bei etwas“, tritt losgelöst von Gründen oder Anlässen auf und weitet sich auf andere Bereiche aus: „Sie [die Langeweile, L.M.] bezieht sich nicht nur auf das bestimmte Langweilende, sondern legt sich über mehreres, anderes: alles wird langweilig“ (Heidegger, 1983, 139). Diese Form der Langeweile entspringt dem Dasein selbst und bezieht sich nach Heidegger auf Erfahrungen, die sich durch die Uneigentlichkeit menschlichen Daseins charakterisieren, der Mensch also nicht selbstbestimmt handelt, sondern sich den oberflächlichen Gepflogenheiten einer Situation hingibt (Schütz, 2008, 28). In der Sinnlosigkeit des Unternehmens wird die Zeit in gewisser Weise verschwendet und entleert das Selbst (Heidegger, 1983, 194). Diese Form der Langeweile zeichnet sich durch ein unauffälliges und unbewusstes Abspielen des Zeitvertreibs aus, bei dem der Mensch in die eigene Schwere der Langeweile hineingezogen wird (Heidegger, 1983, 186;197).

Davon zu unterscheiden ist die dritte, existenzielle Form, „es ist einem langweilig.“ Diese fundamentale Langeweile führt zu Gleichgültigkeit der Situation und des Selbst: „Die ganze Situation und wir selbst als dieses individuelle Subjekt sind dabei gleichgültig, ja diese Langeweile lässt es gerade nicht erst dazu kommen, dass dergleichen uns etwas Besonderes gilt, sie macht vielmehr, dass alles gleich viel und gleich wenig gilt.“ (Heidegger, 1983, 207, Hervorhebung: im Original). Diese Gleichgültigkeit betrifft die gesamte Weise des Bewusstseins, sodass sich eine Leere um die eigene Existenz spannt, die dem Selbst wiederum gleichgültig ist.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Langeweile bei Heidegger durch die Komponente des Zeitverhältnisses als eine von den Dingen ausgehende Dynamik in unterschiedliche Wirkungsformen ausdifferenzieren lässt. Als eigentümliches und verlangsamtes Verstreichen vom zögerlichen Zeitverlauf verweist sie auf das Subjekt und dessen Wahrnehmung der Zeit. Langeweile macht dabei ein spezifisches Selbst- wie auch Weltverhältnis sichtbar (Breidenstein, 2006, 73). Mit Heidegger lässt sich Langeweile als hinhaltendes und leerlassendes Phänomen begreifen, das es vermag, den Menschen leer und unerfüllt sich selbst zu überlassen.

Doch wie lässt sich das Phänomen am Ort Schule, dem vermeintlichen „Langeweileinstitut par excellence“ (Doehlemann, 1991, 152), und für schulische Lehr-Lern-Settings näher bestimmen?

3.2 Pädagogisch-didaktische Überlegungen

Aus pädagogisch-didaktischer Perspektive zielen Unterrichtsplanung und ‑durchführung vor allem auf die Vermeidung von Langeweile. Betrachtet man den Unterrichtskontext dennoch genauer, ergibt sich eine Bandbreite aus potenziellen Anlässen, in denen sich Schüler und Schülerinnen langweilen und sich in diesem spezifischen Verhältnis zur Welt vorfinden können. Lohrmann sieht weniger spezielle Inhalte oder Fächer für Langeweile verantwortlich als vielmehr gewisse Unterrichtssituationen, in denen bestimmte Fächer für Schüler und Schülerinnen mit Langeweile einhergehen (Lohrmann, 2008, 143).

Lohrmann, Haag und Götz (2011) wie auch Beuscher (2009) speziell für den Religionsunterricht sehen eine Ursache von Langeweile in einem mangelndem Lebensbezug begründet, beispielsweise wenn Schüler und Schülerinnen keine Verbindung zu ihrer Lebenswelt herstellen oder diesen nur schwer in den vermittelten Inhalten erkennen können. Aus religionspädagogischer Perspektive ist hier das didaktische Prinzip der → Korrelation zu nennen, in dem die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler bei der didaktischen Vermittlung religiöser Inhalte eine zentrale Rolle spielen. Für den beruflichen Unterricht kann hier die Berufsrelevanz angeführt werden, die eine Verbindung zur Berufspraxis oder zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler herzustellen versucht, um berufsbildenden Unterricht kurzweilig werden zu lassen. Gelingt es Lernenden, einen Bezug in ihrer Lernumgebung zu realen Kontexten herzustellen, wächst die subjektive Bedeutsamkeit der Lerninhalte. Lernsituationen, die tendenziell echter und anwendungsbezogener gestaltet werden, können Schülerinnen und Schüler stärker für Unterrichtinhalte motivieren und interessieren (Lohrmann/Haag/Götz, 2011, 113), allerdings lässt sich hierbei kein Automatismus verzeichnen.

Als weitere und höchst bedeutsame Ursache für Langeweile kann die Unter- bzw. Überforderung bei Schülerinnen und Schülern gelten. Kommt keine inhaltliche Passung zwischen dem Aufgabenniveau und den Lernenden zu Stande, etwa weil eine Anforderung als zu leicht oder schwer wahrgenommen wird, können Lernsituationen für Schülerinnen und Schüler langweilig werden. Die Vermittlung ausschließlich bekannter Inhalte oder das Überschreiten von Anforderungen können für Langeweile sorgen, beispielsweise wenn sich Lernende aufgrund fehlender Kenntnisse nicht aktiv an der Lernsituation beteiligen können (Lohrmann/Haag/Götz, 2011, 113).

Auch die Nicht-Passung von individuellen Bedürfnissen zur schulischen Umwelt, bestimmt von personellen, strukturellen oder architektonischen Bedingungen, kann Langeweile bei den Lernenden hervorrufen (Krannich/Götz 2021, 48; Wellgraf, 2018; Breidenstein, 2006, 85). Zuweilen findet schulisches Lernen unter einem hohen Maß an Fremdbestimmung statt, sodass Doehlemann die Gefahr einer Teilung des Selbst sieht, die wesentliche Züge des Menschseins im Schulkontext ausblendet: „Die Schule hält heute wie ehedem junge Menschen in Unterrichtsräumen zeitweilig gefangen, legt ihre Körper still und setzt ihnen einen weitgehend abstrakten Lernstoff vor, der meist nichts mit ihrem derzeitigen Leben zu tun hat und vor allem mittels Prüfungsdruck in ihre Köpfe gelangt. Der Schüler wird sein noch ungefestigtes Selbst in einen schulangemessenen Teil und einen Teil für draußen aufspalten. Zum letzteren gehören weite Bereiche der jugendlichen Emotionalität, Körperlichkeit und Sinnlichkeit.“ (Doehlemann, 1991, 152). Diese Nicht-Passung kann bei Lernenden das Bedürfnis auslösen, die Situation verlassen zu wollen, beispielsweise durch Gedankenflucht oder Seitengespräche (Krannich/Götz, 2021, 48).

Ungenutzte Lernzeit kann ebenfalls ein Grund für schulische Langeweile darstellen. Situationen, in denen die Lernzeit Einzelner nicht ausgeschöpft wird – beispielsweise wenn auf andere und die Fertigstellung ihrer Aufgaben gewartet werden muss – können einen zeitlichen Leerlauf ergeben. Allerdings muss ungenutzte Zeit nach Lohrmann u.a. nicht zwingend als Langeweile empfunden werden. Diese stelle sich erst ein, wenn Lernende diese Pause als unerwünscht oder als ungenutzt wahrnehmen. Hierzu zählen auch → Unterrichtsstörungen, welche die Aufmerksamkeit der Lehrperson für sich beanspruchen, die Vermittlung unterbrechen und damit den Lernfortschritt Einzelner aufhalten. Störungen im Unterricht können für zeitlichen Leerlauf und damit für Langeweile unter den Schülerinnen und Schülern sorgen (Lohrmann/Haag/Götz, 2011, 114).

Langeweile kann auch durch inhaltliche sowie methodische Monotonie im Unterrichtskontext erzeugt werden. Inhalte wiederholt ohne neue Facetten aufzuzeigen, ohne Zusammenhänge herzustellen oder ohne tiefere Erkenntnisse bei Lernenden herbeizuführen, macht die Vermittlungssituation für Schülerinnen und Schüler langweilig. Auch methodische Wiederholungen, ähnliche Unterrichtsabläufe und sich stets wiederholende Medien lassen Abwechslung vermissen und bergen das Risiko der Langeweile. (Lohrmann/Haag/Götz, 2011, 114).

Zuletzt führen Lohrmann u.a. mangelnde Aktivierung ins Feld, die Langeweile im Unterricht hervorrufen kann. Würden Schülerinnen und Schüler im Unterricht über einen längeren Zeitraum zu wenig beteiligt und gegen ihren Wunsch nur passiv in das Unterrichtsgeschehen eingebunden, kann dies in Lernsituationen zu Langeweile führen. (Lohrmann/Haag/Götz, 2011, 114).

Zusammenfassend lässt sich bündeln, dass Langeweile aus pädagogisch-didaktischer Perspektive ein Phänomen darstellt, das sich in verschiedenen schulischen Situationen einstellen und dem Lernprozess hinderlich sein kann. Mangelnder Lebensbezug, Unter- oder Überforderung, Nicht-Passung individueller Bedürfnisse zur schulischen Umwelt, ungenutzte Lernzeit, methodische oder inhaltliche Monotonie sowie mangelnde Aktivierung sind Begleiterscheinungen schulischen Unterrichtens, die durch methodisch-didaktische Arrangements zu vermeiden versucht werden.

Eine alternative Perspektive auf Langeweile lenkt den Fokus von ihrer Vermeidung hin zu ihrem schöpferischen Potenzial. Auch Nietzsche sieht in Langeweile ein kreatives Vermögen, wenn er sie als „unangenehme ‚Windstille‘ der Seele, welche der glücklichen Fahrt und den lustigen Winden vorangeht“ (Nietzsche, 2022, 79), beschreibt.

3.3 Psychologische Überlegungen

Langeweile kann aus psychologischer Blickrichtung dezidiert in ihrem kreativen Potenzial betrachtet werden, das ideenreiche Prozesse freisetzt und so auch eine gewisse Nähe zur Muße im Sinne einer „produktive[n] Unproduktivität“ aufweist (Dobler, 2017, 63). In dieser Perspektive kann Langeweile das Subjekt zur Introspektion und Selbstreflexion anregen sowie zur Exploration anstoßen (Rule, 1998). Langeweile im Zusammenspiel mit → Kreativität ist besonders für Lern- und Leistungssettings bedeutsam, in denen aufgrund hoher Fremdbestimmung dennoch kreative Problemlösekompetenzen gefördert werden sollen (Krannich/Götz, 2021, 45).

Empirischen Studien liefern Ergebnisse zur positiven, negativen sowie wenig effektvollen Relation von Langeweile und Kreativität (Haager/Kuhbandner/Pekrun, 2016; Gasper/Middlewood, 2014; Mann/Cadman, 2014; Larson, 1990). Krannich und Götz (2021) postulieren aus diesem Grund eine Differenzierung zwischen Unterforderungs- und Überforderungslangeweile im Schulkontext, insbesondere bei Aufgabenbearbeitungen, um ihren Gewinn für Kreativität genauer nachzuvollziehen. Beide Formen der Langeweile verweisen auf eine fehlende Passung zwischen Person und Situation, die mit Hilfe von Arousal-Theorien psychologisch betrachtet werden kann. Hierbei misslingt die Passung zwischen individuellen Bedürfnissen und den in einer Situation vorhandenen Stimuli, sodass es zu Ablenkungen und alternativen Handlungen kommen kann (Csikszentmihalyi, 1975). Positive Auswirkungen auf die Kreativität lässt sich lediglich bei Unterforderungslangeweile ausmachen, da hierbei Schülerinnen und Schüler genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, um sich im Sinne einer kognitiven Aktivierung (→ kognitive Aktivierung) neue Stimuli herbeizuschaffen. Diese wiederum erweitern den Aufmerksamkeitsradius und können der kognitiven Herausforderung zuträglich sein. Die zusätzlichen Stimuli unterstützen die Reorganisation der Gedanken bei der kreativen Aufgabenlösung (Krannich/Götz, 2021, 52). Langeweile, die sich bei Lernenden in Überforderungssituationen einstellt, hat keine positiven Auswirkungen auf Kreativität (Krannich/Götz, 2021, 59).

Demnach kann aus psychologischer Perspektive in Lern- und Leistungssettings ein positiver Zusammenhang von Langeweile und Kreativität ausgemacht werden. Langeweile, die bei Unterforderung auftritt, kann kreatives Potenzial freisetzen, indem beispielsweise alternative Lösungswege entdeckt oder ideenreiche Bearbeitungsformen eines Problems entwickelt werden.

4. Langeweile im Religionsunterricht

Auch für den Religionsunterricht lohnt es sich, über verlangsamtes Zeitempfinden und Langeweile als Facette menschlicher Existenz nachzudenken. Aus didaktischer Perspektive und im Sinne einer religionspädagogischen Grundaufgabe hat der Religionsunterricht den Auftrag „produktiver Unterbrechungen“ (Englert, 1985, 392) und trägt das Potenzial, sich vom linear getakteten Schulalltag abzuheben. Schule folgt im Wesentlichen einer terminierten Zeitstruktur, die sich in einer 45-minütigen rhythmisierten Stundentafel organisiert. Ein automatisierter Gong und die in jedem Klassenzimmer angebrachte Uhr geben den am Unterricht Beteiligten zu jeder Zeit Auskunft und Orientierung über das Voranschreiten der schulischen Zeit. Markierungen zeitlicher Übergänge ergeben sich auch durch den Wechsel von Räumen und Lehrpersonen, die das jeweilige Fach vertreten. Auch das Vermittlungsgeschehen, die Lerninhalte, Anforderungen und Bedürfnisse unterliegen der schulischen Zeitstruktur und müssen gegebenenfalls gekürzt, umorganisiert oder andernorts verhandelt werden. Die organisierte und rhythmisierte Zeit kann sich von der persönlichen Erfahrung der Zeit im Schulalltag unterscheiden (Breidenstein, 2006, 67).

Unschwer lässt sich in der Taktung schulischer Zeit ein ökonomisch-industriell beschaffenes Zeitverständnis erkennen. Hilger führt dies deutlich vor Augen: „[D]as Lernen im Gleichschritt, objektivierende Verfahren der Leistungsbewertung, rigide Zeiteinteilungen, unabhängig von Lebensalter, Lebensrhythmus, Jahreszeit und Inhalten, die Angst des Lehrers, nicht voranzukommen[,] und die Angst der Schüler[,] nicht mitzukommen [...]“ (Hilger, 1993, 264). Ein Hinterfragen schulischer Zeitstrukturen kann zur Ursprungsbedeutung des Wortes Schule zurückführen. Lateinisch schola, griechisch scholē, bedeutet → Schule so viel wie Muße, Ruhe und Zeit zum Innehalten (Kirchner/Jürgasch, 2021). Nach Hilger läuft genau dieser Ursprungsbedeutung eine an effizienter Linearität und Gleichförmigkeit ausgerichtete Bildungslogik entgegen, vielmehr könnten „die Umwege und Rückschritte, die umkreisenden Bewegungen, die Prozesse des Verwirrens und Entwirrens, die Blockade und der Widerstand wichtiger sein als das gleichmäßige Fortschreiten“ (Hilger, 1993, 268). Bildung kann auch fernab von Produktivitäts- und Zeitdruck als freie Ermöglichung von Leerstellen, Pausen und Irrwegen her gedacht werden. Zudem birgt eine Verlangsamung das Potenzial, eine Tiefendimension im Religionsunterricht zu erschließen, die den Raum für eine Begegnung mit Gott schaffen kann (Wunderlich, 2012, 315f.). Konkret schlägt Hilger eine „produktive Verlangsamung“ (Hilger, 1993, 262) vor, die Lernenden Zeit zum Wahrnehmen, Denken, Verarbeiten und Reagieren lässt und so den Raum für potenzielle Mußestunden ermöglicht (Gronover, 2022). Was im Religionsunterricht als Haltung entdeckt und kultiviert wird, kann auf die gesamte Schulkultur ausstrahlen (Hilger, 1993, 262).

Zwar handelt es sich bei Langeweile nicht um eine per se produktive Verlangsamung, dennoch lassen sich wichtige Erkenntnisse aus Hilgers Überlegungen zur Wahrnehmung von Zeit ableiten. Es gilt ein alternatives Verständnis von Zeit zu entwickeln, das Raum für lange Weile bereithält. Religionsunterricht als Ort, an dem Lernende sensibel für ihre eigene Wahrnehmung und ihr Verhältnis zur Welt und zu Gott werden, an dem sie Gedanken nachhängen, um Meinungen ringen und über Perspektiven nachdenken können, birgt die Chance, kreatives und wohltuendes Potenzial im getakteten Schulalltag zu entfalten. Wenn Zeit keine Mangelware darstellt, entsteht Platz für Kreativität, Neues und Unerwartetes. Auf diese Weise kann im Religionsunterricht gelegentlich ein Funke des Ruhetags im Schöpfungsmythos aufscheinen. Sabbat als wohltuende Unterbrechung ermöglicht dem Menschen und der Schöpfung, zu sich selbst und zu Gott zu finden (Hilger, 1993, 271; Dohmen, 2003).

5. Ausblick

Zwar ist Langeweile in der Idee gelungenen Religionsunterrichts nicht vorgesehen, dennoch gehört sie als Teil menschlicher Grunderfahrung zwangsläufig zum Unterricht dazu. Aus einer (religions-)didaktischen Perspektive können sich Lehrende mit Blick auf ihre Unterrichtspraxis fragen: Wie sind Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht thematisch und persönlich involviert? Wann sind welche Schülerinnen und Schüler außen vor, gegebenenfalls aufgrund ihrer kognitiven Ressourcen oder ihrer individuellen Bedürfnisse? Wann und wie nehmen sich Lernende aus dem Unterricht heraus und suchen nach alternativen Beschäftigungen?

Ein veränderter Blick auf lange Weile kann auch neue Perspektiven für den Religionsunterricht eröffnen. Wird schulische Zeit um Zeitoasen erweitert, die fernab einer rhythmisiert-strukturierten Taktung verweilende Langsamkeit propagieren, können kreative Potenziale in Lernsituationen zur Entfaltung kommen. Für religiöse Bildungsprozesse bedeutet dies, Zeit zu lassen für Irritation, für eigenes Wahrnehmen, Denken und Fühlen. Auf diese Weise kann Religionsunterricht eine „Unterbrechung“ des Schulalltags im Sinne von Johann Baptist Metz sein, die Raum lässt für Ruhe und Innehalten. Der Spur der Unter­brechungen gilt es für religiöse Bildungsprozesse zu folgen und langer Weile immer wieder neu in schulischer Praxis zu begegnen. Die Praxis des Religionsunterrichts kann durch Übungen, die die sinnliche Wahrnehmung schulen, entschleunigt werden. Hierzu zählen → Stilleübungen, die Schülerinnen und Schülern Zeit für Innehalten bereitstellen, aber auch Bildbetrachtungen und → Musik.

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  • Wunderlich, Reinhard, Freizeit: Zeitverwendung/Zeitverschwendung, in: Lachmann Rainer/Adam, Gottfried/Rothgangel, Martin (Hg.), Ethische Schlüsselprobleme. Lebensweltlich – theologisch – didaktisch, Göttingen 2012, 302-322.

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