Deutsche Bibelgesellschaft

Ökologische Ethik

Schlagworte: Umweltethik; Schöpfungsethik; Nachhaltigkeit

(erstellt: Februar 2018)

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1. Definition

Ökologische Ethik ist die Reflexion normativer Fragen des Verhältnisses von Mensch, Tier, Natur und Technik. Alternativ ist auch von Natur-, Umwelt- oder Mitweltethik bzw. als Teilgebiete Tier- und Technikethik sowie aus theologischer Perspektive von Schöpfungsethik die Rede. Auslöser für die Entwicklung einer ökologischen Ethik waren in den 1970er-Jahren die Debatten um Grenzen des Wachstums (Meadows, 1972) und um die Verantwortbarkeit der Atomenergie. Heutige ökologische Ethik thematisiert vor allem globale Herausforderungen wie Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt, Verschmutzung und Verlust von Böden, Wald und Gewässern, Abfall, exzessiven Konsum, das Tierwohl sowie technische Fragen der Abkehr von fossilen und nuklearen Energien oder der Agro-Gentechnik. Zentrales Prinzip ökologischer (Sozial-)Ethik ist der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammende Begriff „Nachhaltigkeit“, der ökologische, soziale und ökonomische Probleme vernetzt und die Erhaltung des Naturkapitals als Voraussetzung verantwortlicher Entwicklung versteht. Nachhaltigkeit fungiert zugleich als Leitwort für eine globale Zukunftspolitik, wie sie in der Agenda 21 der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro 1992 vereinbart und in den 17 Sustainable Development Goals von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 als verbindliche politische Zielgröße festgeschrieben wurde (http://www.un.org/Depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf).

2. Die ökologische Situation

Wissenschaftlich besteht weitgehend Einigkeit, dass die Grenzen der ökologischen Belastbarkeit des Planeten erreicht sind und nur noch wenige Jahrzehnte für ein radikales Umsteuern in Richtung einer postfossilen Weltwirtschaft bleiben. Das führende Konzept der „Planetary Boundaries“ des Stockholm Resilience Center benennt diesbezüglich neun zentrale Problemfelder, von denen hier exemplarisch Klimawandel und Biodiversität skizziert seien (http://www.stockholmresilience.org/research/planetary-boundaries.html).

2.1 Klimawandel

Der Klimawandel ist das hinsichtlich der Mensch-Umwelt-Beziehung ökologisch, sozial und wirtschaftlich dringendste und erste wirklich globale Problem. Die Fülle von bereits beobachtbaren Extremereignissen (Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen, Stürme) entspricht signifikant den aus klimatologischen Modellrechnungen abgeleiteten Erwartungen (https://www.dkrz.de/; https://www.pik-potsdam.de/). Zentrale Phänomene des anthropogenen Klimawandels sind

  • der globale Temperaturanstieg (seit 1900 bis heute um 0,85 Grad Celsius) ausgelöst durch die menschliche Einbringung von Treibhausgasen (Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid u. a.) in die Atmosphäre
  • daraus resultierend eine Verschiebung der Klimazonen, Auftauen des Gletschereises und Ausdehnung des Wassers der Ozeane, in der Folge Anstieg des Meeresspiegels (im vergangenen Jahrhundert um 19 Zentimeter).

Der Prozess des Klimawandels ist selbstverstärkend, da z.B. der Verlust des arktischen See-Eises zu einer Verdunkelung der Erdoberfläche und damit zu einer weiteren Aufheizung führt und die Methanausgasung aus überhitzten Ozeanen und aufgetauten Permafrostböden den Treibhauseffekt beschleunigt. Zudem fungieren Bestandteile des Erdsystems von überregionaler Größe (Eisschilde, Regenwälder, Korallenriffe, Strömungssysteme) als „tipping-elements“, was bedeutet, dass sie ab einem bestimmten Schwellenwert äußerer Einflüsse das Gesamtklimasystem in einen qualitativ neuen Zustand versetzen, vergleichbar mit der Schädigung eines zentralen Organs des menschlichen Körpers und deren Auswirkungen auf den Gesamtorganismus (http://www.pik-potsdam/infothek/kippprozesse).

Eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur von mehr als zwei Grad Celsius gilt vor allem aufgrund der möglichen damit verbundenen Kippeffekte als kritische Größe, die aufgrund der Trägheit des Klimasystems schon in den kommenden Jahren eine drastische Reduktion der Kohlendioxidemissionen und somit eine grundlegende Änderung von Mobilität, industrieller und landwirtschaftlicher Produktion, Konsum, Wohnen und Ernährung fordert.

2.2 Verlust der Biodiversität

Biodiversität meint laut UN-Konvention über die biologische Vielfalt (https://www.cbd.int/convention/text/) die Vielfalt der Ökosysteme, der Arten sowie die Vielfalt innerhalb der Arten. Wesentliche Ursachen für deren rasanten Verlust sind die Vernichtung von Ökosystemen (z. B. durch Abholzung, Bebauung, Trockenlegung), ihre Übernutzung (z.B. durch Landwirtschaft, Energieerzeugung, Tierhaltung) und Verschmutzung (von Überdüngung bis Müll), die Einführung fremder Arten sowie die globale Erwärmung. So verschwinden von den geschätzt 10 bis 100 Millionen Arten jährlich bis zu 35.000 (aktuelle Listen unter: www.iucnredlist.org). In 30 Jahren sterben also ca. eine Million Arten aus. Gebiete mit großer und gleichzeitig bedrohter Artenvielfalt werden als „hot spots“ bezeichnet. So sind bis zu 90% der an Land lebenden Arten in den tropischen Regenwäldern beheimatet, welche mit hohem Tempo abgeholzt werden (ca. 6 Mio. Hektar pro Jahr). Insgesamt ist das Aussterben von Arten gegenüber dem evolutionären Durchschnitt um den Faktor 1.000 bis 10.000 erhöht. Gegenwärtig ereignet sich, 65 Millionen Jahre nach dem letzten Massensterben, dem die Dinosaurier und 70% aller damaligen Arten zum Opfer fielen, das sechste große Artensterben in der Evolutionsgeschichte.

3. Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewusstsein

Die repräsentativen Bevölkerungsumfragen zu Umweltbewusstsein und Umweltverhalten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB; Stichprobe ab 14 Jahren) erheben, welche gesellschaftlichen Probleme für vordringlich gehalten werden, wie eine nachhaltige Transformation der Gesellschaft bewertet wird und wie sich die Einzelnen diesbezüglich engagieren. Die Autoren der Studie diagnostizieren für die Bundesrepublik ein „hohes Problembewusstsein“ (BMUB, 2017, 23): Umwelt- und Klimaschutz werden von 21% der Befragten für eines der zwei wichtigsten Probleme Deutschlands gehalten (häufiger genannt wurden Migration, 55% und Sicherheit, 47%; BMUB, 2017, 15), über die Hälfte halten Plastikmüll in den Weltmeeren, Abholzung von Wäldern, Verlust der Biodiversität, Klimawandel und Schadstoffbelastungen für sehr bedrohlich und meinen, allein die Umweltverbände täten annähernd genug, die Situation zu verbessern. Letzteres, also eine ökologische Trendwende, sei für die Mehrheit auch sozial und ökonomisch grundlegend und wünschenswert. Dem steht gegenüber, dass nur eine Minderheit (42%) von eigenem ökologisch-sozialen Engagement berichtet, welches vor allem aus individuellen Low-cost-Aktivitäten (umweltbewusster Konsum, Diskussion) bestehe. 4% der Bevölkerung seien Vegetarier (begründet meist mit eigener Gesundheit und dem Tierwohl) und nur 9% benutzten nie das Auto, 36% hingegen nie das Fahrrad und 34% nie öffentliche Verkehrsmittel.

Die ebenfalls repräsentativen Greenpeace Nachhaltigkeitsbarometer (2012; 2015; Stichprobe 15–24-Jährige) sind theoretisch anspruchsvoller: Sie verstehen unter Nachhaltigkeitsbewusstsein die „Einsicht in die Überschreitung der natürlichen planetaren Grenzen und die damit einhergehende Gefährdung von Lebensbedingungen und Bedürfnissen heutiger sowie zukünftiger Generationen, verbunden mit der wahrgenommenen Möglichkeit, eine Änderung mitzugestalten“ (Michelsen/Grunenberg/Mader/Barth, 2015, 67). Die Items beziehen sich auf „Motivation“ (Problemwahrnehmung, Bewältigungsstrategien, Nachhaltigkeitsverständnis), „Intention“ (Kontroll- und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Verantwortungszuschreibung, Bewertung des Nutzens eines Einsatzes) und „Volition“ (Partizipation, Engagement) hinsichtlich ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeitsaspekte und ihrer Zusammenhänge. Erhoben werden zudem Quantität, Qualität und Auswirkungen der schulischen Thematisierung von Nachhaltigkeitsthemen.

Umweltbewusstseinsstudien wie Nachhaltigkeitsbarometer stimmen hinsichtlich der Motivation darin überein, dass die Befragten die Umweltqualität regional für gut, global aber für problematisch halten, sich also nur mittelbar betroffen sehen. 20 bis 30 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zählen Klimawandel bzw. Umweltschutz zu den drei gesellschaftlich relevantesten Problemfeldern, wobei das Problembewusstsein hinsichtlich des Klimawandels in den drei Jahren zwischen den Erhebungen von 23,5% auf 33% gestiegen sei. Insgesamt bevorzuge eine Mehrheit starke Nachhaltigkeit (mit Ausnahme des Items „Bau weiterer Straßen“). 59 bis 69 Prozent der Befragten hielten es 2015 für lohnenswert, sich für die ökologischen Dimensionen der Nachhaltigkeit einzusetzen (Intention). Im Konfliktfall jedoch stelle eine Mehrheit die ökologischen Belange gegenüber sozialen und ökonomischen zurück. Es scheint dabei grundlegende alternative Orientierungsmuster zu geben: Entweder die Sorge um sich oder die Sorge um Umwelt und Gesellschaft, wobei die selbstbezogenen wie die ökonomischen Interessen unaufgeregt, (welt-)gesellschaftliche und Umweltaspekte hingegen „seltener, dafür jedoch mit weitaus mehr Nachdruck und ausgeprägtem Idealismus vertreten“ werden. 91% der 15- bis 24-Jährigen engagiere sich „individuell-bequem“ (Michelsen 2015, 82;147) mit Mülltrennung, Energiesparen im Haushalt oder Firmenboykott aus sozialen oder ökologischen Gründen. 33% der Befragten schrieben sich „anonymes Netzwerk-Engagement“ (z.B. soziale Nachhaltigkeitsnetzwerke) zu. Nicht-virtuelles politisches Engagement (z.B. in Bürgerinitiativen) werde hingegen nur von ca. 10% der Befragten praktiziert. 16% der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hätten sich schon einmal mindestens eine Woche lang vegetarisch ernährt. Weitere konkrete High-cost-Aktivitäten, z.B. im Bereich Mobilität und dem Verzicht auf diese, wurden nicht erfragt.

Die Autoren der Studie gruppieren die Befragten hinsichtlich der Ausprägung von Motivation, Intention und Volition in fünf Typen, die jeweils bestimmten SINUS-Milieus zuzuordnen und für ökologisch-ethische Themen unterschiedlich ansprechbar seien:

  • Nachhaltigkeitsaffine mit hohen Werten in allen drei Bereichen (2015: 31,8%)
  • Nachhaltigkeitsrenitente mit durchgehend niedrigen Werten (2015: 16,2%)
  • Nachhaltigkeitsinteressierte ohne Verhaltenskonsequenzen (2015: 20,3%)
  • Nachhaltigkeitsaktive ohne inneren Anlass, die also bei geringem Problembewusstsein überdurchschnittlich aktiv sind, z.B. aus Tradition (2015: 16,4%)
  • Nachhaltigkeitslethargiker, die eine hohe Intention haben, also die Wirksamkeit nachhaltigen Handels hoch einschätzen, aber weder Motivation noch persönliches Engagement (Volition) aufbringen (2015: 15,3%).

71% der Befragten hätten Nachhaltigkeitsfragen in der Schule thematisiert. Die Qualität diesbezüglichen Unterrichts weise hinsichtlich Fächer- und Themenvernetzung, Zukunftsorientierung, Partizipation und Kompetenz der Lehrenden Mängel auf. Nichtsdestotrotz ließen sich deutliche Einflüsse einer Nachhaltigkeitsthematisierung auf Motivation und Volition, nicht jedoch auf die Intention der Befragten nachweisen.

4. Fachwissenschaftlich-systematische Orientierungen

4.1 Methoden und Begründungsfiguren

Ökologische Ethik ist als fachwissenschaftliche Disziplin zunächst ein Teilgebiet der Ethik, also der methodenbewussten Reflexion über die normative Rechtfertigung des menschlichen Handelns sowie der entsprechenden Gestaltung gesellschaftlicher Institutionen und Ordnungen. Sie hat sich seit gut fünfzig Jahren als multidisziplinäre Forschungsrichtung etabliert (Vogt/Ostheimer/Uekötter, 2013). Meist wird sie als Bereichsethik mit spezifisch anwendungsorientierten Fragestellungen wie z.B. zu Gewässer-, Boden- und Luftschutz, Tierschutz oder Technikfolgenabschätzung verstanden. Zugleich drängt die ökologische Ethik zu inhaltlich und methodisch grundlegenden Fragen nach der Stellung des Menschen in der Natur sowie der Ausrichtung und Rechtfertigungsfähigkeit des neuzeitlichen Fortschritts- und Wohlstandsmodells.

Im Kontext der ökologischen Ethik werden klassische Tugenden neu interpretiert: So wird Gerechtigkeit aufgrund der globalen Wirkungszusammenhänge mit großer zeitlicher Reichweite als eine heute notwendig weltweit und intergenerationell zu interpretierende Kategorie aufgefasst; die Frage der Klugheit wird als Streit um Reichweite und Grenzen von Kompromissen in der Abwägung komplexer ökologischer und sozioökonomischer Zusammenhänge heftig debattiert und als Grundlagenproblem ethischer Methodik erkannt; die Tugend der Genügsamkeit wird in der ökologischen Ethik unter dem Leitbegriff Suffizienz im Sinne maßvoller Wohlstandsmodelle als eine gesellschaftlich unverzichtbare Dimension proklamiert; nicht zuletzt lässt sich eine Rehabilitation der Tugend der Stärke beobachten, wobei diese meist als Mut(bürger) im zivilgesellschaftlichen Engagement sowie in der Praxis ökologisch konsequenten Lebensstils umschreiben wird.

Historisch steht Umweltethik in der Tradition der normativen Reflexion über dem Begriff Natur (Krebs, 1997). Diese war vor allem wegen der naturalistischen Verengung des sogenannten Naturrechts in eine Sackgasse geraten, erlebt jedoch gegenwärtig unter ökologischem Vorzeichen weltweit eine Renaissance. Dabei erscheinen gängige Muster der antithetischen Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft nicht mehr sinnvoll, da sie durch die Vergesellschaftung der Naturzerstörungen sowie die Naturdimension von Gerechtigkeitskonflikten unterlaufen werden. Statt der antithetischen Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft (bzw. Natur/Kultur, Natur/Freiheit, Natur/Gnade) bedarf ökologische Ethik der Reflexion des dialektischen Verhältnisses dieser normativ gehaltvollen Grundbegriffe.

Ein Kernproblem der ökologischen Ethik ist dabei die Zuordnung von deskriptiven (beschreibenden) und präskriptiven (vorschreibenden) Aussagen. Unstrittig ist, dass sich unmittelbar aus der Feststellung von Fakten und Funktionsgesetzen der Natur keine normativen Aussagen ableiten lassen (das wäre ein sogenannter „naturalistischer Fehlschluss“). So ist beispielsweise auch ein ökologisches Gleichgewicht nicht per se als „gut“ zu bewerten, nicht zuletzt, weil die treibende Kraft der Evolutionsgeschichte temporäre Ungleichgewichte sind. Auch der für die Technikfolgenabschätzung zentrale Begriff des Risikos ist nicht allein aus natural gegebenen Schwellenwerten ableitbar, sondern immer auch von gesellschaftlichen Wahrnehmungen, Messmethoden und Werten abhängig. Auf der anderen Seite sind Modelle einer Umweltethik, die das Normative allein von der menschlichen Existenz her definieren und in gesellschaftliche Vorstellungen von Gerechtigkeit bzw. Menschenwürde verlagern, unzureichend.

Ein Ausgangspunkt für die Suche nach fundamental neu ansetzenden Begründungsmodellen in der ökologischen Ethik war eine radikale Kritik am christlichen und neuzeitlichen Naturverhältnis: Die im biblischen Schöpfungsbericht grundgelegte „anthropozentrische“ Vorstellung, der Mensch sei mit einem Herrschaftsauftrag über die Natur ausgestattet (Gen 1,26-28), wurde von Lynn White, Carl Amery u.a. als zentrale geistesgeschichtliche Ursache des neuzeitlich-instrumentellen Naturverhältnisses und damit der abendländischen Umweltkrise gedeutet (Amery, 1972). Als alternative Ausgangspunkte gewinnen die Vorstellungen „Vermeidung von Leid“, „Gleichberechtigung aller Leben“ und „Rechtsgemeinschaft der Natur“ eine ethische Schlüsselbedeutung.

In diesen Auseinandersetzungen lassen sich folgende Begründungsmodelle unterscheiden:

Anthropozentrischer Ansatz: Als zentraler ethischer Maßstab gilt hier die Würde des Menschen (griechisch: anthropos = Mensch). Ökologische Forderungen werden allein in Bezug auf die Bedürfnisse und Lebensbedingungen des Menschen begründet, wobei in neuerer Zeit insbesondere globale Zusammenhänge sowie die künftigen Generationen ins Blickfeld gekommen sind.

Pathozentrischer Ansatz: Als ethischer Maßstab gilt die Empfindungsfähigkeit (griechisch: pathein = leiden, empfinden). Ziel ist es Leid zu vermeiden, wobei alle Lebewesen, die Freude und Schmerz empfinden können, als Träger eigener moralischer Rechte berücksichtigt werden. Der pathozentrische Ansatz entfaltet sein Anliegen vor allem im Bereich der Tierethik, in der bezogen auf die jeweilige Empfindungsfähigkeit Kriterien für artgerechte Tierhaltung definiert werden.

Biozentrischer Ansatz: Als ethischer Maßstab gilt der Wille zu leben (griechisch: bios = Leben). Jedes Lebewesen habe ein prinzipiell gleichrangiges Recht auf die Achtung seiner zum Überleben und zur Entfaltung notwendigen Grundbedürfnisse. Der biozentrische Ansatz geht auf Albert Schweitzer zurück und wird heute auch mit der Prozessphilosophie Whiteheads begründet. Er erkennt keinen grundsätzlichen Vorrang der menschlichen Interessen an. Um im Konfliktfall zwischen verschiedenen Lebewesen entscheiden zu können, werden teilweise Differenzierungen eingeführt, z.B. der Grad an Fähigkeit, nach selbstgesetzten Zielen zu streben (Ricken, 1987).

Physiozentrischer Ansatz (auch ökozentrisch oder holistisch genannt): Ethischer Maßstab ist hier die Zugehörigkeit zur Natur in ihrer Gesamtheit (griechisch: physis = Natur). Das physiozentrische Modell knüpft in seinem Naturverständnis an religiös-mythische und romantische Traditionen an und sucht auf dieser Basis nach einem „Frieden mit der Natur“ (Meyer-Abich, 1986). Im Rahmen einer umfassenden „Rechtsgemeinschaft der Natur“ solle nicht nur den Menschen, sondern allen Lebewesen sowie Flüssen, Wäldern und anderen Ökosystemen der Status von Rechtssubjekten mit eigenen, von Vertretern einklagbaren Rechten zugestanden werden.

Differenzierungen, die quer zu diesen „zentrischen“ Kategorien stehen, lassen sich etwa anhand eudaimonistischer Werte entfalten, die die Beziehung zur Natur als Bestandteil von Lebensqualität, Glück, Wohlstand, geistig-seelischer Gesundheit und Identität konzipieren (Ott, 2010). Aus Sicht christlicher Schöpfungsethik liegt ein anthroporelationaler Ansatz nahe, der auf den Menschen als Verantwortungssubjekt Bezug nimmt, dies jedoch nicht als Gegensatz zur Anerkennung des Eigenwertes von Tieren, Pflanzen und Ökosystemen versteht, sondern als dessen epistemische Voraussetzung.

4.2 Tierethik

Ein maßgeblicher Ausgangspunkt für die Infragestellung der anthropozentrischen Ethik ist die Tierethik. Die strikte Unterscheidung zwischen dem Menschen als Subjekt und allem bzw. allen anderen als „Sachen“, die in einer Mischung aus römischer Rechtstradition, christlicher Anthropologie und neuzeitlicher Subjektphilosophie die moralphilosophische Systematik der Moderne prägt, scheint nicht zuletzt angesichts Erkenntnissen der Verhaltensforschung fragwürdig. Tierethik erkennt an, dass es nicht-menschliche Träger hoher Fähigkeiten der Bewusstseinsbildung, subjektiver Rechte und intrinsischer Werte gibt. Gegenstand der Tierethik sind die moralischen Fragen, die sich aus der Nutzung, Tötung und Verdrängung von Tieren für menschliche Zwecke ergeben. Im Blick auf Tierhaltung werden dabei u.a. Fragen der Leidvermeidung, der Legitimität von Fleischverzehr und Kriterien der artgerechten Behandlung diskutiert. Hinsichtlich des Umgangs mit Wildtieren fokussiert sich die Fragestellung auf Bedingungen der Arterhaltung, was die Tierethik mit anderen Fragestellungen der ökologischen Ethik wie Artensterben und Klimawandel verbindet. Der weltweite, breitenwirksame und das menschliche Selbstverständnis berührende „Animal Turn“ als eine kulturwissenschaftliche, umwelthistorische und ethisch-praktische Hinwendung zu Tieren hat Impulsfunktion für einen umweltethischen Bewusstseinswandel.

4.3 Nachhaltigkeit als sozialethisches Prinzip

Die dominierende Kategorie, unter der gegenwärtig Vorschläge zur Bewältigung der ökologischen Krise präsentiert werden, ist die der Nachhaltigkeit. Umweltethisch betrachtet ist der systematische Kern des Nachhaltigkeitskonzeptes

(a) die konsequente globale und intergenerationelle Erweiterung des Verständnisses von Gerechtigkeit;

(b) die integrale Verknüpfung von globaler Armutsbekämpfung und Ressourcenverantwortung;

(c) ein umfassendes Entwicklungs- und Transformationskonzept für alle Gesellschaften weltweit, das u.a. auf eine Abwendung von fossiler Energienutzung im Laufe des 21. Jahrhunderts angelegt ist;

(d) darin eingeschlossen ein verändertes Verständnis von Wohlstand sowie Suffizienz-Modelle, wobei die Bewertung des Wachstums im internationalen ethisch-politischen Diskurs strittig ist.

Nachhaltigkeit reflektiert ökologische und sozioökonomische Grenzerfahrungen der Moderne. Sie bietet eine neue Definition der Voraussetzungen, Grenzen und Ziele von Fortschritt: Statt der ständigen Steigerung von Gütermengen und Geschwindigkeiten wird die Sicherung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Stabilität von Lebensräumen – anders gesagt: das gute Leben in den Grenzen der Natur – zur zentralen Bezugsgröße gesellschaftlicher Entwicklung und politischer Planung. Nachhaltig ist nur ein ressourcenleichter Wohlstand, der sich in die Stoffkreisläufe und Zeitrhythmen der Natur einbindet und hohe Teilhabechancen für alle eröffnet. Der logische Kern des Nachhaltigkeitsprinzips ist der Paradigmenwechsel von linearem zu vernetztem Denken, von der Konzentration auf Einzelobjekte zur Aufmerksamkeit für komplexe Wechselwirkungen und netzwerkartige Ganzheiten mit eigenen Zeitverläufen und Rhythmen.

Aus christlicher Sicht ist Nachhaltigkeit ein kategorischer Imperativ zeitgemäßer Schöpfungsverantwortung. Nach langen Vorbehalten gegenüber dem Begriff von katholisch-lehramtlicher Seite her wurde er in der Enzyklika Laudato si‘ zu einem konzeptionell prägenden Leitbegriff. Darüber hinausgehend wird diskutiert, ihn als viertes Sozialprinzip der Katholischen Soziallehre anzuerkennen (neben Personalität, Solidarität und Subsidiarität) und damit als Fokus der Herausforderungen und Lernprozesse normativer Gesellschaftstheorie im 21. Jahrhundert zu gestalten (Vogt, 2013).

4.4 Ressourcengerechtigkeit

Die Verteilungsprobleme ökologisch ungleicher Zugänge zu Ressourcen werden am prägnantesten durch den Begriff Ressourcengerechtigkeit ausgedrückt (Fair Future, 2006, 125-155). Dem Begriff Ressource liegt die Entscheidung zugrunde, die Natur unter ökonomischem Gesichtspunkt zu betrachten. Das macht ihn begrenzter als Umwelt- und Ökogerechtigkeit, zugleich jedoch auch präziser in Bezug auf weltwirtschaftliche Zusammenhänge der Verteilung des Zugangs zu Umweltgütern. Dabei sollte man Ressourcengerechtigkeit nicht nur auf den Zugang zu Rohstoffen beziehen, sondern auch auf Fragen der ungleichen Belastung durch Schadstoffe oder Umweltveränderungen, wie z.B. den Klimawandel. Eine gerechtigkeitstheoretische Reflexion kann vor allem an den capability approach anknüpfen, der Ressourcen als Basis von Fähigkeiten und Existenzrechten in den Blick nimmt und durch ökologische Aspekte vertieft werden kann.

Kennzeichnend für globale Umweltkonflikte ist oft ihr versteckter Charakter, aufgrund dessen die Zurechnung an Verursacher nicht oder nur schwer möglich ist. Auch die Asymmetrie von Macht im Kontext schnell wachsender Nachfrage(märkte) ist eine erhebliche strukturelle Herausforderung für ökologische Gerechtigkeit. Grundlegende Umweltprobleme wie etwa der Klimawandel lassen sich als globales Marktversagen beschreiben. Da viele Umweltgüter Kollektivgutcharakter haben, bei dem sich der Nutzen nicht privatisieren lässt und die nicht mit Preisen belegt sind, führen hier Marktmechanismen nicht zu einer angemessenen Steuerung. So werden ökologische Kosten abgewälzt auf die Armen, deren Existenzsicherung insbesondere im globalen Süden überwiegend unmittelbar vom Zustand der Naturräume abhängt, auf die Zukunft und auf Tiere, Pflanzen und Lebensräume. Diese dreifache Externalisierung ist ein strukturell kennzeichnendes Merkmal der gegenwärtigen Ressourcenkonflikte.

Bei all dem sollte man Ressourcenkonflikte nicht nur als Frage der Verteilung eines vorhandenen „Kuchens“ denken. Insofern ökologische Ressourcen nutzbare Rohstoffe und Naturprozesse sind, können manche auch durch neue Techniken vermehrt werden, z.B. Wasserstoff als Energiequelle, CO2 als wertvoller Rohstoff oder Abfallprodukte von Nahrung als Werkstoffe für die Industrie. Ressourcengerechtigkeit ist also nicht nur durch Sparsamkeit und gleichmäßigere Verteilung zu erreichen, sondern auch durch Innovationskonzepte. In der Geschichte haben diese für die Überwindung von Ressourcenengpässen eine Schlüsselbedeutung. Heute ist die Bioökonomie hierfür ein weltweit enorme Dynamik entfaltendes Konzept. Strittig ist, inwiefern sich heutiges Handeln auf zukünftige Kompensation durch Innovation verlassen darf und welche Ressourcen nicht kompensiert werden können, da sie, wie z.B. das Klima, mit erheblicher Tiefenwirkung systemisch relevant sind.

4.5 Der Schöpfungsgedanke in ökologischer Ethik

Die genaue Funktion des Schöpfungsbegriffs in ökologischer Ethik und in ökologisch-ethischen Lernszenarien bleibt oft unaufgeklärt: Soll Schöpfung auf den Geschenkcharakter des Daseins und damit auf Grenzen der menschlichen Verfügungsgewalt verweisen (wobei die Frage zu klären ist, wo diese warum zu ziehen wären), dient der Begriff Schöpfung als Grundlage naturrechtlicher Argumentation oder fungiert er nur als rhetorische Figur zur Betonung autonom begründbarer moralischer Imperative? Nicht weniger kritikbedürftig ist die Rede von „Bewahrung der Schöpfung“. Sie unterschlägt das „Bebauen“ aus Gen 2,15 und löst damit den komplexen Zusammenhang von Kulturabhängigkeit der Natur und Naturabhängigkeit der Kultur in einem konservativ-harmonisierenden Sinne auf; sie unterliegt dem naturalistischen Fehlschluss, der das Seiende mit dem Seinsollenden identifiziert, und ist nicht zuletzt überheblich, als wäre der Mensch nicht selbst bloß winziger Teil „der Schöpfung“ (weshalb sich Gen 2,15 auf den Garten bezieht, nicht auf alles Geschaffene).

Eine zentrale Funktion des Schöpfungsgedankens in ethischen Zusammenhängen liegt wohl im Motivationalen, Spirituellen: Schöpfung ist Gabe, stiftet also eine Beziehung zwischen Gabe und Geber. Sie ist nicht durch ihren Nutzwert, sondern in sich sowie als sichtbare Gestalt einer Beziehung wertvoll. Als Gabe ist Schöpfung zudem frei, kontingent und nicht selbstverständlich. Diesem Gedanken korrespondiert einerseits eine Haltung der Dankbarkeit, Vorsicht und Zurückhaltung, andererseits eine Haltung der Freigiebigkeit und Fülle, des Weiterschenkens. Letzteres wird noch dadurch verstärkt, dass diese Gabe nicht individuell ist, sondern allen Mitmenschen und Mitgeschöpfen gleichermaßen gilt. Ethisch ließen sich daran die Gedanken anschließen, dass die grundlegenden Umweltgüter, wie etwa ein stabiles Klima, der Zugang zu sauberem Wasser und sauberer Luft und die Verfügbarkeit von fruchtbarem Boden intra- und intergenerationell gemeinwohlpflichtig sind und dass allen Arten unmittelbarer Wert, nicht bloß Wert für das menschliche Überleben zukommt. Eine Übertragung des Schöpfungsgedankens in eine Ökonomie der Gabe und Haltung der Dankbarkeit wäre zudem nichtreligiös anschlussfähig, wenn man Dank mit Dieter Henrich als adressatenlosen, kontemplativen Dank (Henrich, 1999, 190f.) versteht. In dieser Richtung könnte nach einer Übersetzung des religiösen Begriffs „Schöpfung“ in säkulare ethische Kategorien gesucht werden, wie sie im Begriffspaar Gottebenbildlichkeit/Menschenwürde bereits vorliegt.

Dankbarkeit endet vor dem Leid des Anderen. Der Leserappell am Ende von Gen 1 „und siehe, es war sehr gut“, der eine Haltung der Dankbarkeit und Freude vermitteln will (Hardmeier/Ott, 2015, 154-156), wird von den Leiden des Anderen Lügen gestraft. Auch deshalb bedarf es einer zweiten, sozialethischen Lesart des Schöpfungsgedankens, die nicht in den Grund alles Seienden, sondern nach vorn gerichtet ist: Schöpfung ist auch eine „Vision von Gerechtigkeit“, keine Erzählung davon, was einmal war, sondern was sein soll und sein kann: „In Schöpfungstexten spiegeln sich die Visionen alttestamentlicher Prophetie, dass wider allen Anschein und ‚trotz allem‘ eine andere, eine gute und gerechte Welt möglich ist. […] Sie sind dabei keine weltflüchtigen Illusionen, sondern orientierende, praxis- und politikrelevante Widerstandsliteratur“ (Benk, 2016, 218).

4.6 Die Enzyklika Laudato Si‘

Die Enzyklika Laudato Si‘ von Papst Franziskus ist, in Verbindung mit seinem Engagement bei der Nachhaltigkeitskonferenz in New York und beim Klimagipfel in Paris, einer der wichtigsten Texte der Umweltdebatte der letzten 20 Jahre. Im Mittelpunkt der Enzyklika steht nicht die ethische Frage: „(Warum) sollen wir uns wandeln?“ Sie ist vielmehr ein flammender Appell für einen solchen Wandel gemäß dem Motto des Papstes „Die Wirklichkeit steht über der Idee“ (Evangelii gaudium 231), charakterisiert durch folgende sieben Adjektive:

(a) katastrophentheoretisch: Die Zeit dränge, die ökologischen Kapazitäten seien weitgehend erschöpft, für einen Großteil der Menschen gehe es um das Überleben.

(b) ökosozial: Es bestehe ein grundlegender Zusammenhang zwischen Umwelt- und Gerechtigkeitsfragen; globale und intergenerationelle Gerechtigkeit können nicht ohne Umweltschutz erreicht werden.

(c) pragmatisch: Den Schrei der Schöpfung und der Armen zu hören und darauf mit einer entsprechenden Verantwortungspraxis zu reagieren sei unmittelbar Glaubenspraxis und unausweichliche Aufgabe der Kirche heute.

(d) befreiungstheologisch: Um die ökologische Krise zu lösen, müssen Fragen von Macht, Korruption und systemischen Fehlentwicklungen angesprochen werden. Ökologische Ethik müsse von den legitimen Interessen der Armen ausgehen.

(e) anthroporelational: Die christliche Tradition der Anthropozentrik müsse hinterfragt werden, so dass der Eigenwert und die existentielle Verbundenheit aller Kreaturen anerkannt werde.

(f) wachstumskritisch: Mit deutlicher Affinität zu Gedanken einer Postwachstumsökonomie (Paech, 2016) fordert der Papst eine grundlegend andere Wirtschaftsweise und einen neuen demütigen Lebensstil.

(g) revolutionär: Jeder Einzelne sei gerufen zu einer vierfachen „ökologischen Umkehr“: zur Schöpfung und zum Anderen, zu Gott und zu sich. Jeder sei gerufen sich politisch zu engagieren und die kommende Generation in diesem Sinne zu erziehen, damit Gott „alles neu“ machen könne.

5. Didaktische Perspektiven

5.1 Ökologisch-ethisches Lernen

Ökologisch-ethisches Lernen ist zuerst ethisches Lernen (→ Ethische Bildung und Erziehung; → Bildung, Werte) in einer bestimmten thematischen Perspektive.

Die Umweltbildung der 1970er-Jahre, welche in religionspädagogischen Zusammenhängen bis heute tradiert wird, steht der Wertübertragung nahe, leitet also aus einem Kanon an Werten („Natur“, „Schöpfung“) Normen ab („Du sollst Müll vermeiden“), in die die Lernenden einzuweisen seien und deren Befolgung sie einzuüben haben (gemeinsames Müllsammeln im Wald). Auf diese Weise werden, so ein geläufiger Vorwurf, die Lernen indoktriniert und die ökologische Problematik individualisiert und entpolitisiert (de Haan, 2000). Das Konzept der Werterhellung ist ebenfalls für ökologisch-ethisches Lernen kaum hilfreich, da es von einer nicht nur faktischen, sondern normativen Wert- und Normpluralität ausgeht, theoretisch relativistisch und praktisch individuell lebensbegleitend ausgerichtet, also tendenziell unengagiert und unpolitisch ist. Die Wertkommunikation bringt aufgrund ihrer diskursiven Grundstruktur und ihres optimistischen Menschenbildes potenziell eine kognitivistische und elitäre Drift mit sich. Zudem bleibt hier offen, wie die Kluft vom Urteilen zum Handeln geschlossen wird. Zentral ist sie jedoch für ökologisch-ethisches Lernen aus bildungstheoretischen Gründen (im Mittelpunkt steht das freie, sich selbst bindende Subjekt), aber auch als Ausweg aus der kontradiktorischen Gegenüberstellung von bloßer Kompetenzorientierung einerseits, angeblicher Moralisierung einer „Bildung für“ andererseits, wie sie die Debatten um → Bildung für nachhaltige Entwicklung prägt: Die in der Wertkommunikation zu entwickelnde Sach-, Urteils- und Kommunikationskompetenz ist Mittel zum Zweck der immer neuen Suche nach dem sittlich Gebotenen. Ergebnisse wertkommunikativer Lernprozesse sind aufgrund der Freiheit und der Diversität der Erfahrungen, Interessen und Traditionen der Teilnehmenden notwendig plural und offen, zehren aber von der Idee der Kraft des besseren Arguments und eines möglichen Einverständnisses. In Weiterführung des Konzepts der Wertkommunikation müssten ökologisch-ethische Bildungsprozesse informieren und das Interesse für ökologische Themen erfahrungsbezogen wecken (Sehen), Diskurse initiieren, in denen die Lernenden sittliche Pflichten entdecken, analysieren und sich binden (Urteilen) sowie Möglichkeiten der individuellen Mitgestaltung und politischen Partizipation aufzeigen und erproben (Handeln). Die didaktische wie schulorganisatorische Herausforderung solchen Lernens besteht in der hohen Komplexität der Sache und der notwendigen fachlichen Vernetzung der Zugänge.

In einen größeren Rahmen eingebettet gehört ökologisch-ethisches Lernen zu einer → Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Theologische Forschung zu dieser hat kaum begonnen. Offensichtlich ist, dass BNE religionspädagogisch die politische Dimension des Religionsunterrichts stärken (→ Politik, Religionsunterricht) und Themenbereiche und Zugänge verknüpfen müsste, die zuvor isoliert in Umweltbildung, globalem Lernen und → Menschenrechtspädagogik verhandelt wurden. Auf der Ebene der Materialien finden sich Ansätze vor allem von kirchlichen Hilfswerken (https://www.misereor.de; https://www.sternsinger.de, dort auch Laudato Si‘ als Version für Kinder).

5.2 Ökologisch-ethisches Lernen und Schöpfungsgedanke

Faktisch, aber nicht notwendig werden ökologisch-ethische Lernprozesse in Unterricht und Katechese oft im Rahmen des Themas → Schöpfung geplant. Als thematische Koppelung fungieren dabei ein naturrechtlicher Gedanke einer von Gott gestifteten Ordnung, in die der Mensch nicht eingreifen dürfe, der Herrschafts- als Hüteauftrag (Gen 1,28) oder das Staunen über die Komplexität und Schönheit des Seienden. Alle drei Varianten sind jedoch problematisch, die erste aufgrund des naturalistischen Fehlschlusses, die zweite u.a. aufgrund der Missachtung der Autonomie des Sittlichen, die dritte, weil „das Seiende“ nicht nur staunenswert, sondern auch erbarmungslos ist und ästhetische und ethische Erfahrung nicht notwendig zusammenfallen. Alternativ legen sich zwei komplementäre Zusammenhänge von Schöpfung und ökologischem Lernen nahe:

(a) Der Schöpfungsgedanke ist für ökologisch-ethisches Lernen bedeutsam auf der Ebene des Motivationalen und Spirituellen. Hier geht es weniger um das „Wie gut hast du die Welt gemacht“ als vielmehr um die Erkenntnis der Unverfügbarkeit, des Geschenkcharakters und der Kontingenz alles Seienden. Diese Einsicht ist wie die entsprechende Haltung der Dankbarkeit nicht didaktisch herstellbar, doch kann sie z.B. auf erlebnispädagogischen oder performativen Wegen vorbereitet werden.

(b) Der Schöpfungsgedanke ist für ökologisch-ethisches Lernen relevant als erzählte Vision eines Lebens in friedlicher Beziehung von Gott und allem Geschaffenen. Diese verlangt nach Realisierung. Didaktisch fordert dies, Antizipation, Imagination, den Mut zum Querdenken und Handeln zu schulen. Anders als die pädagogische und politische Nachhaltigkeitsvision ist die Schöpfungsvision jedoch eine, die nicht allein vom Menschen erwartet wird, also das Bemühen um eine nachhaltige Welt motiviert und zugleich entlastet, Scheitern mitdenkt und zum Engagement anspornt.

6. Forschungsdesiderate und offene Fragen

Vorrangige Forschungsdesiderate im Bereich der ökologischen Sozialethik sind:

  • Arbeit an einem konsistenten Naturbegriff, der überholte Dichotomien (z.B. Natur – Technik, Natur – Kultur, Natur – Gesellschaft) hinter sich lässt und den ethischen Gehalt des Begriffs (kontextspezifisch) herausarbeitet, ohne dem naturalistischen Fehlschluss zu verfallen
  • Abgrenzung des Nachhaltigkeitskonzepts gegen einen letztlich konturlosen und normativ leeren „Breitbandbegriff“ zugunsten eines auf die Analyse und Gestaltung von Wechselwirkungen ausgerichteten Konzepts
  • Klärung des spezifischen umweltethischen Aussagegehalts und Kompetenzprofils (schöpfungs-)theologischer Zugänge zu ökologischen Themen
  • Methodische Integration der Tierethik in die ökologische Ethik im Blick auf die heterogenen Theoriemodelle und Ansprüche
  • „Mapping“ der bereichsethisch-angewandten und fundamentalethischen Zugänge zur ökologischen Ethik, Klärung der jeweiligen Reichweite, Grenzen und Zuordnungen der unterschiedlichen Parallelbegriffe (z.B. Umweltethik, Naturethik, ökologische Gerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit etc.).

Die ökologische Ethik stellt ein höchst dynamisches und spannungsreiches Forschungsfeld dar. Trotz der jahrzehntelangen Debatten hält die Entwicklung der Theoriekonzepte nicht mit den praktisch-politischen Herausforderungen Schritt. Grundlegender als die Diskrepanz zwischen unterschiedlichen Theoriemodellen ist dabei der „garstige, breite Graben“ zwischen verbaler Zustimmung und einer davon abweichenden Praxis.

Die Diskrepanz zwischen Wissen, Urteilen und Handeln gehört zugleich zu den zentralen Herausforderungen ökologisch-ethischen Lernens. Offen ist hier zudem, wie die Spannung zwischen Autonomie des Einzelnen und der Unabweisbarkeit der Problemlage, zwischen Verängstigung durch Katastrophenpädagogik und Banalisierung durch ökologischen Machbarkeitsoptimismus sowie zwischen der Notwendigkeit einer „großen Transformation“ (WBGU, 2011) und der potenziellen Vergeblichkeit des Handelns angesichts spezifischer Charakteristika ökologischer Problemlagen (Allmendeproblem, Gefangenendilemma, Machtdifferenzen, globale Komplexitäten) didaktisch aufgefangen werden kann.

Literaturverzeichnis

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  • Vogt, Markus/Ostheimer, Jochen/Uekötter, Frank (Hg.), Wo steht die Umwelt-ethik? Argumentationsmuster im Wandel, Marburg 2013.
  • Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen, Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin 2. Aufl. 2011.
  • Wuppertal Institut, Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit, 3. Aufl. München 2006.

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