Deutsche Bibelgesellschaft

Christentum, im islamischen Religionsunterricht

(erstellt: März 2024)

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1. Hinführung zum Thema

Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler findet in den Bundesländern, die ihn anbieten, in verschiedenen Formen statt. Islamischer Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, islamisch) ist konfessionell verantworteter Religionsunterricht im Sinne des Artikels 7.3 des GG, der gegenwärtig als grundständiger Unterricht in Niedersachsen und Hessen sowie als Modell in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland angeboten wird. Islamkundlichen Unterricht, oft auch als Islamunterricht bezeichnet, bieten Bayern, Bremen und Schleswig-Holstein an, teilweise auch noch Hessen parallel zum Islamischen Religionsunterricht. Sonderformen sind der „Religionsunterricht für alle“ in Hamburg (Rufa 2.0) und der Religionsunterricht in Berlin, die sich auch als bekenntnisorientierter Religionsunterricht einordnen (ausführlich Abdel-Rahman, 2022, 19-119; Nazir, 2023).

Grundlegender Unterschied ist die Beteiligung der jeweiligen Religionsgemeinschaften an der Auswahl der Inhalte des Religionsunterrichts. Während es islamkundlichen Religionsunterricht bereits länger gibt, wurde Islamischer Religionsunterricht erst vor wenigen Jahren eingeführt und ist dem entsprechend in den Bundesländern noch nicht flächendeckend vorhanden.

Aus religionspädagogischer Perspektive hat der Islamische Religionsunterricht in Deutschland, im Unterschied zum christlichen Religionsunterricht, keine über einen langen Zeitraum gewachsene historische Genese. Das Nachdenken über islamische religiöse Bildung sowie religiöses Lernen und seine Konzeptionen haben dagegen eine reiche Tradition innerhalb der islamischen Geschichte. Die (fachdidaktische) Konzeptionierung des islamischen Religionsunterrichts orientiert sich aus dieser Situation heraus in weiten Teilen bislang an bestehenden Konzepten der katholischen und evangelischen Religionspädagogik (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch). Die Antwort auf die Frage, inwieweit diese passend sind, stellt gegenwärtig noch ein Desiderat dar.

Ein Aspekt der Herausforderung, Islamischen Religionsunterricht inhaltlich zu konzipieren, ist die Definition seiner Gegenstandsbereiche am Lernort Schule. Dazu gehört die theologische sowie religionspädagogische Diskussion, welche inhaltlichen Schwerpunkte und Zugänge zu anderen Religionen, an dieser Stelle besonders zum Christentum, für muslimischen Schülerinnen und Schüler notwendig und sinnvoll sind. Unterrichtsforschung zur Thematisierung des Christentums im Islamischen Religionsunterricht in seiner Gänze stellt bislang ebenfalls ein Forschungsdesiderat dar. Um dennoch erste Aussagen über inhaltliche Schwerpunkte und formulierte Kompetenzerwartungen treffen zu können, nimmt dieser Artikel die vorhandenen Curricula aller Schulformen der Bundesländer, die Islamischen Religionsunterricht anbieten, in den Blick. Dies wird erweitert durch die exemplarische Analyse des Materials, welches in Form von Schulbüchern oder als digital verfügbare Unterrichtssequenzen Lehrkräften zur Verfügung gestellt wird. Auch die thematische Ausrichtung von Fort- und Weiterbildungsangeboten sind weitere Quellen, die helfen können, die inhaltlichen Schwerpunkte und Zugänge zum Christentum im Islamischen Religionsunterricht sichtbar zu machen.

2. Das Christentum als Gegenstandsbereich des Islamischen Religionsunterrichts

Die Gegenstandsbereiche für den Islamischen Religionsunterricht ergeben sich aus grundlegenden Inhalten der Islamischen Theologie: Islamische Glaubenslehre (ʿaqīda), Koranwissenschaften und -exegese (tafsīr), Hadith-Wissenschaften und Prophetenüberlieferung (ḥadīṯ), Islamische Normenlehre (fiqh) und Glaubenspraxis (ʿibāda), Grundlagen der Normenlehre (uṣūl al-fiqh), Systematische Theologie (kalām), Islamische Philosophie (falsafa), Islamische Mystik (taṣawwuf), Islamische Ethik (aḫlāq), Biografie des Propheten Muhammad (sīra), Islamische Geschichte (tārīḫ), Besonderheiten der arabischen Sprache, Islamische Zivilisation und Kunst. (Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, 2021, 5).

Die Biografie und Lebenswelt muslimischer Schülerinnen und Schüler und ihre Gesellschaft mit Blick auf gegenwärtige und zukünftige Anforderungen sind Referenz für die Konkretisierung entsprechender Themenbereiche. Ein Bezug sind dabei andere Religionen und Weltanschauungen, wie man den unten aufgeführten Gegenstandsbereichen der entsprechenden Curricula entnehmen kann.

Der Inhaltsbereich Andere Religionen und Weltanschauungen findet sich in allen Curricula aller Schulformen als explizit ausgewiesener Bereich wieder. Einzig im Lehrplan für die Primarstufe des Saarlandes wird dieser Bezug in alle anderen Gegenstandsbereich impliziert und somit nicht separat aufgeführt. Christentum und Judentum finden innerhalb dieser Bereiche besondere Beachtung. Dass die Beschäftigung mit dem Christentum wie auch dem Judentum zum Islamischen Religionsunterricht gehört, ist dabei allgemeiner Konsens seitens der Religionsgemeinschaften.

Dies resultiert nicht nur aus der gegenwärtigen gesellschaftlichen Notwendigkeit, Formen eines friedlichen Miteinanders auch bei divergierenden Lebens- oder Wertevorstellungen zu finden, sondern dies ist auch Teil islamischer Theologie und Geschichte. Aus theologischer Sicht ist die Anerkennung des Christentums und Judentums aus dem Verständnis gemeinsamer Wurzeln der monotheistischen Religionen zu begründen, deren Anhänger im Koran mit dem Begriff „Volk der Schrift“ (ahl al-kitāb) bezeichnet werden: „Sag: O Leute der Schrift, kommt her zu einem zwischen uns und euch gleichen Wort: dass wir niemandem dienen außer Allah [Gott] und Ihm nichts beigesellen und sich nicht die einen von uns die anderen zu Herren außer Allah [Gott] nehmen.“ (Koran: Al-Imran (3):64). Die Schriften umfassen „die Vielfalt der Offenbarungen und Schriften, die ihren Ursprung in der Verkündigung Gottes haben. Er [der Koran, die Verf.] nennt ausdrücklich Thora und Evangelien als ,Rechtleitung und Lichtʻ für die Menschheit (Koran, 5:44–46), ebenso werden die Blätter Abrahams (Koran, 87:19) und Davids (Koran, 17:55) als Gottes übermittelte Botschaft und Lehre erwähnt“ (Mohagheghi, 2021, 115). Neben den Schriften werden auch die Propheten des Judentums und Christentums als gemeinsame Propheten verstanden: „Der Gesandte (Allahs) glaubt an das, was zu ihm von seinem Herrn (als Offenbarung) herabgesandt worden ist, und ebenso die Gläubigen; alle glauben an Allah, Seine Engel, Seine Bücher und Seine Gesandten – Wir machen keinen Unterschied bei jemandem von Seinen Gesandten. Und sie sagen: Wir hören und gehorchen. (Gewähre uns) Deine Vergebung, unser Herr! Und zu Dir ist der Ausgang.“ (Koran: al-Baqara (2):285). Die Geschichten der Propheten werden demnach im Koran nicht vollständig und in sich abgeschlossen erzählt, sondern sie verweisen partiell auf konkrete Eigenschaften, Botschaften oder auch Ereignisse. Infolgedessen beziehen sich Korankommentare in ihren Interpretationen unter anderem auch auf das Erste und Zweite Testament, um an diese Berichte anzuknüpfen bzw. die Erzählungen einzuordnen (Mohagheghi, 2021, 113; Horsch, 2021, 146). „Die Auseinandersetzung mit der Bibel durch muslimische Gelehrte war in der Vergangenheit nicht nur polemischer und apologetischer Natur: Sie wurde auch für Geschichtsschreibung genutzt, für Prophetenerzählungen, für die Koranexegese sowie in der mystischen Literatur, in der Jesus als eine der großen mystischen Figuren verehrt wird“ (Horsch, 2021, 146). In der jüngeren (islamischen) Geschichte trat dieses Verständnis einer intertextuellen, vielstimmigen Überlieferung in den Hintergrund, erfährt aber mittlerweile wieder mehr Beachtung, indem zum Beispiel Instrumente wie das sciptural reasoning genutzt werden (ausführlich Horsch, 2021, 146f.).

Ungeachtet der Anerkennung des Christentums gibt es auch im Islam die Frage nach dem Wahrheitsanspruch (→ Wahrheit). Insbesondere folgende Sure manifestiert mit ihrer Beschreibung von Gott und dem direkten Verweis auf Sein Verhältnis zu Jesus den Unterschied zu biblischen Aussagen (z.B. 1Joh 5,1) über Christus: „Sag: Er ist Allah, Einer / Allah, der Überlegene / Er hat nicht gezeugt und ist nicht gezeugt worden / und niemand ist Ihm jemals gleich.“ (Koran: Al-Ihlas (112): 1-4)

Bezüglich des Umgangs mit dem Wahrheitsanspruch gibt es unterschiedliche Perspektiven, die an dieser Stelle nur genannt, aber nicht weiter vertieft werden können. So gibt es einerseits die Betonung auf die Vielfalt der Völker, die im Koran „…als Plan und Wille Gottes erklärt [wird, d. Verf.]: ,Und Wir sandten dir (Muhammad) herab die Schrift mit der Wahrheit, bestätigend und gewissheitsgebend dessen, was vor ihm war [....] Für jeden von euch gaben Wir ein Gesetz und einen Weg und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht, aber Er wollte euch prüfen in dem, was er euch gab, dann wetteifert in Gutem; zu Gott werdet ihr alle zurückkehren und er wird euch über das aufklären, worüber ihr uneinig wart.ʻ (5:48) Das Fundament für das Zusammenleben ist die Handlungsweise, die das Ziel hat, ,Gutesʻ zu bewirken. Aus diesem Vers ist zu entnehmen, dass der Streit über die Wahrheit nicht angebracht und keine menschliche Angelegenheit ist. Nur Gott kennt die Wahrheit, und er wird die Menschen am jüngsten Tag darüber in Kenntnis setzen“ (Mohagheghi, 2021, 114).

Gleichzeitig stellt die (mögliche) Aufgabe des Wahrheitsanspruchs einen Bruch mit islamischen Diskurstraditionen dar. „Die Frage des Wahrheitsanspruchs und des Verhältnisses der Religionen wurde innerhalb des Islams in der Disziplin des Kalam diskutiert, und die Gelehrten dieser Disziplin sind in der Position, dass die Offenbarung des Islams die vorangegangenen Religionen nicht nur fortführt (vgl. Sure 42,13 u. a.), sondern in entscheidenden Punkten korrigiert, zu einem Konsens (iǧma) gekommen. Pluralistische Deutungsversuche des Verhältnisses zwischen den Religionen müssen folgerichtig diesen Konsens der Gelehrten verwerfen und lehnen damit nicht einfach nur eine inhaltliche Aussage ab, sondern stellen zugleich die diskursiven Mechanismen der gelehrten Tradition in Frage“ (Horsch, 2021, 142).

Dies zeigt deutlich, dass der Schwerpunkt im (Islamischen) Religionsunterricht nicht in der Auflösung eines Wahrheitsanspruches liegen kann, sondern eher darin, einen konstruktiven Umgang mit unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen zu erlernen und ethischen Fragen im gemeinsamen Anliegen des verantwortlichen Umgangs mit der → Schöpfung in Gänze Priorität zu geben.

Das Selbstverständnis von muslimischer Seite, sich mit dem Christentum zu beschäftigen, bestätigen auch die Untersuchungen von Uslucan, die im Laufe der Modellversuche für den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen und NRW durchgeführt wurden. „70% der SuS wünschen sich über alle drei Messzeitpunkte [2015, 2016, 2017, die Verf.] auch Kenntnisse über andere Religionen. Insofern kann begründet festgehalten werden, dass durch den islamischen RU zugleich die motivationalen Grundlagen für einen interreligiösen Dialog gelegt werden und es sich dabei nicht um einen ‚closed shop‘ handelt, der nur eine selbstgenügsame Beschäftigung mit der eigenen Religion fördert“ (Uslucan, 2019, 35; Uslucan, 2015).

Zu diesem Ergebnis kommt auch Kamcili-Yildiz in einer Untersuchung zum Umgang mit „Anderen Religionen“ in den Curricula der Lehrkräfteausbildung für das Fach islamische Religion. „Zum Umgang mit Fremdreligionen in den Curricula der islamischen Religionslehrerausbildung kann zum Abschluss festgehalten werden, dass an allen Standorten für islamische Theologie Module zu anderen Religionen als Pflichtveranstaltungen von den Studierenden zu belegen sind. Daher ist die Thematisierung anderer Religionen im Rahmen der Hochschule durchaus als Pionierleistung zu würdigen, dass die Institute für islamische Theologie eine grundsätzlich offene und wertschätzende Haltung dem Christentum und dem Judentum gegenüber aufzeigen und ihre Studierenden sogar zur Teilnahme an Lehrveranstaltungen zu diesen verpflichten“ (Kamçılı-Yıldız, Naciye, 2020, 226).

3. Themenfelder und Kompetenzerwerb in den Curricula für Islamischen Religionsunterricht

In den oben genannten Curricula bezieht sich der Kompetenzerwerb zusammengefasst auf folgende Themenfelder:

  • Das Themenfeld der Religiösen Schriften umfasst Schwerpunkte der Entstehung von Bibel und Koran, den Vergleich ihrer unterschiedlichen Wahrnehmung als göttliche Botschaft sowie die Auseinandersetzung mit inhaltlichen Aussagen (vgl. kritisch Meyer, 2023, Abschnitt 3).
  • Der Vergleich von Moschee und Kirche (→ Moschee, im konfessionellen Religionsunterricht) als Orte religiösen Lebens wird vorwiegend unter dem Aspekt der Räume für religiöse Rituale und gottesdienstliche Handlungen miteinander verglichen, die Funktion als Versammlungs- oder Aktionsort auch im Kontext der Verantwortung für gesellschaftliche Herausforderungen (z.B. Flüchtlingshilfe, Kirchenasyl) wird jedoch eher weniger thematisiert.
  • Insbesondere Weihnachten und Ostern finden im Hinblick auf ihre theologische Begründung und ihre gesellschaftlichen Erscheinungsformen Berücksichtigung im Kontext der Feste und Feiern und werden mit der Relevanz von Opferfest (ʿId al-Aḍḥā) und Ramadan sowie Fest des Fastenbrechens (ʿId al-Fiṭr) verglichen. Auch die Bedeutung des Sonntags (→ Sabbat – Sonntag – Freitag) oder des Fastens als eine besondere religiöse Zeit werden thematisiert.
  • Religiöse Rituale sind vor dem Hintergrund individueller sowie religionsgemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen: Namensgebung, Taufe, Konfirmation und Kommunion, aber auch das Kreuz als christliches Symbol.
  • Abraham (→ Abraham, interreligiös) als gemeinsamer ‚Urvater‘ aller Propheten der drei monotheistischen Religionen erfährt in allen Curricula grundlegende Beachtung, neben der Perspektive auf Jesus, die einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Christentum und Islam markiert. Auch Moses aus christlicher Sicht wird in den Blick genommen.
  • Gottesverständnis, Gottesvorstellungen (→ Gottesvorstellungen, muslimische Kinder), Glaubenspraxis und Menschenbild im Christentum werden in allen Curricula hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Islam thematisiert.
  • Insbesondere in den höheren Jahrgängen nehmen die Beziehungen von Musliminnen und Muslimen zu Menschen anderer Religionen einen großen Raum ein. Hintergrund ist die Situation als Minderheit in einer mehrheitlich christlich geprägten Gesellschaft. In lebensweltlichen (→ Lebenswelt), gesellschaftlichen oder politischen Kontexten sind religiös bedingte Alltagsfragen zu diskutieren.
  • Der Fokus liegt dabei einerseits auf → Toleranz und Respekt für ein friedliches Zusammenleben auch vor dem Hintergrund möglicher divergierender Wertevorstellungen. Andererseits ist auch der Umgang mit Rassismus, Vorurteilen und Islamfeindlichkeit seitens der (christlichen) Mehrheitsgesellschaft ein Themenbereich.
  • Das Potential des gemeinsamen Anliegens ethischer Verantwortung in der Welt, beginnend mit der ‚Goldenen Regel‘, findet durchgängig große Beachtung, verknüpft mit der Erarbeitung theologischer Grundlagen einer interreligiösen Verständigung, im Sinne eines konstruktiven Dialogs zwischen Religionen und Weltanschauungen.

Die Analyse der Curricula weist eine Inkongruenz zwischen den Themenfeldern zum Christentum und den damit verbundenen Kompetenzerwartungen auf. Während die Themenfelder ein breites und differenziertes Spektrum der Beschäftigung mit dem Christentum im Islamischen Religionsunterricht eröffnen, sind gleichzeitig die damit verbundenen Kompetenzerwartungen noch nicht ausreichend spezifiziert. Auch wenn der prozessbezogene Bereich der Dialogkompetenz ausgewiesen wird, so beziehen sich doch die entsprechenden inhaltsbezogenen Kompetenzen auf überwiegend deskriptive und beschreibende Verarbeitungsleistungen (AFB I und II). „Erstaunlich ist die geringe Beachtung der Dialogkompetenz, dieses Ergebnis überrascht insbesondere, da alle Curricula einen eigenständigen Gegenstandsbereich haben, der den Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen thematisiert“ (Abdel-Rahman, 2022, 313). Ebenso erstaunlich sind die unterschiedlichen Gewichtungen der Beschäftigung mit dem Christentum (und Judentum) im Bereich der Sekundarstufe II: Während das Kerncurriculum Niedersachsens dezidiert einen Kompetenzerwerb der Urteils- und Problemlösefähigkeit (AFB III) vorsieht, ist im Kernlehrplan Nordrhein-Westfalen der Gegenstandsbereich Andere Religionen gar nicht mehr vorgesehen.

4. Themenfelder und Kompetenzerwerb in Unterrichtsmaterialien und Fortbildungen für Islamischen Religionsunterricht

In einigen Bundesländern werden den Lehrkräften Materialsammlungen in Form konkretisierter Unterrichtsentwürfe angeboten, da es für den Islamischen Religionsunterricht insbesondere für den Sekundarbereich erst wenige Materialien gibt. Unter anderem enthalten sie Vorschläge für die Beschäftigung mit dem Christentum:

  • In Niedersachsen beziehen sich die Unterrichtsequenzen vor allem auf die Bezugsdimensionen Biografie und Lebenswelt der Lernenden und Perspektive der pluralen (christlichen) Gesellschaft. Die Materialien Muslime und Weihnachten? (Jhg. 5/6) thematisieren die islamisch-theologische und individuelle Position zum Umgang von Muslimen mit dem Weihnachtsfest. In der Unterrichtssequenz Hände schütteln zur Begrüßung? (Jhg. 7/8) werden unterschiedliche Auffassungen respektvollen Verhaltens in einer pluralen Gesellschaft zur Diskussion gestellt. Exemplarisch für praktische Ethik bietet die Unterrichtssequenz Ethischer Konfliktfall: Ungewollt schwanger (Jhg. 9/10) Texte und Positionen zur Frage, wie Islam, Christentum und Judentum zum Schwangerschaftsabbruch stehen (Abdel-Rahman/Eickmann/Caliskan/Franz/Kütük, 2015; Abdel-Rahman/Dehne/Eickmann, 2016; Abdel-Rahman/Eickmann/Dehne/Çağin, 2018).
  • In Orientierung am Bildungsplan Baden-Württemberg sind Beispielcurricula mit folgenden thematischen Schwerpunkten erstellt: Rituale und Symbole bei den Christen/Feste und Fasten/Schriften und Personen/Jesus im Vergleich (Landesinstitut für Schulentwicklung Baden-Württemberg, 2016-2018).

Schulbücher für den Islamischen Religionsunterricht sind bislang nur wenige auf dem Markt erschienen, von denen sich auch nicht alle durchgesetzt haben oder in dem jeweiligen Bundesland die Zulassung für den Gebrauch als Schulbuch erhalten haben.

Die Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam thematisieren für den Primarbereich in allen Heften die Begegnung mit dem Christentum. Schwerpunkte sind Bedeutung von Abraham und der Vergleich von Moscheen und Kirchen (Jhg. 1/2). Dem folgt die Frage Wie leben andere Menschen ihren Glauben? (Jhg. 3), indem Kommunion und Konfirmation erläutert werden. Der mehrperspektivische Blick auf die Bedeutung des Wassers für (Juden), Christen und Muslime, thematisiert die Taufe im Christentum.

Im Bereich der Sekundarstufe I bietet das Schulbuch Saphir ebenfalls für alle Jahrgangsstufen Material zum Themenbereich Christentum. Die allgemeine Frage nach dem Umgang mit Vielfalt in den Religionen und Weltanschauungen (Jhg. 5/6) thematisiert das Christentum eher implizit. Dem folgt für die höheren Jahrgänge (Jhg. 7/8) die konkrete Beschäftigung mit dem christlichen Glaubensbekenntnis, der Bedeutung von Jesus, den verschiedenen Konfessionen, aber auch mit Herausforderungen des Christseins in der Gegenwart. In den letzten beiden Jahrgängen werden Themen, die eine begründete Urteilsfähigkeit in den Blick nehmen, fokussiert: Mein Gott – dein Gott, Frage nach dem Wahrheitsanspruch, Wetteifern um das Gute, Mission und Dawa, Bedeutung von Toleranz (Jhg. 9/10).

Die Beschäftigung mit dem Christentum nimmt in Fortbildungsangeboten einen großen Raum ein. In Niedersachsenfand die Reihe „Religionsunterricht im Dialog“ (2016-17) statt, aus der ein Weiterbildungsangebot für Lehrkräfte konzipiert wurde, die in christlich-muslimischen Tandems als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet werden, um dann an Schulen inhaltliche und didaktische Unterstützung für kooperative Lehr- und Lernformate zu leisten. Die Themenbereiche der ersten Fortbildungsreihe umfassen:

  • Kirche und Moschee
  • Feste im Jahreslauf
  • Bibel und Koran
  • Gebet und multireligiöse Feiern (Abdel-Rahman, 2021, 540).

Der Kompetenzerwerb der Lehrkräfte bezieht sich auf vier Perspektiven:

  • Wahrnehmung und Einordnung individueller Religionsverständnisse und persönlicher Haltungen und Einstellungen zur jeweiligen Religion sowie subjektiver Sichtweisen auf Glauben, Glaubenspraxis und Spiritualität;
  • Erschließung, Deutung und Kontextualisierung vertiefendenden theologischen Fachwissens zu einem Schwerpunktthema aus christlicher wie islamischer Sicht;
  • Erschließung, Erprobung und Reflexion religionspädagogischer Methoden für eine mögliche Umsetzung im Religionsunterricht oder in Schulkonzepten;
  • Sensibilisierung für eine Dialogkompetenz, die das angemessene Erläutern religiöser Sachverhalte, aber auch das wertschätzende, sensible Fragenstellen und Zuhören umfasst (Abdel-Rahman, 2021, 537f.).

In Nordrhein-Westfalen gibt es ein ähnliches Modell, den Qualifizierungskurs Interreligiöses Lehren und Lernen in der Schule, angeboten von der Fachstelle Islamische Religionspädagogik (FAIR):

  • Interreligiöse Religionspädagogik im Raum der Schule – Leitbilder in der Schule
  • Die Heiligen Schriften – Lesen und Auslegen
  • Leben und Lehre der Propheten/Jesus und Mohammed
  • Die Rede von Gott und dem Menschen – Anthropologie
  • Feste im Jahreskreis – gemeinsam im Angesicht Gottes feiern
  • Gemeinsam Handeln in Gottes Welt: Ethik
  • Interreligiöses Lernen in Gotteshäusern (https://www.pi-villigst.de/fair).

5. Zusammenfassung: Welche Schwerpunkte und Zugänge im Kontext „Christentum“ sind erkennbar?

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Inhaltsbereiche bezüglich des Christentums im Islamischen Religionsunterricht in den Curricula und Materialien der jeweiligen Bundesländer ein fester Bestandteil und ähnlich strukturiert sind. Die sinnbildliche Überschrift der Befähigung der Schülerinnen und Schüler zum konstruktiven, interreligiösen Dialog zwischen Christen und Muslimen gilt für alle Curricula, Materialien sowie Fortbildungen. Dies wird insbesondere in den Curricula und Fortbildungsangeboten deutlich. Alle Curricula heben hervor, dass der Islamische Religionsunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, auch christliche, offen ist, bis auf das Curriculum von Rheinland-Pfalz, in dem ausgeführt wird, dass die Teilnahme für christliche Schülerinnen und Schüler nicht möglich ist. Sofern es ein christliches Angebot gibt, erteilen die Kirchen keine Zustimmung zur Teilnahme (Rahmenlehrplan Islamische Religion Sek I Rheinland-Pfalz, 2020, 10).

Erstaunlicherweise weisen Fortbildungsangebote einen deutlich größeren Schwerpunkt zu christlichen (interreligiösen) Themen auf als zu innerislamischen oder islamisch-theologischen.

In Anlehnung an Schröders Erschließungswege (Schröder, 2019, 158-162) werden in der Analyse der Curricula, Materialien und Fortbildungen vor allem folgende Zugänge der Auseinandersetzung mit dem Christentum deutlich:

  • Enzyklopädisch theologisch-vergleichender Zugang: Vorrangig geht es um die Aneignung von religionskundlichem Wissen über das christliche Menschen- und Gottesbild, Kirche(n), Bibel, besondere Feste und Zeiten, verschiedene Propheten sowie ethische Grundlagen. Gleichzeitig wird dieses Wissen partiell theologisch verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede sichtbar zu machen.
  • Problemorientiert – interreligiöser Zugang: Das Zusammenleben in einer christlich geprägten (Mehrheits-)Gesellschaft produziert sowohl aus der christlichen als auch aus der muslimischen Perspektive Situationen, für die theologische Klärungen notwendig sind, um individuelle oder generell-gemeinschaftliche Lösungen zu entwickeln. In den Curricula und exemplarischen Materialiensammlungen findet dieser Schwerpunkt eine besondere Berücksichtigung.
  • Handlungsorientierter Zugang: Den erarbeiteten Wissensbestand zum Christentum in individuelle sowie gemeinschaftliche Handlungsoptionen (und idealerweise Haltungen) zu übertragen, gehört in allen Curricula zu den zu entwickelnden Kompetenzen. Es müssen aber Unterrichtsforschungen eruieren, inwieweit dies nachhaltig geschieht.
  • Lebensweltlicher ‚individuell-religiöser‘ Zugang: Die Vielgestaltigkeit christlicher, insbesondere individueller Religionsverständnisse findet zu wenig Beachtung. Die Binnenperspektiven auf die christliche Lebenspraxis werden in den Dokumenten nur marginal thematisiert. Dies betrifft vor allem die Bereiche der individuellen Bindung an Formen religiöser Normativität oder auch der ethischen Begründung individuellen Handelns. Da das christliche und muslimische Verständnis von Religion und Glauben (und den Umgang damit) gerade auf der individuellen Ebene deutliche Unterschiede aufweist, müsste diesem Inhaltsbereich wesentlich mehr Beachtung geschenkt werden. Denn es ist eine grundlegende Voraussetzung wirklichen Verstehens, inwieweit oder worin sich religiöse Lebenspraxis des anderen zeigt, um ein wertschätzendes gemeinsames Miteinander zu ermöglichen (ausführlich Willems, 2011, 217f.). Dazu gehört auch, die Bezugsdimension der Biografie christlicher Schülerinnen und Schüler mehr in den Blick zu nehmen. Inwieweit sich dies in der Unterrichtspraxis auch so bestätigt, ist bislang ebenfalls ein Forschungsdesiderat.

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