Beten, christliche Perspektive
(erstellt: Februar 2019)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Beten_christliche_Perspektive.100176
1. Zum religionspädagogischen Stellenwert
Beten (etymologisch aus dem Kontext des Bittens) ist ein Grundphänomen menschlichen Lebens im religiösen Horizont – ein besonderer, leiblich geprägter Typus religiöser Kommunikation mit → Gott
Religionssoziologisch ist augenfällig, dass sich Jugendliche (→ Religiosität, Jugendliche
2. Biblische Wurzeln des christlichen Gebets
Zunächst ein historisch-biblischer Blickwinkel: Charakteristisch für Gebete in der Hebräischen Bibel sind zunächst prominente Gebetsstätten und rituelle Versammlungsorte wie die Synagoge und der Jerusalemer Tempel. Zeitlich und örtlich ist das Beten auch damals nicht gebunden, da es als freie Form jederzeit und überall geltend gemacht werden kann (z.B. Jona im Bauch des Fisches, Jon 2,3-10
Aus den zahlreichen Darstellungen des jüdischen Gebets im Alten Testament (→ Beten, jüdische Perspektive
Im Neuen Testament finden sich unterschiedliche Formen des Betens ebenso wie bestimmte Aspekte, die im Deutschen unter dem Begriff des Betens bzw. Gebets summiert werden. Drei Beispiele zeigen unterschiedliche Facetten:
1. In der Bergpredigt führt Jesus Aspekte des Betens aus (Mt 7,7-11
2. Das zentrale Gebet des Christentums ist das Vaterunser, das im Zentrum der Bergpredigt (Mt 6,9-13
3. Gethsemane ist ein Ort und zugleich eine Situation, welche durch das Gebet in höchster Not die Radikalität und Ambivalenz des Lebens in der Passion Jesu zeigt (Mt 26,36-46
3. Systematische Aspekte des Gebets
Wie in anderen theistischen Religionen ist das Gebet Ausdruck und Gestalt der Gottesbeziehung und damit Herzstück eines praktischen Verständnisses vom Christentum. In seinen unterschiedlichen Formen und Haltungen drücken Menschen ihre individuellen wie kollektiven religiösen Erfahrungen (→ Erfahrung
Religionswissenschaftlich betrachtet ist Beten eine Form des Selbstausdrucks sowie der Kontaktaufnahme zu einer anderen Macht und ermöglicht damit Transzendenzerfahrung (→ Transzendenz (und Immanenz)
Durch die Theologiegeschichte hindurch spielen unterschiedliche Facetten von Gebeten und Gebetsgestaltungen wie -situationen und -traditionen eine Rolle und sind dabei Seismographen des Gottes- und Menschenbildes. Aus den Aufbrüchen christlicher Gebetsfrömmigkeit wie dem Mönchtum, mittelalterlicher Mystik, der Reformationsbewegung, dem Pietismus samt der Erweckungsbewegung und der Ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert sowie Initiativen zur Gemeinschaft der Weltreligionen entstammen reichhaltige Sammlungen von Gebeten. Gebet ist ein unverzichtbares Moment des Christentums. Dies zeigt sich in eigens formulierten Gebeten genauso wie in Reflexionen und Anleitungen. In der Theologie des 20. Jahrhunderts wird das Beten als die Weise wahrgenommen, in welcher der Mensch seine Grundsituation sieht, in der er Gott als Sprechenden und Gegenüber wahrnimmt und in der sich folglich Erfahrung und Begegnung als Weisen des Seins zeigen, die mehr als das Erleben des Selbst sind, sondern an einem Du aufbrechen (Buber, 1999). Wirkungslogisch gilt die Verheißung des Erhörens von einem Gebet vor der Erfüllung („Nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen erfüllt Gott“, so Bonhoeffer in Gremmels/Bethge/Bethge, 2011, 569).
Im Blick auf ekklesiologische Zusammenhänge ist der Gottesdienst (→ Gottesdienst, evangelisch
Aktuelle Fragen zu liturgischen Möglichkeiten und Grenzen multi- und interreligiöser Formen des Gebets werden im Horizont unterschiedlicher Theologieverständnisse kirchlich-konfessionell reflektiert (auch EKD, 2015, 52-54; Deutsche Bischofskonferenz, 2008).
4. Praxisaspekte des Gebets im Christentum
Die Gebetspraxis innerhalb des Christentums ist so vielfältig wie seine Konfessionen und Strömungen und wird nicht nur verbal in freien und gebundenen Gebeten, sondern entsprechend körpersprachlich durch Mimik, Gestik und Körperhaltungen begleitet. In den Traditionen der Gebetsvollzüge machen sich auch konfessionell typische Formen erkennbar: Wird im evangelischen Rahmen tendenziell das Händefalten, Aufstehen oder Sitzen begleitend vollzogen, ist katholischerseits darüber hinaus z.B. auch das Knien und bei einer Ordination das Hinlegen üblich. Dabei sind auch konfessionelle Moden zu beobachten: Während in Luthers Morgen- und Abendsegen das Bekreuzigen als evangelische Einleitung für Gebet und Segen vorgeschlagen wird und noch in den meisten Gesangbüchern steht, ist es doch über die Jahrhunderte in dieser Konfession eher ausgedünnt. Vielen gilt es inzwischen fälschlicherweise als typisch katholisch. Alle christlichen Konfessionen wenden sich an Gott, Jesus Christus (→ Christus
Aktuell von Interesse für die Praxisgestaltung sind empirische Kenntnisse zu den Glaubenserfahrungen (Lunk, 2014). Geht man grundsätzlich von einem Rückgang der Gebetserfahrung sowie von einer deutlichen Tendenz weg von einem personalen Gottesverständnis aus, so überrascht es, dass mehr als die Hälfte der Deutschen betet. Meist binden sie sich nicht an eine bestimmte Lehre, bei kirchlicher Bindung sind stattdessen die Bindungen an Formen und auch an rituelle Taggestaltung häufiger. Maßgeblich sind die biografischen Erfahrungen und Reflexionen darüber, die zu eigenen Auffassungen und Gebetspraxen führen. Entsprechend prägen sehr unterschiedliche Gebetspraxen auch die gemeinschaftlichen Gebete – von traditionellen kirchlich-agendarischen Gebeten über Liedverse oder kulturelle Zitate bis zu Einübungen in leibliche Formen und Exerzitien. Zu den Erfahrungen mit Gebet gehört die Sozialisation, die erste Gebetserfahrungen in Begleitung und Mitbeten von anderen Personen ermöglicht – egal ob es sich um das abendliche Gebet der Kindheit mit Eltern handelt, um gottesdienstliche Erfahrung oder andere Situationen.
Prägend für die Gebets- und damit auch Glaubenserfahrung sind neben den Formen die Bedingungen sowie der Raum, die beteiligte Gemeinschaft oder die individuelle Situation in der Stille, die Atmosphäre und leibliche Bewegungen.
Fragt man nach den Funktionen, welche das Gebet für die Betenden einnimmt, wird nicht in erster Linie Gebetserhörung benannt; vielmehr gilt Ruhe, Stärkung, die Unverfügbarkeit und Eingebundenheit des Lebens, die im Übrigen auch dazu beitragen, dass das Gebet in Not häufiger ist als das tägliche Gebet, die Bitte häufiger als der Dank. Beständige Inhalte des Gebetes sind persönliche Themen und Sorge um private Umgebung; gesellschaftliche, politische Themen werden tendenziell dem Gebet im öffentlichen Gottesdienst überlassen.
Gebetsformen gehen ein in kulturelle Formen, in Lyrik oder kirchliches, aber auch populäres Liedgut.
In Kirche und rituellen Feiern werden Formen weitergegeben, Gebetssprache weitergetragen. Besonderes Gewicht liegt auf der Frage nach den Formen gemeinsamer Gebete in multireligiösen Feiern. Hier ist insbesondere der Ort der Schule herausfordernd, da er die Multikulturalität und wachsend Multireligiosität offensichtlich macht (Meyer, 2015a, 91). Dort, wo Schulgottesdienste und multi- bzw. interreligiöse Feiern in der Schule begangen werden, bilden Gebete wie in den Kasualien der Einschulungsfeiern und kasuellen Gottesdiensten bzw. Feiern wie bei Trauerfällen oder politischen Fällen einen zentralen Ort des parallelen bzw. gemeinsamen Kontakts zu Gott (Dam/Doğruer/Faust-Kallenberg, 2016). Da Familien (→ Familie
5. Religionsdidaktische Erschließung
Bei der Frage nach religionsdidaktischen Zugängen und Interessen muss zwischen schulisch-religionspädagogischen und gemeindepädagogischen Interessen unterschieden werden. Für die Konfirmandinnen- und Konfirmandenarbeit (→ Konfirmandenunterricht/Konfirmandinnenarbeit
Im schulischen Religionsunterricht kann das Beten als eine Form christlicher Religion kennen gelernt werden, um an einem verdichteten Element den Zugang zu existenziellen, zu liturgischen und zugleich zu kulturellen, historischen Aspekten und in all dem zu theologischen Fragen zu ermöglichen. Jedoch ist die häufige Fremdheit des Gebets nicht zu überspringen. Hier können rituelle und meditative Aspekte Brücken bauen. Im Blick auf das Lehren und Lernen von Gebet als rituelle Praxis ist didaktische Mehrperspektivität vonnöten. Dies setzt bei Lehrkräften die Reflexion eigener Haltung und Praxis voraus.
Performative Didaktik (→ Performativer Religionsunterricht
Beim Lernen in interreligiöser Perspektive ist das Gebet ein Element vergleichender Religionspraxis, an dem Dialog und Positionalität geschärft werden können. Inhaltlich spielen dafür nicht nur Gestaltungsformen, sondern auch die zugrundeliegenden Gottesvorstellungen und Traditionen eine Rolle; Perspektivenwechseln (→ Perspektivenwechsel
Literaturverzeichnis
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