Deutsche Bibelgesellschaft

Dialog der Religionen: Entwicklung, Modelle, religionspädagogische Relevanz

(erstellt: Februar 2016)

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Die Herausforderung zum Dialog der Religionen ist kein rein akademisches Thema mehr, sie ist an der Basis angekommen: Die → Pluralisierung der weltanschaulichen Angebote einerseits, die Individualisierung der Lebensorientierungen andererseits sind ein Signum der gesellschaftlichen Entwicklungen seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, besonders im europäisch-nordamerikanischen Raum, aber darüber hinaus in fast allen Weltregionen. Hinzu kommt, dass in vielen Weltkonflikten Religionen eine Rolle spielen: unheilvoll verschärfend, oft aber auch (meist weniger bekannt) deeskalierend, konfliktlösend und versöhnend.

Dass nach neuen Antworten gesucht werden muss, wird deutlich, wenn man die klassischen Modelle der Verhältnisbestimmung zwischen Christentum und anderen Religionen – exklusiv, inklusiv, pluralistisch – kritisch betrachtet.

Exklusiv meint herkömmlich: Nur in der eigenen Religionstradition ist wirkliches Heil zu finden. Alle anderen Glaubenswege und weltanschaulichen Positionen sind vom Heil ausgeschlossen. Die Partikularität einer solchen Weltsicht liegt auf der Hand. Von ihr aus wäre eine universale humane Betrachtung der Welt so, wie sie ist, unmöglich. Religionspädagogisch entspricht dem eine konfessionelle Glaubensvermittlung, die den Wahrheitsanspruch der eigenen Religion bzw. Konfession in den Mittelpunkt stellt und die anderen Religionen/Konfessionen abwertet oder sogar als Irrwege verurteilt.

Beim inklusiven Modell wird nach Spuren der Wahrheit Ausschau gehalten, die sich auch in anderen Religionen finden lassen und die positiv gewürdigt werden, wobei das volle Heil letztlich in der eigenen Religionsgemeinschaft verortet wird. Oft werden die Positionen des 2. Vatikanischen Konzils als inklusiv gekennzeichnet. Religionspädagogisch entspräche dem ein konfessionsbezogener Religionsunterricht, der aber ökumenisch und interreligiös offen ist. Kritisch wird diesem Modell vorgehalten, dass von ihm aus die anderen Religionen nicht von den Inhalten her wahrgenommen werden, die ihnen zentral sind, sondern perspektivisch von der eigenen Religion aus.

Beim pluralistischen Modell werden die verschiedenen Religionen in ihrer Vielfalt gesehen, und es wird ihnen prinzipiell ein gleicher Geltungsanspruch zugestanden. Das ist die Basis, auf der in England Religious Education interreligiös erteilt wird. In Deutschland kommt dem am ehesten der Hamburger Religionsunterricht für alle nahe. Kritisiert wird hieran, dass die Unterschiede der Religionen und ihrer Wahrheitsansprüche relativiert würden.

Inzwischen unterliegt die schematische Darstellung dieser drei Modelle wie auch die Pauschalität, mit der sie in Frage gestellt werden, selbst der Kritik (zur nötigen Differenzierung vgl. schon Bernhardt, 1990). Denn es gibt innerhalb dieser Modelle erhebliche Differenzierungen und auch zwischen ihnen vielfache Überschneidungen. Heuristisch freilich können sie helfen, grundlegende Perspektiven einer Theologie der Religionen sichtbar zu machen.

Fruchtbarer erscheint es demgegenüber, den prozesshaften Charakter des Weges zum interreligiösen Lernen nachzuzeichnen, wie er in wechselseitiger Beziehung zur Entwicklung der theologischen und praktischen Vorstöße zum Dialog der Religionen steht.

1. Der Aufbruch zum Dialog – eine theologische und religionspädagogische Lerngeschichte

Es war in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, in der eine vorher nicht erwartete Dynamik in der Begegnung der Religionen und Kulturen zu kirchlich-theologischen und parallel zu ersten religionspädagogischen Vorstößen geführt hat, die zunächst nicht in enger Beziehung zueinander standen.

Den Umbruch zum Dialog hin verdeutlichen: auf katholischer Seite das 2. Vatikanische Konzil, auf evangelischer und orthodoxer Seite die Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), auf islamischer Seite Gesprächsangebote im Zusammenhang mit Gipfelkonferenzen und mehreren wichtigen Religionstreffen (Näheres bei Lähnemann, 1998, 128-131).

Das 2. Vatikanische Konzil markiert mit seiner Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ und seiner Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen („Nostra aetate“) eine positive Hinwendung der römisch‑katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Texte bei Fürlinger, 2009). Völlig neu – gegenüber früheren Verurteilungen und Abwertungen – wird das Verhältnis zum Judentum bestimmt: als der „heiligen Wurzel“ des Christentums. Ebenso neu sind die Aussagen zum Islam: Die Verbundenheit mit ihm durch die Anbetung des einen Gottes, der sich offenbart hat, die Anerkennung Abrahams und Jesu, die Erwartung des Gerichts, die sittliche Lebenshaltung und Frömmigkeitspraxis werden mit Anerkennung genannt ebenso wie die Aufgabe, vergangene Feindschaften zurückzulassen und sich gemeinsam für soziale Gerechtigkeit, sittliche Güter, für Frieden und Freiheit einzusetzen. Im Hintergrund steht theologisch die Vorstellung von verschiedenen Stufen der Offenbarung, nach der die Gottesverehrung in den Religionen als Vorform zu der Gotteserkenntnis veranschlagt wird, die in ihrer Fülle in der katholischen Kirche präsent ist.

Die Aktivitäten des ÖRK in der Begegnung mit den anderen Religionen haben sich insgesamt prozesshafter entwickelt. Dabei ist immer die Beziehung von Zeugnis und Dialog im Blick und es wird zentral‑christologisch von der der ganzen Welt in Christus zugewendeten Liebe Gottes aus argumentiert.

Die grundsätzliche Position wird in den 1977 und 1979 vom ÖRK verabschiedeten „Leitlinien zum Dialog mit Menschen verschiedener Religionen und Ideologien“ umrissen, wobei deutlich wird, dass es nicht um einen Pakt der Religionen gegenüber den säkularen Weltanschauungen geht, sondern um eine Begegnung, die zum Zusammenwirken der Religionen und Ideologien in den Lebensfragen der Menschheit führen soll. Dialog bleibt dabei nicht auf der intellektuellen Ebene, sondern er bedeutet, „sich dem anderen mit Herz und Sinnen zu öffnen“ (Ökumenischer Rat der Kirchen,1979, 22).

Religionspädagogisch hat besonders die Shap Working Party on World Religions in Education in England (gegründet 1969 im Dorf Shap im Lake District) eine Vorreiterrolle gespielt, eine Vereinigung von 30-40 Religionswissenschaftlern und Religionspädagogen, die sich – angesichts der schon früher als in Deutschland durch Einwanderungen aus dem Commonwealth plural gewordenen Situation – systematisch um das Studium und die unterrichtliche Vermittlung der Religionen-Thematik bemühte, inspiriert durch die religionsvergleichenden Arbeiten von Ninian Smart (Näheres bei Lähnemann, 1998, 118-122). Im Hintergrund spielte auch die pluralistische Religionstheologie von John Hick eine Rolle. Im Gegenüber zu einem „confessional approach“ geht es um einen „phenomenological approach“: Es ist der Versuch, sich in die Gedankenwelt der Gläubigen einzufühlen, ihre Gefühle und Erfahrungen (→ Erfahrung) soweit es nur geht nachzuempfinden. Es soll „an attitude of welcoming acceptance and interest in another culture“ (Wilson 1972, 22) angebahnt werden. Die von dort kommenden Anregungen wurden zuerst von Herbert Schultze und Werner Trutwin aufgegriffen (Schultze/Trutwin, 1973) und in mehreren von Manfred Kwiran organisierten Tagungen zu einem deutsch-englischen religionspädagogischen Dialog erweitert (Kwiran/Schultze, 1988). Udo Tworuschka hat als Religionswissenschaftler die Diskussion bereichert (Tworuschka/Zilleßen, 1977), und ich habe in meiner Habilitationsschrift die theologische und didaktische Fragestellung am Beispiel des Islam systematisch entfaltet, ein Teilcurriculum Weltreligionen für ev. Religionsunterricht und Erwachsenenbildung vorgelegt (Lähnemann, 1977) und später das Doppelwerk „Weltreligionen im Unterricht“ bewusst als theologische Didaktik gestaltet, die die Begegnung mit den Religionen aus der Mitte christlichen Glaubens heraus begründen kann (Lähnemann, 1986a; 1986b).

Obwohl in der Folgezeit viele hilfreiche Einzelarbeiten erschienen sind, ist die Thematik Weltreligionen und Interreligiöses Lernen bis in die 90er Jahre ein Randthema in der Breite der religionspädagogischen Debatten (→ Didaktik der Religionen) und noch mehr in der evangelischen Systematischen Theologie geblieben (vgl. hier erst Barth, 2001). Katholischerseits hat es demgegenüber in den 80er Jahren eine umfassende Umsetzung der Anliegen des 2. Vatikanischen Konzils gegeben, in der „Kontextuellen Fundamentaltheologie“ von Hans Waldenfels, in der die wichtigsten Themen einer christlichen Glaubenslehre im Dialog mit entsprechenden Thematiken in anderen Religionen und auch säkularen Weltdeutungen erörtert werden (Waldenfels, 1985). An diesen Weg konnte später Stephan Leimgruber mit seinen Arbeiten über Interreligiöses Lernen anknüpfen.

Für Verlautbarungen der Evangelischen Kirche in Deutschland ist die in der 2. Hälfte der 80er Jahre von einer Arbeitsgruppe der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) und der Arnoldshainer Konferenz erarbeitete Studie „Religionen, Religiosität und christlicher Glaube“ (1991) – unter dem Vorsitz von Carl Heinz Ratschow und Theo Sundermeier – wichtig geworden. In ihr wird aus der Mitte einer trinitarisch gefassten evangelischen Theologie heraus der Auftrag zur Religionsbegegnung (Sendung/Mission in einem weiten Sinn) begründet, der die drei Dimensionen des Zeugnisses (Mission im engeren Sinne), des Dialogs und der Konvivenz umfasst. Neu ist dabei der Begriff der Konvivenz, der schöpfungstheologisch fundiert wird. Gegründet im Schöpferwillen Gottes ist die Kirche gewiesen, mit den ihr sozial und religiös fremden Menschen zusammenzuleben, was sich in der Bereitschaft zu wechselseitiger Hilfe konkretisiert. Damit wird die Begegnung um eine wesentliche Grundperspektive positiv gefasster Koexistenz erweitert.

2. Die Etablierung der Religionenthematik als genuiner religions-pädagogischer Arbeitsbereich

Eine Fülle verschiedener Faktoren hat dazu geführt, dass sich in den 90er Jahren die Thematik Weltreligionen, der Dialog und die Begegnung mit ihnen zu einem genuinen Lernbereich der Religionspädagogik in Deutschland entwickelt haben.

Zu nennen sind zeitgeschichtliche Einflüsse, die die Religionen neu ins Bewusstsein der westlich bestimmten Gesellschaften geholt haben: Die religiöse Dimension der Migrationsbewegungen in Mittel- und Westeuropa wurde bewusster wahrgenommen. Religiös-ethnisch mitbedingte Konflikte – vermehrt nach dem Ende des krassen Ost-West-Gegensatzes – zeigten in den 90er Jahren, dass Religion und Nation sich als keineswegs von der Säkularität überholte Größen erledigt haben. Das Gegenüber der These Samuel Huntingtons vom Clash of Civilizations als dem vorrangig zu erwartenden Konfliktszenario des 21. Jahrhunderts (Huntington, 2002) und Hans Küngs These Kein Weltfriede ohne Religionsfriede (vgl. den Flyer der Stiftung Weltethos,www.weltethos.org) gab der Auseinandersetzung mit dem Konflikt- wie dem Versöhnungspotential der Religionen neues politisches Gewicht.

Parallel haben sich auf der religiösen Ebene neue Infrastrukturen entwickelt: Die 1970 in Kyoto gegründete Bewegung der World Conference on Religion and Peace (WCRP; inzwischen: Religions for Peace/RfP, www.religionsforpeace.org) bemüht sich, in Anerkennung der Verschiedenheit der Religionsgemeinschaften deren Friedenspotentiale zusammen zu führen – zunächst über die 5-6-jährig in verschiedenen Kontinenten stattfindenden Weltversammlungen, bald aber auch über eine große Anzahl nationaler Chapters sowie über Basisgruppen einerseits, ein Generalsekretariat direkt bei der UNO in New York andererseits (Jack, 1993). Bilateral entwickelte Organisationen, wie die lange bestehenden Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und später die Christlich-Islamischen Gesellschaften, haben die Begegnungsarbeit national und lokal bereichert. Das 1990 von Hans Küng initiierte Projekt Weltethos ist der Vorstoß, verbindende ethische Grundüberzeugungen der verschiedenen Religionstraditionen auf der Basis der Goldenen Regel und der ethischen Grundgebote in den monotheistischen wie den in Fernost beheimateten Religionen so zusammen zu führen, dass sie helfen können, den aktuellen Weltkrisen zu begegnen (Küng, 1990; Küng/Kuschel, 1993).

Dem entspricht eine neue Vielfalt in der Religionen-Didaktik in den 90er Jahren: hinsichtlich altersgemäßer Entgrenzung (von Sekundarschul-Bildung bis hin zu Elementar- und → Erwachsenenbildung), dem Bemühen um authentische Darstellungen (besonders auch in Schulbüchern), einer Bewegung vom „Lernen über“ hin zu einem Begegnungslernen, der Förderung interdisziplinärer Zugänge und ersten Ansätzen zu empirischer Forschung.

Ein Gradmesser der Entwicklung sind die seit 1982 regelmäßig in 3-jährigem Abstand stattfindenden Nürnberger Foren einer Erziehung zur Religions- und Kulturbegegnung. Die Idee war, Vertreterinnen und Vertreter der Religionen, die im Dialog erfahren sind, zusammenzubringen mit Pädagogen und Experten aus anderen Humanwissenschaften, aber auch Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern, die in der Praxis stehen. Sie kommen besonders aus Brennpunkten im Zusammenleben der Kulturen sowie aus pädagogisch und religionspädagogisch beispielhaften Projekten. Es ist regelmäßig auch die politische, die wirtschaftliche und die ökologische Perspektive vertreten (Lähnemann, 1983ff.).

Als grundlegende religionspädagogische Werke aus den 90er Jahren können vor allem Stephan Leimgrubers „Interreligiöses Lernen“ (1995; 2007 in erheblich erweiterter 2. Auflage) als Beispiel der „katholischen Linie“, meine „Evangelische Religionspädagogik in interreligiöser Perspektive“ (1998) und Karl Ernst Nipkows großes Doppelwerk „Bildung in einer pluralen Welt“ (1998) benannt werden.

Stephan Leimgruber entfaltet die produktiven Elemente des 2. Vatikanischen Konzils für die Religionspädagogik: hin zu einem Dialog und einem Lernen in Wertschätzung der verschiedenen religiösen Traditionen, die der Einzigartigkeit der Heilserfahrung in Jesus Christus nicht widersprechen müssen. Von dieser dem inklusiven Modell entsprechenden Sichtweise nähert er sich aber auch den Entwürfen einer pluralistischen Theologie der Religionen, wie sie John Hick und Paul Knitter entworfen haben, insofern die Dialogpartner in den anderen Religionen prinzipiell als ebenbürtig angesehen werden und im Gespräch ihr Wahrheitsverständnis voll zur Geltung bringen sollen. Von hier aus beschreibt er den Lernprozess Christen – Juden, den Lernprozess Christen – Muslime und den Lernprozess Christentum – Fernöstliche Religionen, jeweils verbunden mit Impulsen für die religionspädagogische Praxis, in der die andersgläubigen Partner von „Objekten des Studiums“ zu Kommunikationspartnern werden.

In meinem Werk habe ich verdeutlicht, wie die Besinnung auf den eigenen Glauben und die Öffnung für andere Religionen und Kulturen notwendige Koordinaten evangelischer Religionspädagogik sind. Inhaltlich zentral ist dabei der theologische Bezug auf Wort, Tat und Weg Jesu Christi, aus dem sich eine grenzüberschreitende Pädagogik des Evangeliums ableiten lässt. Ich plädiere dabei für eine Verhältnisbestimmung von Christentum und Weltreligionen, die den Dialog so versteht, dass in ihm Wahrheitserfahrung und Toleranz, Identität (→ Identität, religiöse) und Verständigung als zwei Pole jeweils aufeinander bezogen werden. Die Wahrheitserfahrung der eigenen Tradition und die Aufgabe der Mission (d.h.: überzeugender Zeuge des eigenen Glaubens zu sein) wird nicht beiseitegelassen, aber in einen offenen Prozess eingebracht, der Toleranz und Achtung der anderen einschließt, Lernen voneinander ermöglicht und sich bewusst ist, dass all unser irdisches Wissen und Reden in irdischer Begrenzung geschieht. Dass Gott, dass der ultimate concern letztlich immer größer ist als menschliches Verstehen, ist eine den verschiedenen Theologien der Religionen gemeinsame Einsicht.

Karl Ernst Nipkows großes Doppelwerk „Bildung in einer pluralen Welt“ (Band 1: Moralpädagogik im Pluralismus; Band 2: Religionspädagogik im Pluralismus) ist eine umfassende Entfaltung der in der Denkschrift „Identität und Verständigung“ der EKD (1994), die maßgeblich Nipkows Handschrift trägt, enthaltenen Grundsätze. Er beschreibt den langen Weg zu einer pluralismusfreundlichen, freiheitlichen evangelischen Schulpolitik, umreißt die Perspektiven interreligiösen und interkonfessionellen Lernens sowie die sinnvolle Konstitution einer schulischen Fächergruppe Philosophie – Ethik – Religion, für die mehrseitige Gesprächsfähigkeit und Kooperation einzuüben ist, geht in je einem eigenen Kapitel dem Verhältnis Juden und Christen und Christentum und Islam und den damit gebotenen Lernaufgaben detailliert nach und bilanziert die internationale Diskussion anhand des Paradigmenstreits in Europa am Beispiel Englands. Wie Leimgruber kann Nipkow Anliegen der differenzierten pluralistischen Religionstheologie von John Hick produktiv aufgreifen.

Wichtig sind weiterhin die Dissertationen von Werner Haußmann (1993) und Karlo Meyer (1999), die eine Brücke schlagen zwischen der englischen und der deutschen Religionspädagogik und sowohl die multikulturellen Erfahrungen in Großbritannien als auch die dort entwickelten Unterrichtswege für den Dialog fruchtbar machen. Die Ansätze und praktisch erprobten Modelle, über ein Learning Religion (konfessionell) und ein Learning about Religion (religionskundlich) vorzudringen zu einem Learning from Religion, wie sie Robert Jackson, Michael Grimmith, John Hull u.a. entwickelt haben, geben den unterrichtlichen Begegnungsmöglichkeiten neue Anschaulichkeit. Karlo Meyer nimmt dabei auch die Fremdheiten (→ Fremdheit) zwischen den Religionen hermeneutisch wie praktisch ernst: wie man fremden religiösen „Gegen-Ständen“ in ihrer Individualität Raum geben muss und wie wesentlich das weiterführende Gespräch ist, in dem die Schülerinnen und Schüler mit ihrer Sicht zur Geltung kommen. In seinen praktischen Arbeiten geht es ihm um authentische Begegnung auch da, wo die persönliche Begegnung nicht direkt möglich ist: Kinder (und ihre Familien), die in einer bestimmten religiösen Tradition leben (exemplarisch: Islam und Judentum) werden befragt und erzählen plastisch davon, wie sie ihren Glauben leben (Meyer, 2006; 2008; 2015).

Konzeptionell und praktisch bedeutsam geworden ist weiterhin der Hamburger Religionsunterricht für alle, der (vor allem aus verfassungsrechtlichen Gründen) als „in evangelischer Verantwortung“ veranstaltet bezeichnet wird. Die evangelische Seite – vor allem das PTI Hamburg (Horst Gloy, Folkert Doedens) und die ev. Religionspädagogik an der Universität (Wolfram Weiße, Thorsten Knauth) – hat hierfür in der Tat Entscheidendes beigetragen (vgl. beispielhaft Lohmann/Weiße, 1994; Weiße, 2008). Dabei ist Dialog von Anfang an das entscheidende Merkmal: Gründend im Dialogverständnis von Martin Buber und Hans-Jochen Margull ist er im Gespräch mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften in der multikulturellen Hansestadt entwickelt worden und wird von ihnen gemeinsam getragen. Zum Dialog gehört auch, dass die Schülerorientierung Vorrang erhält vor dem Konfessionsprinzip. Das ist seither in einer Fülle praxistauglicher Unterrichtshilfen konkretisiert worden. Anfragen ergeben sich hinsichtlich der Gewichtung: ob Identitätsbildung dabei hinreichendes Gewicht erhält gegenüber der Verständigungsbemühung – und wie die erforderliche hohe Professionalität der Lehrkräfte zu erreichen ist.

Als weitere Zentren mit religionspädagogischer Ausstrahlung haben sich die Universitäten Duisburg (Rickers/Gottwald, 1998) und Essen (jetzt: Knauth) und die Interreligiöse Arbeitsstelle Nachrodt INTRA (Kirste/Schwarzenau/Tworuschka, 1990-2006) mit der Reihe „Religionen im Gespräch“ herausgebildet.

In die Entwicklung der 90er Jahre gehört schließlich der Aufbau des brandenburgischen Schulfachs Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde, in das sich aus dem „Westen“ besonders Jürgen Lott mit seinen Bremer Erfahrungen eingebracht hat (Lott, 1998). Es wird an anderer Stelle in diesem Lexikon ausführlicher behandelt (→ LER). Dabei wird Identitätsbildung als Prozess des Dialogs mit unterschiedlichen Positionen verstanden (differenziert zu Einzelheiten von LER: Graßal, 2013, 154-201).

3. Religiöses/interreligiöses Lernen im globalen Rahmen des neuen Jahrtausends

Als Signale für die Spannungsebenen des beginnenden 21. Jahrhunderts können die Kontraste des Jahres 2001 gelten: Es wurde von den Vereinten Nationen ausgerufen als Jahr des Dialogs der Zivilisationen – und es war das Jahr der verheerenden Attacken auf das World Trade Center in New York und das Pentagon am 11. September. Die Religionen haben sich als „Global Players“ neu ins Bewusstsein gebracht – konstruktiv-dialogisch-sozial, aber auch destruktiv fanatisierend und zerstörerisch. Dem steht eine sich ausweitende Vielfalt an Dialog- und Begegnungsarbeit auf den verschiedensten Ebenen gegenüber: in und zwischen den Religionsgemeinschaften, im politisch-gesellschaftlichen Bereich und eben auch auf der pädagogischen und spezifisch religionspädagogischen Ebene.

Die Spannungsbereiche zwischen den Religions- und Kulturräumen haben im Verlauf der ersten 15 Jahre des neuen Jahrtausends nicht abgenommen, sondern im Gegenteil eine neue Brisanz erreicht: In den Vordergrund – und entsprechend medial vermittelt – hat sich islamistisch verbrämter Terror gespielt: Al Qaida, Taliban in Afghanistan, Boko Haram in Nigeria und als Gipfel der sog. Islamische Staat in Irak/Syrien konnten sich in labilen politisch-ethnisch-religiösen Regionen einnisten und haben Schreckensherrschaften errichtet. Aber auch der politische Hinduismus in Indien, buddhistische Extremisten in Myanmar, jüdische Extremisten im israelischen Siedlermilieu stehen ebenso wie Antisemitismus und Islamophobie in Europa einer gelebten Toleranz und positiver Koexistenz entgegen.

Internationale interreligiöse Koalitionen in Kooperation mit Menschenrechtsagenturen und kulturellen Verbünden sind in zunehmendem Maße zu konstruktivem Gegenwirken gefordert. Der Ruf nach vorurteils-überwindender religiöser Bildung kommt dabei vehement gerade aus den Krisenregionen.

Nach der Versöhnungsarbeit im ehemaligen Jugoslawien hat sich Religions for Peace u.a. erfolgreich in Sierra Leone über den dortigen Interreligiösen Rat engagiert, immer wieder auch im Nahen Osten, hier besonders gestützt und gefördert durch das jordanische Königshaus, voran Prinz Hassan bin Talal, mit der Al Albeit-Stiftung (http://aalalbayt.org). Mit der Peace Education Standing Commission (www.rfp-nuernberg.de/PESC) haben wir uns bemüht, interreligiöse Projekte der Friedenserziehung bekannt zu machen und miteinander in Kontakt zu bringen – in den drei Bereichen Religiöse und Interreligiöse Erziehung, Erziehung zu gewaltfreier Kommunikation sowie Konfliktlösung und interreligiöse Umwelterziehung.

Die Verbindung von interreligiösen und interkulturellen Fragen sowie gewaltfreier Kommunikation und Friedensarbeit wird fundamental aufgenommen in den beiden Handbüchern zum interreligiösen Lernen (Schreiner/Sieg/Elsenbast,2005) und zur Friedenserziehung (Haußmann u.a.,2006), samt den dazugehörigen theologischen, religionswissenschaftlichen und pädagogischen Perspektiven.

Einen kultur-politischen Markstein stellen die „Toledo Guiding Principles on Teaching about Religions and Beliefs in Public Schools“ der OSCE (2007, www.osce.org/odihr/29154) dar, weil sie von gesamteuropäischer politischer Seite aus die Notwendigkeit der Verankerung religiösen Wissens in den Schul-Curricula hervorheben.

Inzwischen hat sich das Arbeitsfeld, wie es sich bereits in den Handbüchern darbietet, weiter aufgefächert: im Bereich Religionstheologie etwa durch die Untersuchungen von Perry Schmidt-Leukel (2005) und Henning Wrogemann (2015), im Bereich Hermeneutik durch die komparative Religionstheologie, wie sie Klaus v. Stosch (2012) und HamidehMohagheghi (2014) vertreten wird, hinsichtlich der Verhältnisse von Religion, Kultur und Literatur durch die Arbeiten von Karl-Josef Kuschel (2007), Christoph Gellner und Georg Langenhorst (2013), durch größere Forschungsprojekte empirischer Art (Ziebertz, 2008; 2013), im Bereich internationaler religionspädagogischer Vergleiche (das RedCo-Projekt von Wolfram Weiße und Robert Jackson, (Weiße 2009 u. www.redco.uni-hamburg.de), im Bereich der → Schulbuchforschung u.a. durch das Nürnberg-Rostocker Schulbuchprojekt zur Darstellung des Christentums in Schulbüchern islamisch geprägter Länder (Hock/Lähnemann/Reiss, 2005; 2006; 2012; vgl. auch die Arbeiten von Biener, 2006; 2007). Sichtbar wird dabei insgesamt, dass sich das Lernen im Feld der Religionen in den vielfach säkularen Kontexten Europas als relevant und für Schülerinnen und Schüler faszinierend erweist, darüber hinaus aber auch, dass der Länder- und Religionen-übergreifende Austausch ein neues Niveau an wechselseitiger authentischer Wahrnehmung und pädagogischer Gestaltung ermöglicht.

Drei Monographien sind schließlich anzuzeigen, die das Gesamtfeld der Beziehung von interreligiösem Dialog und Religionspädagogik in je spezifischer Perspektive beleuchten:

In Bilanzierung der bisherigen Entwicklungen und in Weiterführung der Arbeiten von Stephan Leimgruber plädiert Monika Tautz (2007) in ihrer Dissertation vorrangig für einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht, der die interreligiöse Dimension – in einer fruchtbaren Beziehung von Identität und Verständigung – konsequent zur Geltung kommen lässt. Sie weist nach, dass die neuere Entwicklung im konfessionsbezogenen Religionsunterricht längst alle konfessionelle Exklusivität hinter sich gelassen hat; das betrifft auch die Kooperation mit dem im Aufbau begriffenen islamischen Religionsunterricht und mit dem Ethikunterricht; praxisnah wird dieser Ansatz von ihr im Dialog mit Anthropologie und Ethik im Islam unterlegt.

Lucas Graßal (2013) hat in seiner Dissertation die bis dato nahezu unbearbeitete Aufgabenstellung in Angriff genommen, die Relation der in Deutschland gegenwärtig wirksamen religionspädagogischen Grundkonzeptionen zu aktuellen Religionstheologien zu durchleuchten, und exemplifiziert das vorrangig an der pluralistischen Religionstheologie von John Hick. Zentral bei ihm ist die Erkenntnis, „dass auch eine religionspädagogische Theorie, die Pluralisierung gelten lässt und konstruktiv aufnimmt, die Geltungsfrage nicht suspendiert. Der konstruktive Dialog mit John Hick führt nicht in ein relativistisches Religionsverständnis, sondern hält die Frage nach der Wahrheit des Glaubens offen. Er hält dabei die kategoriale Unterscheidung von Gott und Welt fest, wie sie in der Qualifikation des Redens von Gott als nie völlig erschöpfend zum Ausdruck kommt“ (Graßal, 2013, 299).

Von intensiver Dialogpraxis getragen und gleichzeitig globale Entwicklungen bedenkend sowie den Kontext der Religionskulturen reflektierend ist die Dissertation von Max Bernlochner (2013), wenn er Positionen und Perspektiven interreligiösen Lernens im Blick auf den Islam hinsichtlich einer interkulturell-interreligiösen Kompetenz (→ interreligiöse Kompetenz) bündelt, die wirklich an der Basis ankommt. Er knüpft bei dem Ansatz komparativer Theologie an, den er dahingehend akzentuiert, dass sich in der Begegnung mit dem Islam gerade auch der eigene Glaube profilieren kann und verschüttete Glaubenserkenntnisse wieder ans Licht kommen.

Mirjam Schambeck (2013) greift bilanzierend und weiterführend die aktuelle Diskussion um religionspädagogische Kompetenzen (→ Kompetenzen;→ Kompetenzorientierung) systematisch auf und bietet interreligiöses Basiswissen für Studium, Ausbildung und Beruf. Sie bedient sich dabei des über die traditionelle Lernzielorientierung hinausführenden Kompetenzbegriffs, bei dem besonders die Lernenden und die Situationen, für die sie befähigt werden sollen, in den Blick kommen. Die volle Breite der Pluralität, in der sich Heranwachsende gegenwärtig vorfinden und in der es die verschiedensten Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten gibt, ist dabei das Grunddatum, dem sich alle pädagogische Bemühung stellen muss. Mirjam Schambeck schreibt in von katholischer Tradition geprägter Positionalität, aber gleichzeitig in ökumenischer (hier als weltweit verstandener) Offenheit, mit der sie sich bemüht, einen verbindenden religionsübergreifenden Verständigungshorizont zu erschließen. Bündig fasst sie das Ergebnis ihrer Diskurse zusammen: „Interreligiöse Kompetenz gilt als Fähigkeit und Fertigkeit, als Einstellung und Haltung, angemessen mit dem Religionsplural umzugehen und eine eigene begründete und verantwortungsvolle Position zu Religion angesichts des Religionsplurals einzunehmen“ (Schambeck, 2013, 201; vgl. auch die im Zusammenhang eines breiten Schulwettbewerbs erschlossenen „Standards für das trialogische Lernen“ von Sajak/Muth, 2011).

Friedrich Schweitzer schließlich, der mit seinen Arbeiten auch im internationalen Horizont vielfältig wahrgenommen wird, hat mit seiner Monographie zu Interreligiöser Bildung (2014) die religiöse Pluralität als religionspädagogische Herausforderung und Chance gekennzeichnet. Im Rahmen einer vielperspektivischen Aufarbeitung der Ansätze und Wege interreligiösen Lernens sind bei ihm die interdisziplinären Anstöße bemerkenswert: nicht nur im Blick auf jüdische und islamische Religionspädagogik, sondern auch in Richtung der das Religiöse lange Zeit marginalisierenden sozialwissenschaftlichen Arbeiten und der interkulturellen Pädagogik, hinsichtlich interreligiöser Fragen als durchgehender Aufgabe auch für die Homiletik und besonders in der Auseinandersetzung mit der Aufgabe der Elementarisierung. Seine Bestimmung interreligiöser Bildung knüpft dabei deutlich an meine früheren Arbeiten an: als „eine Dimension von Bildung, die sich auf die Wahrnehmung eigener und anderer Religionen und ihr Verhältnis zueinander bezieht, die auf wechselseitigem Verstehen beruhende dialogische Einstellungen anstrebt und zu einem gesellschaftlichenZusammenleben im Sinne von Frieden und Toleranz, Anerkennung des Anderen und Respeckt voreinander befähigt“ (132).

Diese Bestimmung korrespondiert mit der Beobachtung, dass in nahezu allen europäischen Ländern die Einsicht wächst, dass Religion Teil der öffentlichen Erziehung sein sollte:

  • zur Vermittlung notwendiger Kenntnisse über das kulturell-religiöse Erbe des Kontinents,
  • zur Orientierung über die religiös verwurzelten Werte und Ethik für das persönliche Leben wie auch für die Gesellschaft,
  • zur Reflexion über Lebenssinn und Lebensziele im Licht der Schriften, Traditionen und spiritueller Praxis der Religionen,
  • für eine Erziehung zu Toleranz und zur Vorbeugung gegenüber falschen Vorurteilen durch authentische Information über und – wenn eben möglich – in der Begegnung mit verschiedenen gelebten Religionen (Lähnemann/Schreiner, 2009, 5).

Dass angesichts der oft sehr schwachen fachlichen und pädagogischen Infrastrukturen in vielen der europäischen Länder, der oft erst in Ansätzen vorhandenen Religionsbegegnung, dem wenig entwickelten Austausch zwischen Religionsgemeinschaften und öffentlicher Erziehung und nicht zuletzt angesichts des Wieder-Auflebens religiös-ethnischer Egoismen hier weiterhin große Herausforderungen und dringend anzugehende Aufgaben bestehen, liegt auf der Hand.

Literaturverzeichnis

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