Ethik, interreligiös
(erstellt: Februar 2016)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Ethik_interreligis_.100179
1. Ethik im Kontext interreligiösen Lernens – eine erste Annäherung
Wenn über →
Ethik
Seit der Aufklärung erscheint es evident, dass Ethik ohne Religion (→
Religion
2. Religion und Ethik in pluralen Lebenswelten
2.1. Autonome Moral
Das Ethos einer jeden religiösen Tradition kann sich deutlich von dem einer anderen unterscheiden, ja dieser vielleicht sogar in einzelnen Aspekten widersprechen. Ethik kann, wenn sie Ethik einer bestimmten tradierten Religion ist, nicht von dem getrennt werden, was zu den Grundstücken der jeweiligen Religion gehört (Korff, 1995, 923f.). Deshalb muss auch interreligiöses Lernen, das sich ethischen Fragen stellen will, den Blick auf das Ethos richten, das gläubige Menschen leitet und das aus der Mitte ihrer Religion – und somit jeweils (moral-)theologisch begründet – erwächst. K. E. Nipkow spricht in diesem Zusammenhang vom „tragenden[n] religiöse[n] Wurzelboden des Ethischen“ (Nipkow, 1998, 432). Ethik ist nicht einfach eine Teilmenge von Religion. Aus der Perspektive der Religion(en) formuliert: Aus Religion erwächst eine der jeweiligen Tradition angemessene, zu ihren theologischen und weltanschaulichen Grundlagen passende Ethik. Das gilt es bei der Planung von religiös-ethischen Lehr- und Lernprozessen zu bedenken, mit den Lernenden zu besprechen und zu problematisieren. Eine solche Reflexion ist notwendig, wenn die mit dem jeweiligen Lebenskonzept verknüpfte Verpflichtung deutlich werden soll.
Wenn es um das Verhältnis autonomer Moral im Sinne I. Kants und einer dezidiert theologischen → Ethik
Wenn von autonomer Moral gesprochen wird, sei es im theonomen oder in einem säkularen Sinne, geht es keineswegs um eine vollkommen individualisierte und beliebige Form der Ethik, sondern im Sinne I. Kants und seines kategorischen Imperativs um eine vor dem Gemeinwohl verantwortete Ethik. Daher ist auch die Rede von einem moralischen Relativismus problematisch. K. Hilpert mahnt an, zwischen einem dogmatischen und einem verantworteten Relativismus (Pluralismus) zu unterscheiden. Ein dogmatischer Relativismus geht davon aus, dass die Wahrheitsfrage unlösbar und daher sinnlos sei. „Für den Pluralismus hingegen ist es kennzeichnend, dass er am Wahrheitsanspruch festhält, gleichzeitig aber bereit ist, andere (religiöse, weltanschauliche oder philosophisch begründete) ethische Standpunkte zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen ernsthaft auseinanderzusetzen“ (Hilpert, 2009, 242).
2.2. Werte und ethisches Handeln
Ethisches Lernen soll Werte vermitteln, soll Werthaltungen kritisch reflektieren, soll traditionelle Werte auf ihre Tragfähigkeit heute hin befragen. Im Sinne von „moralischen Überzeugungen“ (Ernst, 2009, 11) vermögen Werte allerdings „nur allgemeine, übergreifende, also gerade nicht situationsspezifische Orientierungen“ zu geben (Hilpert, 2009, 199). Werte sind Elemente einer gelebten Praxis, sie sind Teil des Selbstverständnisses von sozialen Gruppen mit einem gemeinsam vertretenen Weltverständnis. Werte spiegeln also unsere Weltdeutung, sie sagen etwas darüber aus, wie wir die Welt sehen. Das zeigt sich beispielsweise, wenn Werte als Bestandteil einer kulturellen oder religiösen Tradition an die nächste Generation weitergegeben werden, ohne dass sie explizit zum Thema gemacht werden (Hilpert, 2009, 203-207). Das ist für religiöse Lehr- und Lernprozesse, die sich mit ethischem Lernen befassen, wichtig. Denn damit ist auch gesagt, dass die Orientierung an Werten niemals allein ein Akt der Erkenntnis ist, sondern immer auch von Inkulturation und Sozialisation (→ Sozialisation, religiöse
Um Orientierung für das eigene Handeln geben zu können, müssen Werte erfahrbar werden. Sie können nicht einfach bloß geistig konstituiert werden. Eine Voraussetzung für Werterfahrung und deren konstitutiver Bestand gleichermaßen ist das eigene emotionale Bedürfnis, weshalb Werterfahrung auch abhängig von der emotionalen Reife (→ Emotionale Bildung
3. Ethisches Lernen im interreligiösen Kontext
3.1. Ethisches Lernen im interreligiösen Kontext – eine komplexe Herausforderung
So wie es zu vergleichenden Grundfragen der Ethik in den Religionen bisher kaum Forschungsergebnisse gibt (Beheshti, 2014), so gibt es auch für ethisches Lernen im Rahmen einer Didaktik der Religionen kein Modell ethischen Lernens, das sich spezifisch mit interreligiösen Lehr- und Lernprozessen befasst (zu Modellen ethischen Lernens allgemein: Ziebertz, 2010, 439-445; Oser/Althoff, 2001, 83-123; Pfeifer, 2013, 57-83). Dies dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass sowohl Prozesse ethischen als auch Prozesse interreligiösen Lernens sehr komplex sind und daher eine Reihe an entwicklungsbedingten Voraussetzungen (→
Entwicklungspsychologie
Wenn ethisches Lernen im interreligiösen Kontext Glaubensentwicklung und moralische Entwicklung gleichermaßen fördern möchte, ist ein entsprechendes Umfeld wichtig. Die Bereitschaft zur Veränderung von moralischen Vor-Urteilen hin zu begründeten Urteilen, aber auch die Bereitschaft, das eigene Handeln neu auszurichten, wird dann gefördert und herausgefordert, wenn die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen direkt betroffen ist. Je mehr Glaubenseinsichten vom Heranwachsenden als hilfreiche Unterstützung bei der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben als personale Ressource und Lebenshilfe wahrgenommen werden können, desto mehr dürften Motive und Normen ihres Selbstkonzepts angesprochen werden (Grom, 2005, 28). Ist es für ethisches Lernen allgemein wichtig, dass solche Lernprozesse auf Kontinuität hin angelegt sind, so sollte für den interreligiösen Rahmen der →
Glaube
3.2. Ethisches Lernen im interreligiösen Kontext – am Lernort Kindergarten
Erfahrungen von Pluralität gehören zum Alltag im Kindergarten (→ Kindertagesstätte
Für die vorschulische Erziehung ist dabei in besonderem Maße zu bedenken, dass Werte im Sinne ethisch-moralischer Prinzipien untrennbar an die religiösen bzw. weltanschaulichen Grundlagen der Familien gebunden sind (Schlesinger, 2014, 183). Aus diesem Grunde kann ein auf ethisches Lernen hin ausgerichtetes interreligiöses Lernen nicht ohne Einbinden der Eltern gelingen. Besonders in Fällen religionsverschiedener Eltern bedarf es eines sensiblen und religionskundigen Umgangs (Froese, 2005, 272f.).
3.3. Ethisches Lernen im interreligiösen Kontext – am Lernort Schule
Interreligiöses Lernen spielt im Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch
Für den Primarbereich und die Unterstufe der weiterführenden Schulen sprechen entwicklungspsychologische Erkenntnisse dafür, nicht zu früh ethische Positionen verschiedener Religionen vergleichend und reflektierend zu thematisieren, weil sich die Fähigkeit, → Perspektivenwechsel
3.4. Ethisches Lernen im interreligiösen Kontext – am Lernort Gemeinde
Was für interreligiöses Lernen am Lernort Gemeinde allgemein gilt, gilt auch für das Nachdenken über ethische Haltungen und ethisches Handeln: Die Entwicklung interreligiöser Kompetenz kann mit Stefan Leimgruber als eine der grundlegenden Vollzüge christlichen Glaubens in der → Katechese
Eine in der Gemeindearbeit und der kirchlichen Erwachsenenbildung bisher kaum beachtete Herausforderung stellen „die besonderen theologischen und religionspädagogischen Anliegen einer religionsverschiedenen Familie“ (Froese, 2005, 277) dar. Wenn zwei Religionen im Alltag einer Familie gelebt werden, sind häufig Fragen der Ethik Auslöser für interreligiöse Gespräche, die nach den religionsspezifischen Wurzeln der jeweiligen Ethik fragen.
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