Fachdidaktik, religionswissenschaftlich
Andere Schreibweise: religionswissenschaftliche Fachdidaktik
(erstellt: Februar 2021)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Fachdidaktik_religionswissenschaftlich.200872
1. Begriff
Ein Begriff religionswissenschaftlich orientierter Fachdidaktik hat sich in der didaktischen Diskussion wenig etabliert und eine eigene Diskursgemeinschaft ist erst in Anfängen fassbar. Gemeint ist hier der Beitrag kulturwissenschaftlich orientierter Erschließung von Religion zu einer Fachdidaktik zum Gegenstand Religion im Sinne einer Disziplin der Bildungswissenschaften und des Unterrichts an der öffentlichen Schule. Hochschuldidaktische Überlegungen zum Studium der → Religionswissenschaft
Dieser Artikel legt den Fokus auf den deutschsprachigen Raum und auf den Unterricht der öffentlichen Schule in der Primar- und Sekundarstufe (inklusive Gymnasium).
2. Historische Entwicklung
Religionswissenschaftlich orientierte Fachdidaktik kann je nach Interpretation als eine neue fachdidaktische Disziplin oder als eine Weiterentwicklung der Religionspädagogik verstanden werden (Bleisch, 2018). Die folgende Darstellung versteht religionswissenschaftlich orientierte Fachdidaktik als eine neue fachdidaktische Disziplin, ohne einflussreiche religionspädagogische Arbeiten zu ignorieren.
2.1. Vorläufer und Pionierinnen
Die Vorläufer einer religionswissenschaftlich orientierten Fachdidaktik können in den 1960er Jahren situiert werden und lokalisieren sich in Schweden in bildungspolitischen Entscheiden mit der Einführung des Faches Religionskunde und in England mit den ersten Publikationen von Ninian Smart mit Vorschlägen, in der säkularen Schule religionswissenschaftliche Inhalte zu lehren (Alberts, 2007). Im deutschsprachigen Raum finden sich Anfang der 1970er Jahre erste Überlegungen für den Einbezug der Religionswissenschaft als Bezugsdisziplin der Religionspädagogik durch Jürgen Lott und seine Mitstreitenden mit dem Ziel, die Lernenden sollten die „Präsenz religiöser Denkweisen und Lebensformen in der Gesellschaft“ verstehen (Lott, 2013, 5).
1982 publizierten Monika und Udo Tworuschka das Buch Methodische Zugänge zu den Weltreligionen, was nach Anja Lüpken (2010) als die erste religionswissenschaftliche Methodik für den Religionsunterricht gelten kann. Außerdem veröffentlichten sie für Kinder eine Reihe von Sachbüchern, Romanen und Spielen. Spezifisch für den Gebrauch im Unterricht begann Christoph P. Baumann Tonbildreihen und Materialkoffer zu entwickeln (siehe www.manava.ch
2.2. Erste Institutionalisierungen und fachdidaktische Ansätze
Dass sich die akademische Religionswissenschaft anders als andere Wissenschaften lange nicht um eine eigene Fachdidaktik bemüht hat, hängt nach Wanda Alberts (2007) mit fehlenden Schulfächern zusammen. Zu den ersten Fächern mit (auch) religionswissenschaftlicher Ausrichtung und mehr oder weniger starker Beteiligung der Religionswissenschaft in der Entwicklung von Lehrplänen sowie in der Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen gehören:
- Religionskundlicher Unterricht (1993 integriert in Werte und Normen) in Niedersachsen; Einführung 1974 als Ersatzfach für den konfessionellen Religionsunterricht (Galas, 2016);
- Religion in Bremen (bis 2013 Biblischer Geschichtsunterricht); seit den 1970er Jahren unter Beteiligung der Religionswissenschaft (Lott/Schröder-Klein, 2006).
- Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) in Brandenburg; erste Einführung als allgemeinbildendes Schulfach ab 1996 (Kenngott, 2013);
- Religion und Kultur im Kanton Zürich; Einführung als obligatorischer Unterricht für alle Lernenden zum Schuljahr 2006/07 (Frank, 2013);
Im Zuge der Einrichtung des Studiengangs LER entwickelten Lehrende der Universität Potsdam in den 1990er Jahren zwei unterschiedliche fachdidaktische Ansätze: 1. Der hermeneutisch-vergleichende Ansatz orientiert sich an den Theologien verschiedener Religionen und bietet den Lernenden die Arbeit an dazu quer verlaufenden Themen wie Fundamentalismus oder Tod. Er ermutigt die Lernenden für die eigene Wertebildung, „das gemeinsame Gesprächspotential aller Religionen zu nutzen“ (Fauth, 1998, 5). 2. Der soziologische Ansatz geht von Phänomenen aus, welche die Jugendlichen in ihrer Alltagswelt faszinieren, und kontextualisiert diese mittels eines religionsphilosophischen Zugangs: „In den Verbindungen von Situation und Tradition soll [sic!] ein bildender Gehalt und (Selbst-)Erkenntnis freigesetzt werden“ (Fauth, 1998, 6). So wird beispielsweise Rambo mit griechischen und germanischen mythologischen Figuren verglichen (Fauth, 1998). Für das Schulfach Religion und Kultur im Kanton Zürich entwickelten die zuständigen Fachdidaktikdozierenden im Rahmen des Ansatzes des entdeckenden Lernens für die Sekundarstufe I Lehrausgänge und für die Primarschule einen didaktischen Dreischritt: Die Lehrperson erkundet zusammen mit ihren Lernenden Artefakte und Rituale aus einer religiösen Tradition, indem sie diese 1. wahrnehmen, 2. befragen und einordnen sowie 3. kontextualisieren (Kilchsperger, 2015a).
2.3. Erste didaktikorientierte Forschungen und Abgrenzungsdiskurse
In den 2000er Jahren entstanden erste religionswissenschaftliche Dissertationen mit Forderungen nach einer religionswissenschaftlichen Fachdidaktik bzw. einer pädagogischen Theorie einer religionswissenschaftlichen Religions-Bildung. Christa Dommel untersuchte aus einer religionswissenschaftlichen Perspektive vorschulische Religions-Bildung in Deutschland und England (Dommel, 2007). Für ihre pädagogische Theorie einer religionswissenschaftlichen Religions-Bildung stützte sie sich auf religionspädagogische Arbeiten aus verschiedenen religiösen Traditionen, Konzepte aus der psychoanalytischen Pädagogik (insbesondere die Tugend der Liebe) und forderte den konzeptuellen Einbezug von Emotionen, die etwa in Bezug auf Vorurteile bereits Kindergartenkinder prägen (Dommel, 2008).
Wanda Alberts publizierte 2007 ihre Dissertation, in der sie verschiedene Modelle von „integrativem Religionsunterricht“ in England und Schweden untersuchte, verstanden als „Schulfach, in dem alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse, unabhängig von ihren jeweiligen religiösen oder nicht-religiösen Hintergründen, gemeinsam über verschiedene Religionen lernen“ (Alberts, 2008, 2). Auf der Grundlage ihrer Analysen schlug Alberts ein allgemeines Modell eines säkularen integrativen Religionsunterrichts für Europa vor, der sich durch eine Außenperspektive mit einem unparteiischen und nicht-religiösen, aber in den Erziehungswissenschaften verankerten Ansatz stark macht und von Lehrpersonen unterrichtet wird, die religionswissenschaftlich ausgebildet sind. Dabei sollen Schülerinnen und Schüler lernen, ihre eigenen Ansichten in der Vielfalt religiöser und säkularer Positionen zu verorten, andere zu verstehen und informierte, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Als grundlegende Werte für diesen Unterricht sah Alberts die Menschenrechte, insbesondere die Gleichwertigkeit aller Menschen. Damit rückte sie den säkularen Religionskundeunterricht in unmittelbare Nähe zur interkulturellen Bildung sowie zur Demokratieerziehung (Alberts, 2007). Alberts forderte daher, für die Religionswissenschaft eine eigene Fachdidaktik zu entwickeln. Dabei unterschied sie eine allgemeine religionswissenschaftliche Fachdidaktik, welche länderübergreifend als Idealtypus dienen soll, und eine kontextspezifische religionswissenschaftliche Fachdidaktik, die beispielsweise gesetzliche Bestimmungen und die Einbindung in Fächerverbünde mitberücksichtigt (Alberts, 2008).
Katharina Frank untersuchte in ihrer Dissertation konkreten Unterricht im Fach Religion und Kultur im Kanton Zürich und entwickelte aus ihren Unterrichtsbeobachtungen ein Modell von sieben Typen der Religionsvermittlung (Frank, 2010). Besonders einflussreich für die weitere Entwicklung religionswissenschaftlich orientierter Fachdidaktiken wurde ihre Abgrenzung des religiösen Unterrichts von religionskundlichem Unterricht. Dabei verstand sie unter religiösem Unterricht jene Settings, welche Lernende mittels dogmatischer oder lebensweltlicher Rahmungen in einen religiösen Diskurs inkludieren, während religionskundlicher Unterricht von Settings bestimmt ist, die religiöse Phänomene mit religionswissenschaftlichen Methoden erkunden, wobei das Beobachten, Beschreiben und Kontextualisieren im Zentrum steht (Frank, 2010; 2013).
Sowohl für Alberts als auch Frank ist eine konsequente Einbettung der Fachdidaktik in die akademische Religionswissenschaft und eine starke Abgrenzung von religionspädagogischen Ansätzen kennzeichnend.
2.4. Entstehung der religionswissenschaftlichen Fachdidaktik als eigenem wissenschaftlichen Feld
Anja Lüpken fragte in ihrem 2010 erschienen Artikel, ob die religionswissenschaftliche Fachdidaktik auf dem Weg sei zu einer neuen Disziplin. Aus einer wissenschaftsorganisatorischen Perspektive (Köck, 1990) kann diese Frage ab der Mitte der 2010er Jahre bejaht werden. 2014 erfolgte in der Schweiz die Gründung der zweisprachigen Gesellschaft für Religionskunde, die seit 2015 eine eigene Zeitschrift für Religionskunde (www.religionskunde.ch
2.5. Religionskunde als Perspektive des Sachunterrichts
Ab den 2010er Jahren suchten Personen aus der Didaktik, die in der Schweiz auf Volksschulstufe tätig sind, zunehmend den Anschluss der Religionskundedidaktik an die Didaktik des Sachunterrichts. Als Pionier kann Kuno Schmid bezeichnet werden, der 2011 in seinem Buch „Religion“ lernen in der Schule für die Verankerung eines bekenntnisunabhängigen Religionsunterrichts für alle Lernenden im allgemeinen Bildungsauftrag plädiert (Schmid, 2011). In der Folge dienten ihm bestehende fachdidaktische Überlegungen des Sachunterrichts wie Kompetenzorientierung (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht
Mit der Einführung des Lehrplans 21 in allen Deutschschweizer Kantonen ab 2015 hat sich das Fach Natur-Mensch-Gesellschaft (NMG) mit Einbezug religionskundlicher Kompetenzen durchgesetzt und eine rege Weiterentwicklung religionswissenschaftlich orientierter Fachdidaktik für den Unterricht in der Volksschule ausgelöst. Mit Rückbezug auf Modelle, die in NMG Verwendung finden, führte beispielsweise Dominik Helbling (2016) das an der Pädagogischen Hochschule Luzern entwickelte Aufgabenmodell für kompetenzorientierten Unterricht in die Didaktik der Religionskunde ein, Urs Schellenberg und Laura Saia (2019) nutzten die Didaktische Rekonstruktion für die Entwicklung eines Unterrichts zum Judentum.
3. Didaktische Aspekte
3.1. Religion als Unterrichtsgegenstand
Welcher Religionsbegriff einer Didaktik zugrunde gelegt wird, hat Auswirkungen auf die Bestimmung von Unterrichtszielen, die Auswahl von sinnvollen Unterrichtsgegenständen sowie Entscheide über angemessene Lehr-Lernformen. Da sich Religionswissenschaft heute weitgehend als Kulturwissenschaft versteht (Bergunder, 2012), liegt der religionswissenschaftlich orientierten Fachdidaktik in der Regel ein kulturwissenschaftlicher Religionsbegriff zugrunde. Religion wird dabei etwa bestimmt als Symbolsystem, das sowohl einen Transzendenzbezug, als auch einen kollektiven Geltungsanspruch aufweist (Frank, 2013). Religion wird zudem als konstruierte wissenschaftliche Kategorie begriffen (Dommel, 2008; Bleisch, 2018). Zuweilen bleibt der Religionsbegriff in der Literatur durch ein Alltagsverständnis von Religion bestimmt (z.B. Kilchsperger/Pfeiffer, 2012) oder wird phänomenologisch verstanden (z.B. Schmid, 2013). Aus einem kulturwissenschaftlichen Verständnis folgt zum einen, dass im religionskundlichen Unterricht vor allem die in der Kultur sichtbaren religionsbezogenen Phänomene thematisiert werden sollen (Kilchsperger/Pfeiffer, 2012; Kilchsperger, 2015b). Zum anderen fallen damit bestimmte didaktische Entscheidungen: Es lässt sich über diese Begriffsbestimmung klären, welche Gegenstände im Unterricht als „religiöse Gegenstände“ gelten, die in der Terminologie von Katharina Frank (2010) nur mit einer kulturkundlichen Rahmung unterrichtet werden sollen.
Ein kulturwissenschaftliches Religionskonzept versteht sich als anti-essentialistisch. Es können, so der weitgehende Konsens in der Fachdidaktik, im Unterricht keine pauschalisierenden Aussagen über „das Judentum“ oder „die Musliminnen“ getroffen werden – religiöse Phänomene müssen immer in ihren historischen sowie sozio-kulturellen Kontext eingebettet und von da aus erschlossen werden (Frank, 2016). Darin begründet sich zudem unter anderem die rege Kritik am Konzept der „Weltreligionen“, das Lehrmitteln und Lehrplänen häufig zugrunde liegt und den Unterricht strukturiert (Frank, 2014; Alberts, 2017; Štimac/Spielhaus, 2018; Schellenberg/Saia, 2019).
Erst am Anfang steht die Rezeption einer differenztheoretischen Bestimmung des Religionsbegriffs. Paul Mecheril und Oscar Thomas-Olalde bestimmen beispielsweise Religion als „soziale Praxis, [als] ein Kommunikations- und Imaginationsschema, das zur Verfügung steht, um zwischen Gruppen zu unterscheiden“ (Mecheril/Thomas-Olalde, 2011, 58). Für den Religionskundeunterricht ergäbe sich daraus die Notwendigkeit, im Unterricht gängige Kategorien zu dekonstruieren sowie Grenzziehungen aufzuweichen (Bleisch, 2017).
3.2. Lehrpläne und Kompetenzmodelle
Versuche, im deutschsprachigen Raum Lehrpläne und Curricula auch unter direktem Einbezug religionswissenschaftlicher Perspektiven zu schaffen, gehen auf das Brandenburger Schulfach → Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde
In der Schweiz wurde im Kanton Zürich 2006 das obligatorische Schulfach Religion und Kultur eingeführt. Unter dem neuen Vorzeichen des Obligatoriums wurde der Lehrplan unter Berücksichtigung religionswissenschaftlicher Perspektiven und im Austausch mit Vertretern und Vertreterinnen der Religionswissenschaft konzipiert (Kunz, 2005). Der Zürcher Lehrplan des Faches weist als Anliegen die Befähigung aus, sich in einer religiös pluralen Gesellschaft orientieren und sich mit Menschen unterschiedlicher religiöser oder kultureller Hintergründe verständigen zu können (Kanton Zürich/Bildungsdirektion, 2010). Wenig später initiierte die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) mit dem Lehrplan 21 und der inhaltlichen Perspektive Ethik, Religionen, Gemeinschaft (ERG) ein Obligatorium für die Bearbeitung religionsbezogener Kompetenzen in der Volksschule für alle Deutschschweizer Kantone. Die Perspektive Religionen wurde unter Berücksichtigung religionswissenschaftlicher Zugänge geschaffen und hat eine offene Haltung und einen nicht diskriminierenden Umgang mit Religionen und Weltanschauungen zum Ziel. Lernende sollen „sich kompetent in Kulturen und Gesellschaft“ (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, 2014, 16) orientieren können. Weder der Lehrplan 21 noch der Lehrplan Religion und Kultur wurden aus dem Selbstverständnis geschrieben, einen religionswissenschaftlichen Lehrplan darzustellen, durchaus aber, dieser Fachperspektive Rechnung zu tragen (Bietenhard/Helbling/Schmid, 2015). In ihrer religionswissenschaftlichen Betrachtung des Lehrplans 21 schließt Petra Bleisch (2015), dass dieser aus einer religionswissenschaftlichen Perspektive anschlussfähig sei, aber einiger Präzisierungen bedürfe.
Teilweise parallel zu den Lehrplänen entstanden auf konzeptioneller und theoretischer Ebene Beiträge zu religionswissenschaftlichen Kompetenzen und Kompetenzmodellen. Anne Koch, Petra Tillessen und Katharina Wilkens (2013) beschreiben religionswissenschaftliche Schlüsselkompetenzen, die sich ihrer Ansicht nach alle Menschen in der pluralen Gesellschaft der Gegenwart aneignen sollten. Im Wesentlichen geht es ihnen um die Kompetenzen, Wissen aus einem kulturwissenschaftlichen Verständnis von Religion aufzubauen, von sich selbst Abstand zu nehmen, sich der eigenen kulturellen Brille bewusst zu werden, sowie um die Fähigkeit, in religionsbezogenen Konflikten eine vermittelnde Rolle einzunehmen.
Katharina Frank (2016) skizziert ein Kompetenzmodell für einen religionswissenschaftlich ausgerichteten Religionsunterricht. Als Alleinstellungsmerkmal des Faches nennt sie „die Förderung des friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Herkunft“ (Frank, 2016, 23). Das Modell orientiert sich stark an den Methoden der Religionswissenschaft, wobei Frank betont, dass es nicht um das Einüben, sondern Nachvollziehen von Forschungsprozessen geht (Frank, 2016, 24).
3.3. Orientierung an den Lernenden
Dass der Unterricht an den Lernenden orientiert wird und nicht lediglich fachwissenschaftliche Inhalte abbilden sollte, ist in der aktuellen didaktischen Literatur weitgehend Konsens. Diskutiert wird diese Orientierung auf drei Ebenen: bezogen auf 1. den Lebensweltbezug, 2. die Anbindung an Präkonzepte und 3. den Subjektbezug (→ Subjekt
1. In der aktuellen sachunterrichtsdidaktischen Literatur besteht ein Konsens, dass Religionskundeunterricht sich an der Lebenswelt der Lernenden orientieren muss, damit er für sie zugänglich und relevant wird. Das bedeutet, Unterricht soll Fragen und Themen aufgreifen, welche sich die Lernenden selber stellen bzw. welchen sie in ihrem Alltag begegnen (Schmid, 2012; Kilchsperger, 2015a; Frank, 2016; Helbling, 2016).
Während für Katharina Frank und Petra Bleisch (2015) Fragen der Lernenden, welche ihre persönlichen, privaten religiösen Praktiken, Erfahrungen und Einstellungen betreffen, ausgenommen sind – sie dürfen von Lernenden eingebracht werden, sollen aber weder von der Lehrperson gezielt abgefragt noch als Ausgangspunkt einer Unterrichtssequenz verwendet werden, weil diese in den Bereich der Familie und des religiösen Unterrichts gehören –, müssen für Kuno Schmid (2012) die persönlichen Fragen der Lernenden auch im Religionskundeunterricht Platz haben.
Die Bearbeitung von Fragen und Anforderungssituationen aus der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen sind nicht auf Vollständigkeit und Systematik der Religionswissenschaft ausgerichtet und stehen deshalb mit der Wissenschaftsorientierung in einem Spannungsfeld, was bislang noch nicht systematisch bearbeitet wurde.
2. In der sachunterrichtsdidaktischen Literatur wird im Rahmen konstruktivistischer Lerntheorien und insbesondere mit Bezug auf die conceptual change Theorien darauf verwiesen, dass Unterricht an religionsbezogene Konzepte, welche die Lernenden in die Schule mitbringen, anknüpfen muss (Schmid, 2011, 42-45). Dominik Helbling (2018b) stellt allerdings in seiner Diskussion bisheriger Erkenntnisse fest, dass entsprechende Forschungen aus religionswissenschaftlicher Perspektive und damit verbundene didaktische Überlegungen weitgehend fehlen.
3. Uneinheitlich ist die fachdidaktische Literatur bezüglich des Subjektbezugs. Kuno Schmid (2011) und Eva-Maria Kenngott (2013) plädieren dafür, dass auch die existentielle Dimension der Lernenden im Religionskundeunterricht bearbeitet werden soll, indem der Unterricht explizit beispielsweise über religiöse Erzählungen zur Identitätsbildung beitrage, damit etwa Lernende Bezüge zu ihrem eigenen Leben herstellen und Religion als eine Option für die eigene Lebensführung wahrnehmen können. Katharina Frank und Petra Bleisch schließen den Bezug auf die persönliche Lebensführung aus, weil die Inkludierung der Lernenden in einen religiösen Diskurs zur Folge habe, dass der schulische Unterricht zu einem religiösen Unterricht werde, was sowohl einer Wissenschaftsorientierung abträglich sei als auch die Religionsfreiheit der Lernenden verletze (Frank, 2010; Frank/Bleisch, 2015). Der Subjektbezug gelingt für Frank und Bleisch über den Lebensweltbezug.
3.4. Professionelles Ethos
Zahlreiche empirische Studien belegen, dass persönliche religiöse Überzeugungen und Werthaltungen von Lehrpersonen den Unterricht beeinflussen (Pirner, 2013; Häusler/Pirner/Scheunpflug/Kröner, 2019). Innerhalb der Lehrpersonenbildung der Schweiz scheint ein weitgehender Konsens zu bestehen, worin ein professionelles Ethos einer Lehrperson eines religionswissenschaftlich orientierten Unterrichts besteht (Rota/Bleisch, 2017). Dabei beinhaltet der Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit, dass Lernenden kein religiöses Bekenntnis abverlangt werden darf und die Teilnahme an religiösen Handlungen tabu ist. Der vorurteilsfreie Zugang zu religionsbezogenen Sachverhalten mit dem Ziel, Stereotypen zu vermeiden, beinhaltet beispielsweise, Religion als in sich plural darzustellen und sich als Lehrperson der eigenen Positionen und Vorurteile bewusst zu werden. Auf dieser Linie wurden die Anforderungen an ein professionelles Ethos in verschiedenen Beiträgen dargestellt (Ebel, 2015; Jakobs, 2011; 2013). Weniger prominent, aber nicht minder einflussreich, sind das Verständnis von Religion (Bleisch/Bietenhard, 2018) und die Ziele des Faches (Frank, 2010) im Blick auf den Unterricht. Daraus folgt die Anforderung, Religion von einer objektiven und säkularen Position aus zu thematisieren und dementsprechend die Lernenden nicht als Trägerinnen und Träger einer Religion zu behandeln und schon gar nicht als deren Vertretung. Wie diese Professionalisierung der Lehrpersonen gefördert werden soll, ist erst in Ansätzen bearbeitet (Helbling/Schallberger, 2019).
4. Exemplarische Lernmaterialien
Mit „Blickpunkt Religion und Kultur“ aus dem Züricher Lehrmittelverlag ist im deutschsprachigen Raum erstmals ein Lehrwerk unter religionswissenschaftlicher Beteiligung erschienen, das sich bezogen auf die Schweiz über die ganze obligatorische Schule erstreckt (Pfeiffer/Schmid/Gebe/Guyer/Lüscher/Schaufelberger/Schumacher-Bauer, 2012; Bernet/Giezendanner/Schmid/Senn/Zangger/Gschwend/Kilchsperger/Stemmle, 2013; Zangger/Gritsch/Häusler Niederer/Staub/Wolfangel/Beltz/Bollag/Bühler/Malinar/Wittwer, 2013). Die darauffolgende kontroverse Diskussion in der wissenschaftlichen Fachdidaktik wie in der Öffentlichkeit spiegelt die disparaten Erwartungen an dessen Profil wider. Daneben sind in den vergangenen Jahren eine Anzahl einzelner Unterrichtsentwürfe erschienen, die religionswissenschaftliche Anknüpfungspunkte aufweisen. In einem Unterrichtsvorschlag für das 1./2. Schuljahr zum Thema Feste im Kontext eines mehrperspektivischen Sachunterrichts wird die Veränderung familialer Festkultur über die Generationen sowie die Verbindung von (religiösen) Festen mit der Nahrungsmittelproduktion erschlossen (Helbling, 2018a). Damit verweist der Beitrag darauf, dass Religionen nicht überzeitlich und unveränderbar sind, sondern durch Menschen gelebt und entwickelt werden. Weiter sensibilisiert der Beitrag dafür, dass Religion mit anderen gesellschaftlichen Systemen, wie der Wirtschaft, zusammenwirkt.
Speisegebote stehen im Zentrum einer Unterrichtseinheit für das 6. Schuljahr (Franz-Klauser, 2016). Dabei werden diese im Kontrast zu essentialisierenden Darstellungen als von Individuen adaptierte Verhaltensweisen dargestellt und ihre Relevanz in konkreten Situationen erarbeitet. Diese binnenreligiöse Differenzierung wird ergänzt mit säkularen Positionen, die deutlich machen, dass Religion nicht vorausgesetzt oder als einzig legitimer Lebensentwurf verstanden wird.
Eine im Nachgang zum Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo von Januar 2015 in Paris durchgeführte und publizierte Unterrichtseinheit für das 12. Schuljahr legt das Augenmerk auf die unterschiedlichen Kontexte verschiedener Terroranschläge und auf die Unterscheidung von Selbst- und Fremddarstellung von Religionsgemeinschaften und deren Angehörigen (Frank/Pilgram-Frühauf, 2016). Vergleiche mit anderen religiös legitimierten Gewalttaten wenden sich dabei gegen die stereotype Darstellung von „guten“ und „bösen“ Religionen.
Übereinstimmend verfolgen die Unterrichtsentwürfe einen kulturkundlichen Ansatz und fördern die Wahrnehmung der innerreligiösen Pluralität sowie der Veränderbarkeit des historischen und gesellschaftlichen Kontexts. Sie verzichten darauf, Religionen per se zu problematisieren oder zu stilisieren und beziehen säkulare Positionen mit ein. Fachdidaktisch gesehen sind die drei Beiträge an der Entwicklung von stufenangemessenen Kompetenzen orientiert. Alle Unterrichtseinheiten nehmen lebensweltlich anschlussfähige Themen auf und involvieren die Lernenden in für sie relevante Auseinandersetzungen, ohne sie jedoch als gläubige Subjekte anzusprechen. Die Aufgaben sind so gestellt, dass eine Entwicklung der Präkonzepte durch Konfrontation mit belastbarem Sachwissen und Fachsprache möglich ist.
5. Ausblick
Die religionswissenschaftlich orientierte Fachdidaktik ist als noch junge, sich im Aufbau befindende Disziplin in verschiedenerlei Hinsicht ein dynamisches Feld. Die religionswissenschaftliche Abstützung der Schulfächer hat sich in den deutschsprachigen Ländern nicht flächendeckend etabliert und ist immer wieder Gegenstand bildungspolitischer Diskussionen. Einige Kernthemen wie das Verständnis von Religion oder die Ziele des Unterrichts wurden bereits klärend diskutiert. Zahlreiche didaktische Standardthemen wie Präkonzepte, Differenzierung, Aufgabenkultur, genderspezifische Aspekte, didaktische Rekonstruktion, Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen usw. konnten hingegen noch nicht oder erst in Anfängen bearbeitet werden. Trotz konzeptioneller Unterschiede betreffen viele Arbeitsfelder die konfessionellen wie die bekenntnisunabhängigen Unterrichtsfächer gleichermaßen (Helbling/Riegel, 2020). Parallelen, Überschneidungen und Synergien zu anderen Fachdidaktiken sind noch unbearbeitet. Auch neue Themen wie der sprachsensible Fachunterricht, der Umgang mit Heterogenität oder die Digitalisierung benötigen eingehende Betrachtung.
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